Design made in Germany / Design Magazin


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Von Hans Dirk Schellnack

Corporate Design ist schon eine seltsame Erfindung. Was als strategisches Ausnahme-Werkzeug zur Sicherung von Unternehmensidentität und -kommunikation großer Marken begonnen hat, ist heute ein verwaschener Allroundbegriff geworden - so sehr, dass es uns nicht selten passiert, von einer Ein-Mann-Firma angerufen zu werden, die ein Corporate Design wünscht. Dass heute jedes Unternehmen, aber auch relativ kleine Kultureinrichtungen und sogar der Teehändler um die Ecke nach "seinem" Corporate Design verlangt, zeigt, wie sehr die Vorstellung von der Notwendigkeit einer visuellen Identität offenbar in den Alltagsgebrauch eingegangen ist. Selbst wenn dieses Bild dann vom Neffen mit CorelDraw und funky Display-Schriften aus den Frühachtzigern am Inkjet umgesetzt wird oder man sich sein Logo von Hunderten von Galeeren-Vektorbiegern per Crowdsourcing umsetzen lässt - was von vornherein mit der gewünschten Individualität rein gar nichts zu tun haben kann.

Natürlich braucht die Deutsche Post ein bündiges Erscheinungsbild, das nicht nur die Kommunikationsprozesse des Unternehmens rationalisiert und bündelt, sondern auch ein zukünftiges Eigen-Wunschbild des Unternehmens nach außen kommuniziert und zugleich als Zielmaßstab nach innen projiziert. Natürlich lässt sich die Effizienz von strategischen Kommunikationsmaßnahmen bis ins Detail auch für kleine und mittelständische Unternehmen plausibel belegen. Corporate Design ist wichtig für Firmen, bei denen der persönliche Kontakt durch eine abstraktere, a-individuellere Kommunikation ersetzt wird. Es ist eine Folge der Managerial Revolution, in der die großen Unternehmen die bekannten Gründerköpfe verloren haben, in der man nicht mehr aus dem Bauch heraus wusste, wer denn nun Krupp oder Siemens leitete, in der Macht und Verantwortung im bürokratisch-arbeitsteiligen Geflecht vieler Führungskräfte, die letztendlich ja auch nur Angestellte sind, unverortbar und gesichtslos wurden. Wenn man nicht mehr weiß, wer wie lange, warum und mit welchen Werten ein Unternehmen wie die Post führt, und wenn man nicht mehr den stets gleichen Ansprechpartner vor Ort hat, ist es gut, sich als Kunde an etwas gelb-schwarzer Farbe und einem Posthorn festhalten zu können.

Aber CD ist kein Wunderheilmittel, und Designagenturen sind keine reisenden Händler, die Zaubertränke im Wilden Westen verkaufen - oder sollten es zumindest nicht sein. Wir alle wissen, dass das schönste Logo umsonst ist, wenn Produktqualität und Service aus Kundenperspektive dieser Versprechung nicht gerecht werden. Wir alle wissen, dass der beste Imageprospekt nicht den Umsatz heben kann, wenn die Innendienst-Verkäufer sich unhöflich am Telefon melden und den potentiellen Kunden eigentlich als Belästigung betrachten. Es ist eine Banalität des Designalltags, dass sich Scheiße ja nur schwer in Gold verwandeln lässt. Im Idealfall sind CD (und vor allem CI) also Chancen, an den Stellen, die eigentlich gar nichts mit Design zu tun haben, als Designer formend mitzuwirken und eine Firma als ganzes mit zu verbessern, demokratisch als Partner mit zu modellieren, mit der Geschäftsführung und den Mitarbeitern gemeinsam den Laden nach vorn zu pushen. Dabei ist es keineswegs so, dass ein Logo und eine neue Hausschrift diesen Prozess ausmachen oder auch nur abbilden, vielmehr sind sie Anlass, vielleicht sogar Ausrede, um Dinge neu zu denken, zu hinterfragen, zu optimieren - und zugleich das Versprechen, dass die Firma sich gibt: In Zukunft sind wir so gut wie unser neuer Auftritt.

Es gibt in der Branche immer wieder eine Diskussion, gerade angesichts von Online-Logo-Anbietern, darüber, dass ja schließlich auch Tante Emma mit ihrem kleinen Laden sich ein Logo leisten müssen könnte, ohne gleich zu einem "arroganten und überteuerten Designer" zu gehen. Dieses Argument birgt einen schrecklichen Denkfehler in sich, es erhebt nämlich das ein "Logo" zu etwas, was Identität und Individualität eines kleinen Laden ausmachen kann - und sei es um den Preis, sich die Bildmarke von 300 völlig Fremden gestalten zu lassen. Der Gedanke ist etwa so abwegig wie die Vorstellung, das aus einem anonymen Pitch mit einem austauschbaren Briefing für zehn oder zwanzig Agenturen so etwas wie eine einzigartige "Identität" entstehen kann. Was Tante Emma wirklich braucht, ist vor allem gute Ware und einen netten Service, Persönlichkeit und Qualität eben, und der Laden brummt. Ein Logo ist hier im Grunde völlig überflüssig, weil sie selbst ja die Identität ihres Ladens verkörpert. Es macht keinen Sinn, wenn ein Blumenladen an der Ecke mit der gleichen Logik zu operieren versucht wie Fleurop, zumal Fleurop via Corporate Design nur von der Tatsache ablenkt, dass es eben gar keine Tante Emma mehr vorzuweisen hat, ergo den persönlichen Bezug zum alltäglichen Kunden verloren hat.

Anders gesagt: Ein Laden, der sich kein Corporate Design leisten kann, braucht sehr oft einfach auch gar keins. Wer aber eine Struktur mit mehreren Angestellten und ein anonymeres Vertriebssystem aufweist, für den sind die Investitionen in ein strategisch gut durchdachtes virtuelles "Gesicht" nicht nur tragbar, sondern absolut überlebenswichtig, da sie den persönlichen Auftritt essentiell ersetzen müssen.

Was nun keineswegs heißt, dass kleine und kleinste Kunden kein Design brauchen - schon ein winziges Café oder ein Geschenkeladen kann von gut gemachtem Design durchschlagend profitieren - aber es geht hier weniger um Logo und Visitenkarten als vielmehr um stimmige Medien, die langfristig glaubhaft zu der eben intimen Essenz passen als eine "Corporation" vorzugaukeln. Klein ist sexy, warum sich also größer machen, als man sein müsste und dabei eine der eigenen Stärken - die unmittelbare Kundennähe - verspielen? Einen guten Designer erkennt man insofern heute manchmal auch daran, dass er sich weigert, seine Arbeit zu machen - und einen schlechten daran, dass seine Antwort auf ein Problem darin besteht, einmal gelernte Pattern blind durchzuziehen - Logo, Visitenkarte, Briefbogen, Broschüre, Homepage. Oft geht hier die Idee einer angemessenen, zweckorientierten Lösung schlicht verloren. Ähnlich wie manche Architekten scheinbar auf jedes Problem mit einem neuen Haus reagieren wollen oder Wissenschaftler auf jede Technik-Krise mit noch mehr neuen Erfindungen - auch, wo es manchmal besser wäre, nichts zu tun oder außerhalb der etablierten Muster zu denken - scheinen Designer naturgemäß in Grafik-Design immer die erste Lösung zu sehen, die man semi-vorgefertigt aus der Aktentasche zieht, egal ob der Anlaß es hergibt oder nicht. Da wir uns inzwischen aber alle Kommunikationsdesigner nennen, sollten wir erkennen, dass weniger Design eben oft im Endeffekt mehr Design ist. In einer von mal mehr mal weniger gut gestalteten Marken durchfluteten Welt, die auf phantasievoll-nervige Kunstnamen und poppige Eyecandy-Logos setzen, ist die Aufgabe des Erscheinungsbildners eben auch, einfach einmal "Nein" zu sagen. Nicht jeder Friseurladen muss nach einer globalen Kette, nicht jedes Café nach Starbucks aussehen. In einer Gesellschaft, in der die technischen Werkzeuge von Design digital entfesselt und demokratisiert sind, in der (vor allem schlechtes) Design also Amok läuft, das oberflächliche Styling überhand nimmt, ist es paradoxerweise vielleicht die Aufgabe der Designer, Türsteher im Club des guten Geschmacks zu sein. Und als solcher schüttelt man eben meist den Kopf, wenn da jemand unschicklich auf dicke Hose machen will.

Nach all den Jahren, wo wir Designer versucht haben, Gestaltung durchzudrücken und in der Corporate Design von der Lufthansa bei Uschis Sonnenstudio angekommen zu sein scheint, ist vielleicht die Zeit, dass wir nicht mehr Design brauchen, sondern weniger. Ganz im gesamtgesellschaftlichen Sinne: Wir müssen die Idee des quantitativen Wachstums zugunsten einer qualitativen Entwicklung aufgeben. So wie ein Bugatti-Spoiler an einem Kleinwagen albern wirkt, ist oft auch ein Corporate-Style-Logo an einem kleinen, sympathischen Betrieb eher peinlich, wären Bescheidenheit und Humor und ein solider "Look" ehrlicher und erfolgreicher. Schon Dieter Rams wußte, dass gutes Design so wenig Design wie irgend möglich ist. Selten war das so wahr wie heute.