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Multilinguale Typografie Multilinguale Typografie

Schriftsysteme im Kontext wachsender Interkulturalität

Von Andrea Schmidt

"Andererseits wurde gesagt [...], die ganze moderne Zivilisation sei beherrscht vom linearen Modell der typographischen Schrift und unsere gegenwärtige Welt erlebe, eben weil viele (elektronische, visuelle) Zeichen uns nicht linear, sondern umfassend und global erreichen, das Entstehen neuer Formen der Sensibilität und des Denkens."

Umberto Eco - Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte. Frankfurt/M. 1977. S. 116.

Die Kommunikation innerhalb unserer fortschrittlichen Welt unterliegt einem interkulturellen Austausch. Durch Globalisierung verschwimmen Grenzen - nicht nur Landesgrenzen, auch kulturelle Grenzen werden überwunden. Kommunikationsinhalte werden trotz unterschiedlicher Sprachen zunehmend synchron transportiert und abgebildet. Es entstehen neue Anforderungen für die Informationsempfänger und -verarbeiter. Hierzu gehören umfangreiche Sets an Regeln, die dabei helfen, die "fremden" Zeichen zu dekodieren und in einer Welt polymorpher Kulturen angemessen agieren zu können. Auch Schrift als Abbild sprachlicher Kodes stellt uns vor neue, ungewohnte Herausforderungen: Reisende etwa orientieren sich innerhalb unterschiedlicher Sprach- und Kulturkreise an den landestypischen Schriftsystemen; öffentliche Leitsysteme in zwei oder mehr Sprachen weisen ihnen den Weg; multilinguale Gebrauchsanweisungen erleichtern die Handhabung technischer Produkte aus fernen, oder anlässlich der Globalisierung gar nicht mehr so fernen Ländern; Verpackungsbeschriftung, Internetseiten und Magazine bilden Informationen immer häufiger auch in "fremden" Zeichensystemen ab. Nicht selten stößt man dabei an die Grenzen der eigenen Informationsverarbeitung. Das erzeugt neue Bedürfnisse.

Ausgehend von diesen neuen Bedürfnissen werden auch GestalterInnen vor neue Herausforderungen innerhalb ihrer Disziplinen gestellt. Jede Kultur hat ihre eigenen visuellen Regeln. Mit Hilfe des in der westlichen Welt gebräuchlichen, lateinischen Alphabets zum Beispiel können nicht-romanische Sprachen wie Arabisch, Chinesisch oder Russisch nicht abgebildet werden. Für diese Alphabete existieren eigene Abbildungssysteme, die über eigenständige Zeichensätze verfügen. Eine dieser neuen Herausforderungen für GestalterInnen besteht darin, den Umgang mit vertrauten und "fremden" Zeichensätzen zu erlernen, will man multilingual für eine Welt polymorpher Kulturen entwerfen. Wie können unterschiedliche Schriftsysteme visuell kombiniert werden? Ist es möglich, Informationen aus mehreren Sprach- und Kulturkreisen mit ihren je charakteristischen Abbildungssystemen so zu platzieren, dass diese Systeme gleichberechtigt nebeneinander stehen und nicht eine Kultur die andere dominiert? Die Multilinguale Typografie hat sich diese Fragestellung zur Aufgabe gemacht.

Der Begriff der Multilingualen Typografie bezeichnet eine neue Kategorie innerhalb der Typografie, die durch zunehmende Interkulturalität zwischen östlichen und westlichen Kulturen notwendig wurde. Als Teilbereich der Typografie untersucht sie insbesondere die integrative Darstellung von Informationen mit Zeichensätzen aus unterschiedlichen Sprach- und Schriftsystemen. Die Multilinguale Typografie unternimmt den Versuch, auf die spezifischen Anforderungen sich annähernder Kulturen einzugehen, denn die visuelle Darstellung von Sprache unterschiedlicher Zeichensätze erfordert selbst eigene, typografische Modi. Hierfür müssen Methoden entwickelt werden, die eine paritätische Stellung bezüglich der Verknüpfung "fremder" mit den Zeichen der eigenen Kultur ermöglichen. Die multilinguale Darstellung sollte bestenfalls eine Synthese zwischen den eigenen und den "fremden" Zeichen erlauben. Dieser Synthese muss zunächst eine vergleichende Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zeichen und Zeichensysteme vorangehen. Anhand eines solchen Vergleichs möchte ich im Folgenden aufzeigen, warum die Multilinguale Typografie eine so wichtige Rolle in der zukünftigen Gestaltung von Kommunikationsmedien spielen wird. Im Rahmen meiner Lehrtätigkeiten an der China Academy of Arts in Hangzhou in den Jahren 2007 und 2008 wurde der Vergleich von lateinischer mit chinesischer Typografie für meinen Unterricht unabdingbar. Nachfolgend möchte ich über die bilinguale Gestaltung mit beiden Schriftsystemen berichten.