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Schriftvorstellung
Ode – eine unorthodoxe Fraktur

Schriftvorstellung von Martin Wenzel

Beim Gestalten einer Type setze ich mich mit der Schriftgeschichte auseinander. Nicht mit Jahreszahlen oder alten Meistern, sondern den Schreibmodellen, die unter Einfluss der verwendeten Schreibwerkzeuge entstanden sind. Es geht mir beim »Erfinden« einer Schrift nicht um ein Revival, sondern um den Umgang mit einem Konstruktionsprinzip. Für Ode habe ich mir das Modell der gebrochenen Schrift der Gotik, die Textura, vorgenommen.

Die Fraktur hat, so mein Eindruck, immer noch einen schlechten Ruf. Vor allem in Deutschland trägt in gebrochenen Schriften gesetztes, aus kultur-historischen Gründen, einen bitteren Beigeschmack*. Sie wird heute eigentlich nur noch für Überschriften (und Tätowierungen) verwendet, und steht häufig für Härte – oder gar Brutalität – oder wird für Aussagen benutzt, die mit dem Thema der Gotik (kunstgeschichtlich) oder »Gothic« zu tun haben.

* auch lehnten die Nazis die Fraktur ab und deklarierte 1941 die »Antiqua-Schrift« zur »Normalschrift« (Quelle: Das Bundesarchiv, Signatur NS 6/334, »Einführung der Antiqua-Schrift als Normalschrift. - R -«, 3. Januar 1941).

Weil gebrochene Schriften zudem schlechter Lesbar sind als z.B. Schriften der Renaissance, findet man sie heute nicht mehr im Fließtext wieder. Für die schlechte Lesbarkeit gibt es mehrere Gründe. Die zwei bestimmenden will ich kurz erwähnen: Zum einen ist der Kontrast zwischen Vordergrund (Schrift) und Hintergrund (Papier) in der Regel zu hoch, weil im Vergleich zu einer Renaissance Antiqua, Fraktur-Typen fetter gezeichnet wurden (man stelle sich eine Buchseite vor, die komplett in einem Fetten Schriftschnitt gesetzt wurde). Außerdem sind uns die Zeichenformen gebrochener Schriften nicht mehr geläufig, die durch die der Renaissance u.ä. verdrängt wurden.

Typisches Beispiel eines Druckwerks aus dem Jahre 1921 (Jonathan Swifts Gullivers Reisen) im Vergleich mit Ode.

Mehr gestalterischen Freiraum

Um auf die erwähnten »Schwächen« reagieren zu können – und mir mehr Ästhetischen Freiraum zu geben –, musste das Modell der Textura unorthodoxer interpretiert werden.

Was mir bei vielen Vertretern gotischer Schriften vor allem missviel, waren die rigiden statischen Formen, die vielen harten Kanten. Deshalb sind die Außenformen der Ode runder, weicher gezeichnet, während die Brüche der Innenformen unberührt blieben. Und um der Schrift etwas mehr Dynamik zu verleihen, wurden alle Zeichen ganz leicht nach rechts geneigt und das Gewicht in den Buchstaben nach oben hin konzentriert.

In ein paar Schritten von einer Textura zur Ode
1} Die Ecken der Außenformen werden abgerundet
2} Gerade Verbindungen werden Bögen
3} Geringe Neigung nach rechts, Gewicht nach oben hin konzentriert

Anfänglich galt mein Fokus den Entwürfen des fettesten Schnitts der Ode. Doch da die Type auch für Brottexte gedacht war, musste ich ebenfalls Formen für ein leichtes Gewicht zeichnen, ohne jedoch den visuellen Zusammenhang zur fetten Variante zu verlieren. Eine interessante Aufgabe, denn die gotische Konstruktion ist im Prinzip gewichtsabhängig, da die Formelemente vieler Buchstaben nur dann miteinander verbunden sind, wenn die Feder – Strichstärke – fett genug ist. Für eine feinere Strichstärke musste ich die Konstruktion anpassen. So wurde – wie zum Beispiel beim n – aus der Geraden, die die linke Vertikale mit der rechten verbindet, ein Bogen. Das entsprach zwar eher der Konstruktion der humanistischen Minuskel, doch die Modelle sind eng mit einander verwand: beide basieren auf dem Schreiben mit der Breitfeder.

1} Die zwei Formen des n der Ode Black überlappen einander.
2} Reduziert man die Strichstärke ohne die Konstruktion entsprechend zu ändern, entsteht ein Zwischenraum.
3} Angepasste Konstruktion: der Bogen verbindet.
Ode hat zwei bestimmende Einflüsse: die gotische Textura (rechts, das a der FF Brokenscript von Just van Rossum) und die humanistische Minuskel (links).

Mein Augenmerk galt als nächsten Zeichen wie ß, x und z. Buchstaben also, deren Formen heute vielmals für Verwirrung sorgen, weil sie von den meisten nur noch im Kontext erraten werden können. Die Lösung hierfür war die Formen eher den humanistischen Minuskeln entsprechen zu lassen – ohne dass sie ihren gebrochenen Charakter verlieren.

Rechts Ode, links Just van Rossums hervorragende Studie des Textura Modells (FF Brokenscript) mit klassischen Zeichenformen.

Auch beim Zeichnen der Ziffern war es von Vorteil, dass ich das gotische Modell freier interpretiert hatte, mir meine eigenen Regeln aufgestellt hatte. So konnte ich einige der bereits für Minuskeln und Majuskeln entworfenen Formelemente auf die Zahlen übertragen, die, wie ich finde, wunderbar mit den Klein- und Großbuchstaben harmonieren. Ein Umstand, der bei klassischen Fraktur-Interpretationen nicht immer gegeben ist.

In Linotypes Fetter Fraktur™ (erste Zeile) sind die Ziffern ohne Brüche gezeichnet, die Formen entsprechen dem klassizistischen Modell. Die Ziffern und Buchstaben der Ode bilden eine harmonische Einheit.

Das ist Ode

Hätte ich das gängige Textura Modell akzeptiert, wäre das Resultat anderen historischen Vorbildern sicher sehr ähnlich. Es ist jedoch viel aufregender selber zu entdecken und auszuprobieren und nicht zu sehr aufs Bewährte zu schielen. Wenn man erst einmal die Struktur der gotischen Buchstaben verstanden hat, kann einen das auf die hier gezeigte Lösung bringen. Und vielleicht habe ich mit meiner Gestaltung genau das erreicht, was ich wollte: der Textura das archaische zu nehmen. In meine Augen kommt sie nun wieder freundlich und offen daher. Und im Gegensatz zu klassischen Vertretern dieser Schriftgattung, muss man mit Ode geschriebenes nicht entziffern, sondern kann einfach nur lesen.

Serviervorschlag

Wenn ich Ode betrachte, muss ich an rustikales Essen denken (nicht dass ich nicht sowieso ständig ans Essen denken würde). Also keine Nouvelle Cusine, sondern dickwändige Teller und Schüsseln mit viel frischen Kräutern, ein Holzbrett mit frisch geschnittenem Brot dazu und ein einfacher, nicht zu kräftiger Rotwein (Montepulciano d’Abruzzo).


Über den Autor

Martin Wenzel, Jahrgang 1969, ist echter Berliner. 1993 zog es ihn nach Den Haag, wo er 12 Jahre – Studium und Arbeit - verbrachte. Seine Sans-Serif Type FF Profile wurde vom Type Directors mit dem Certificate of Excellence ausgezeichnet. Diese und andere Schriften (FF Marten, FF Rekord, FF Primary und FF Duper) werden auf dem FontFont Label herausgegeben. Die hier vorgestellte Ode gibt Martin selber heraus

http://www.martinplusfonts.com
http://www.kombinat-typefounders.com
Neben seiner Arbeit als Type Designer/Developer und seiner Erfahrung als Dozent des Faches, ist er ferner als Web Designer/Developer und Gestalter tätig.