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Zwischen den Jahren habe ich einen Wecker gesucht. Einen ganz einfachen. Es ging vor allem darum, mir wieder abzugewöhnen, nachts um vier Uhr wach zu werden und auf dem iPhone oder iPad zu lesen. Nicht aus Angst vor Elektrosmog, aber weil das Tageslicht-Display sehr wach macht… und auf Dauer sind fünf Stunden Schlaf doch zu wenig. Und einen Wecker zu kaufen sollte ja einfach sein, oder?

Natürlich habe ich dann die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr fast komplett mit der Jagd nach einem Wecker verbracht. Die offensichtliche erste Wahl – Jasper Morrisons Punkt-Wecker und die Braun-Replikas von Zeno – sind schnell als China-Plastik enttarnt und von da an geht es rapide down the rabbit hole.

Denn in fast jedem Thema, das ist die Natur des Internets, kann man sich heute verlieren. Es kann gar nicht obskur genug sein, um nicht doch eine Informationsflut in irgend einem Forum zu finden, wo sich die Spezialisten ums virtuelle Lagerfeuer versammeln, über Baupläne, Jeansstoff, Schuhpolitur oder Radium-Leuchtmasse diskutieren, Amateure abstrafen oder großzügig Hilfe leisten. Diese Parallelwirklichkeit setzt die bewundernswerte Hirnleistung fort, mit der Kinder jeden Dinosaurier oder Star-Wars-Charakter auswendig runterbeten können. Einmal in diesem Hasenbau abgetaucht, kann man den Fährten stundenlang folgen, bis man genau weiß, ab welchem Baujahr ein Paul-Revere-Wasserkessel nicht mehr in den USA gefertigt wurde oder ob es für Dietrich Lubs DN42 noch Gasentladungs-Display-Ersatzteile gibt.

Ich frage mich warum mich – und viele andere Designer und Architekten, die ich kenne – dieses kurze, intensive Eintauchen in einen Info-Pool, das Sammeln von Informationen, die man bald bereits wieder vergessen haben kann, so fesselt. Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Jagd technisch einfacher geworden ist, auch damit, dass wir Konsumenten in einer Flut austauschbarer Ware zunehmend das Objekt suchen, das eine Story mitbringt.

Aber ich glaube, dass es zugleich so ist, dass wir hier genau das gleiche tun wie in unserer Arbeit, nur viel schneller. Das Jagen und Sammeln nach einem Feuerzeug oder einem Füller ist Teil der Verdrahtung des Gehirns in unserem Feld – und dient zugleich vielleicht wie eine Fingerübung für den kreativen Prozess. Denn egal ob man ein Haus entwirft oder eine Markengeschichte erfindet – es ist das identische Eintauchen in ein Informationsmeer. Befragungen, Gespräche, Recherche, Vor-Ort-Sein, Audits, Surveys… Kreativität heißt auch, sich zunächst wie ein Schwamm voll zu saugen, fast zu überfüttern. Bis man irgendwann ein breites und in aller Kürze ausreichend tiefes Wissen hat, um mitreden und -beraten zu können. Der Prozess ist, dass man wie bei einer Kamera die Blende öffnet, alles hineinlässt, aktiv neugierig und offen für Möglichkeiten und Wege ist, ein größtmögliches Spektrum von Entscheidungschancen eröffnet. Bis für eine Zeit in der Weckerfrage ganz offen ist, ob es nun ein AB1A wird oder doch ein russischer Fallblattwecker, eine Nixie-Clock oder vielleicht der Sense von hello.is. Du wolltest einfach nur einen Wecker? Okay, hier sind 3000 zur Auswahl. Etsy, Ebay, Google, Foren, Shops – alles wird durchsucht, abgewogen, bis das potentielle Spielfeld total offen ist. Egal ob man sich also mehr oder minder alle Wasserkessel der Welt ansieht, um den einen richtigen zu finden oder für einen Auftraggeber 750 Schriften durchgeht auf der Suche nach der technisch und ästhetisch idealen Firmenschrift – der Prozess ist weitgehend gleich.

Wenn der Mann oder die Frau in eurem Leben also demnächst lieb anfragt, wieso ihr schon wieder stundenlang im Web seid, könnt ihr völlig ohne rot zu werden antworten: «Schatz, ich arbeite eigentlich.»

Jagen und Sammeln

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Zwischen den Jahren habe ich einen Wecker gesucht. Einen ganz einfachen. Es ging vor allem darum, mir wieder abzugewöhnen, nachts um vier Uhr wach zu werden und auf dem iPhone oder iPad zu lesen. Nicht aus Angst vor Elektrosmog, aber weil das Tageslicht-Display sehr wach macht… und auf Dauer sind fünf Stunden Schlaf doch zu wenig. Und einen Wecker zu kaufen sollte ja einfach sein, oder?

Natürlich habe ich dann die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr fast komplett mit der Jagd nach einem Wecker verbracht. Die offensichtliche erste Wahl – Jasper Morrisons Punkt-Wecker und die Braun-Replikas von Zeno – sind schnell als China-Plastik enttarnt und von da an geht es rapide down the rabbit hole.

Denn in fast jedem Thema, das ist die Natur des Internets, kann man sich heute verlieren. Es kann gar nicht obskur genug sein, um nicht doch eine Informationsflut in irgend einem Forum zu finden, wo sich die Spezialisten ums virtuelle Lagerfeuer versammeln, über Baupläne, Jeansstoff, Schuhpolitur oder Radium-Leuchtmasse diskutieren, Amateure abstrafen oder großzügig Hilfe leisten. Diese Parallelwirklichkeit setzt die bewundernswerte Hirnleistung fort, mit der Kinder jeden Dinosaurier oder Star-Wars-Charakter auswendig runterbeten können. Einmal in diesem Hasenbau abgetaucht, kann man den Fährten stundenlang folgen, bis man genau weiß, ab welchem Baujahr ein Paul-Revere-Wasserkessel nicht mehr in den USA gefertigt wurde oder ob es für Dietrich Lubs DN42 noch Gasentladungs-Display-Ersatzteile gibt.

Ich frage mich warum mich – und viele andere Designer und Architekten, die ich kenne – dieses kurze, intensive Eintauchen in einen Info-Pool, das Sammeln von Informationen, die man bald bereits wieder vergessen haben kann, so fesselt. Es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die Jagd technisch einfacher geworden ist, auch damit, dass wir Konsumenten in einer Flut austauschbarer Ware zunehmend das Objekt suchen, das eine Story mitbringt.

Aber ich glaube, dass es zugleich so ist, dass wir hier genau das gleiche tun wie in unserer Arbeit, nur viel schneller. Das Jagen und Sammeln nach einem Feuerzeug oder einem Füller ist Teil der Verdrahtung des Gehirns in unserem Feld – und dient zugleich vielleicht wie eine Fingerübung für den kreativen Prozess. Denn egal ob man ein Haus entwirft oder eine Markengeschichte erfindet – es ist das identische Eintauchen in ein Informationsmeer. Befragungen, Gespräche, Recherche, Vor-Ort-Sein, Audits, Surveys… Kreativität heißt auch, sich zunächst wie ein Schwamm voll zu saugen, fast zu überfüttern. Bis man irgendwann ein breites und in aller Kürze ausreichend tiefes Wissen hat, um mitreden und -beraten zu können. Der Prozess ist, dass man wie bei einer Kamera die Blende öffnet, alles hineinlässt, aktiv neugierig und offen für Möglichkeiten und Wege ist, ein größtmögliches Spektrum von Entscheidungschancen eröffnet. Bis für eine Zeit in der Weckerfrage ganz offen ist, ob es nun ein AB1A wird oder doch ein russischer Fallblattwecker, eine Nixie-Clock oder vielleicht der Sense von hello.is. Du wolltest einfach nur einen Wecker? Okay, hier sind 3000 zur Auswahl. Etsy, Ebay, Google, Foren, Shops – alles wird durchsucht, abgewogen, bis das potentielle Spielfeld total offen ist. Egal ob man sich also mehr oder minder alle Wasserkessel der Welt ansieht, um den einen richtigen zu finden oder für einen Auftraggeber 750 Schriften durchgeht auf der Suche nach der technisch und ästhetisch idealen Firmenschrift – der Prozess ist weitgehend gleich.

Wenn der Mann oder die Frau in eurem Leben also demnächst lieb anfragt, wieso ihr schon wieder stundenlang im Web seid, könnt ihr völlig ohne rot zu werden antworten: «Schatz, ich arbeite eigentlich.»

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