Corporate Design Jennerwein 1826, Büttenpapierfabrik Gmund
Info
Florian Kohler, Inhaber der Büttenpapierfabrik Gmund, beauftragte den Grafikdesigner Wolfgang Beinert, ein visuelles Erscheinungsbild für sein kürzlich erworbenes Gasthaus »Jennerwein« in Dürnbach am Tegernsee zu gestalten. Kohler renovierte das Gasthaus aus dem Jahre 1826 mit sehr viel Feingefühl nach historischen Vorlagen aus dem 19. Jahrhundert und ließ es von einer Innenarchitektin dementsprechend einrichten.
Die Anmutung des Corporate Designs sollte einerseits diesem historischen Anspruch gerecht werden; andererseits sollte das Design »bayerisch«, »persönlich«, »weltoffen« und »anspruchsvoll« sein. Beinert erhielt dazu alle nötigen Freiheiten. Nur der Name »Jennerwein« war verbindlich. Ein geschichtlicher Background oder vorhandene Gestaltungselemente standen nicht zur Verfügung.
Der Auftragsumfang beinhaltete ein Signet, einen Hauptgeschäftsbogen, ein Zweitblatt, vier Visitenkarten, einen Stempel, eine Begrüßungskarte, eine Präsentationsmappe, eine Universalkarte, ein Kuvert, eine Speisekarte, eine Getränkekarte, eine Papierserviette, einen Bierdeckel, die Gebäudekennzeichnung, ein Inhouse-Orientierungssystem, eine Tragetasche, eine Einladungskarte mit Antwortkarte, eine Eröffnungsanzeige und eine Tischkarte. Bis zum Produktionsbeginn waren knapp zwei Monate eingeplant.
RECHERCHE
Um dem Gasthaus »Jennerwein« gestalterisch eine nicht-werbliche Authentizität zu verleihen, waren Recherchen vor Ort, in Bibliotheken, im Internet und in Museen Voraussetzung. Denn die geschichtliche Bezugnahme sollte in ästhetischer, stilistischer und inhaltlicher Form erfolgen. Der grafischen Gestaltung musste somit die geistige Auseinandersetzung mit dem frühen 19. Jahrhundert und der Heimatgeschichte des Tegernseer Tals vorangehen.
GESTALTUNG
Beinert stimmte Materialien, gestalterische Typographie, Farben und gestalterische Ornamente exakt auf den historischen Hintergrund und auf das Ambiente des Gasthauses ab. Die durch Holz geprägte Farbwelt der Inneneinrichtung setzt sich latent in den Drucksachen fort, ohne »standardisiert« und somit steril zu wirken. Die haptischen Papiere spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Sie stammen, abgesehen von Servietten und Bierfilzchen, aus der Büttenpapierfabrik des Florian Kohler. Die natürlich wirkenden Erdfarben beige und braun sowie das Strohpapier fügen sich harmonisch in die Atmosphäre der Gaststube ein.
SCHRIFT
Beinert wählte als »Brotschrift« die Schriftschnitte der Mrs. Eaves (1996) von Zuzana Licko, einen amerikanisierten und femininen Nachschnitt der englischen Barock-Antiqua »Baskerville« (um 1750). Für den Schriftzug »Jennerwein« verwendete er die Engravure von Robert Wiebking, ursprünglich eine Gravurschrift aus dem Wien des 18. Jahrhunderts, eine Schrift, die auch im damaligen Benediktinerkloster am Tegernsee handschriftlich in kartographischen und buchhalterischen Verzeichnissen Verwendung fand. Der Schriftzug »Gasthaus« wurde in der Engravers Gothic, einer amerikanischen Versal-Groteskschrift, die in den USA ab Mitte des 19. Jahrhunderts vorwiegend als Anzeigen- und Werbeschrift benutzt wurde, gesetzt. Charakteristisch für alle verwendeten Schriften sind die weiten Binnenräume. Ein modisches Merkmal der betreffenden Zeit. Die Jahreszahl 1826 wurde aus einer handschriftlichen Urkunde gleichen Datums zusammengesetzt.
Beinert setzte die Druckschriften vorsätzlich so »fehlerhaft« ein, wie sie in der Periode des Bleisatzes in kleinen Land-Druckereien angewendet wurden: Grundschrift sperren, Eigennamen fett und Wörter einfach abkürzen. Die Hintergründe: Schriftsetzer wurden damals nach der Anzahl der gesetzten Zeilen entlohnt. Die Grundschrift wurde deshalb auch als »Brotschrift« bezeichnet. Erschwerend kam hinzu, dass Auszeichnungsschriften und Akzidenzschriften für kleine Land-Druckereien zu teuer waren. Deshalb waren oft nur ein normaler, ein kursiver und ein fetter Schriftschnitt vorhanden, deren Zeichenvorräte meist auch noch sehr gering waren; Wörter mussten deshalb zwangsläufig abgekürzt werden.
»Akzidenzdrucksachen« wurden in dieser Zeit auch nicht von Grafikdesignern, sondern von besonders geschulten Handsetzern, den so genannten Akzidenzsetzern, gestaltet. Im bayerischen Hinterland erledigte das natürlich der Drucker in Personalunion selbst. So wurden dort Akzidenzen, beispielsweise Briefpapiere, einfach von oben nach unten abgesetzt. Meist im axialen, also symmetrischen Satz. Ästhetische Überlegungen spielten dabei in der Regel kaum eine Rolle.
SIGNET
Die Reinzeichnung des Signets wurde gezielt so zerstört, dass der Eindruck entsteht, dass das bayerische Wappen nebst ovalförmigem Schriftzug bereits seit dem 18. Jahrhundert in dieser Form existiert. Im ovalen Kreissatz verwendetet Beinert eine schmal modifizierte Mrs. Eaves in Versalien. Die heraldische Form des Wappens ist angelehnt an einen Beurkundungsstempel der »Königlich Bayerischen Akademie der Bildenden Künste in München« aus dem Jahre 1874.
ORNAMENTE
Die von Beinert verwendeten Polytypen, Vignetten, Einfassungen, Asseré- und- Accidenz-Linien stammen aus einer alten Handausgabe eines Schrift-Proben-Buches der Schriftgiesserei und Xylographischen Anstalt Julius Klinkhard, Leipzig und Wien. Sie wurden teilweise im Illustrator restauriert und stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
PRODUKTION
Produziert wurde auf den edlen Feinst- und Naturpapieren der Büttenpapierfabrik Gmund in drei aufeinander abgestimmten Materialtönen. Gedruckt wurde in vier Pantone Echtfarben mit 5 % Trockenstoff in Offsetverfahren auf einer Heidelberger Speedmaster. Die Hochprägungen im Schriftkranz des Signets und auf den Innenseiten der Getränke- und Speisenkarte wurden auf einem Heidelberger Tiegel gefertigt.
»JENNERWEIN«
In Bayern erzählt man sich noch heute die Geschichte des Wilderers Jennerwein. Filme, Bücher und Theaterstücke verdeutlichen seine volkstümliche Popularität. Der Holzknecht Georg Jennerwein stammte aus Westenhofen bei Schliersee, der Nachbargemeinde Dürnbachs am Tegernsee. Er war ein leidenschaftlicher Wilderer, und wie Zeitzeugnissen zu entnehmen ist, auch ein berüchtigter Frauenheld. Letzterer war auch der Grund, warum er auf tragische Weise vom Jagdgehilfen »Johann Pföderl« hinterrücks erschossen wurde.
Ob der Wildschütz »Jennerwein« nun mit dem 1826 erbauten Gasthaus »Jennerwein« etwas gemein hat, ist nicht verbrieft, aber sehr wahrscheinlich. Der Familienname »Jennerwein« ist sowohl am Tegernsee als auch am Schliersee noch heute weit verbreitet. Die Prosa- und Lyriktexte auf den Papierservietten und den Bierfilzchen verweisen unabhängig davon auf das Leben des Wildschütz »Jennerwein«.
Atelier Beinert | Berlin
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