DMIG 7 Farben 2011 Designed by Saskia Friedrich

Christoph Niemann
Über Reduktion in der Illustration und Vertrauen in die Kraft des Bildes
Das Interview wurde geführt von Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer
Apfelzet – Illustratives Typo-Design aus Berlin
Interview mit Roman Bittner
Das Interview wurde geführt von Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer
Gerald Schuba
Über Farbtheorien und Farben im Design
Das Interview wurde geführt von Nicole Zimmermann
Muss alles bunt sein?
Illustrator & Künstler Marco Wagner
Das Interview wurde geführt von Simon Prades
Wenn Farben nicht bunt sind – Über Farbsehstörungen
Interview mit Matthias Stäheli
Das Interview wurde geführt von Nadine Roßa
Profilagentin – Das Profil und seine Bilder
Interview mit Kixka Nebraska aka Profilagentin
Das Interview wurde geführt von Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer

Designrecht-Farbmarken
Text von RA Jens O. Brelle
Farbe studieren
Interview mit Markus Schlegel von der HAWK Hildesheim
Das Interview wurde geführt von Patrick Marc Sommer
HKS und die Sonderfarben im digitalen Zeitalter
Das Interview wurde geführt von Alexander Fackler & Patrick Marc Sommer
Vorsicht Glas 6: Black is the colour of my true love’s hair Kolumne von HD Schellnack
Jessica Hische
Images of words
Das Interview wurde geführt von Nadine Roßa
FarbKultur
Ein Gespräch über das Arbeiten mit Farbe.
Text von Thomas Curtze-Schatton
Taschen zum Tauschen
Interview mit Heiko Braun und Antje Strubelt
Das Interview wurde geführt von Nicole Zimmermann & Nadine Roßa
Impressum

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CHRISTOPH NIEMANNN
ÜBER REDUKTION IN DER ILLUSTRATION UND VERTRAUEN IN DIE KRAFT DES BILDES
Christoph Niemann einfach nur als Illustrator zu bezeichnen ist fast schon unverschämt. Der geborene Schwabe ist viel mehr als das: ein scharfer Beobachter, ein Zyniker, ein Karikaturist des Alltäglichen – all das beschreibt seine Arbeit sicher am besten. Auf dem Blog »Abstract Sunday« auf der Website der New York Times erhält man einen Eindruck seiner scharf- sinnigen Beobachtungsgabe. Er kann aber genau so tief in die kindliche Abstraktionswelt eintauchen, wie er in seinen Kinderbüchern beweist. Und sympathisch ist er obendrein. Wir haben die Gelegenheit genutzt und den Neu-Berliner auf der TYPO Berlin 2011 zum Interview gebeten.
Warum bist du nach 10 Jahren in New York wieder nach Deutschland, bzw. Berlin zurück gekehrt?
Ich habe an der Kunstakademie in Stuttgart studiert und wollte eigentlich auch während
des Studiums schon im Ausland studieren. Das habe ich dann in Form von Praktika gemacht und war daher bereits während des Studiums zwei Mal in New York, bei Paul Davis und bei Pentagram. Anfangs hatte ich ein Journalistenvisum, habe dann aber bald für eine GreenCard beworben, die ich auch bekommen habe. Alles in allem habe ich 11 Jahre in den USA gelebt.
Anfangs habe ich mich mit meiner Mappe klassisch bei Agenturen vorgestellt, so wie man es als Berufsanfänger macht. Ich bin darüber relativ schnell bei der New York Times gelandet und von dort an andere Jobs gekommen. Wenn man einmal bei der Times gearbeitet hat, hat man einen guten Ausgangspunkt, die Leute schauen sich immer zuerst die Times an. Das gedruckte Bild ist immer noch sehr wichtig.
CHRISTOPH NIEMANN
ÜBER REDUKTION IN DER ILLUSTRATION UND VERTRAUEN IN DIE KRAFT DES BILDES
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www.niemann.blogs.nytimes.com

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Seit kurzem lebe ich in Berlin und arbeite aber auch hier weiter für Kunden aus den USA. Illustration ist dort wichtiger als hier, man hat dort mehr Vertrauen in die Kraft des Bildes. In Deutschland haben die Redakteure sehr viel Macht, sie erklären sehr gerne Bilder textlich, die auch so gut funktionieren würden. Hier hat der Text oft Vorrang vor dem Bild. Wahrscheinlich würden die meisten Redakteure sogar am liebsten nur Text-Cover machen. Da habe ich in den USA, z.B. mit Adam Moss, dem Herausgeber des New York Magazins, andere Erfahrungen gemacht. Er hat auch als Redakteur eine sehr gut visuelle Vision.
Wie würdest du deinen illustrativen Stil beschreiben?
Meine Arbeit ist immer sehr konzeptionell, ich nähere mich nie nur über das Visuelle an. Aus der Idee, die immer das wichtigste ist, ergibt sich dann das Arbeitsmaterial: Collage, Male- rei, Vektorzeichnung. Da bin ich nicht sehr festgefahren. Manchmal richtet sich das auch ein wenig nach dem Druck der Industrie. Es gibt dort sehr schnelle Deadlines, manche Anfragen bekomme ich durch einen Anruf zwei Stunden vor der Deadline. Da bleibt wenig Zeit für Ex- perimente.
Ein eigener Stil ist unter Illustratoren die Norm. Die Art Direktoren wollen keine Überraschun- gen. Ein bestimmter Stil ermöglicht einem bestimmte Jobs, disqualifiziert aber auch für an- dere. Das gehört zum Alltag eines Illustrators. Ich versuche mich nicht auf einen bestimmten Stil festzulegen. Das macht mein Leben nicht immer einfacher, aber ich glaube es gibt mir auf Dauer viel breitere Möglichkeiten.
Welche Rolle spielt Farbe in deinen Arbeiten?
Mit 12 wollte ich unbedingt Schwarz/Weiß-Illustrator werden. Ich fand den Umgang mit Farbe aus der technischen Sicht sehr schwierig, ich hatte damals so eine Airbrush-Spritzpistole,
die immer nur Ärger machte, das Ergebnis war nie so wie ich es wollte und sie war ständig verstopft. Ich habe es dann mit Markern versucht aber auch das war nicht das was ich wollte. Schwarz-Weiß schien mir da die beste Alternative zu sein, das Arbeiten nur mit einem Blei- stift oder Tusche war so viel besser zu kontrollieren! Ich hab maximal die Farbkombination
CHRISTOPH NIEMANN
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Foto von Alexander Blumhoff

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CHRISTOPH NIEMANN
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Smell
Paris

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Schwarz/Weiß/Rot in Erwägung gezogen, die ist ohnehin unschlagbar. Meinen Frieden mit Farben in der Illustration habe ich erst mit dem Computer gemacht. So schien mir das Medi- um Farbe das erste Mal wirklich beherrschbar zu sein.
Generell ist aber der Einsatz von Farbe immer im Kontext zu sehen. Die reduzierte Form kann passend sein, genauso wie in einem anderen Zusammenhang auch Regenbogenfarben sinn- voll sein können. Aber es stimmt schon, dass bei mir die Reduktion eine wichtige Rolle spielt, die meisten meiner Arbeiten sind eher reduziert in der Farbwahl, je weniger Farben desto besser.
Hast du so etwas wie eine Lieblingsarbeit unter deinen Arbeiten?
Das kann ich so nicht sagen, aber mir ist es sehr wichtig, dass die Leute meine Arbeiten verstehen. Erst wenn das Publikum eine Arbeit versteht, ist es für mich auch eine erfolgreiche Arbeit. Das kann man vorher nicht immer gut abwägen. Manche Sachen kommen super an, andere wieder gar nicht. Ich kann nicht etwas gut finden, was beim Publikum nicht ankommt. Die Kommunikation mit dem Publikum spielt dabei immer eine wichtige Rolle.
Die Arbeit, auf die ich das meiste und extremste Feedback bekommen habe, ist die für das Japan New Yorker Cover »Dark Spring«. Da hat man deutlich gemerkt, dass es bei den Be- trachtern sofort »Click« gemacht hat.
Illustrator ist für viele Designstudenten ein Traumberuf. Du bist quasi ein »alter Hase«. Welche Tipps hast du für Berufsanfänger?
Zunächst ist es auch in dem Job wie bei den meisten anderen auch: es ist immer viel Glück dabei. Und jede Menge Arbeit, wie bei allen Designjobs. Je härter man arbeitet, desto mehr kommt am Ende dabei raus. Schwierig ist auch, dass von 100 Illustratoren bestimmt 87 eigent- lich lieber Künstler sein wollen und die Bestätigung in ihrer Arbeit als Künstler sehen. Ich glaube auf Dauer wird man als Illustrator nur glücklich, wenn man einen größeren Kick davon bekommt eine Zeichnung von sich in einem Magazin zu sehen, das nach 2 Tagen im Müll landet, als ein Bild von sich an der Wand eines Sammlers zu wissen.
CHRISTOPH NIEMANN
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Dark Spring

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Ganz wichtig ist auch ein breites Grundwissen über Alltägliches und eine gute Allgemein- bildung. Man muss in einem Thema zu Hause sein, um es gut wiedergeben zu können. Man merkt Arbeiten an, ob sich jemand mit einem Thema auseinandergesetzt hat oder nicht, sonst verstellt man sich zu sehr. Enthusiasmus ist in der Illustration unglaublich wichtig.
Das Interview entstand im Rahmen der TYPO Berlin 2011, geführt von Nadine Roßa und Patrick Marc Sommer.
CHRISTOPH NIEMANN
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American Illustration XX 01

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I Lego N.Y.

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APFELZET
ILLUSTRATIVES TYPO-DESIGN AUS BERLIN
Interview mit Roman Bittner
Die Tastenkombination ist des Designers Liebling oder aber (und vielleicht gerade deswegen) auch der Name eines kleinen und höchst feinen Berliner Grafik-Design-Studios. Roman Bitt- ner stellt uns das Studio im Interview näher vor.
Der Name »Apfelzet« klingt sehr nach »rückgängig machen« und »korrigieren«. Ist der Name Programm? Wie kam es zu der Namensfindung?
Zuerst war es nur ein Witz. Weil dies der erste Kurzbefehl war, den wir an der Hochschule lernten und der im Computerraum eine Art geflügeltes Wort wurde, fanden wir während der ersten Euphorie über die neuen Macs, Pixel und Short Cuts, dass so ein fiktives Büro heißen könnte. Als wir dann tatsächlich für unser Team einen Namen suchten, dachten wir: »Ach, eigentlich doch gar nicht so schlecht!«
Später fiel mir dann auf, dass der Name natürlich auch als Programm gelesen werden kann. Ich selbst bin ja im Berlin der späten Siebziger/frühen Achtziger groß geworden, also genau am Wendepunkt zwischen Moderne und Postmoderne. Wir wohnten in einer stuckverzier-
ten Gründerzeitwohnung am Kaiserdamm, während meine Großeltern in der berüchtigten Großsiedlung, dem »Märkischen Viertel« am Stadtrand wohnten. Christiane F. aus Gropius- stadt schrieb »Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« und Alexander Mitscherlichs »Die Unwirtlichkeit der Städte«. Hausbesetzer kämpften auf Barrikaden um den Erhalt ihrer Mietskasernen und Josef Paul Kleihues organisierte die IBA, die sich der Rettung der Stadt verschrieben hatte. Die Fragen, die damals aufgeworfen wurden, beschäftigen mich bis heute und daraus hat sich auch das Konzept unseres Büros entwickelt: zurück zum Ornament (das neue Plakat für das Direktorenhaus ist hier sicherlich ein prägnantes Beispiel), Formenreichtum statt Reduktion,
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wenig starre Dogmen, Vielfalt der Stile und die Erlaubnis zum Abgucken – also im Prinzip durchaus der Idee eines Neustart nach dem Error, den Gang einen Schritt zurück, nachdem man ein Stück in die falsche Richtung gegangen ist.
Wie würdet ihr Euren Stil beschreiben?
Eigentlich versuchen wir, uns so wenig wie möglich auf einen bestimmten Stil festzulegen. Teilweise möchte man natürlich etwas, das einem gefällt, noch einmal leicht verändert ma- chen und manchmal wird natürlich vom Kunden auch ein bestimmter Look aus unserem Port- folio gewählt und es kommt natürlich auch vor, dass wir aus Zeitgründen einfach auf etwas zurückgreifen müssen, was wir schon sicher beherrschen. Ansonsten aber möchten wir die reiche Welt des Grafik-Designs sehr gerne ausschöpfen, sind immer auf der Suche nach neuen Einflüssen, neuen Stilen, die man einfach immer einmal ausprobieren wollte.

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So bin ich auch zum Grafik-Design gekommen, weil mir Plakate (damals von Ott+Stein) so
gut gefallen haben, dass ich unbedingt auch so etwas machen wollte. Ich denke, das ist der Urimpuls aller Gestalter, ob das am Ende Regisseure, Autoren oder Architekten werden, am Anfang steht immer die Begeisterung für eine Arbeit oder ein Vorbild. Gerne vergleichen
wir diesen Prozess auch mit dem Erlernen einer Sprache. Am Anfang, wenn man die Worte »Mama«, »Papa«, »Auto« nachspricht, denkt man ja auch nicht: »Hä, hat das jetzt schon mal ein Baby vor mir gesagt, ist das eigentlich ›mein Stil‹?« In der Folge erweitert sich dann mit jedem neuen Einfluss, Büchern, Lehrern, Freunden der eigene Sprachkosmos und irgendwann hat man ohne jedes bewusste Zutun eine ganz eigene Art der Rhetorik entwickelt. In diesem Sinne sehen wir uns auf jeden Fall immer als Lernende und möchten immer wieder ein paar neue Vokabeln in unseren Wortschatz einbauen. Dass wir dann oft von Leuten auf den spezi- fischen »Apfel-Zet-Stil« angesprochen werden, ist natürlich erfreulich aber eigentlich paradox.
Farbe spielt in euren Arbeiten eine große Rolle. Die Arbeiten für die Illustrative oder den Stuttgarter Filmwinter sind sehr farbenfroh. Welche Rolle spielt Farbe in euren Arbeiten?
Grundsätzlich habe ich eine gewisse Lieblingspalette, die man vielleicht ein bisschen als die Farben des Historismus bezeichnen könnte: Bordeauxrot, Gold, Beige, Preußisch-Blau, Braun, Dunkelgrün und die vielen sehr abgemischten Halbtöne dazwischen. Julia dagegen hat ein ganz anderes, eigenes Farbkonzept, deren Farben frischer und reiner sind, viel Hellgrün, Hellbau und Rosa. Bei der Illustrativen dagegen habe ich ja einen konträren Ansatz gewählt. Im Vergleich zu den Arbeiten, die mit einer reichen Elementwelt arbeiten, wollten wir hier einen sehr reduzierten, klaren Auftritt (der unsere Wurzeln bei Ott +Stein und Josef Müller Brockmann widerspiegelt) und passend fanden wir ein ebenso reduziertes Farbkonzept aus den vier CMYK-Druckfarben.
Beim Filmwinter dagegen haben wir uns ganz auf die B-Movie-Comic-Cover-Farbwelt einge- lassen, die natürlich auch mit starken Farbkontrasten und großer Buntheit arbeiten.

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Eux Autres
Filmwinter für Kids
Programmcover Filmwinter

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Gibt es ein Projekt, das euch – sagen wir mal – »besonders« gefordert hat?
Die zweiteilige »Ancient Cities«-Serie für die Illustrative war auf jeden Fall immer sehr
2. aufwändig. Einzelne Arbeiten der ersten Serie aus großformatigen, bunten Städteansichten
APFELZET wie »Sky Harbour and Train Station« haben mich zum Beispiel bis zu vier Monate beschäftigt.
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Deswegen habe ich bei der zweiten Serie, kleinformatigen Lasergravuren auch versucht den Aufwand zu minimieren.
Eine knifflige Sache, die sich in letzter Zeit ergeben hat, waren zahlreiche Tapetenentwürfe, die wir für den Umbau der Universität Marburg (in Zusammenarbeit mit den Architekten Bayer-Uhrig) und für das Direktorenhaus entworfen haben. Hier sind wir an einer schönen Schnittstelle zwischen Grafik und Architektur angekommen und konnten unseren Traum von der Rückkehr des Ornaments verwirklichen.
Der Filmwinter ist zweifelsohne auch immer ein besonders forderndes Projekt, was schon allein an der Zeit liegt, in der er durchgeführt werden muss: immer im Dezember bis kurz vor Weihnachten, was mit dem 200-seitigen Katalog und den vielen Drucksachen wirklich oft bis an die Grenzen des Machbaren geht. Dass wir uns zusätzlich auch noch die Idee mit den vielen sehr unterschiedlichen Motiven ausgedacht haben, trägt auch nicht gerade dazu bei, die Arbeit entspannter zu gestalten.
Beim Projekt »Stuttgarter Filmwinter« geht ihr einen sehr gewagten und experimentellen Schritt: Ihr verzichtet auf ein übergeordnetes Brandung, sondern probiert jedes Jahr etwas Neues aus und zwar soweit, dass jede Drucksache ein eigenständiges Design erhält. Wie war die Resonanz auf dieses ungewöhnliche Konzept?
Also von den Stuttgartern und von den Besuchern des Festivals haben wir leider nicht so viel mitbekommen – aber es gab einen Artikel in der Novum, in der das Konzept besprochen wur- de und die Leute, denen wir es zeigen, reagieren auch immer sehr positiv.
Das Interview führten Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer.

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Illustrative 07 Berlin
Alfa Romeo
City Malville

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France Soir
Direktorenhaus

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TYPO – INTERNATIONAL DESIGN CONFERENCE
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GERALD SCHUBA
ÜBER FARBTHEORIEN UND FARBEN IM DESIGN
Gerald Schuba studierte in Berlin Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation an der Hoch- schule der Künste. Nach mehreren Jahren als Kreativ-Direktor, Konzeptioner und Texter in großen Agenturen, wie GGK und Saatchi & Saatchi, arbeitet Gerald Schuba als Fachberater für Unternehmensmarken- und Kommunikationsentwicklung und als Dozent an der Werbeakade- mie in Wien in den Fachausbildungen für Grafik Design sowie Marktkommunikation.
Wie stehst Du den verschiedenen Farbtheorien gegenüber?
Ob klassisch oder modern europäisch, ob traditionell asiatisch oder esoterisch, ob herme- tisch oder naturwissenschaftlich optisch bzw. astronomisch: ich liebe alle Farbtheorien.
Das physikalisch-psychologische Phänomen Farbe ist nämlich so vielfältig, so bunt und so faszinierend, dass man sich meiner Ansicht nach selbst beraubt, wenn man die unterschied- lichsten Auseinandersetzungen mit Farbe scheuen oder gering achten würde. Ich nenne jetzt nur einmal die bekanntesten. In Europa sind das: Newton, Goethe, Runge, Itten, Kandinksi, Newman. In Indien ist es die Chakra-Philosophie, in China die Feng Shui Philosophie. Aus dem Mittelalter kennen wir die hermetisch-alchemistische Philosophie und im Bereich der As- trophysik könnten wir ohne die Theorie der Rotverschiebung die Entwicklung des Weltalls gar nicht ermessen. Jede Farbtheorie hat also ihre Berechtigung, und jede Theorie eröffnet uns eine weitere Sicht in das Universum der Farben.
Was für mich aber am wichtigsten ist, ist die Einsicht, dass Farbe Energie ist. Und zwar eine Energie, die sowohl körperlich als auch psychologisch wirkt. Farbe wird zwar häufig in einer Zeichenfunktion eingesetzt, insbesondere im Brand- und CI-Design, wo sie mit rational erklär- baren Bedeutungen ausgestattet ist. Aber in erster Line ist Farbe Energie, die nicht mit dem rationalen Bewusstsein verarbeitet und gedeutet wird. Sondern die direkt auf die emotionalen Zentren unseres Nervenapparates (oder sagen wir altdeutsch: des Gemüts) einwirkt und so Wirkungen in verschiedenen körperlichen und psychischen Systemen in Gang setzt.
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GERALD SCHUBA
ÜBER FARBTHEORIEN UND FARBEN IM DESIGN
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ÜBER FARBTHEORIEN UND FARBEN IM DESIGN
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Übung zum Erspüren von Emotion, Körper- sprache und Farb-Energie. Körperhaltung soll als Ausdruck emotionaler Energie erspürt werden. Die erspürte Haltungs- Energie soll in Farb-Energie übersetzt werden. Es wird deutlich, dass Gesellschaft und Status emotionale Gestaltungen sind.
Mich persönlich interessieren deshalb diese emotionalen Wirkungen der Farbe am meisten.
In dieser Hinsicht halte ich auch die Goethe’sche Farbenlehre für die vielleicht bedeutendste Farblehre für Designer, obwohl natürlich auch Runge und Itten überaus wichtig sind. Goethe siedelt in seiner Farbenlehre die Farben ja zwischen der Finsternis und dem Licht an. Für Goe- the sind das die beiden Urpole aller Emotionalität. Und Goethe lehrt, dass sich nun alle Far- ben als quasi seelische Empfindungsqualitäten zwischen diesen beiden gegenteiligen Emo- tionalitäten entfalten. Das Dunkel löst andere Empfindungen aus als das Helle. Von Goethe lernen wir daher, dass jede Farbe mit ihrem spezifischen, zwischen Hell und Dunkel liegenden Charakter, auf unser seelisches Empfinden einwirkt. Genau das ist die wichtige Erkenntnis. Mit Goethes Farbenlehre können wir uns deshalb nicht in physikalisch-mathematische Abstraktio- nen über Farbe entfernen. Wir können uns der Farbe nicht entfremden, sondern werden zu ihr hin- und in sie hineingeführt. Das Kennen, Erleben und Erfahren von Farbe als reale psycho- somatische Energie sehe ich daher für Gestalter und Gestalterinnen als technisch enorm wertvoll, persönlich zutiefst bereichernd und fachlich schlicht unverzichtbar an.
Welche Rollen spielen Farben im Design?
Farben übernehmen natürlich eine lange Reihe wichtiger Funktionen im Design. Grundsätz- lich kann man unterscheiden zwischen der Rolle von Farbe als physikalischem Signal einer- seits. Dann ihrer Rolle als Zeichen für semantische Steuerungen. Und, was immer wichtiger wird, ihrem Einsatz als Emotionen steuernder Reiz.
Im funktionalen Einsatz ist man an der Aufmerksamkeits- und Orientierungsleistung der Farbe interessiert, z.B. für Markierung- und Leitsysteme vom Verkehrswesen angefangen bis hin zu Marken-Designprogrammen wie Unternehmens- und Produktmarken.
An der Rolle von Farbe als semantischem Steuermittel ist man im Produkt- bzw. Packaging- Design interessiert, also überall dort wo man mit Farben bestimmte inhaltliche Bedeutungen und Eigenschaften vermitteln will, wie Reinheit, Frische, Natürlichkeit, Status oder Exotik beispielsweise.

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Was die Rolle von Farbe als Steuermittel von Emotionen angeht, sind Farben vor allem in den Bereichen des Store-, Stage- und Interior-Designs, im Design von Medien wie TV-Sendern, Magazinen, Filmen, im Messe-Design bis hin zum Farbdesign von Automarken etc. von grund- legendem Interesse. Also immer, wenn es um die Schaffung von bestimmten Atmosphären und Erlebniswelten geht. Im Mode-Design ist Farbe sowieso eine Ur-Domäne.
Im ästhetischen Design – also überall dort, wo es um Beeinflussung von Wahrnehmung und Erleben geht – führt praktisch kein Weg an der Farbe vorbei. Farbkenntnisse sind ein eindeu- tiger Wettbewerbsvorteil.
Kannst Du ein konkretes Beispiel nennen für eine gute Farbwahl im Design und eine schlechte, weil Farbbedeutungen außer acht gelassen wurden?
Ein gutes Beispiel: Die Staubsauger-Marke Dyson. Klare Farbkomposition, transparenter Farbzweiklang: Helles Silber-Metallic-Grau als Basisfarbe auf allen Ebenen der Markengestalt, akzentuiert mit einem klaren, warmen, leuchtenden, kräftigen Gelb. Das ist ein sehr einfacher, zeitgemäßer Brand-Colour-Code: reduziert, klar, eigenständig und signifikant alleinstellend.
Der Dyson-Farbcode beweist auch eine semantisch exzellente Farbwahl: Silber-Grau reprä- sentiert perfekt die funktional-technoide Design-Philosophie unserer kontemporären form follows function Kultur. Silber vermittelt gleichzeitig – auf protestantisch dezente Art, um es mit Max Weber zu sagen – den hohen Statuswert der Marke. Und: Silber hebt außerdem das technoid-reduktionistische Produktdesign exzellent ins rechte Augenlicht.
Das Gelb hingegen tönt in einem freudigen Klang mit dem Silber zusammen. Das Gelb ist etwas junges, freudiges, kräftiges (vielleicht auch sehr subtil: etwas wertvoll-goldenes), ein Licht, sozusagen, wobei »Licht« mit dem funktionalen Produktgrundnutzen »Reinheit« seman- tisch wunderbar synergetisch harmoniert und klingt.
Das Schöne an Dyson ist, dass die Marke, obwohl sie eine überaus streng funktionalistische Philosophie vertritt, durch dieses Gelb eine poetische Leichtigkeit und Schwingung bekommt, etwas musikalisches, beschwingtes, leichtes, stylisches und immer junges.
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Das finde ich eine perfekte »Erzählung in Farbe«. Wenn man Goethe hier heranziehen wollte, könnte man vielleicht sagen: Im Dyson-Mythos wird das Grau des alltäglichen Staubes von einer menschlichen Lichtmaschinengestalt besiegt und verwandelt. Womit wir mitten in der Tiefenpsychologie, der Archetypik und der Mythologie wären. Weitere gute Beispiele für die hochprofessionelle Verknüpfung von semantischen, funktionalen und emotionalen Farbwir- kungen findet man natürlich im Mode-Design und im Bereich des Kosmetik-Packaging.
Ein schlechtes Beispiel: Politik- und Wirtschaftsmagazine.
Viele schlechte Beispiele finde ich heute leider im Farb-Design vieler Publikums-Magazine. Am unintelligentesten und unsensibelsten farbgestaltet sehe ich die Wochen- und Monats- magazine für Politik und Wirtschaft, insbesondere hier in Österreich. Diese Magazine lassen überhaupt keine Farbkonzepte erkennen. Man sieht hie und da ein rudimentäres Farbleitsys- tem, aber die Farbe wird hinsichtlich ihrer Orientierungspotenziale meist taub und empfin- dungslos eingesetzt. Oft fehlen auch Konzepte zum Umgang mit der Farbigkeit in Fotografien. Und von atmosphärischer Dramaturgie und Rhythmik ist weit und breit nichts zu spüren. Wir befinden uns hier wirklich auf dem Friedhof des Farbdesigns.
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Es gibt Künstler, die Farben »kontrollieren« und manche lassen ihnen in der Gestaltung freien Lauf. Welche Arbeitsweise würdest Du Designern raten.
Ich bin der Ansicht, ein Designer sollte unbedingt beide Modi beherrschen. Er sollte ja in der Lage sein, seine Arbeitsweise je nach Anforderung zu wählen und sie professionell auszu- üben. Ich bin mir allerdings bewusst, dass es vielen jungen Designern heutzutage schwer fällt, die Farbe in ihrer energetischen Entfaltung nicht kontrollieren und einschränken zu wollen, sondern ihr freien Lauf zu lassen. Das ist aber keine persönliche Schwäche der Desi- gner, sondern ein unbewusster Reflex auf die Anforderungen unserer weit fortgeschrittenen Kontroll- und Dominanz-Kultur, in der es immer mehr Angst gibt vor allem Unkontrollierten, Wilden, Ungezügelten – also auch vor der »freien Farbe«.
Im Zuge der Grafik-Design-Ausbildung an der Werbeakademie in Wien hast Du viele Übungen zum bewussten und denoch freien Umgang mit Farbe gemacht. Was muss in der Farblehre im Designunterricht verbessert werden?
Johannes Itten, der famose Farb-Lehrer am Bauhaus, hat damals in seinem Farbunterricht festgestellt, dass jeder Schüler und jede Schülerin eine ganze und eigene »Farbpersönlich- keit« ist, die nichts mit den erlernten »objektiven« Farblehren von Farbkreis und kulturellen Schönheitsmustern etc. zu tun hat. Als Designer stehen wir der Kultur also immer mit zwei Seelen gegenüber, wenn man so will: Da ist zum einen unsere kultivierte, erlernte, sozialisier- te Seele, deren Lernerfolge uns in die Lage versetzt, gesellschaftlich konform zu agieren, was natürlich unverzichtbar ist. Da ist zum anderen aber auch unsere ganz individuelle, innere und meist versteckte Seele, die man suchen, entdecken und förden muss. Diese zweite Seele ist unsere »eigene« Empfindung, unser »eigenes Gemüt«, wie man früher sagte. Und diese Empfindungsfähigkeit ermöglicht uns mit andern empfindenden Wesen emotional zu kommu- nizieren. Das neudeutsche Wort dafür heißt »Empathie« (= Einfühlungsvermögen). Und Empa- thie ist eine essentielle Fähigkeit unserer sozialen Kompetenz. Deshalb sollte in der Farblehre im Designunterricht unbedingt die Entwickung der sozialen Kompetenz der Designer gefördert werden. Die Entdeckung und Bildung der eigenen, individuellen Farbpersönlichkeit kann sehr
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viel zum Erreichen dieses Ausbildungsziels beitragen. Das war auch das Anliegen von Johan- nes Itten und ich finde, wir als Gestalter und Designer sollten dieses Vermächtnis hoch achten und pflegen. Bei Joseph Beuys steckt die empathische Kompetenz übrigens implizit in seinem wunderbaren Begriff der Sozialen Plastik.
Dass im Farbunterricht natürlich auch die »empirischen« Kenntnisse der anderen wichtigen Farblehren erlernt und vor allem Aufgaben-, Experimental- und Erfahrungszeiträume einge- richtet werden sollten, in denen die Schüler ausreichend Gelegenheit finden können, sich mit den Farbenergien zu beschäftigen, ist selbstverständlich.
Farben dienen zur Identifikationshilfe. Neben Unternehmen verwenden sie auch Politi- ker sowie Fußballmannschaften, Länder oder Designer in allen möglichen Bereichen als Wiedererkennung. Diese Farbcodes zu kennen ist essentiell und kann einen vor möglichen Konflikten bewahren. Findest Du es problematisch, dass solche – manchmal negative – Assoziationen mit Farben hergestellt werden oder essentiell für die Orientierung im sozia- len Leben?
Wenn ich diese Frage recht verstehe, geht es hier um die Möglichkeit, Farben mit negativen Bedeutungen und Emotionen zu verknüpfen, so dass Menschen dadurch stigmatisiert und diskriminiert werden können. Das ist in der Tat ein mächtiges soziales und kulturelles Prob- lem und darüber hinaus noch viel mehr ein interkulturelles Problem. Die Farben an sich kön- nen allerdings nichts dafür, denn es sind die Menschen, die Farben zu Zeichen mit negativer Bedeutung machen, die also Farben negativ semantisieren. Das Üble bei der Sache ist, dass solche negativen Belegungen sehr tief und breit in die Gesellschaftsschichten einsickern, dort über lange Zeiträume latent schlummern, und jederzeit wieder aktiviert werden können. Der Rassismus z.B. ist eine extrem negative, menschenverachtende Ideologie, die sehr stark mit Stigmatisierung durch negative Farb-Semantisierung arbeitet. Solche Stigmata halten sich lei- der über Jahrzehnte ja oft Jahrhunderte in den kollektiven Speichern von Gesellschaften. Das ist ein großes Problem, und ich denke, es kann nur durch Bildung und andauernde, intensive Aufklärung eingedämmt werden.
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Wie wäre die Welt ohne Farbe?
Das ist eine gute Frage, denn eine Welt ohne Farbe wäre ja eine Welt ohne Licht, weil uns Farben als Folge von reflektiertem Licht erscheinen. Eine Welt ohne Farben wäre also eine blinde Welt. Oder eine Welt in schwarz weiß.
Wenn man sich bewusst macht, wie viele organisationale und technische Kommunikation
und wie viel emotionale Kommunikation nicht allein zwischen Menschen und Menschen oder zwischen Mensch und Maschine, sondern zwischen allen Lebewesen in Kulturen und in der Natur mittels Farbe funktionieren, kann man sich leicht vorstellen, dass unsere Welt ohne Farbe fast still stehen würde. Für sämtliche farbbasierten Kommunikationsprozesse müßten neue, die Farbe substituierende Kommunikationstechnologien entwickelt werden. Das wäre
in kurzer Zeit gar nicht möglich. Man kann sich so eine farblose Welt vielleicht wie eine Welt im Dunkeln oder im Winter vorstellen. Viel Schwarz. Viel Weiß. Sehr kalt. Zum Glück leben wir aber weder im Dunkeln noch in »Schwarz-Weiß«. Wir erleben Sonnenlicht. Und leben zum Glück in Farbe.
Ich danke sehr für die intelligenten, anregenden Fragen.
Das Interview wurde geführt von Nicole Zimmermann.
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MUSS ALLES BUNT SEIN?
ILLUSTRATOR & KÜNSTLER MARCO WAGNER
Das Leben teilt mitunter hart aus und hinterlässt nicht nur äußerliche Blessuren. Marco Wagner, Illustrator und Maler, schickt entrückte Kämpfernaturen in bedrohliche Szenarien, deren Unheimlichkeit und Schönheit uns fasziniert. Seine Bilder stecken voller Abgründe – die Geschichten fügt der Betrachter hinzu. Wir wollten mehr über ihn und seine Arbeit wissen und herausfinden wie er mit Farben umgeht.
Kannst du dich kurz vorstellen? Wer bist du und was machst du?
Hallo, mein Name ist Marco Wagner, geboren 1982 in Würzburg, Bayern. Dort habe ich auch Design studiert und arbeite seit 2006 als Freelancer. Ich bin verheiratet und habe eine 3-jährige Tochter.
Man ordnet Dinge hierzulande gerne in Schubladen, bei dir scheint das schwer. Bist du Künstler, Illustrator oder Maler – oder spielt das keine Rolle für dich?
Es spielt für mich genau deshalb eine Rolle, weil man immer alles in Schubladen einordnen möchte. Ich hadere mit diesen Begriffen! Eigentlich wäre ich gerne beides, also Illustrator und Künstler. Momentan mache ich auch genau das. Arbeiten im Auftrag, meist für Zeitschriften und viele freie Arbeiten, die dann im besten Fall bei Ausstellungen zu sehen sind. Ich liebe beides sehr und hoffe nicht, mich irgendwann für eines entscheiden zu müssen. Optisch versuche ich Gemeinsamkeiten zu behalten, obwohl meine freien Arbeiten farblich als auch thematisch von den Illustrationen abweichen.
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MUSS ALLES BUNT SEIN?
ILLUSTRATOR & KÜNSTLER MARCO WAGNER
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MUSS ALLES BUNT SEIN?
ILLUSTRATOR & KÜNSTLER MARCO WAGNER
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In deinen Bildern sind oft starke und teilweise verstörende Elemente zu sehen, dennoch wirken sie meist sehr angenehm, fast beruhigend. Ich denke, das hat auch mit ihrer Farbig- keit zu tun, also mit der Art und Weise, wie du Farbe verwendest. Was für eine Rolle spielt Farbe in deiner Arbeit und wie setzt du sie ein?
Generell arbeite ich gerne schwarz/weiß mit nur geringen Farbanteilen. Aber bei Illustratio- nen (und auch für Ausstellungen) werden gerne »schöne« Farben verlangt. Was in Ordnung ist, aber ich versuche relativ organische Farbe zu verwenden, das heißt ein bisschen Dreck mit dazu gemischt oder mal das Glas mit dem Pinsel-Schmuddelwasser darüber gegossen kommt schon vor.
Ich arbeite viel mit Acrylfarben, da verwende ich die Grundfarben weiß und schwarz. Das bringt mich schneller zu meinen gewünschten Ergebnissen. Und ich habe so Phasen, da stehe ich dann total auf Altrosa oder Gold – keine Ahnung warum.
Wenn es nach dir ginge, müsste es also nicht wirklich bunt sein. Brauchen die Betrachter Farben, um etwas schön zu finden?
Würde ich so nicht sagen, aber meistens soll ja eine positive Stimmung vermittelt werden und da ist der Einsatz von Farben hilfreich. Es gibt auch Leute, die sich ein Bild wegen der Farbigkeit kaufen, weil es gut ins Wohnzimmer passt und das Motiv tritt in den Hintergrund – als Dekoration sozusagen. Auch wenn es eine Frage des Geschmacks ist, würde ich dennoch sagen, dass die Mehrheit farbenfrohe Bilder bevorzugt.
Woher bekommst du deine Inspirationen und Ideen?
Ich denke sehr viel nach, vor allem abends im Bett. Ich schaue mir die Welt an, im Hinterkopf immer die Frage: »Kann ich daraus ein Bild machen?« Ich bin sozusagen ein Sammler von Ideen, Momenten, Eindrücken, anderen Bildern, Fotos und Dingen, die ich dann für mich neu kombiniere, um etwas Neues daraus zu bauen.

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MUSS ALLES BUNT SEIN?
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Es ist natürlich ein Rennen und Stillstehen; mal schaffe ich 3 gute Arbeiten in einer Woche, mal nur ein grottenschlechtes Bild im ganzen Monat. Aber auch das ganze Müllproduzieren ist irgendwie sinnvoll und wichtig, man muss es halt durchstehen.
Schildere ein bisschen deinen Arbeitsalltag und deine Arbeitsweise. Wie gehst du an eine freie, wie an eine Auftragsarbeit heran?
Gut, ich bin ein Tag-Mensch. Das heißt morgens bringe ich meine Tochter zum Kindergarten und dann fange ich an zu arbeiten so ab 8.30 Uhr. Abends mache ich bis 19.00 Uhr, dann ist Feierabend – das ist die Regel. Meine Herangehensweise variiert, je nachdem ob ich noch nach Ideen suche oder die Idee bzw. Skizze des Kunden schon da ist. Ich fange meist einfach an und vieles passiert dann während des Schaffens. Bei freien Arbeiten ist das ganz genauso, da ich mit Acryl arbeite und die Möglichkeit habe gegebenenfalls zu Übermalen. Anders ist es bei Zeichnungen: da steht die Skizze/das Layout ziemlich detailliert.

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MUSS ALLES BUNT SEIN?
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Man spürt einen Trend zurück zur »handgemachten« Gestaltung – gleichzeitig weichen analoge Medien wie Bücher, Zeitungen und Zeitschriften scheinbar nach und nach dem Digitalen. Wie sehr beeinflusst diese Entwicklung deine Arbeit?
Hm, gar nicht. Meine Arbeiten gehen den umgekehrten Trend, denn ich persönlich habe mehr Freude an analoger Ästhetik und versuche meine handwerklichen Fähigkeiten zu verbessern. Allerdings habe ich auch das Glück, dass die Kunden mir immer ausreichend Zeit für meine Illustrationen geben.
Wird auf diese handwerkliche Fähigkeit noch Wert gelegt bzw. können die Leute das wert- schätzen?
Schwierige Frage. Ich denke es spielt keine große Rolle bei der Illustration, da der Betrachter ja ohnehin nur einen Druck sieht. Zudem kann man Strukturen und Stile ja auch am Rechner künstlich simulieren. Richtig interessant wird es dann natürlich, wenn man Originale auf Ausstellungen sieht und der Betrachter wirklich das Objekt studieren kann und die Pinselstri- che, Klebereste und Papierschnipsel vor der Nase hat. Ich denke schon, dass Leute so etwas wertschätzen.
Das Interview wurde geführt von Simon Prades.

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WENN FARBEN NICHT BUNT SIND
ÜBER FARBSEHSTÖRUNGEN
Interview mit Matthias Stäheli
Farbenblindheit wird oft flapsig als Schimpfwort verwendet, wenn z.B. an der Ampel das Warten auf das Losfahren des Vordermannes zu lange dauert. Sie ist aber mehr als nur eine Beleidigung. Es handelt sich dabei um eine ernsthafte Störung in der Farbwahrnehmung, die es dem Betrachter unmöglich macht, Farben wahrzunehmen. Er sieht nur Kontraste. Diese Störung wird offiziell als »Behinderung« geführt und kommt sehr selten vor (nur eine von 100.000 Personen ist betroffen).
Viele häufiger allerdings ist die Farbsinnstörung »Rot-Grün-Sehschwäche« in verschiedenen Ausprägungen, die oft fälschlicherweise als »Farbenblindheit« bezeichnet wird. Die wiederum ist weit verbreitet, vor allem bei Männern, und wird immer vererbt. Meist kennt jeder jeman- dem im näheren Umfeld, der darunter leidet – mehr oder weniger – dennoch bin ich auf der Suche nach einem Betroffenen für diesen Artikel per Social Media grandios gescheitert. Der meist verbreitete Hinweis war entweder der, dass »man jemanden kennt, der das hat« oder »dass meine Kunden das ganz sicher haben« oder sie bewegten sich komplett in die Pöbel- Ecke (»Frag doch einen Hund!« – bezugnehmend auf die lange verbreitete Annahme, dass Hunde nur Schwarz-Weiß sehen können, was inzwischen als überholt gilt.) So einfach gebe ich mich aber nicht geschlagen und so bin ich auf Matthias Stäheli gestoßen, der uns einen Einblick in den (Arbeits-) Alltag mit einer Farbfehlsichtigkeit gibt.
Unter welcher Farbsehstörung (falls bekannt) leidest du?
Protanomalie (Rotblindheit; beinhaltet auch die Farben Grün und Braun)
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Wann ist dir die Sehstörung das erste Mal aufgefallen?
Mir selbst ist meine Sehschwäche erst in einem Alter von ca. 7 Jahren bei einem Farbentest
so richtig bewusst geworden; schon nach wenigen Seiten verschwanden die darauf abgebil- deten Zahlen in bunte, wilde Muster, in deren Formen ich Allerlei erkannte; der Augenarzt jedoch sah lediglich Ziffern. Meinen Eltern hingegen fiel meine Sehschwäche schon in meinen kindlichen Zeichnungen auf, da ich für Baumkronen und Baumstämme stets ein und dieselbe Farbe verwendete; ob Grün oder Braun, das war mir egal. Auch sah ich kein Problem darin, eine Blüte Grün anzumalen.
Meine Suche nach einem »Betroffenen« verlief gar nicht zufrieden stellend. Es hatte sich leider keiner gemeldet, so dass ich annehmen musste, Farbenblindheit wäre nichts, was man gerne zugibt. Glaubst du das ist so? Ist das ein Stigma?
Das glaube ich gern. Wenn man viel mit Gestaltung zu tun hat, spielen Farben schließlich keine unbedeutende Rolle. Viele reagieren auch extrem überrascht, dass ein »Farbenblin- der« überhaupt von Beruf Gestalter sein kann, was eine gewisse Scheu bei den Betroffenen hervorruft.
www.wikipedia.org/wiki/Ishihara-Farbtafel

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Ich selbst verwende den Begriff »Farbenblind« nicht. »Rot-Grün-Sehschwäche« trifft es präzi- ser und gleichzeitig auch weicher. Prinzipiell kann ich als Betroffener alle Farben sehen, nur empfinde ich speziell Rot als eine nicht so dominante Farbe wie Andere es tun.
Wie äußert sich deine Farbsehstörung im Alltag bzw. merkst du selbst es überhaupt?
Ich merke es täglich, oft auch beim Surfen im Internet. Schönes Beispiel bei Online-Shops sind die runden Punkte neben der Beschreibung »Verfügbarkeit«; ist der kleine Punkt nun grün – sprich das Produkt ist verfügbar – oder ist er rot – also ausverkauft? Wieso steht es nicht in Worten daneben? Ich kann die Farbe meist nur erahnen.
Im Frühlingsurlaub in der Toskana, wir fahren gerade Auto, schreit einer »Wow! Schaut mal da rechts!«. Ich blicke nach rechts, sehe nichts Besonderes. »Na, das knallrote Mohnfeld!«. Jetzt sehe ich es auch, in voller Farbpracht – nur ist mir das Blumenfeld nicht direkt in die Augen gesprungen. Das Gleiche passiert mir oft mit diversen Blumen, deren Blüten rot sind – ich muss danach suchen, um sie zu sehen. Auch der frühe Frühling mit seinen vielen grü- nen Knospen an den Bäumen geht gerne an mir vorbei.
Ein weiteres Beispiel sind Straßenampeln bei Nacht. Rot und Gelb vermischen sich gerne zu einem, die grünen Lichter sind derart hell, dass sie den weißen Autoscheinwerfern gleichen. Oder wenn mich ein Formular nach meiner Augenfarbe fragt – ich schaue täglich in den Spie- gel aber weiß sie spontan doch nicht.
Wie beeinflusst dich deine »Sehschwäche« in deiner Arbeit als Designer?
Mir stellte sich vor meiner Ausbildung die Frage, ob ich den Anforderungen dieses Berufes gewachsen bin – und ja, das bin ich eindeutig.
Meine Erfahrungen zeigen, dass ein offener Umgang mit meiner Sehschwäche von großem Vorteil ist. Bewerbe ich mich als Freier Grafiker bei einer namhaften Agentur, erwähne ich diese Schwäche zwar meist nicht bereits im ersten Gespräch. Spätestens bevor es aber ans Gestalten geht, muss ich diese »Last« loswerden, um sorgenfrei und auf das Thema konzen-

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triert arbeiten zu können. Und habe ich das Ziel, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden erreicht, scheinen meine eigenen Arbeiten bereits überzeugt zu haben bzw. meine Sehschwäche nicht weiter negativ aufgefallen zu sein. Letzten Endes hat bislang jeder Auf- traggeber meine Sehschwäche mit einem kurzen Lächeln hingenommen, einmal wurde mir sogar offenbart, dass mein Gegenüber gleichen Problemen ausgesetzt ist.
Ich vergleiche die ganze Thematik gerne mit der Art des Berufsabschlusses. Überzeugen deine Arbeiten, ist es meist nicht weiter relevant, ob du eine herkömmliche Berufsausbildung oder ein Designstudium abgeschlossen hast. Wichtig ist im Endeffekt, was man an guten Arbei-
ten und Ideen vorlegen kann. Hierbei muss die Farb-Sehschwäche nicht zwingend negative Einwirkungen haben. Der Betroffene hat als Gestalter sogar den Vorteil, dass er verstärkt
auf Kontrast, Form und Komposition achten muss. Und er schult sein Auge dazu, stets genau hinzuschauen.
Ich arbeite meist für große Kunden, deren farbliches Erscheinungsbild durch klare Styleguides bereits definiert ist. Ist diese Voraussetzung gegeben, sehe ich keine Beeinträchtigung durch meine Sehschwäche in meiner Arbeit/meinen Layouts.
Arbeite ich für kleinere Direktkunden (was aus diversen Gründen selten vorkommt), greife ich auf mein Netzwerk befreundeter Grafiker zurück, mit deren Hilfe wir gemeinsam ein stimmi- ges Farbklima erreichen. Und arbeite ich für mich selbst – ich bin leidenschaftlicher Siebdru- cker – kommen meist umso interessantere Farbkombinationen zu Stande; ich mische für mich teils undefinierbare Farben miteinander, die Ergebnisse haben schon so manche, die keine Sehschwäche haben, überrascht.
Es gibt allerdings klare Grenzen, die ich sowohl im Digitalen als auch im Analogen alleine nicht überschreiten kann und auch niemals überschreiten werden kann. Klassisches Beispiel ist die Druckabnahme in der Druckerei mit Farbfächer; ich habe absolut keine Chance leichte, abweichende Farbtöne von Soll und Ist zu unterscheiden. Mit einer Farb-Sehschwäche achtet man bei schwierigen Farbtönen weniger auf die Farbigkeit als auf den Kontrast verschiedener Farben, welcher sich in genanntem Fall in beiden Farben nicht sichtbar unterscheidet.

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Im Digitalen sind es die feinen Farbkorrekturen störender Farbtöne in Fotos, die mich zum Verzweifeln bringen. Einen Rot-Ton zu entfernen, den man gar nicht als solchen erkennt, ist nahezu unmöglich. Ebenso fällt es mir schwerer als anderen, ein stimmiges Farbklima von Null auf aufzubauen. Zwar erkenne ich meist, ob Farben miteinander harmonieren oder nicht, die Bewertung eines vorhandenen Farbklimas ist bekanntlich aber einfacher als dessen ei- gentliche Erstellung. Spricht man diese Probleme aber bewusst an, findet sich immer jemand, der diese Aufgabe für dich übernimmt – und weiter geht’s.
Auch werde ich mit meiner Rot-Grün-Sehschwäche voraussichtlich nie Art- oder Creative Director einer Firma werden können, was aber auch nicht mein primäres Ziel ist – ich bevor- zuge es, selbstständig zu sein und nebenbei meine schwarz-weißen, kugelrunden KOTTON- stücke weiter nach vorne zu bringen.
Letzten Endes würde es mich aber brennend interessieren, wie Menschen ohne Farb-Seh- schwäche die Dinge und die Welt sehen – es muss fantastisch sein. Nun ist so häufig das Wort »Schwäche« gefallen – ich möchte mit einem persönlichen Fazit dagegenhalten: »Ich habe eine Rot-Grün-Sehschwäche – und bin als Gestalter dennoch erfolgreich.«
Das Interview führte Nadine Roßa
Matthias Stäheli
Freier Screendesigner/Flasher für Agenturen in Hamburg, Berlin und Stuttgart.
www.kotton.de blog.kotton.de

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PROFILAGENTIN
DAS PROFIL UND SEINE BILDER
Interview mit Kixka Nebraska aka ProfilAgentin
Die Teilnahme an einem sozialen Netzwerk jeglicher Art setzt es dringend voraus: das Profil- bild. Es entscheidet über mehr oder weniger Follower, mehr oder weniger digitale Freunde, über Sympathie oder Abneigung. Ganz schön viel Anforderungen an die wenigen Pixel, die Profilbilder normalerweise groß sind.
Trotzdem kann genau das sehr gut funktionieren, wenn man es richtig macht. Und wie man es richtig macht, damit setzt sich Kixka Nebraska seit einigen Jahren auseinander, denn sie ist selbst ernannte »Profilagentin«.
Bitte stelle dich kurz vor. Wie wird man Profilagentin?
Als digitale Flaneurin bin ich unter dem Namen Kixka Nebraska seit 2008 im Netz unterwegs. War es anfangs ein rein privates Interesse, habe ich mich über Twitter und mein Blog immer intensiver mit der deutschen Digital-Szene auseinandergesetzt und sehr viele Tools, Netz- werke und Portale selber ausprobiert und von BarCamps über Webmontage, TEDx, und nicht zuletzt seit drei Jahren auf der re:publica in Berlin, jede Möglichkeit genutzt, Netzthemen zu vertiefen und die Menschen hinter den Profilen kennenzulernen. Als Profilagentin helfen mir mein Blick für Details genauso wie meine Wahrnehmung des Ganzen, die selten mit dem ersten Eindruck beendet ist. Digitale Profile werfen neben inhaltlichen und strategischen Aspekten vor allem gestalterische Fragen auf, die mir sowohl als Kunsthistorikerin und aus meinen Verlagserfahrungen nicht unbekannt sind. Seit Ende 2010 bin ich offiziell als Profil- agentin im Einsatz.
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Profilbilder sind elementarer Bestandteil von Social Media und stellen in Zeiten von weni- gen Pixeln großen Twitterbildern oder Facebook-Profilbildern eine grafische Herausforde- rung dar. Wie kann man die kleine Größe optimal nutzen? Wie sieht das perfekte Profilbild aus? Was sollte man hierbei beachten?
Im Businessbereich gelten andere Regeln als in informelleren Zusammenhängen, ob das
nun Facebook oder Twitter ist, die beide inzwischen ebenfalls immer intensiver geschäftlich genutzt werden. Bei vielen Freelancern verlaufen die Grenzen ohnehin fließend. Wenn ich digital aktiv bin und es mir darum geht, über den Spaßfaktor hinaus wahrgenommen zu werden, lohnt es sich auf Qualität, Konsistenz und Kontinuität beim Profilbild zu achten, also eine Wiedererkennbarkeit auch über mehrere Plattformen hinweg zu erreichen. Während auf Netzwerken wie Xing oder LinkedIn noch das klassische Hochformat eine Rolle spielt, ist über den Livestream, wie er zuerst bei Twitter, dann bei Facebook auftauchte, das kleine Quadrat immer wichtiger geworden. Mit der Verschiebung der Nutzung vom PC oder Laptop zur mobi- len Anwendung werden die Ansichten dazu immer kleiner. Von der Größe her entspricht der Sprung dem von der Streichholzschachtel zur SIM-Chipkarte.
Das Profilbild muss also auch quadratisch und in verschiedenen Größen wiedererkennbar sein. Je kleiner die Varianten, umso wichtiger werden Kontraste, klare Formen und Farben. Motive mit zu vielen Details im Hintergrund sind komplett verschenkt, wirken aber auch in der üblichen Paßbildgröße meistens zu überladen. Wenn der Kontext stimmt, kann das sehr char- mant sein; zufällig im Hintergrund sichtbare Heizungsrohre, Trockensträuße oder Fototapeten sind im Gegensatz dazu die besten Argumente dafür, das Motiv anzuschneiden. Die geschickte Wahl des Bildausschnitts wertet in den meisten Fällen ein Profilbild deutlich auf. Mehr Mut zu Experimenten!
Das perfekte Profilbild ist immer das, mit dem die Inhaber die besten Erfahrungen sammeln und am zufriedensten sind. Offizielle Regeln dazu halte ich für verwegen. Ich habe auch schon reizvolle unscharfe oder stark angeschnittene Profile gesehen, die sehr gut funktioniert haben – weil sie einen Aspekt der Person sehr treffend widerspiegelten. Darum geht es.

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Auf der anderen Seite funktioniert ein gutes Profilbild wie ein Icon. Neben der Wiedererkenn- barkeit ist es immer wichtiger, sich von anderen zu unterscheiden, unverwechselbar zu sein. Das stereotype freundliche Paßbild-Lächeln aus vorbiometrischen Zeiten funktioniert nur sehr bedingt in digitalen Wahrnehmungsströmen. Profilbilder sind nicht Grundlage erkennungs- dienstlicher Maßnahmen, sondern Teil unserer digitalen Identität, die wir selbst steuern – und die kann mit (kulturellen) Codes verknüpft und mit Atmosphäre aufgeladen werden.
Hast du ein paar Beispiele für gute Profilbilder?
— Nicole Ebber
Guter Dreh von Farbe zu SW, sympathische Ausstrahlung, sehr authentische Auftritte Credit: Simon Bierwald (Flickr-Profil: www.flickr.com/photos/simsullen)
Nicole Ebber Matthias Müller-Prove

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Claudius Holler
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— Matthias Müller-Prove
Ein Hinkucker wegen des ungewöhnlichen Bildausschnitts.
— Annette Milz
Der wache, kritische Geist der Chefredakteurin des MediumMagazins kommt auch in die- sem Ausschnitt sehr gut zum Ausdruck – es muss nicht immer das ganze Bild präsentiert werden. Credit: Daniel Biskup
— Sima Niroumand
Leicht hysterische Anmutung, die innerhalb des Berufsbildes aber durchaus als unabding- bar durchgeht ;) Sehr gut inszeniertes Foto.
— Stevan Paul
(Wenn das Regal im Hintergrund nicht durch den Kopf schießen würde.) Atmosphärisch fast nicht zu toppen: Wie ein Fisch im Wasser: ein Foodstylist, -Blogger, -Schriftsteller in einer Küche. Credit: Stefan Malzkorn
— Claudius Holler
Fast perfekt, nur die Kinnpartie ist mir zu unentschlossen gehalten. Entweder ganz ab- bilden oder stärker anschneiden. Sehr cleverer Einsatz von Farbe: Als Hauptkandidat der Hamburger Piratenpartei = Parteifarbe Orange
— Rene Sasse
Gekonntes Spiel mit dem Bildausschnitt. Credit: Christine Pongratz
— Hendrik Spree
Technikkompetenz am lebenden Objekt demonstriert
Spielt Farbe beim Profilbild eine große Rolle?
Als Kontrast oder symbolisch eingesetzt, ja. In erster Linie ist für meine Wahrnehmung aller- dings der Bildausschnitt entscheidender. @Formschub hat zum Thema Farben sehr schöne Twitter-Listen angelegt: www.twitter.com/#!/formschub/lists. Sehr gut geeignet, um die

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Wirkung von Schwarz-Weiß und der Farbversion zu vergleichen, ist die Speaker-Übersicht der re:publica 2011: Die Gesamtansicht ist schwarz-weiß, erst wenn die Maus darüber bewegt wird, ändert sich die Farbe ins jeweilige Original.
Wie oft sollte man sein Profilbild wechseln?
Am Anfang sollten einige Varianten ausprobiert werden, bis eine gefunden ist, die passt – auf allen Ebenen. Wenn das stimmig ist und sitzt, wie z.B. bei @Kosmar kann das durchaus über mehrere Jahre konsequent eingesetzt werden (www.twitter.com/kosmar, seit 2007!) Wenn das Bild nicht mehr passt, trifft, angemessen ist (optisch genauso wie auf die Lebensphase bezogen) liegt ein Wechsel nahe. Manchmal fällt einem aber auch nur ein besseres Motiv in die Hand, auch das ist häufig ein sehr guter Grund, das Profilbild auszutauschen!
Auf Xing oder Facebook wird ein Profilbildwechsel intensiver mit Kommentaren und Klicks begleitet – wer es auf diese Art der Aufmerksamkeit anlegt, wird sein Bild häufiger wechseln als jemand, dem es darum geht, sich als wiedererkennbare, kontinuierliche Persönlichkeit und Marke zu inszenieren. Beides kann funktionieren.
Wie viel Persönlichkeit kann man in einem Profilbild erkennen? Kann man an der Profilbild- entwicklung eine Entwicklung der Personen (wie z.B. Lebensläufe) erkennen?
Sicherlich lassen sich verspieltere Charaktere erkennen, doch genauso gibt es das professio- nelle Profilbild als Pokerface, mit dem die erwarteten Regeln erfüllt werden und die eigene Persönlichkeit so gut wie gar nicht in Erscheinung tritt. Es gibt Berufsgruppen, in denen
das sinnvoll sein kann. Der Wechsel des Profilbildes über mehrere Lebensphasen wäre eine spannende Langzeitstudie zur Persönlichkeitsentwicklung. Ähnliches gibt es zum Beispiel hier: www.c71123.com/daily_photo. In meinem re:publica-Vortrag (www.slideshare.net/Kixka/ icons-eine-ikonografische-profilbildanalyse-der-deutschen-digitalszene) habe ich das ansatz- weise aufgezeigt: Der Wandel vom Gasmasken tragendem @Uarrr hin zum ernsthafteren @ Wichmann bei Instagram.

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Wie hätten die Profilbilder folgender Persönlichkeiten (wenn es die Möglichkeiten damals schon gegeben hätte) deiner Meinung nach ausgesehen:
Cleopatra: Machtvoll glamourös im Sinne ägyptischer Tradition, Rom überstrahlend.
Johann Wolfgang von Goethe: Ein häufiger Profilbildwechsler. Je nach Laune und Lebenspha- se, immer kultiviert passend auch zu seinen Publikationen ein neues, anderes Motiv. Goethe wäre ein Meister der SocialMedia Kanäle zum Selbstmarketing gewesen und hätte auch seinen Namenszug oder den Farbkreis temporär als Profilbild genutzt.
6. Napoleon: Der Dreizack.
PROFILAGENTIN
DAS PROFIL UND SEINE BILDER
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Marie Antoinette: Ein leckeres Stück Kuchen. Shakespeare: Sein Theater: Das Globe-Theatre
Charles Darwin: Den von ihm entdeckten »Galapagos-Finken« (Ich glaube nicht, dass er hu- morvoll genug gewesen wäre, sich selbst als Affen darzustellen)
Marie Curie: Ihr Gesicht als Röntgenaufnahme
Edgar Allan Poe: Ein schwarzes Tintenfaß (um nicht den schwarzen Raben zu nehmen)
Ulrike Meinhof: Auf keinen Fall ein Portrait, eher ein antiimperialistisches Symbolbild, vermut- lich das RAF-Logo, das ein Bekannter von ihr entworfen hat.
Das Interview führten Nadine Roßa und Patrick Marc Sommer.
Kixka Nebraska Die Profilagentin
www.Profilagentin.com

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DESIGNRECHT
FARBMARKEN. WIE MAN EINE FARBE ALS MARKE MONOPOLISIERT.
RA Jens O. Brelle & Denise Jurack – Art Lawyer Kanzlei
Milka-lila, ADAC-gelb, Telekom-magenta; auch wenn sich die drei Farben natürlich optisch unterscheiden, haben sie doch Eines gemeinsam: sie sind als Marken im Markenregister des Deutschen Paten- und Markenamts eingetragen. Das die Eintragung einer Farbmarke gar nicht
7. so einfach ist, hat auch schon die Deutsche Bahn (rot-grau-weiß) erfahren müssen, denn für DESIGNRECHT die Eintragung einer Farbmarke gelten die gleichen Voraussetzungen wie für Wort- oder Bild-
FARBMARKEN. WIE MAN EINE FARBE ALS MARKE MONOPOLISIERT.
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marken. Das DPMA prüft grundsätzlich, ob sich eine Marke graphisch darstellen lässt, dieses Erfordernis ist in § 8 Abs. 1 MarkenG geregelt. Eine Marke muss immer klar, eindeutig, in sich abgeschlossen, leicht zugänglich, verständlich, dauerhaft und objektiv sein. Für Farbmarken ist es deshalb erforderlich, den Farbton nach einem internationalen Farbklassifizierungssys- tem (z.B. Pantone, RAL oder HSK) anzugeben.
Außerdem müssen Farbmarken eine ausreichende Unterscheidungskraft aufweisen, um Waren und Dienstleistungen von anderen Unternehmen unterscheiden zu können. Hier wird es für Farbmarken oft problematisch, denn meist sehen Verbraucher eine Farbe nicht als Herkunftshinweis, sondern lediglich als Gestaltungsmittel. Diesen Nachteil kann die Farb- marke jedoch wettmachen, wenn sie in den beteiligten Verkehrskreisen verwendet wird und sich dort durchgesetzt hat. Unterscheidungskraft kann also noch durch Benutzung zu einem späteren Zeitpunkt entstehen. Anders beurteilen lässt sich die Unterscheidungskraft jedoch dann, wenn es sich um eine Farbe für Produkte handelt, deren Markt sehr speziell, bzw. beschränkt ist. Wenn es also nur wenige Hersteller für ein Produkt gibt, kann eine Farbe oder eine Farbzusammenstellung durchaus auch ein Hinweis auf die betriebliche Herkunft des

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Produktes sein. Sobald die Farbe oder Farbkombination aber vom angesprochenen Verkehrs- kreis als dekoratives Gestaltungselement verstanden wird, entfällt aber auch hier die Unter- scheidungskraft.
Da für Farbmarken keine anderen Kritierien gelten wie für andere Markenformen, darf auch hier keine Verwechslungsgefahr vorliegen. Eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung
der Verwechslungsgefahr spielt dabei das Farbunterscheidungsvermögen und das Farberin- nerungsvermögen des Verbrauchers. Das Farbunterscheidungsvermögen bestimmt sich aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher. Dieser Verbraucher muss also verschiedene Farbtöne und Farbschattierungen von einander untescheiden können. Dabei muss er dann aber auch auf sein Farberinnerungs- vermögen zurückgreifen, denn nicht immer hat der Verbraucher die Möglichkeit alle in Frage kommenden Farben gleichzeitig zu betrachten. Ist der Verbraucher auf sein Erinnerungs- vermögen angewiesen, so lassen sich geringe Farbunterschiede kaum feststellen. Insofern liegt eine Markenidentität nur bei völliger Farbidentität vor, geringe Unterschiede im Farbton können nur zu einer Zeichenähnlichkeit führen.
Die Voraussetzungen für eine eintragungsfähige Farbmarke lassen sich wie folgt zusammen- fassen: Unterscheidungskraft, bzw. Verkehrsdurchsetzung, sowie keine Verwechslungsgefahr. Die Verwechslungsgefahr setzt voraus, dass der Verkehr die Farbe als Herkunftshinweis ver- steht. Daher muss der Verkehr den Herkunftshinweis ausschließlich der Farbe zuordnen, ohne ihn erst mit einem anderen Element gedanklich in Verbindung zu bringen.
Bei der ersten in Deutschland eingetragenen Farbmarke handelt es sich um die Farbe »lila« für Milka-Produkte. Farbmarken können national und international eingetragen werden. Im Februar 2010 waren beim Deutschen Patent- und Markenamt 95 Farbmarken registriert.
7. DESIGNRECHT
FARBMARKEN. WIE MAN EINE FARBE ALS MARKE MONOPOLISIERT.
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www.art-lawyer.de

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FARBE STUDIEREN
Interview mit Markus Schlegel von der HAWK Hildesheim
Die HAWK Hildesheim bietet einen deutschlandweit einmaligen Studiengang an: Farbdesign. Worin sich das von einem normalen Design-Studium unterscheidet und warum man Farbde- sign studieren kann, erzählt Markus Schlegel.
Bitte stellen Sie sich kurz vor.
Markus Schlegel, seit 2003 Professor an der HAWK Hildesheim, Studiendekan der Fakultät Ge- staltung, Leiter des Institut international Trendscouting IIT der HAWK. Kurator des Deutschen Farbenzentrums/Zentralinstitunt für Farbe.
Wie unterscheidet sich das Studium zum Farbdesigner zu dem eines Kommunikationsdesig- ners? Was sind die Studieninhalte?
Das Studium unterscheidet sich durch breiter gefächerte Gestaltungsaufgaben, da Farbde- sign immer fachübergreifend ist und in nahezu alle Design- und Architekturaufgaben hinein wirkt. Die Bereiche Architektur Stadt, Innenarchitektur, Licht-, Produkt-, Transportation-, Corporatedesign sowie Digital Media können in Hildesheim Kernthemen im Farbdesignstu- dium sein. Farbe, Oberfläche, Trend (Zukunftsforschung) sowie Farb- und Emotionspsycho- logie, Wirkungsweisen, Farbsemiotik und Farbmarketing sowie das Colourmanagemnet und die Grundregeln der Farbmetrik werden als strategisch- methodische Planungsprozesse im Vollstudium vertiefend gelehrt. Die Studierenden bekommen durch die forschungsbezogene Lehre Kompetenzen zur Farbforschung wie z.B. der Zukunftsforschung Farbe, Material und Licht oder zur Farb- und Emotionspsychologie vermittelt. Die theoretisch- wissenschaftlichen Erkenntnisse werden in interdisziplinäre und praxisorientierte Projektarbeit – oft in Koopera- tion mit der Industrie, dem Handel oder auch Agenturen – überführt. Die Beschreibung von
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FARBE STUDIEREN
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Farbtypologien und Farbprofilen sowie die Argumentation für oder gegen Farbentscheidungen werden trainiert. Interaktionen von Licht- Material und Farbe im Raum und am Produkt wer- den experimentell und analytisch getestet und angewendet. Farbe wird bei uns als planbare Größe und Instrument jeglicher Gestaltentwicklung verstanden.
Wird das Studium zum Diplom-Farbdesigner nur an der HAWK Hildesheim angeboten? Falls ja, warum gibt es das Studium nicht flächendeckend?
Das Studium, mittlerweile als BA- und MA-Studiengang, wird als Vollstudium Farbdesign eu- ropaweit einzigartig gelehrt. Die Frage ist berechtigt und wird auch in unterschiedlichen Gre- mien wie z.B. dem DFZ (Deutsches Farbenzentrum) immer wieder diskutiert. Farbe hat z.B. als »dünnste Schicht« auf dem Architekturparkett bisher nicht die Bedeutung. Das mag sich langsam ändern, da funktionsorientierte Gestaltungen nicht mehr ausreichen und Kunden, Nutzer oder Auftraggeber bzw. die Gesellschaft grundsätzlich zunehmend gefühlsorientierte und strategisch planbare Gestaltungsprozesse verlangen.
In welchem Beruf arbeiten Diplom-Farbdesigner nach dem Studium?
Farbdesigner arbeiten in unterschiedlichen Berufsbereichen.
— Color & Trim Studios
— Industrie Design Studios: von Modelabels über Transportation Industrie bis zu Hersteller- firmen von Architekturprodukten sowie klassische Produkthersteller
— Grafik- Kommunikationsbereich/Werbeagenturen
— Zukunfts- und Zeichenforscher, Trendagenturen
— Architekturbüros (Interior/Exterior), Denkmalpflege
— Color & Trim Studios etc. oder als Selbständige sowie in interdisziplinären Design Teams.

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Wie stehen Sie den verschiedenen Farbtheorien gegenüber?
Farbtheorien sind wesentlicher Bestandteil der Kommunikation und des Grundverständnisses von Farbe. Ohne theoretisches Grundwissen sind Prozesse der Interaktion, der Phänomenolo- gie, der Physiologie oder der Psychologie nicht zu erklären. Ohne die Codierung und Decodie- rung von Farbe über Farbordnungssysteme ist eine wertfreie Verständigung über Farbe nicht möglich. Das Colourmanagement greift in nahezu alle Gestaltungsprozesse über die Digicam zum Scanner zu diversen Druckverfahren bis zur Produktion eines Produktes hinein. Für die unterschiedlichen industriellen und gestalterischen Anwendungen sind unterschiedliche theo- retische Ansätze sinnvoll, wie z.B. die psychologisch-physiologische oder physikalisch-physio- logische Betrachtung der zwei bestehenden Metasysteme NCS und RAL Design. Die Schulthe- orien nach Küppers und Itten sind für das tägliche Design hinfällig und dienen höchstens als erste Näherung und für ein künstlerisches Farbmisch-Grundverständnis.
Unser gesamter Wahrnehmungsraum ist dreidimensional und farbig organisiert. Die Prägung von Bedeutungsmuster oder die Motivsysteme der Stilwelten sind ohne theoretische Ausein- andersetzung kaum möglich. Farbe bleibt sonst eine intuitive Größe.
Wie wichtig ist Farbe in der Gestaltung?
Farbe ist fundamentaler Bestandteil jeder Gestaltung und muss daher mit Wissen untermau- ert und strategisch planbar sein. Farbe wirkt primär und offensichtlich. Der Farbapell ist bei jeglicher Gestaltung der stärkste – es ist erstaunlich wie subjektiv und intuitiv das Thema auch bei Experten der Gestaltung meist behandelt wird.
Die HAWK Hildesheim ist neben dem DFZ die einzige deutschsprachige Institution, die sich wissenschaftlich mit der Farbforschung auseinandersetzt und die Erkenntnisse in die Gestal- tung zurückspiegelt.
Das Interview wurde geführt von Patrick Marc Sommer.
www.hawk-hhg.de/gestaltung/ 102664.php
www.facebook.com/hawkfarb- design

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HKS UND DIE SONDERFARBEN IM DIGITALEN ZEITALTER
Interview mit HKS-Farben
HKS ist neben Pantone eines der bekannten Systeme für Sonderfarben. Wir haben mit HKS über die Hintergründe und aktuellen Trends gesprochen.
Wofür steht HKS?
Das HKS-Farbsystem steht seit über 40 Jahren für Kontinuität und Sicherheit in der Farbaus- wahl und Farbwiedergabe. Die Mitglieder des HKS Warenzeichenverbands e.V. sind die auf dem Weltmarkt der Farbherstellung führenden Unternehmen Hostmann-Steinberg (Huber- group), FlintGroup mit der Marke K+E und Schmincke (Künstlerfarben). Diese haben sich zusammengetan und einen einheitlichen Standard in Form von definierten Sonderfarben geschaffen, die über lange Zeit unverändert erhältlich sind.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Erfahrung die Farbwahl für Designer in Projekten?
Die Farbauswahl ist bei jedem kreativen Prozess eine entscheidende Phase, denn die Farbe nimmt der Betrachter gewöhnlich als erstes wahr. Ein ausgeprägtes Farbgefühl und auch technisches Wissen über Farbe sind für professionelle Gestalter wichtige Voraussetzung. Des- halb haben wir die Software HKS 3000+ entwickelt, ein Tool, das die Designer beim Arbeiten mit Sonderfarben tatkräftig unterstützt – mit ihr lässt sich problemlos eine Farbauswahl tref- fen und Farbabgleichungen können vorgenommen werden. Neben einem numerischen gibt es einen intuitiven Farbwahlmodus, in dem, ähnlich wie im Photoshop, ein Farbton mittels Pipette ausgewählt wird. Die Software ermittelt dann automatisch zur gewählten Farbe immer die nächstgelegene drucksichere Sonderfarbe HKS 3000+. Jeder HKS Farbe ist zusätzlich immer der entsprechende CMYK-Wert für Kunstdruck- und Naturpapier hinterlegt. Ein ganz
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spezielles Feature ist die direkte Schnittstelle mit der Adobe Creative Suite. Ausgewählte Farb- paletten können in die jeweils geöffneten Dateien der Creative Suite exportiert werden.
Sind Sonderfarben für den Druck noch gefragt im Zeitalter der digitalen Medien und On- linedruckereien?
Eindeutig ja. Vor allem in professionellen Corporate Design-Konzepten ist der Einsatz von Sonderfarben meist unverzichtbar, um eine Marke konsistent zu kommunizieren. Auch in der Produktion von Verpackungen wird man nicht auf Sonderfarben und deren Produktionssi- cherheit verzichten können. Bei der Herstellung von edlen Drucksachen sind Schmuckfarben ebenfalls nicht wegzudenken.
Können Sie so etwas wie Trends und Lieblingsfarben im Umgang mit dem Thema erkennen?
Sicher gibt es temporär immer wieder Trendfarben, die meistens im Segment Fashion ihren Ursprung haben. Diese Farbtrends finden sich dann auch im Grafikdesign, beispielsweise in Mode- oder Lifestyle Magazinen vermehrt wieder. Was ich beobachten konnte ist, dass auf Zeiten, in denen grelle Farbtöne vermehrt zum Einsatz kamen immer Perioden folgen, in welchen gedeckte oder dezentere Farben bevorzugt werden. Mittlerweile läuft ja aber vieles parallel oder in einem ziemlich schnellen Wechsel. Ganz klar haben Grüntöne ein neues Gewicht bei der Farbauswahl bekommen – sind nicht mehr »nur« Trendfarben sondern Signal für ökologische oder LOHAS-Statements. Mit unserem »HKS Colourmatch« präsentieren wir regelmäßig eine Auswahl aus der HKS 3000+ Farbpalette; es ist ein zeitgemäßes, abwechs- lungsreiches Druckobjekt, welches Designer in der Farbwahl inspiriert, ohne Farbtöne zu »Trendfarben« zu erklären.
Wie entstehen Farbpaletten und Farbtöne? Wie und wann kommen neue Farben dazu? Fal- len andere weg und wenn ja, warum?
Das ursprüngliche HKS Farbsystem Klassik kennt 88 Basis-Schmuckfarben und 2 Metallicfar- ben. Dieses hatte unverändert 40 Jahre bestand. Beim neuen System HKS 3000+, das nun

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schon einige Jahren auf dem Markt ist, bekommt jede dieser Volltonfarben durch Aufhellen und Abdunkeln 39 weitere Varianten, womit insgesamt 3520 Farben jeweils für Kunstdruck- und Naturpapier entstehen. Das System ist sehr einfach zu begreifen und baut zu 100% auf dem altbekannten HKS-Klassik-System auf. Damit garantiert HKS 3000+ fast grenzenlose Gestaltungsfreiheit. Alle in den HKS-Fächern dargestellten Farben können von den HKS Druck- farbenfabriken und den lizenzierten Partnern als Volltonfarbe gemischt und geliefert werden.
Einzelne Farbtöne werden sicher nicht wegfallen. Der Einfluß des Weltmarkts aufgrund der Verfügbarkeit von Pigmenten, die von nur wenigen Produzenten hergestellt werden, ist allerdings ein neuer Aspekt. Gibt es Engpässe oder wird die Produktion gänzlich eingestellt, werden von HKS neue farbidentische Rezepturen erstellt, um die exakte Farbtonreproduktion sicherzustellen.
Worin unterscheiden sich HKS- von Pantone-Sonderfarben? Wo sehen sie die jeweiligen Vor- oder auch Nachteile der beiden Systeme?
Wie ich bereits erwähnte, gibt es bei HKS standardisierte Farbrezepturen. So bestehen alle HKS-Druckfarben aus den gleichen Zusammensetzungen, egal welcher Produzent dahinter steckt. Die HKS-Farbrezepturen werden sorgfältig auf Papierqualitäten und Druckverfahren abgestimmt, um die höchstmögliche Farbidentität zu gewährleisten.
Bei Pantone stehen keine farbherstellenden Firmen dahinter, das ist mal grundsätzlich der wesentlichste Unterschied, wenn man den Anwendungsbereich Druckfarbe im Focus hat.
Drucker sind i.d.R. auch im Umgang mit dem HKS-System von Anfang an geschult, wissen genau, wie sie die Farbe optimal aufs Papier bekommen. Die Systeme HKS Klassik und HKS 3000+ garantieren so die absolut sichere Umsetzung im Druck und das ist der wichtigste Aspekt für jeden Gestalter. Die im Offsetverfahren gedruckten HKS-Fächer sind dabei die zu- verlässigen Referenzen für das Druckergebnis – »What you see is what you get«!
HKS-Farben sind weltweit erhältlich wenn auch in manchen Regionen etwas unbekannter als Pantone. Die vielen Anfragen aus dem Ausland sprechen aber dafür, dass HKS weiter stark an Popularität gewinnt.

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Wir verlosen eine HKS Creative Box HKS 3000+.
Schreibe uns dazu bis 9. Juli 2011 um 12 Uhr eine Email an magazin@designmadeinger- many.de und nenne uns deine Lieblingsfarbe.
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Was ist das HKS Colourmatch und was ist die Idee dahinter?
Das »HKS Colourmatch« ist unser Fanzine, welches letztes Jahr völlig neu konzipiert und gestaltet wurde. Die vielfältigen Möglichkeiten des Farbmanagementsystems HKS 3000+ werden Designern auf Augenhöhe kommuniziert. Der acht- oder zwölfseitige Leporello wird ausschließlich mit den Volltonfarben des Systems HKS 3ooo+ auf Naturpapier gedruckt. Dabei möchten wir auf herkömmliche Werbebotschaften gänzlich verzichten und ein hochwertiges Druckprodukt schaffen, bei welchem der lustvolle und kreative Umgang mit jeweils 5 HKS Volltonfarben klar im Focus steht. Wichtiges Gestaltungselement bilden zudem meist neue oder unbekannte Fonts von kleinen Foundries oder jungen Designern. Für manche ist das »HKS Colourmatch« bereits ein Sammelobjekt. Wir peilen sechs Veröffentlichungen pro Jahr an. Das Periodikum kann auf www.hks-farben.de gratis abonniert werden. Mit dem aktuellen HKS Colourmatch, der Nummer 14 haben wir mit dem Druckerlexikon, das spezielle Begriffe aus dem Sprachgebrauch der Drucker erklärt und auf englisch übersetzt, eine Brücke von Dru- ckern zu Grafikern geschlagen. Parallel zum Colourmatch gibt es für Designer die Möglichkeit, sich mit einem Portfolio für die »HKS-Designszene« zu bewerben – die Arbeiten werden dann auf der www.hks.farben.de präsentiert und als Dankeschön gibt es ein DTP-Paket »Creative Box HKS 3000+«.
Das Interview wurde geführt von Alexander Fackler & Patrick Marc Sommer.

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VORSICHT GLAS 6:
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Als Kind wollte ich immer Astronaut werden. Jeden Tag in eine Kapsel steigen und durchs
All fliegen, das wäre doch der beste Job der Welt (wie die arme Laika, als Kind mein Idol schlechthin, gestorben ist, habe ich gottseidank erst viel später gelernt). Heute bin ich Desig- ner – und habe statt eines weißen Raumanzuges einen schwarzen Anzug an und schaue nicht auf Sterne, sondern auf Buchstaben und Bilder. Und was die Kleidung angeht, bin ich fast ein Designer-Klischee. Allerdings die »alte« Sorte, also nicht der etwas neuere studentische Hips- ter-Look mit Brille, Bart und quer über die Brust getragener Umhängetasche, den man auch sofort als Jungdesigner erkennt, sondern eher der semi-glatzköpfige Typ, der (fast) immer in schwarz herumläuft. Gott sei Dank gibt es Photos, die beweisen, dass ich schon als Teenager und noch mit Haaren in schwarzen Anzügen herumgelaufen bin. Es ist also anscheinend eher so, als habe sich meine Kleidung den dazu passenden Job gesucht, nicht umgekehrt.
Schwarz ist bei mir die Farbe, die bleibt, die überlebt. Immer wenn mich die Mode reitet und ich mir einen braunen oder gar dunkelgrünen Anzug zulege, oder etwas extravagant gestreif- tes, bereue ich das wenige Monate später, die Sachen werden einfach nicht sonderlich alt in meinem Schrank – auch wenn sie durchaus den Vorteil haben, dass Hose und Sakko eindeutig als zusammengehörig zu erkennen sind, was bei rein schwarzen Anzügen spätestens nach dem dritten Trip zur Reinigung ja meist eher eine Herausforderung ist. Auch ein, zwei graue Anzüge können neben dem reinen Schwarz-Look überleben, alles andere übersteht den brutalen Darwinismus im Kleiderschrank nicht lange. Einfache blaue Jeans, für »casual days« an denen sich nur eine alte Jeans richtig anfühlt, sind die eine Ausnahme, aber wenn man ehrlich ist, sind auch Blue Jeans eigentlich »schwarz« – im Sinne von »unsichtbar«, ubiquitä- res Design eben.
Denn darum geht es natürlich bei Schwarz – es ist diese Art Unsichtbarkeit, die das Schwarze zur Helvetica unter den Farben macht. Das Fehlen jedes tatsächlichen Farbreizes nimmt das
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VORSICHT GLAS 6:
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Schwarz aus dem Modischen heraus, ebenso wie Weiß ja auch zeitlos ist – es sind beides »absolute« Lichtzustände, die nichts zu sein versuchen, nichts vorbestimmen, vielleicht weil sie bereits alles sind, binär ON oder OFF sind, und doch nie langweilen. Im Grunde ver- körpern Weiß und Schwarz insofern einen Zustand, der auch im Design die Suche wert ist. Dieses unangestrengte, souveräne So-Sein, unhinterfragbar und monolithisch, suchen wir doch alle in unserer Arbeit. Design, das nicht mehr auffällt, einfach da ist, aber zugleich unsichtbar bleibt, nur funktioniert. Wir alle erkennen diesen Zustand in anderen Arbeiten und suchen es selbst in unserer Arbeit – je mehr Design zum Volkssport wird und jeder Laie mit furchtbar »totgestaltetem« Zeug aufwartet –, umso mehr suchen wir eben dieses Gefühl von »Schwarz«. Man darf das nicht mit Coolness verwechseln, der reinen Pose von Lässigkeit, die keinen Stresstest übersteht. »Schwarz«, das ist Vignelli, »Cool« ist Cranbrook Academy of Art in den frühen 90s. Cool ist der ganz sanft mintgrün gestreifte Anzug, den du wirklich unbe- dingt jetzt haben musst – »Schwarz« ist das Stück Basic, das auch in drei Jahren noch nicht alt aussieht. Schwarz bleibt.
»Ist es Schwarz genug« und »Ist das schon zu Schwarz« sind insofern alles andere als banale Fragen im Entwurfsprozess. Ich glaube ja, dass ein entscheidender Teil von Design nicht eben nur Informationsarchitektur ist, sondern das zum »on-message« eben auch ganz entscheidend »on-emotion« hinzukommen muss, also eine Art Gefühlsarchitektur. »Emotionales Design« ist ein freilich derart abgenudeltes Buzzword, dass man es kaum mehr in den Mund zu nehmen wagt – aber schaut man sich Arbeiten (eigene, aber auch andere Designergebnisse) unter
27 dem Aspekt an, ob sie tatsächliche Gefühle wecken (also »wirken«) und nicht nur mehr oder minder schick aussehen, stellt man schnell fest, dass es in diesem Bereich der Landkarte
irgendwo zwischen Werbung und Design noch viele weiße Flecken gibt und man selbst oft ge- nug in diesem Limbo landet. Stellt man sich die »Blackness« einer Arbeit als parametrischen Schieberegler vor, bewegen sich viele Ergebnisse zwischen einem Zupfen an Retro-Emotionen (Handmade Look, Plakatschrift-Typographie usw.) und einer neoschweizerischen Kühle, die die auf Routine geeichte linke Hirnhälfte triggert, an der rechten, für Emotionen zuständigen Hemisphäre aber mitunter vorbeischippert. Interessant dabei ist, dass die kühleren Arbeiten

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durchaus nicht immer einen hohen »Schwarzwert« haben, sondern durch dekonstruktive Einflüsse eher »cool« sind, das heutige Gegenstück zum Cranbrook/Emigre/Carson-Look der 90er, ein Hybrid aus Müller-Brockmann und Crouwel. Was absolut keine Kritik ist – viele der aktuell entstehenden Arbeiten sind phantastisch – aber etwas Haas oder Univers macht allein kein »schwarz«.
In der täglichen Arbeit merke ich immer wieder, wie schwer es ist, den Moment festzunageln, wo ein entspannter Entwurf in den Korrekturen sein »Schwarz« verschiebt. Nach all den Jah- ren habe ich immer noch kein Rezept, keinen wirklich klar fassbaren Maßstab dafür, lediglich eine blinde, aber recht treffsichere Intuition, wenn es um diesen Punkt geht. Was ist zuwenig, was ist zuviel? Ich erwische mich dabei, einen Entwurf mit »Gebimmel« aufzuladen, um ihn vielleicht spannender zu machen, und nach einem Moment Abwesenheit, einer Teepause etwa, stellt man fest, dass man die Sache an sich dadurch nur kaputt gestaltet. Umgekehrt gibt es Aufträge, aus denen etwa in Korrekturen die kleinen visuellen Störelemente, die den Unterschied zwischen totlangweilig und entspannt ausmachen, gestrichen werden und man am Ende ein totes Design hat, das ebenso gut (bzw. ebenso schlecht) aus einer Textverarbei- tung hätte kommen können.
Es sind oft die kleinen Dinge, die diesen Unterschied machen. Tatsächlich gilt: Je »schwär- zer« das Design, umso überproportional wichtiger werden die Details. Wir erwischen uns bei nodesign immer wieder dabei, dass wir bei einem an sich extrem simplen Entwurf unzufrieden sind und nicht wissen, was hier eigentlich verdammt noch mal nicht passen will, bis wir die Form der 1-Glyphe umbauen, Inktraps entfernen oder am Kerning drehen
… und plötzlich klickt es nahtlos zusammen. Dinge wie Schriftdetails, Kerning und Weiß- raum werden, je »schwärzer« das Design wird, unglaublich wichtig – die Kunst des lässigen Designs ist insofern oft alles andere als lässig, sondern entsetzliche Frickelei und Kampf um Details, die Außenstehenden oft nur schwer zu erklären sind. Tatsache ist: Je einfacher es aussieht, umso länger sitzt man meist dran … und umso weniger kann ein Dritter das glei- che Design weiterführen, weil die Details sich unweigerlich ändern. Das gleiche gilt für die Zeitachse – »Schwarz« braucht viel Energie und Mühe, um in den sich wechselnden Anforde-

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rungen des Alltags und dem »Kann man nicht mal eben noch … ?«-Wünschen nicht zu Grau auszuwaschen. Zeitlos schlicht ist überraschend schnell überladen und eng, wenn man nicht gemeinsam an einer Art Designhygiene arbeitet. Ich persönlich kann in unfassbar kurzer Zeit wirsches Editorial mit dekonstruktiven Effekten absondern und hundert Seiten am Tag in die- sem Flair durchlayouten, ohne dass mir langweilig ist (es macht ja Spaß), aber ein sauberes, zeitloses, makelloses Design mit einer durchdachten Strategie und einer sozusagen distin- guierten Zurückhaltung – das muss immer wieder etwas ruhen dürfen, reifen dürfen, wie ein Wein, und braucht entsprechend länger. (Analog kann ich lange Texte wie diesen sehr schnell herunterschreiben, kurze brauchen sehr viel länger).
Das Gespür für »Schwarz« permeiert irgendwann den gesamten Alltag – ein winziges Detail kann ein Möbelstück zeitlos schön machen oder zu einem Ding, das man zwar gerade toll findet, aber besser nach zwei Jahren entsorgen sollte; eine harmlose Applikation zuviel kann etwas billig aussehen lassen, weniger wäre mehr gewesen. In einer von Information und Ge- wimmel überladenen Welt, ist Effizienz in der Information und eine schlichte, ehrliche Emo- tionalität ein Ausnahmezustand, und du entwickelst ein Feeling für genau diese Schwebung, diesen Punkt an dem die Dinge sich nicht zu sehr anstrengen, nicht zu viel wollen, aber eben auch nicht zu wenig Spannung haben und somit langweilen. Eine Uhr ohne Zifferblatt und Zeiger ist ebenso falsch wie eine überladene Angelegenheit mit zig Mondphasen und Kompli- kationen – und je näher man dem Ideal einer »schwarzen« Uhr kommt, umso entscheidender wird die Frage nach Details, der Schriftwahl bei den Ziffern der Form der Krone. Eine Art-
47 Deco-Schrift auf einer ansonsten schlichten Uhr im Sechziger-Look kann dann so dissonant werden, dass die ganze Uhr angestrengt wirkt … irgendetwas fuchtelt sozusagen die ganze Zeit
nervig »hier hier hier« mit den Armen in der Luft. Andere Uhren wieder stehen eher ver- klemmt in der Ecke und scheinen sich ihrer eigenen Funktion zu schämen, haben keinen Mut zur Form, keinen Oomph. Sie schweben nicht im genau richtigen Scheitelpunkt von Zuviel und Zuwenig, sondern sind längst im Sinkflug gen »too little«.
Dieser gravitationsfreie Punkt im Design hat viel mit Ehrlichkeit im Material, Aufrichtigkeit der gestalterischen Intention, einer Selbstverständlichkeit in der Bedienung, aber auch einer

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gewissen Unverschämtheit zu tun – und eben der Fähigkeit, im entscheidenden Moment einfach loslassen können. Die Zutaten sind schwer definierbar, aber dennoch erkennt man sofort intuitiv die Dinge im Alltag, die einfach »schwarz« sind. Nahezu alle Designer finden für diesen Scheitelpunkt ihre eigene, etwas autistische Sprache im Studioalltag, die dem eigenen Empfinden nahekommt. Bei uns ist da immer wieder von »will zuviel« bzw. »will zu- wenig« die Rede, von Energie. Gutes Design vergeudet keine Energie, ist also unangestrengt, man ahnt die handwerkliche Perfektion, aber es riecht nicht nach guten Absichten. Wie man es auch nennen mag – die Jagd nach diesem Punkt ist, je länger man in dem Beruf tätig ist, ein entscheidender Antrieb in der Arbeit als Designer. Zumal dieser Punkt keineswegs fixiert ist, sondern (sich) wandelt – ebenso wie der schwerelose Punkt zwischen der Erde und den Planeten ja auch immer wieder anders, konstellationsabhängig sein kann, je nachdem, zu welchem Planeten die Reise gehen soll.
Ich gebe zu, in der Praxis erreicht man dieses Ziel eher selten. Entweder, weil man es selbst einfach verspielt und den richtigen Absprungpunkt verpasst, die Gestaltung überfrachtet. Oder weil die Auftraggeber sich in bester Absicht zu sehr einbringen und man am Ende ein »geführtes« Design hat (und das ist überraschend oft der Fall), in dem man ein bestmögli- ches Ergebnis gemeinsam zu erreichen versucht, an ein subjektives Maß von Perfektion aber vielleicht nicht mehr herankommen kann. Es gibt Jahre, da hat man fünf Ergebnisse, die kommen dieser Idealvorstellung nahe, andere Jahre, da gibt es keinen einzigen. Aber immer weiß man selbst, wenn man es geschafft hat, einfach solide Arbeit abzugeben, eine Uhr, die wirklich tickt, ein Auto, das ohne Stottern anspringt. Oft sind seltsamerweise gerade diese Arbeiten solche, die im Portfolio denkbar langweilig aussehen, weil sie so gar keinen visuel- len »Wow«-Effekt hergeben, sondern einfach nur perfekte Arbeitstiere sind. Oft gewinnt man Preise für Arbeiten, die eigentlich eher in Richtung »zu viel« gehen, weil Jurys damit leichter zu fesseln sind – Arbeiten, die aber nach einer Dekade irgendwie nicht mehr funktionieren, während andere, einfachere Dinge immer noch zuverlässig ticken. Was alles nichts daran ändert, dass man der Yves-Klein-blauen Blume des perfekt »schwarzen« Designs immer wieder hinterherjagt. Der Flug zum »Vignelli-Punkt« (den Massimo Vignelli selbst auch nicht

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immer getroffen hat) ist einer der Gründe, warum man als Designer bei jedem neuen Auftrag wieder voll motiviert in die Raumkapsel steigt und sich ins All katapultieren lässt. Hinter jeder Diskussion mit Partnern und Dienstleistern, hinter jedem »Nein« zu Auftraggebern im Detail steckt ja schließlich das große »Ja« zu einem Ergebnis, das federleicht ist und doch kraftvoll, im besten Sinne sozial und pluralistisch wirkt und trotzdem eben »einfach funktioniert«, das also – und das ist die Aufgabe von Design – ganz und gar angemessen und kontrolliert ist. Floating like a butterfly, stinging like a bee.
Beim Stichwort »Angemessenheit« – es dreht sich hier natürlich nicht um einen »Style«. Und wo der perfekte Punkt ist, das wird jeder anders sehen. »Angemessenheit« heißt, die falschen Wege zur richtigen Lösung nach und nach auszuschließen, die richtige, disziplinierte Balance zu finden, wie ein Bildhauer die Essenz hervor zu arbeiten, die am Ende ganz natürlich und selbstverständlich schon immer da war, nur sichtbar gemacht wurde. Es ist die (nachträglich) plausibelste, die am einfachsten und fast zwangsläufig erscheinende Lösung, »Ockhams Ra- siermesser« im Design. Das verschiedene Designer diesen Punkt an ganz anderen Stellen fin- den, zeigen die verschiedenen Lösungen, die bei einem Pitch produziert werden. Tatsächlich zeigen aber auch überraschende Gleichheiten, wie stark verschiedene Designer strategisch eben doch auch zu sehr ähnlichen »appropriate solutions« kommen … oft so sehr, dass man sich fragt, ob es den Wettbewerb eigentlich noch bräuchte … oder ob man im Wettbewerb an diese Form von Angemessenheit vielleicht noch gar nicht wirklich herankommt, eben weil man zu wenig mit dem Auftraggeber interagieren kann, das Problem und damit natürlich die
67 Lösung noch nicht kennt und erst nach der Entscheidung wirklich loslegt.
Bei all dem wird klar, dass das, was ich für mich »Schwarz« nenne, keine Stilfrage ist und auch keinen Look vorgibt, sondern eher eine Art von Haltung suggeriert, eine Selbstverständ- lichkeit im Ergebnis, ein So-und-nicht-anders, eine Kette von vielen kleinen Entscheidungen, die am Ende sinnfällig und richtig erscheinen, Plausibilität haben. Was eben keineswegs heißt, das »Schwarz« langweilig oder berechenbar sein muss. Ganz im Gegenteil. Auch
hier ist es wie bei der Farbe Schwarz – haben sich die Augen erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt, können wir ungezählte Nuancen, Lichtreflexionen und Abstufungen in der Nacht

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www.hdschellnack.de
wahrnehmen. In der Mode gibt es wohl kaum eine bessere Kombinationsfarbe als Schwarz. In der Auswahl der nahezu unendlichen strategischen und operativen Werkzeuge im Design ist »Schwarz« dieser fiktive, flüchtige und gerade deshalb hoch lebendige Punkt, zu dem sich die Dinge (hoffentlich) magisch fügen, an dem sie well- aber nicht overdressed sind und wir uns wohl fühlen mit dem, was wir tun, weil die Dinge eben gut werden. Jedes Jahr, jeden Mo- nat, jede Woche, jeden Tag, den ich in schwarzem Anzug oder in entspannter Jeans ans Werk gehe, steige ich im Grunde in meine kleine Raumkapsel und suche diesen schwarzen Punkt am Firmament. Astronaut zu sein wäre dagegen fast langweilig.
Kolumne von HD Schellnack
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JESSICA HISCHE
IMAGES OF WORDS
Interview with Jessica Hische
When I first found Jessica Hische’s website showing her work on the internet, I spent an entire hour there because it was so much pleasure to see how much she enjoys letters, shapes and colors. Letters become objects, figures and images when she’s using them, which is simply fascinating. It was a big pleasure for us to interview her for our magazine.
Do you see yourself more as a typographer, illustrator or designer?
More of a letterer than anything — which is really close to an illustrator. Lettering and illust- ration are essentially the same industry, one just deals with images and one with images of words.
You seem to have a very good feeling for colors and color schemes. What role does color play in your work? How do you use color?
I love color, particularly warm colors that are a tiny bit muted. Most of the work that I do is quite colorful, especially my very illustrative lettering work. I try to keep the palettes consistent and sophisticated without repeating myself too much between projects.
When seeing your letter-works on your project dailydropcap.com, I didn’t see only letters but personalities. Is that what you feel as well when you design letters?
Definitely! When I look at the lettering work that I do, I can immediately tell what mood I was in the day that I drew it and also sometimes what music that I was listening to. It’s hard to hide your personality in your work unless you’re working very modularly.
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Do you have a favorite letter?
I think R or K are my favorite letters — there is just so many ways to draw them! I also love the letter Q.
Can you describe how you work? Do you start with sketching by hand before you go to illustrator?
I do sketches before most projects, mostly because I need to be able to show something to
the client to approve before we go to final. I used to do very rough sketches, but sketches for lettering have to be a bit more detailed so that the client can clearly see what my thoughts are for the style. I don’t trace my sketches in illustrator, I just look at them as I’m working. I tend to correct all of my drawing errors this way and end up with something a bit more consistent. It’s drawing a person from memory instead of from a photograph. You tend to idealize and exaggerate in good ways.
Do you have a project that you liked most or is there a project you want to work on but didn’t have the chance yet?
I think my favorite project up to this point has definitely been the Barnes and Noble classic book covers I worked on. It’s rare that I get to work on something with such a high production quality and seeing the final books in print was one of the most exciting moments in my career. They were incredibly fun to work on too! I’m not sure if there is a specific project that I wish
I could work on at the moment, I have fun working on a huge variety of pieces whether I’m working on a tiny illustration in a local magazine or on a big illustration in an ad campaign.
Your new website has an interesting addition to it: the teen-girl mode, where the website changes to sort of a rainbow-colored land, full of colors and pling-pling. Why did you add that?
I love being able to show my sense of humor, especially in something like a portfolio site. Most people’s websites are very dry and business-like. Most people know that my »business« is just me, so it felt right to let the website feel more like »me«.

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www.jessicahische.is
You are well-known for your internet-projects momthishowtwitterworks.com and shouldi- workforfree.com. What was your inspiration for these projects?
I like to make resources for myself and other designers. Both of those projects began when I wanted to share information with other people but didn’t really have the proper forum to do so. By making small websites to communicate ideas and knowledge, it becomes a resource for a lot of people and it makes me feel good to »give back to the internet« since people on line have done so much for me.
You teach at design school and you give advices to young designers on your blog. What are the most important things young designers should learn?
To be nice to people! A lot of young designers see everything they do as a favor exchange instead of just doing things to be nice. Being a bit altruistic with your kindness will always come back to you in good ways.
The interview was made by Nadine Roßa.
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Wie steht es um den typografischen Nachwuchs in Deutschland?
Wie gehen die Studierenden mit Typografie um?
Wie sieht die typografische Ausbildung in Deutschland aus?
typoversity präsentiert aktuelle Projekte aus Ausbildung und Studium.
typoversity
240 SEITEN – 1. AUFLAGE ISBN 978-3-939028-25-3 Preis: 24,90 EUR
www.typoversity.com
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FARBKULTUR
EIN GESPRÄCH ÜBER DAS ARBEITEN MIT FARBE
Nancy Crow ist die momentan einflussreichste amerikanische Textilkünstlerin, sie wird als »one of the premier colorists in contemporary American art« bezeichnet. Ihre Arbeiten sind abstrakte Explorationen von stoffgewordenen Farben und Farbzusammenhängen, in denen sie die Möglichkeit sieht, aus ihrem Innersten zu erzählen. Sie unterrichtet weltweit ihren Umgang mit Farbe.
Thomas Curtze-Schatton arbeitet als Designer in der strategischen Abteilung der Panama Werbeagentur in Stuttgart. Er ist verantwortlich für die kreativen Aufgabenstellungen in der Markenfindung und -profilierung und agiert damit als Grenzgänger in den Bereichen Kreati- on, Corporate Design und Marketingberatung.
Thomas Curtze-Schatton
Farbempfinden ist eine kulturelle Errungenschaft. Erst die Verwendung von Farbe als gestalte- rische Kraft schärft auch unser Farbempfinden. Kulturgeschichtlich: Erst wenn die Dinge nicht mehr die Farbe haben müssen, die ihnen von Natur gegeben sind, wenn ich technologisch in der Lage bin, Farbe zu gestalten, entwickelt sich Farbsinn.
Übertragen heißt das: Wenn ich heute ein Corporate Design angehe, muss ich auch über die Firmenkultur nachdenken. Wie weit sind die schon in ihrem Farbempfinden? Was können sie ihrem Zielpublikum abverlangen? Farbe ist ein scheinbar billiges und allgegenwärtiges Mittel der Differenzierung, aber auch das anspruchvollste.
Nancy Crow
Die Möglichkeiten, Farben einzusetzen, zu kombinieren – das ist in der Tat eine besondere Herausforderung. Wenn ich Kurse oder Seminare gebe, erlebe ich, wie sehr andere mit der
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Farbgestaltung kämpfen; wie sie sich damit abmühen, eine Farbharmonie zu bilden. Es gibt diese Tendenz, Farben in einer belanglosen Art zusammenzustellen, eher so, wie man glaubt, dass es alle anderen auch tun würden.
Selbst Gestalter stellen ihre Farben so zusammen, dass sie auf der sicheren Seite sind. Manchmal sagen sie mir, sie würden nur Farben verwenden, die sie auch als Kleidung tragen würden. Ich bitte Dich! Woher kommt so eine Einstellung?
Thomas
Ich denke da eher an den Zusammenhang zwischen Sprechen mit Hilfe von Farbe und Spre- chen ÜBER Farbe. Als Gestalter lege ich Wert darauf, dass mein Handeln und damit meine Entwürfe nachvollziehbar bleiben. Dabei spielen Begrifflichkeiten und Worte eine große Rolle. Gerade bei dem schwierigen Thema Farbe fallen allgemeingültige Beschreibungen, ja selbst die Benennung der Farbzusammenhänge schwer. Die Argumentation leidet, und umso belie- biger werden Entscheidungen gefällt.
Nancy
Für mich war Farbe immer der einfachste Bestandteil meines Schaffens. Ich muss nicht um Farbkombinationen ringen, weil sie mir leicht fallen. Und ich glaube tatsächlich, dass Farbe und die Gestaltung mit Farbe und das Kombinieren von Farben eines der berührendesten Geschenke in unserem Leben sein kann. Daher begreife ich Farbe als eine Form von Zuspruch und positiver Emotion.
Thomas
Als Künstlerin profitierst Du davon, dass unsere Kultur einmal Farbe von den Gegenständen be- freit hat. In der abstrakten Kunst hast Du die Möglichkeit, Farbe nicht mehr als eine Eigenschaft der Dinge, als beschreibende Kraft zu sehen, sondern ihre Selbständigkeit anzuerkennen.
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Hand-cut, composed improvisationally and machine- pieced by Nancy Crow out of 100% cottons hand-dyed by Nancy Crow; hand-quilted by Marla Hattabaugh with pattern denoted by Nancy Crow; 110 x 122 cm
Der Stoffeinband des Katalogs wurde in 5 verschiedenen Farben produziert. Käufer konnten ihn mithilfe verschie- denfarbiger Logo-Sticker auf 50 verschiedene Arten personalisieren.
Für die von Nancy Crow kuratierte Ausstellung »Color Improvisations« wurden alle 50 Exponate in DNA-Blöcke übersetzt, die auf Eintrittskarten, Merchandising und im Katalog als »Leitsystem« verwendet werden.
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Hat Farbe jemals eine durch und durch abstrakte Qualität? Ist Farbe »am abstraktesten« auf einer vollständig einfarbigen, drei mal drei Meter großen Leinwand? Würde diese enorme Farbfläche nicht dann den Betrachter fragen, WARUM sie ganz in einer Farbe gehalten ist?
Thomas
Für mich ist Farbe abstrakt in einem Sinne wie Musik abstrakt ist. Musik ruft scheinbar mühelos Emotionen und Stimmungen auf, sie kann Szenen »untermalen«, sie kennt Motive, Rhythmus, Harmonie. Vielleicht hat Farbe zum Beispiel bei der Gestaltung eines Corporate Designs die gleiche Rolle wie der Soundtrack im Film. Andererseits hast Du in Deiner Arbeit den Begriff des Improvisierens eingeführt …
Nancy
Durch das Improvisieren erteile ich mir selbst die Erlaubnis, freier zu werden, auf neuartigen Wegen zu unerwarteten Ideen zu gelangen. Das heißt, zu Beginn einer Arbeit bin ich weniger kritisch mit mir selbst und agiere dadurch angstfreier. Ich werde erst wieder richtig penibel, wenn die Arbeit ein Stadium erreicht hat, in der sie verfeinert werden muss.
Eine meiner lebenslangen Herausforderungen als Künstlerin ist es, mir selbst Freiheit zu gewähren. Wenn ich unterrichte und andere beobachte, erkenne ich, wie selten wir uns ein Handeln ohne gleichzeitige Wertung erlauben. Dabei bringt uns genau das näher an unsere tatsächlichen Fähigkeiten heran.
So habe ich Farbtheorie immer gehasst, als ich damals die entsprechenden Kurse an der Universität belegte. Ich weigerte mich, über den Farbkreis und diese sehr intellektuelle Infor- mation nachzudenken. Natürlich habe ich die Farbübungen erstellt, die von mir im Studium erwartet wurden, aber schlussendlich entschied ich, den Farbkreis zu ignorieren und meine eigenen Kombinationen zu finden. Ich werde immer zu den kräftigen, satten Farben greifen. Dann bringe ich sie mit Brauntönen, gebrochenen Weißtönen, neutralen und bläulichem Grau- schattierungen zusammen, was ich für eine anspruchsvolle, differenzierte Bandbreite halte.
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Thomas
Die Frage ist doch, ob das wirklich »Deine« Farben sind, oder auch die Deines persönlichen Werdegangs mit all seinen Einflüssen und Abhängigkeiten. Natürlich bereichern sie das Farbvokabular all jener, die Deine Arbeiten sehen – aber eben mit ihren eigenen Augen sehen und interpretieren.
Nancy
Ich glaube, Menschen sind unglaublich von der Farbigkeit beeinflusst, in die sie hineingebo- ren werden. Die riesigen, trockenen Landschaften Australiens mit ihren Ocker- und Weizen- tönen, Schwarz, Dunkelbraun, die neutrale oder gebrannten Farben der Steine – all das sehe ich in den Arbeiten, die ich aus Australien kenne. Eine Freundin von mir betont, sie bevor- zuge ganz klar die neutralen Farben, weil sie in den weiten Ebenen Kanadas aufgewachsen ist. Aber ich würde nicht so weit gehen, etwa von einer »Deutschen Farbe« oder von einer »Schweizer Farbe« zu sprechen.
Thomas
Kindern fällt es nicht leicht, Farben zu erlernen. Und auch später kann man erkennen, wie Menschen ihr Farbempfinden kontinuierlich weiterentwickeln müssen. Sie werden mehr oder weniger erwachsen, sie machen diverse Moden mit und unterwerfen sich neuen kulturellen Einflüssen. Je internationaler diese Einflüsse werden, umso globaler wird auch das Farbemp- finden.
Gerade unter Designern ist diese Entwicklung zu beobachten. Ihre Entwürfe sollen weltweit »funktionieren«, und ebenso ist auch ihre Inspiration in Form von Designwettbewerben oder -plattformen zumindest internet-weit. Wenn sich Farbempfinden also in einem ständigen Fluss befindet, und dieser Fluss immer mehr in einem weltumspannenden Meer mündet, könnte das ein Aussterben traditioneller Farbpaletten bedeuten?
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EIN GESPRÄCH ÜBER DAS ARBEITEN MIT FARBE
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Nancy
Betrachten wir es aus der anderen Richtung: Ich weiß von der einheimischen Textilkunst in Länder wie Guatemala, Peru oder Bolivien, die sehr farbintensiv ist, dass sie schleichend verschwindet. Die Menschen lernen eher am Computer ihren Lebensunterhalt zu verdienen als durch das Weben. Auf der anderen Seite besteht wenig Bereitschaft, für Handarbeit einen angemessenen Preis zu bezahlen. Hinzu kommt, dass wenige Menschen, die außerhalb dieser Kulturen stehen, Verständnis oder Wertschätzung für die Einzigartigkeit dieser Arbeiten auf- bringen. Ob das nun »regionale Farbpaletten« aussterben lässt – wer weiß.
Thomas
Die Schwierigkeit im Corporate Design besteht oft darin, mit Hilfe von Farben ein Designsys- tem von transkultureller Gültigkeit zu entwerfen – im gleichzeitigen Wissen um die eigene Subjektivität. Jeder von uns bringt seine eigene Farbhistorie an den Start, die mehr oder weniger gut reflektiert ist. Das Corporate Design für einen internationalen Kunden soll aber bitteschön objektiv und passgenau in jeder Kultur das Richtige ausdrücken, und das möglichst unabhängig von schnellen Moden und kurzlebigen Trends. Aber dann irgendwann im Verlauf des Prozesses heißt es: Zeitlosigkeit vs. Individualität.
Nancy
Ich versuche ebenfalls beides zu vereinen, auch wenn ich mir die Aufgabe anders stelle: Meine persönliche Herausforderung besteht darin, Farbe zunehmend intelligenter und an- spruchsvoller einzusetzen. Ich konzentriere mich darauf, meine Palette in noch mehr Nuancen, Schattierungen und Tonwerte aufzufächern, und mir dadurch neue Wege zu eröffnen.
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TASCHEN ZUM TAUSCHEN
Interview mit Heiko Braun und Antje Strubelt
Muss eine Tasche eigentlich »fertig« sein, wenn man sie kauft? Fertig im Sinne von unver- änderbar? Passt das noch zu der Generation, die gerne immer und überall flexibel ist? Nicht unbedingt, finden die Macher von »Tausche-Taschen«, denn hier ist Flexibilität in Form, Farbe und Motiv Produktprinzip. Ein Interview mit den Machern Heiko Braun und Antje Strubelt.
Was ist das Konzept hinter den »tausche«-Taschen?
Die tauscheTasche ist eine Verwandlungskünstlerin. Der Deckel ist das Gesicht der Tasche und dieses kann sich verändern. So kann die tauscheTasche die elegante Begleiterin in der Oper oder der perfekte Kumpel beim Sport sein.
Eines der Merkmale der tausche Taschen ist die große Farbauswahl. Wie wichtig sind die Farben bei euren Designs?
Auch bei den Farben laufen wir nicht der Mode hinterher. Wir müssen versuchen, ein mög- lichst breites Spektrum an Farben anzubieten, damit sich der Kunde seine Kombination wäh- len kann. Allerdings ist es manchmal wie verhext: eine rote Plane wird selten gekauft, eine Nuance dunkler ist das gleiche Material der Renner.
Ihr bietet dem Kunden eine große Farb- und Motivwahl für die Taschen und Deckel. Wird die Bandbreite ausgenutzt? Welches sind die beliebtesten Motive?
Die Bandbreite wird ausgenutzt. Deswegen führen wir sie im Sortiment. Jedoch entscheiden sich mehr Kunden für klassische Varianten als für schrille Kombinationen. So ist der Dau- erbrenner Filz immer im Sortiment, genauso wie die matt schwarze Plane für alle Taschen immer verfügbar ist.
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Durch die verschiedenen Deckel, Formen, Farben und Einsätze kann man eine individuelle Tasche herstellen. Wird der Aspekt der Individualität immer wichtiger? Könnte man auch seinen eigenen Deckel gestalten?
Ja, Individualität ist wichtig, genauso aber Zugehörigkeit zu Gemeinschaften. Es gibt Deckel, die per Fensterfach ermöglichen, den Deckel selbst zu gestalten. Mit dem Bastelset können Kunden ihren eigenen Stoffdeckel nähen. Und es gibt Deckel-Wettbewerbe, bei denen die prä- mierten Entwürfe realisiert werden. Deckel und Korpus ergeben immer eine andere tausche Tasche. Dennoch sind tausche Taschen unverkennbar.
Eure Produktphilosophie ist es, alle Taschen und Deckel in Deutschland herstellen zu las- sen. Warum legt ihr Wert darauf, dass auch die Materialien aus Deutschland sind?
Aus dem gleichen Grund, wie die Taschen und Deckel in Deutschland produzieren zu lassen: kurze Transportwege, unkomplizierte Kommunikation, faire Arbeitsbedingungen, hohe Qualität.
Die verschiedenen Einsätze für die Taschen zielen auf Fotografen und Leute, die ihren Lap- top mit sich herumtragen, Ist eure Zielgruppe die der kreativen Nomaden?
Kreative Nomaden tragen tausche Taschen ebenso wie lustige Omas, verrückte Kinder und zugeknöpfte Manager. Unsere Kernzielgruppe ist weiblich, um die 35, gut gebildet und verfügt über ein überdurchschnittliches Einkommen, ist weltoffen und politisch interessiert.
Gibt es weitere Pläne für das »tausche« Konzept?
Wir arbeiten fortlaufend an unseren Produkten. Die Produkte werden optimiert, das Sortiment erweitert. Im vorigen Jahr kamen die »Athletin« (Rucksack) und die »Vagabundin« (Hüft- tasche) neu ins Sortiment. Das tausche Konzept tragen wir bedächtig in die Welt hinaus. In Kürze gibt es tausche Taschen auch in Hamburg und in Sylt zu kaufen.
Das Interview wurde geführt von Nicole Zimmermann und Nadine Roßa.
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DIE HERAUSGEBER
Patrick Marc Sommer
lebt und arbeitet als Designer und Produktioner in Berlin. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich Print: Corporate Publishing, Buch- & Magazingestaltung und Produktion. Er ist seit 2005 nebenbei redaktionell tätig, u.a. für Encore, Slanted (Typo Weblog & Magazin) und als Mitherausgeber des Magazins von Design made in Germany.
www.patrickmarcsommer.com
Nadine Roßa
lebt und arbeitet als freiberufliche Illustratorin und Designerin in Berlin. In den letzten Jahren hat sie fest und frei in verschiedenen Agenturen und mit Start-Ups gearbeitet und Kommuni- kationsdesign in Berlin studiert. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Screen-Design, Typografie und Illustration. Seit 2009 ist sie Mitherausgeberin des Magazins von Design made in Germany.
www.nadine-roßa.de

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IMPRESSUM Herausgeber & Chefredaktion:
Nadine Roßa (www.nadine-rossa.de) & Patrick Marc Sommer (www.patrickmarcsommer.com)
PDF-Design:
Saskia Friedrich (www.fraufriedrich.de)
Redaktionelle Mitarbeit:
Alexander Fackler (www.alexanderfackler.de)
HD Schellnack (www.hdschellnack.de)
Nicole Zimmermann (www.nicolezimmermann.com) RA Jens O. Brelle (www.art-lawyer.de)
Simon Prades (www.simonprades.com)
Thomas Curtze-Schatton (www.panama.de)
Lektorat:
Anette, Steffi Dräs, Ulla
Rechtliche Beratung:
Art Lawyer Kanzlei – RA Jens O. Brelle
Anbieterkennzeichnung:
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Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar; Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge selbst verantwortlich. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung strafbar.

DMIG 8
Die nächste Ausgabe erscheint unter dem Schwerpunktthema »Denken«. Wie immer freuen wir uns über Themenvorschläge.

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