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10 minutes reading time: Wie anschmiegsam muss Design sein?

Wir haben vor einiger Zeit einen langjährigen Kunden verloren. Begründung war, dass die Zusammenarbeit mit uns »zu anstrengend« sei. Was mich zunächst vor allem persönlich getroffen hat, denn ich möchte natürlich, dass die Zusammenarbeit mit »nodesign« für unsere Partner eine positive Erfahrung ist. Ich habe mich gefragt, warum ein Auftraggeber, der sonst nicht scheut, eindeutig seine Wünsche zu äußern, nicht kurz und rechtzeitig eine Rückmeldung zum Arbeitsklima gibt. Wie in einer guten Beziehung, kann man die meisten Kommunikationsprobleme ja lösen und zu besserer Kooperation kommen, wenn man rechtzeitig ehrlich miteinander redet.

Mit etwas Abstand – jenseits des schlechten Gefühls, einer mir sehr sympathischen Person vielleicht das Leben unnötig schwer gemacht zu haben – wurde mir klar, dass ich wahrscheinlich in Wirklichkeit nicht anstrengend genug war. Wir haben bei dem beanstandeten Projekt viele Zugeständnisse gemacht, Umgestaltungen, Kompromisse – bis auch noch nach über 15 verschiedenen Entwürfen eine Coveridee des Auftraggebers gegen unsere Bitte, es nicht ausgerechnet so zu machen, durchgesetzt wurde. Unser Hinweis, dass wir gern über alles reden und niemals einen Entwurf machen, den der Auftraggeber nicht mag, es aber umgekehrt auch nicht geht, uns einen Entwurf aufzuzwingen, den wir furchtbar finden, sondern man gemeinsam eine für beide Seiten gute Lösung finden müsse, wurde mit einem »Basta« beiseite gewischt. Wer zahlt, hat Recht. Wir haben es schließlich resigniert umgesetzt, weil es unprofessionell gewesen wäre, ein Projekt so kurz vor Drucklegung aufzugeben und als letzten Akt der Wehrlosigkeit unseren Namen von der Publikation genommen. Weniger wegen des Gesamtergebnisses – das abgesehen vom Cover vertretbar ist – sondern als Reaktion auf den Umgang mit uns. Die Tatsache, dass der Auftraggeber danach noch zwei weitere Kampagnen mit uns realisiert hat (die reibungslos liefen), zeigt, dass wir so furchtbar auch nicht gewesen sein können. Und auch, dass der Auftraggeber vielleicht nicht versteht, dass »Nein« zu sagen die wichtigste Verantwortung jedes Designers ist.

Finanziell bedeutet dieser Gesamtetat lediglich 10% unseres Jahresumsatzes, an Stelle des Projektes sind diesen Sommer andere schöne Aufträge getreten, es geht also nicht um die Auseinandersetzung mit einem scheidenden Klienten. Aufträge kommen und gehen. Trotzdem geht hier um eine Thematik, auf die mich Studenten und Kollegen immer wieder ansprechen und die uns auch im Büro oft berührt: Wie anschmiegsam muss man als Designer sein? Welche Kompromisse muss man machen, wie findet man die richtige Balance zwischen der Integrität des Berufs und der Dienstleister-Funktion?

Hier gibt es nicht die eine richtige Antwort. Es gibt Designer, die lieber jobben gehen würden als ihre Integrität zu opfern, anderen geht es primär ums Geschäft. Die meisten von uns bewegen sich irgendwo zwischen diesen Polen, müssen Kosten einspielen und wollen dennoch Ergebnisse, zu denen man stehen kann. Zudem ist jeder Auftrag anders – mal geht es um funktionierendes Handwerk, andere Projekte verlangen ein Hochmaß kreativen Engagements, so dass man zu Recht verdrossen ist, wenn das Ergebnis kurz vor Schluss kompromittiert wird. Auch die Größe von Auftraggeber und Budget zählen – es gibt einen Unterschied zwischen gut honorierten Aufträge mit klarer Dienstleister-Rolle, andererseits ist es falsch, wenn bei pro-bono-Projekten die Auftraggeber immer noch Alleinentscheider sein wollen. Auch sind nicht alle Eingriffe gleich zu bewerten – viele Änderungswünsche stärken das Endergebnis, weil sie es durchdachter machen, andere zerstören es. Schlussendlich gibt es Partner, die du so respektierst, dass du Ihnen selbst unfassbarste Eingriffe gerne machst. Und es gibt Auftraggeber, die sich diesen Respekt einfach (noch) nicht erarbeitet haben. Jeder, der sich in der Kreativwirtschaft bewegt, kann sein Lied von den Irrfahrten durch dieses weite Feld singen… Chip Kidd hat aus der Rolle des missverstanden Design-Gottes, der von der Welt missverstanden wird, sogar eine Art erfolgreiche Stand-Up-Comedy gemacht, die zwar komisch ist, aber leider den Mythos vom Designer als Märtyrer nährt. Nein, es gibt keine einfache Antwort.

Aber es gibt doch eine generelle Lehre in dieser Sache und die ist recht einfach: Wenn dir die harten Jungs auf dem Schulhof einmal erfolgreich dein Taschengeld klauen, werden sie beim nächsten Mal garantiert wieder auf dich warten. Wenn du dich aber wehrst, ist dein Geld vielleicht auch weg – aber du hast deine Ehre behalten, ein bisschen Blut mitgenommen und bist zumindest kein leichtes Opfer. Nun sind Auftraggeber ganz und gar keine Schulhof-Gang – aber dennoch darf man sich als Designer fragen, ob »Biegsamkeit« in den Verantwortungsbereich unserer Arbeit fällt oder ob man damit den Kreislauf des mangelnden Respekts vor unserer Arbeit als Ganzes nur noch zusätzlich befeuert.

Die meisten bekannten Musiker, Regisseure, Autoren und Künstler, sind nicht geworden, was Sie sind, indem Sie anschmiegsam waren. Natürlich haben auch Alfred Hitchcock oder Jimi Hendrix Kompromisse machen müssen. Aber würden wir heute noch von ihnen sprechen, wenn sie nicht doch an ihren Vorstellungen von Rockmusik oder Film festgehalten hätten? Sicher sind David Foster Wallace oder Steve Reich »anstrengend« – aber macht nicht genau das ihre Qualität aus? Wollen wir statt dessen Bastei-Lübbe-Arztromane oder Fahrstuhl-Klassik? Schmeckt das Essen, an dem wir zwei Stunden geschnippelt und gekocht haben, nicht doch besser als die pappige Tiefkühl-Pizza (und ist gesünder)? Seit wann ist der Weg des geringsten Widerstands eigentlich erstrebenswert? Ist es nicht umgekehrt so, dass fast alles, was gut ist, hart erkämpft wurde, Ergebnis von Einsatz und Mühe ist, für die es zunächst keinen direkten Grund zu geben scheint?

Da haben wir eine Antwort: Vielleicht ist Anstrengung tatsächlich gar kein Problem, sondern eine wichtige Qualität, ohne die es nicht geht. Ob Produktdesign, Kommunikation oder Architektur – wie sollen gute Ergebnisse entstehen, wenn der Gestalter reibungslos-stromlinienförmig den Qualitätsmaßstab vergisst, sobald die »highest paid person’s opinion« eine andere ist? Jeder Designer kennt den Moment, wo er beherzt Veto einlegen muss – und zwar im Interesse des Auftraggebers selbst.

Unser Beruf kennt viele Arten von Verantwortung: Pünktlichkeit, Loyalität, Handwerk, sozial-ökologische Aspekte, Politik oder auch Ethik. Unzählige Parameter, die sich um die Verantwortung für den Auftraggeber, das Ergebnis, die Mitarbeiter, die Gesellschaft drehen. Aber wenn man diese Parameter destilliert zum Wunsch nach ehrlicher, erfolgreicher Kommunikation mit Qualität und Nachhaltigkeit, kommt man immer wieder zur Standhaftigkeit zurück. Die höchste Verantwortung ist, dass der Situation und der Problematik möglichst das Angemessene zu tun. Das, von dessen Richtigkeit und Funktion wir auf Basis unserer professionellen Erfahrung überzeugt sind. Und wir wären schlechte Designer, wenn wir ohne guten Grund von diesen Erfahrungswerten lassen würden.

Das bedeutet keineswegs dogmatisch, unflexibel, unkommunikativ oder gar starrköpfig zu sein. Es geht nicht darum, ein Besserwisser zu sein, der seine Idee ohne Rücksicht durchdrückt. Im Vordergrund steht das bessere Argument, der oben genannte gute Grund. Gutes Design braucht ja keinen unmündigen Auftraggeber, sondern einen souveränen Partner, der mit fundierter Kritik, Anregungen und Argumenten aus seiner Erfahrung das Ergebnis stärkt. Es geht um die Idee eines runden Tisches, an dem jeder Input ohne Hierarchiefragen zunächst gleichwertig ist. Konkret: ein Auftraggeber kann jede Idee ablehnen, neue Entwürfe verlangen, im Dialog seine Vorstellung weiter und weiter präzisieren, bis das Design passt. Dieser Dialog mag anstrengender sein – übrigens auch für die Designer – führt aber auch zu besseren Ergebnissen als andere Wege… insbesondere, wenn man zusätzlich neutrale A/B-Praxistests durchführen kann. Umgekehrt: Kein guter Auftraggeber sollte sich gegen ein 100%iges Veto seines Designers durchsetzen wollen. Weil es im Zweifelsfall dumm ist, nicht auf Profis zu hören. Man würde auch nicht auf einen Haarschnitt bestehen, von dem ein erfahrener Friseur wirklich vehement abrät.

In der ausgeprägten Konkurrenzsituation der Branche ist Standfestigkeit schwer. Schon die asymmetrische Casting-Situation im Pitch legt vor Auftragsvergabe fest, wer Ross und wer Reiter ist, vom Crowdsourcing gar nicht zu reden. Es ist für viele Designer eine Überlebensfrage, ob sie sich Nein-sagen leisten können und wollen. Mittelmäßiges Design plus geschicktes Verkaufen ist kommerziell vielleicht sogar die bessere Strategie. Nichts muss erklärt werden, nichts eckt an, man vermarktet eine reibungslos-schlüsselfertige Dienstleistung, die man mit geringem Aufwand umsetzt – der kleinste geringste Nenner ist ein Erfolgsrezept.

Mittelmaß ist aber das Gegenteil von Verantwortung. Der Weg des geringsten Widerstands ist Trägheit. Es ist eine Frage der Zivilcourage, für die eigene Arbeit die Verantwortung zu übernehmen und sich schützend vor das hoffentlich Richtige zu stellen, bis jemand bessere Argumente hat. Wobei der Austausch genau solcher Argumente die Zusammenarbeit langfristig festigt und verbessert, weil man einander kennen und respektieren lernt und in Zukunft schneller Ideen umsetzen kann. Wer sofort einknickt, lernt den Auftraggeber nie kennen, er lernt nur die Angst vor ihm. Wie in einer guten Ehe ist es nicht sinnvoll, jede Diskussion zu vermeiden, ansonsten verliert der Partner den Respekt – und das ist der Tod der Beziehung.

Ich rede hier nicht dem Konflikt das Wort und schon gar nicht vom Designer als »Rechthaber«, im Gegenteil: Design ist keine Kunst, sondern soziale Entstehung, ein Ergebnis kann nur und soll auch miteinander entstehen. Es ist eine geteilte Urheberschaft von Klient und Designer. Deshalb ist wichtig, in der Kommunikation kein »hartes Nein« zu nutzen – es ist unhöflich und resultiert nur darin, dass der Andere sein Gesicht verliert. Wer als Designer Mut zum Widerspruch hat, sollte anders vorgehen. Das »Nein« gehört in zwei »Ja« eingebettet, es braucht ein gemeinsames Fundament und einen sinnvollen »Ausweg« für beide Parteien. Also: Ja – wir verfolgen beide das gleiche Ziel. Aber Nein – diese konkrete Änderung machen wir nicht, weil sie nicht zum Ziel führt. Deshalb: Ja – diese neue Alternative führt uns gemeinsam erfolgreicher an unser eigentliches Ziel.

An die Stelle eindimensionaler Ablehnung tritt eine Einladung zum Gespräch über gemeinsamer Absichten, das Nein ist genau nicht rechthaberisch, sondern ein offenes Angebot, zurück zum gemeinsamen Weg zu kommen. Das ist keine smarte »Strategie«, sondern die ehrliche Basis für eine vertrauensvolle und angstfreie Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Design ist nicht Tennis – es gibt keine »Sieger« und »Verlierer«, es geht um möglichst evaluierbare Erfolge. Langfristig überzeugende Ergebnisse werden immer anstrengend sein – und sollten es auch sein, von Nichts kommt nichts. Ein bisschen Reibung (es muss ja gar nicht zwischen Auftraggeber und Designer sein) erzeugt oft die Energie und Wärme, die die Erfolgsmaschine zum Laufen bringt. Man darf die Rolle des kreativen »No« für beständigen Erfolg nicht unterschätzen – was durch das gegenseitige Säurebad gegangen ist, unterschiedlichen Einwänden ausgesetzt war und daraus nicht per Gremium rundgelutscht, sondern gestärkt hervorgeht, ist in aller Regel tatsächlich gut. Es ist vielleicht die Rolle des Designers, hier als Teufels Anwalt, aber auch als Leuchtturm, Motor und Wegweiser an der richtigen Stelle beherzt Nein zu sagen, zu bremsen oder zu beschleunigen. Es ist die »Funktion« von Designern, Architekten und Ingenieuren, vermeintliche Selbstverständlichkeiten, Regeln und Prinzipien zu hinterfragen, um zu neuen, besseren Resultaten zu kommen. Im Rahmen des Design-Denkens ist es für uns meist selbstverständlich, möglichst früh ansetzend interdisziplinär und hierarchieübergreifend vorzugehen und in einem spielerischen Prozess der Ideenverfeinerung ein unter den jeweiligen Umständen möglichst ideales Ergebnis zu entwickeln. Designer wissen aus der Praxis, dass diese lösungsbasierte Methodik, obwohl sie augenscheinlich langsamer wirkt, in Wirklichkeit effektiver und agiler ist als herkömmliche problembasierte Methoden. Es ist eine Herausforderung, diese Denkweise zu kommunizieren – dass Design immer von der Zukunft her gedacht ist. Es bleibt dabei oft unausgesprochen, dass Designer eine andere Weltsicht und Sprache haben als ihre Auftraggeber. Und für Auftraggeber, die nur einen »quick fix« wollen, ist es tatsächlich anstrengend, dieses non-lineare, divergente und doch selbstbewusste Herangehen nachzuvollziehen. Dass Designer informationshungrig sind, ganzheitlich denken, Fragen stellen müssen bevor sie neue Antworten geben können, ist jedem Auftraggeber neu zu vermitteln. Eben daher ist der Dialog wichtig – aber es ist sicher, dass diese Art, als Designer zu arbeiten und zu denken, »schwieriger« ist als die gängige Dienstleister-Mentalität. Diese Schwierigkeit ist jedoch kein Makel, sie ist die Essenz des Berufs. Einfaches kompliziert und das Komplizierte ganz am Ende richtig einfach zu machen, ist Design.

Insofern: Liebe Designer, bleibt (oder werdet) schwierig. Es lohnt sich. Es resultiert in richtigeren Kompromissen, weniger Missverständnissen, höherer Zufriedenheit auf beiden Seiten und am Ende auch in mehr wirtschaftlichem Gewinn. Keine Sorge: Auftraggeber, die sich nicht einmal die Mühe machen, ihre Wünsche argumentativ zu begründen, werden bei einem anderen Büro glücklich. Und für euch machen die Partner mit einem gemeinsamen Interesse am bestmöglichen Ergebnis, die geben und annehmen können, die sich selbst ebenso fordern wie den Gestalter, auf jeden Fall die Arbeit besser und die Resultate erfolgreicher.

Kolumne von HD Schellnack

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