Design made in Germany / Design Magazin


Neu. Corporate. Design. Anders. Mutig. Namics.PDF

Die Agentur Namics präsentiert sich seit kurzem in einem neuen Corporate Design, das einen sehr ungewöhnlichen Weg geht: es verzichtet auf das Kernelement jedes Corporate Designs, das Logo. Stattdessen rückt eine dynamische Wortmarke in den Mittelpunkt, die immer wieder neu generiert wird und somit individueller sein kann als ein sonst übliches starres Logo. Wir haben die Macher von Namics über diesen einzigartigen und neuen Weg, mit einer - ihrer - Marke umzugehen, zum Interview gebeten.


Interview mit Philipp Lämmlin und Jürg Stuker

Fragen von Nicole Zimmermann und Nadine Roßa

Die eingangs erwähnte Wortmarke ersetzt die bisher übliche Bildmarke. Sie ist auch auf der neuen Homepage tragendes Element. Wie werden die Worte generiert, die auf der Homepage als Headline zu lesen sind? Gibt es ein Pool von Wörtern, auf die dafür zurück gegriffen wird und wie ist dieser Pool entstanden? Gibt es eine Art Zensur, damit nicht x-beliebige oder unpassende Wörter in die Wortmarke einfließen?

Philipp Lämmlin, Markom-Leiter und Partner: Die Elemente, aus denen sich die Wortmarke zusammensetzt, nennen wir "Impulse". Dies können Worte, aber auch kurze Sätze sein (maximal 5 Wörter). Die Realtime-Anwendungen (Website, Eingangsmonitore, Bildschirmschoner) beziehen die Impulse minutenaktuell aus einer Datenbank. In diesem Sammeltopf gehen ständig Impulse aus unterschiedlichen Quellen wie Intranet-Eingaben, E-Mail, Blogposts und Flickr-Titel ein. Je nach Herkunft variiert die Gültigkeitsdauer der Worte. Corporate Worte haben kein fixes Verfallsdatum.



Wir haben weder Filter noch Blacklists. Es geht im ganzen Rebranding um einen authentischen Blick ins Unternehmen. Eine Zensur würde dem wiedersprechen. Als Prüfstelle gilt nur der gesunde Menschenverstand - und der ist bei uns zum Glück weit verbreitet. Es ist unsere Marke. Und die Mitarbeitenden beweisen tagtäglich in komplexen Projektsituationen, dass sie Verantwortung tragen wollen und können. Jeder ist mündig. Dieses Vertrauen ist nicht zu beschneiden.

Die dynamische Wortmarke ist ein echter Blick zum Pulsschlag des Unternehmens. Es ist eine Art Social Applikation, bei der jeder mitmachen kann, der will. So funktionieren wir auch in der tagtäglichen Zusammenarbeit mit Blogs, Wikis, Yammer, Twitter, Messenger, Flickr usw.

Würden Sie in diesem Zusammenhang auch von "Corporate Words" sprechen bzw. sind einige der Worte eher Corporate Words als andere? Wenn ja, welche sind das?

Ja, diese entstanden primär im Markom Team, wurden aber in einem offenen Brainstorming im Namics-Intranet erweitert. Das sind Worte wie "Echt. Teil vom Team. Essenz. Social Applikation. Charakter. Skype's mir..." etc. Sie unterscheiden sich von anderen Impulsen, weil sie mehr auf die Charakterisierung unserer Kultur und den Arbeitsinhalt bei Namics fokussieren.

Kann die Dynamik der Bildmarke, die auf der Homepage aufgrund des Mediums sehr gut funktioniert, auch in die Offline-Medien übertragen werden? Und falls ja, wie funktioniert das?

Das funktioniert sehr gut. Visitenkarten zum Beispiel enthalten auf einer Seite nur eine farbige Wortmarke. Jeder kann diese selber texten, also seine ganz persönlichen Worte und Impulse einfließen lassen - oder aber aus 240 Farb- und Inhaltsvorschlägen den passenden auswählen. Die meisten haben ihre Wortmarke selber definiert. Und es funktioniert so gut, dass man in sehr vielen Fällen in der Wortmarke die Person "erkennen" kann. Beim Roll-out wurden die Visitenkarten intern sogar getauscht und gesammelt.



Dies lässt sich auch hervorragend auf andere Medien übertagen: Briefpapier gibt's in neun Varianten bunt gemischt, Korrespondenzkarten gar in 12 Versionen - und wir werden in relativ kurzen Abständen neue produzieren; Word- und Powerpoint-Vorlagen enthalten Wortmarken-Vorschläge, welche bearbeitet und auf die inhaltliche Situation angepasst werden können. Sponsoring- oder Partner-"Logos" können farblich wie inhaltlich auf das Kommunikationsumfeld ausgerichtet werden; Wortmarken an den Standorten (Eingangsschilder, Wandbeschriftungen, etc.) werden von den Teams getextet. Und das ist erst ein Teil der schier unendlichen Möglichkeiten.

Durch dieses gewagte Experiment verzichtet Namics auf ein bildhaftes Logo, was sehr ungewöhnlich für (Design-)Agenturen ist. In der Tat habe ich auch kurz nach dem Logo auf der Website gesucht, bis sich mir das neue Prinzip erschlossen hat. Gab es in der Entstehungsphase Befürchtungen, dass das neue CD nicht verstanden werden oder nicht funktionieren könnte?

Das ist befruchtender Diskurs... ;-) Und es wäre eher seltsam, wenn bei einem so zentralen Thema nicht da oder dort eine besorgte Stimme zu hören gewesen wäre. Wir haben aber schon bei der Entwicklung die gesamte Namics mit einbezogen. Die beiden besten Vorschläge der pitchenden Agenturen gaben wir zu Abstimmung an die Mitarbeitenden. Es war eine gemeinsame Entscheidung aller. Unsere Art der offenen internen Kommunikation, einer gelebten "2.0-Kultur", war ja direkte Grundlage für die Entwicklung der Idee des Corporate Designs. Es macht keinen Sinn, den offenen Diskurs ausgerechnet in dieser wichtigen Frage der Identifikation mit dem Unternehmen auszuklammern. Brandingprozesse werden oft top-down umgesetzt. Das macht für unser Unternehmen wenig Sinn.

Welche Reaktionen gab es von der Seite der Kunden? Vermissen Sie das alte Logo vielleicht sogar?

Unsere Kunden kaufen "Namics", weil sie Menschen dahinter kennengelernt haben oder kennenlernen. Dazu trägt die Marke bei. Menschen sind unsere Imageträger, und kein abstraktes Logo. Für unsere Kunden ändert sich wenig. Die Köpfe bleiben die gleichen. Nur die Visitenkarten geben reichlich Gesprächsstoff in den Kaffeepausen. Doch die Reaktionen sind sehr positiv. Wir haben auch diverse Gratulations-Emails unserer Kunden erhalten.

Glauben Sie generell, dass Bildmarken und Logos in unserem visuell überfluteten Umfeld überbewertet werden?

Das kann man nicht pauschal beantworten. Es ist vor allem abhängig von der Marktrealität der Branchen. Weil diese Art des CDs für uns als Dienstleister im Internetumfeld passt, muss dies für andere Firmen und Industrien noch lange nicht zutreffen. Es liegt auf der Hand, dass Konsumgüter-Kommunikation anders ist. Für uns als wissensgetriebenes Unternehmen ist eine inhaltlich aufgeladene Gestaltungsidee einfach stimmiger als eine abstrakte Symbolsprache.

Gänzlich auf Gestaltung konnte natürlich nicht verzichtet werden, Corporate Design-Elemente wie Farbe und Schrift sind dennoch von Bedeutung. Was war bei der Wahl für den Farbklang und die Schrift von Bedeutung?

Schrift hat bei uns auch eine inhaltliche Aussage. Arial kommt überall vor, ist frei verfügbar und vor allem eine Web-Systemschrift. Es macht für eine Firma, wie wir es sind, auch organisatorisch Sinn, diesen Schriftsatz zu wählen. Der Austausch von Dokumenten mit Kunden und Partnern wird massiv einfacher - ein exotisches Corporate Font kann hier zum Stolperstein werden.

Der Farbraum unseres neuen Erscheinungsbildes ist grundsätzlich offen. Zur leichteren Handhabung haben wir jedoch sechs Farbräume definiert, mit denen wir in der Startphase arbeiten. Doch kann sich das in Zukunft durchaus auch verändern und erweitern. Farbwahrnehmung und -verwendung ist auch ein Modephänomen. Wir können Trends aufgreifen oder bestenfalls selbst mitprägen.

Aus den Reihen der Blogger und Konkurrenten gibt es viele Kritiker, die Namics vorwerfen mit diesem Launch eher eine Marketingstrategie als eine Corporate Identity entworfen zu haben. Wie sieht Namics diesen Vorwurf?

Jörg Stuker, CEO und Partner: Wir schätzen die Diskussion sehr, unabhängig davon ob kritisch oder jubelnd. Viel schlimmer wäre für uns Abwesenheit im sozialen Web. Zudem sind wir nicht nur sehr neugierig sondern auch lernfähig. Der negative Teil der Diskussion in den Blogs geht um zwei Aspekte: Wiedererkennung des CDs und Arial als Hausschrift. Bei beiden Aspekten stellen wir uns dem Dialog gerne.

Arial steckt im Kern des Konzeptes, nämlich dem Fokus auf Inhalte (und nicht deren Form), sowie in den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten unseres Mediums: Aral gibt es immer, überall und sie funktioniert auf allen Kanälen: Etwas vom Nützlichsten, was uns je passiert ist. Typographisch wird sie klar unter ihrem Wert gehandelt. Bezüglich der Wiedererkennung richten wir als Namics uns an eine Hundertschaft von potenziellen Kunden. Wir sind kein Schokoladenriegel, der in der Auslage zuverlässig um Aufmerksamkeit buhlen muss. Die Mächtigkeit der Wortmarke, im Kontext zu wirken, ist uns viel mehr Wert als eine verlässliche Wiedererkennung. Ob letztere schliesslich so gut oder schlecht ist, wie teilweise vermutet, soll die Realität beantworten.

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