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Design Magazin


Multilinguale Typografie

Die Multilinguale Typografie ist ein sehr junges Praxisfeld; zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirft es vor allem Fragen auf, um im hieran anknüpfenden Forschungsprozess Antworten geben zu können. Diesen und ähnlichen Fragen gehen GestalterInnen unterschiedlicher Disziplinen des Grafikdesigns bereits nach. In interkulturellen Gestaltungsprojekten, an interdisziplinären Forschungsinstituten und in Kooperationsprojekten zwischen Kunsthochschulen unterschiedlicher Kulturkreise forschen Experten auf der Basis dieser Fragen und entwickeln Methoden der multilingualen Gestaltung. Ein Beispiel für diese Forschung ist das Kooperationsprojekt der Universität der Künste Berlin (Deutschland) mit der China Academy of Arts Hangzhou (VR China). Beide Hochschulen entwickelten einen gemeinsamen, chinesisch-deutschen Masterstudiengang für die Studienbereiche Architektur, Visuelle Kommunikation, Design, Neue Medien, Malerei und Bildhauerei. Die daraus entstandene Chinesisch-Deutsche-Kunstakademie, die ihren Sitz an der China Academy of Arts in Hangzhou hat, bildet chinesische Studierende nicht nur in ihrem Praxisfeld aus, sondern vermittelt neben der deutschen Sprache auch einen umfassenden Einblick in die europäische visuelle Kultur. Die Studierenden werden abwechselnd von chinesischen und deutschen Lehrenden unterrichtet und durchlaufen dadurch bereits eine bilinguale Ausbildung, nicht nur sprachlich sondern vor allem auch auf ihre spätere Profession bezogen.

In meiner Lehrveranstaltung "Bilinguale Typografie" an der Chinesisch-Deutschen Kunstakademie untersuchte ich mit den Studierenden Typografie im interkulturellen Kontext. Ausgehend vom Zeichen als kleinste Einheit typografischer Gestaltung, über die Auswahl von Schriften bis hin zu komplexen Layouts, wurden im Verlauf des Seminars grundlegende Felder der chinesischen und lateinischen Typografie vergleichend behandelt. Die Studierenden lernten, neben den handwerklichen Grundlagen der typografischen Gestaltung, mit Schrift- und Zeichenfamilien aus unterschiedlichen Kulturen zu arbeiten, um als angehende GestalterInnen den Anforderungen eines modernen, multilingualen Grafikdesigns gerecht werden zu können. Durch eine differenzierte Auseinandersetzung mit der eigenen und der "fremden" visuellen Kultur wurden die Studierenden befähigt, gezielt Informationen mit unterschiedlichen Zeichensätzen darzustellen und dekodierbar zu machen. Im Verlauf des Seminars wurden gestalterische Techniken vermittelt, erforscht und erprobt, die dazu führten, Typografie im multilingualen Kontext anwenden zu lernen.

Ein interkulturelles Forschungsprojekt, das sich zeitgemäß mit jenen Problemen und Bedürfnissen beschäftigt, die sich aus der "Koexistenz der Zeichen" unterschiedlicher Schriftsysteme ergeben, ist das Projekt "Multilingual Typography" des Instituts "design2context" an der Kunsthochschule in Zürich. Das Projekt wird durch die Pro Helvetia gefördert und konzentriert sich zum aktuellen Forschungszeitpunkt auf die multilinguale Gestaltung mit lateinischen und chinesischen, japanischen und koreanischen Schriftzeichen. In mehreren Workshops an Kunsthochschulen in China, Japan und Korea werden zur Zeit Problemfelder untersucht, die sich aus der Darstellung von Informationen mit diesen unterschiedlichen Schriftzeichen ergeben. Projektziel ist die Entwicklung von Methoden und Modellen zur Schriftgestaltung in multilingualen Kontexten. Im weiteren Verlauf des Projektes sollen auch didaktische Instrumente und Benutzerhandbücher entwickelt werden, die das neu erforschte Wissen um die multilinguale Typografie erfahrbar und anwendbar machen. Im Anschluss an diese Projektstufe wird eine Auseinandersetzung mit weiteren "fremden" Schriftsystemen, wie zum Beispiel aus dem arabischen Kulturkreis, folgen. Seit Anfang 2008 forsche ich im Rahmen des Projektes insbesondere an der Verknüpfung lateinischer mit chinesischen Schriftsystemen.

Zukünftig wird die Auseinandersetzung mit Schrift im interkulturellen Spannungsfeld das Praxisgebiet vieler Kreativer werden müssen, wenn sie mit der Entwicklung der globalen Zivilisation Schritt halten wollen. Doch zuvor müssen wir uns die Fragen stellen: Wollen wir global denken und interkulturell agieren? Und: Wollen wir lernen, uns auf neue visuelle Anforderungen einzustellen und damit die Voraussetzungen für eine beständig reflektierte, gesellschaftsorientierte Gestaltung schaffen? Letztlich liegt es in der Verantwortung der GestalterInnen, wie sich die visuelle Kultur einer Gesellschaft insgesamt verändert, denn mit ihrem Tun wirken sie auf die visuelle Kultur ein. Die Aufgabe besteht nicht nur im Gestalten selbst, sondern auch in der Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen, und in der Erforschung und Reflexion neuer Visualisierungsmöglichkeiten. Die Multilinguale Typografie ist ein Werkzeug zur Unterstützung und Förderung der neuen interkulturellen Phänomene innerhalb der Gesellschaften. Umberto Eco betonte in diesem Kontext, dass eigentlich erst dann Kultur entstehe, "wenn der Mensch sich Werkzeuge schafft [...], das Werkzeug als solches erscheine [aber] erst nach dem Auftreten der symbolischen Aktivität bzw. bezeichne deren Auftreten." Wie eingangs erwähnt, werden durch anhaltende Globalisierungsprozesse Grenzen überschritten; Kulturen, Sprachen und eben auch Zeichensysteme nähern sich einander an. Der hierdurch stetig wachsende inteßrkulturelle Austausch bedingt auch multilinguale Informationstransfers und macht damit das Werkzeug - wie es Eco nannte - erst sichtbar, deutlich und schließlich notwendig: die Multilinguale Typografie mit ihrem eigenen, charakteristischen Set an Regeln.

Andrea Schmidt studierte Grafik- und Interfacedesign an der Hochschule Anhalt in Dessau. Sie lebt und arbeitet als Designerin in Berlin und lehrt Typografie u. a. an der Universität der Künste Berlin und der China Academy of Art Hangzhou. Zurzeit forscht sie im Bereich "Multilinguale Typografie".

www.typografie-im-kontext.de