Erik Schmid über Erfolg und Misserfolg, Design und Kunst, Ökonomie und Gemeinschaft

Schellnack: Was heißt das eigentlich… Scheitern?

Schmid: Scheitern ist im Idealfall eine verantwortungs- und lustvolle Form des Weltgebrauchs zum Erwerb neuer Sichtweisen. Das heißt, wer nicht sinnvoll scheitern kann, lernt nichts. Noch einfacher: Scheitern heißt Mensch sein.

Schellnack: Ohne Scheitern kein Lernen, wie jeder weiß, der an einer Tür erst gedrückt und dann gezogen hat. Aber ich habe das Gefühl, dass wir nach einer Phase, in der Scheitern nahezu tabuisiert war, plötzlich einen Fail-Hype haben; «Scheiter schneller» zum Meme wird, bei Firmen ebenso wie beim Einzelnen. Haben wir den Glauben an den Erfolg verloren – oder steckt da etwas anderes hinter?

Schmid: Fail-Hype klingt lustig und ist bescheuert, weil es sich natürlich nicht um einen Trend handelt, sondern um eine Erkenntnisform, die keinen Trends unterliegen sollte. Und, nebenbei, nichts wird besser dadurch, dass es schneller geht, außer die Rettung. Es geht nicht um Geschwindigkeit, sondern, wie ich das nenne, um Konstruktives Scheitern. Das kann persönlich wie programmatische Zielsetzungen beinhalten, und schafft daher weitere Varianten, meinetwegen des Erfolgs. Was spricht gegen Scheitern als Erfolgsvariante? Und, nachgelegt: Wie soll man Erfolg erkennen können ohne den Misserfolg? Und wie den Misserfolg ohne das Scheitern? Rhetorisches Ergo: Erfolg ist eine Funktion des Scheiterns!

Schellnack: Leider ist natürlich auch der Misserfolg eine potentielle Funktion wiederholten Scheiterns, oder? Welche Strategie unterscheidet erfolgreiches, konstruktives Scheitern von der er Abwärtsspirale, die in den Misserfolg führt?

Schmid: Misserfolg ist doch eher ein Synonym für Scheitern und sollte dem Erfolg, wie das Scheitern eben, erkenntnisreich vorausgehen. Es kommt darauf an, wann man einen Prozess abbricht; dann, wann er erfolglos ist, nach dem Scheitern oder Misserfolg (nachdem ich den Türgriff gedrückt habe), oder dann, wenn die Tür offen steht, nach dem Erfolg. Konstruktives Scheitern analysiert und integriert die Momente des Scheiterns gleichberechtigt in einen Prozess – auch als gefühlter Rückschlag. Erster strategischer Bestandteil des Konstruktiven Scheiterns ist zum Beispiel, das banale Geht nicht zu überwinden, dann geht es darum, sich von Rückschlägen nicht irritieren zu lassen, sondern sie auszuhalten und mit ihnen und nicht gegen sie zu arbeiten. Mit anderen Worten, den Vorgang der Erkenntnis zu genießen und zu nutzen (Nur so entsteht auch Poesie für und in den Dingen). Denn die Welt besteht weniger aus Umzus (Allein das Ziel/der Erfolg zählt) als aus Issos (Der Weg ist das Ziel). Am Ende fördert der Respekt vor dem Scheitern meine Lieblingstugenden: Freundlichkeit, Dankbarkeit und Zuversicht.

Schellnack: Inwiefern Zuversicht? Führt konstruktives Scheitern zu gelassenem Optimismus?

Schmid: Bei egal was für einem Vorhaben will ich das Gegenteil von Zuversicht nie in meiner Nähe haben. Und beim Scheitern kann man Zuversicht gut üben. A propos, ich hab da noch einen Dreisatz: Üben, Spielen und Scheitern sollte man können können.

Schellnack: Kann man das lernen – und kann man das lehren?

Schmid: Lernen? Ich denke Ja, am besten, indem man es einfach tut. Lehren? Ich denke Ja, am besten, indem man es vormacht.

Schellnack: Wie setzt du das selbst konkret im Unterricht um – als Vorbild, aber auch in den Ansprüchen an die Studenten?

Schmid: Zunächst: Als Theoretiker wird man ja von jenen nicht ernst genommen, für die nur die Praxis als Maßstab gilt (gemeint sind die eliministischen Materialisten). Für jene aber, die Theorie und Praxis als zwei notwendige Seiten derselben Sache betrachten können, ist es gut zu vermitteln, das alles Denkbare im Grunde auch entwerfbar ist und sich an den Sachverhalten gleichsam ab-, bzw. hochscheitert. Konkret und mal wieder im Dreisatz: Erfinden (Denken) – Machen (Entwerfen) – Scheitern (oder den begrenzenden Sachverhalt ändern). Wie soll denn eine Welt verändert, also auch verbessert werden können, wenn meine Entwürfe schon durch die existierenden Welt verhindert werden. Es ist im Grunde so, dass Ideen die Welt verändern und nicht die Welt die Ideen.
Im Scheitern ist dieser Disput zwischen Idee und Welt immer offen zutage. Nochmal kurz: Alles Denkbare ist auch entwerfbar. (Gui Bonsiepe hat zurecht die Frage nach der Entwerfbarkeit der Welt als eine der Bestimmbarkeit der Welt gleichgestellte gefordert.)

Schellnack: Obwohl ich zustimme –, abgesehen davon, dass ich die «existierende Welt» mit ihren Einschränkungen als Bereicherung im gestalterischen Prozess sehe, nicht als Einschränkung – will ich noch einmal nachfassen: Was bedeutet das konkret im Unterrichten von Designstudenten? Wie lernen die «konstruktives Scheitern»? Meine Wahrnehmung ist, dass das eben diese Fertigkeit nicht vermittelt wird, weil von Kindesbeinen an Frustration vermieden wird, von der Rechtschreibung in der Grundschule bis zum Selbstverwirklichungs-Design beim Bachelor.

Schmid: Vielleicht sollte man den Begriff «Konstruktives Scheitern» einfach abändern, denn immerhin suggeriert er einen erlernbaren Vorgang, den du ja zurecht einforderst. Dabei meint KS ja vielmehr eine Haltung. Und die ist natürlich nicht konkret erlernbar. Der Ansatz für KS muss (im Grunde) tiefer liegen: In der Erhaltung einer (bei den meisten Kindern vorhandenen) Bereitschaft, sich aus dem, was nicht klappt, kein negatives Selbstbild zu stricken, in der Vermittlung einer zutiefst humanistischen Gesinnung, die eine Auflösung der sozialvertikalen Verspannung zum Ziel haben muss. Der Ansatz läge dann in der Erziehung, einer Ideologie, vielleicht sogar in einer Antiideologie. Jetzt aber mal Buddabeidifische:
Ich will dennoch riskieren, konkret und ausgelacht und nicht wieder gedankenflüchtig zu werden. Hier ein paar Vorschläge, die ich im Unterricht zu beherzigen versuche:

– Was, wenn der Wert einer Arbeit nicht am ökonomischen, sondern am (so geforderten und kategorisierten, also hierarchieabbauenden) humanistischen Kapital gemessen wird?

– Was, wenn die Arbeit weniger am Resultat als auf dem Weg dahin gemessen wird (die Einführung einer Failquote als Wert)?

– Was, wenn die Prüfung nicht am Ende einer Arbeit stattfindet, sondern bei der Ad hoc-Konstituierung einer neuen Arbeit?

– Was, wenn wir lernen, Fragenkompetenz höher einzuschätzen als Antworten?

Schellnack: Das würde ich unterschreiben. Das Paradoxe am angewandten Design ist, dass wir auf einem etwas experimentellen Kurs zu einem Ergebnis kommen, dass am Ende auch an Parametern wie Funktionalität, kommunikativer Erfolg usw. gemessen werden sollte. Design ist nicht Kunst – und während die oben genannten Fragestellungen für die Kunst aus meiner Sicht als Selbstzweck reichen, sind sie für Design als pragmatisch-sozialen Prozess Tools, die man dem Auftraggeber oft zunächst erst einmal als wertvoll kommunizieren muss. Das wichtige an einem neuen Corporate Design ist natürlich nicht die neue Visitenkarte oder Website, sondern die Fragen, die man an sich selbst als Unternehmen und als Marke stellt – wobei diese Fragen aber auch Antworten verdienen und das Ergebnis, je nach Anlass, durchaus auch Erfolg haben sollte. Ebenso, dass es kein «Ende» mehr gibt, sondern eine ideal nicht endende, fluide und oft rekursive Begleitung der Lebensprozesse einer Einrichtung – erst aber in dieser Form einer langfristigen, offenen, entdeckenden Zusammenarbeit ist «Scheitern» nicht mehr als Fehler in der Dienstleistung, sondern aktiver Aspekt der Arbeit, findet gemeinsam statt. Es ist eine seltsame Mischung aus schnellen, intuitiven, bei einem erfahrenen Gestalter oft schon im Kopf vorweg gespielten Irrtümern, die mit hoher Energie zu etwas Neuem, oder zumindest einer neuen Melange führen. Die besten Ergebnisse kommen unter diesen vertrauensvollen Umständen dann oft zustande, wenn die Parameter wackelig sind und man am Ende kaum glauben kann, es geschafft zu haben. Was wir «Backpacker-Design» nennen: einfach mal los reisen und schauen, was geht. Aber es ist selten durchzusetzen, oft nur bei ökonomisch sinnlosen Aufträgen (Backpacking eben), nicht umsonst entsteht derzeit viel spannendes Design nur noch in Selbst-Beauftragungen von Designern, die beruflich nicht ausgelastet sind. Siehst du Chancen, dass die von dir skizzierte Form von Design-Denken auch wirtschaftlich, bei Auftraggebern, und als Modell erfolgreichen Arbeitens, in der Praxis ankommen kann?

Schmid: Ist die Frage, wie Design und Ökonomie zueinander stehen, eine schicksalhaft-kreatürliche, oder eine gestaltbare Beziehung? Ich fordere vom Design, dass es den Vertrag mit der Ökonomie aufkündigt und selbst in Führung geht. Man muss klar sehen, dass wenn ich im Schlepptau der Ökonomen arbeite, ich auch für ihr Ziel, Geld verdienen, arbeite. Wär ich Ökonom, wäre das auch mein Hauptziel. Wenn ich aber Designer bin, muss mein erstes Ziel gute Gestaltung sein, und dem müssen sich, logisch, alle anderen Ziele unterordnen. Aristoteles spricht von den ersten und zweiten Künsten. Und was eine erste Kunst (im Sinne einer Disziplin) sein will, muss auch ein eigenes Ziel – kompromisslos – verfolgen und darf nicht anderen Zielen hinterherlaufen. Andernfalls ist es eine Kunst zweiter Ordnung. Jeder Designer muss selbst entscheiden, wo er da stehen will. Im Schlepptau von Sach- und Geldzwängen oder als Vertreter einer «ersten Kunst». Ich meine also, dass Design sich nicht anbiedern sollte, sondern klar machen sollte, dass, in einer Überflussgesellschaft sowieso, Gestaltung und nicht Geld die Belange anführt. Das ist jetzt zwar platt und beamtenarschgmäßig, aber ich denke, das ist ein langer Weg, den Designer mit dem Ausbau von Backpacking, DThinking und anderen neuen, immer weiter zu entwickelnden Methoden gehen müssen, weshalb viel Arbeit für Designer in dem Bereich liegen, den wir hier gerade zu bespielen pflegen, im Diskurs.

Schellnack: Bereitet das Studium deiner Meinung nach die Studenten ausreichend auch auf das Scheitern in der Realität vor?

Schmid: Die auch unter den Designern ungezählten Depressiven, Eskapisten, Junkies, Analphabeten, Rassisten, eliministischen Materialisten, Narzisten und sonstige Weltabgewandten sind ein Indiz dafür, dass die Antwort Nein lauten muss. Denn das zeigt, dass Scheitern immer noch mit Versagen in Verbindung gebracht wird. Das sitzt tief in unserer Erziehung. Um das zu ändern, muss die Schule zuerst mithelfen, genauso wie die Familie und am Ende ist die Politik gefragt. Mich kotzt dieses Benchmarkingbildungssystem inzwischen richtig an, wo Zieleundleistungsbohème alles beansprucht; materiell, sozial und ideell. Das Leistungsprinzip sollte unbedingt dem Gemeinschaftsprinzip weichen. Die mentale Großwetterlage wird aber leider von Wachstum, Geld und Ruhm gespeist und leider nicht von Geschöpflichkeit, Gemeinschaft und Güte. Nur darin könnte am Ende Konstruktives Scheitern gedeihen.

Schellnack: Diese Dreifaltigkeit kriegen wir in diesem Interview wahrscheinlich nicht mehr überboten – Erik, herzlichen Dank für dieses Interview.

Erik Schmid ist Professor für Theorien zum Design an der Hochschule Niederrhein in der Rheinmetropole Krefeld, schafft mit seinen DesignDiscussions Begegnungen rund um Medien und Design und ist als Musiker und Autor online aktiv.

Konstruktiv Scheitern

Erik Schmid über Erfolg und Misserfolg, Design und Kunst, Ökonomie und Gemeinschaft

Schellnack: Was heißt das eigentlich… Scheitern?

Schmid: Scheitern ist im Idealfall eine verantwortungs- und lustvolle Form des Weltgebrauchs zum Erwerb neuer Sichtweisen. Das heißt, wer nicht sinnvoll scheitern kann, lernt nichts. Noch einfacher: Scheitern heißt Mensch sein.

Schellnack: Ohne Scheitern kein Lernen, wie jeder weiß, der an einer Tür erst gedrückt und dann gezogen hat. Aber ich habe das Gefühl, dass wir nach einer Phase, in der Scheitern nahezu tabuisiert war, plötzlich einen Fail-Hype haben; «Scheiter schneller» zum Meme wird, bei Firmen ebenso wie beim Einzelnen. Haben wir den Glauben an den Erfolg verloren – oder steckt da etwas anderes hinter?

Schmid: Fail-Hype klingt lustig und ist bescheuert, weil es sich natürlich nicht um einen Trend handelt, sondern um eine Erkenntnisform, die keinen Trends unterliegen sollte. Und, nebenbei, nichts wird besser dadurch, dass es schneller geht, außer die Rettung. Es geht nicht um Geschwindigkeit, sondern, wie ich das nenne, um Konstruktives Scheitern. Das kann persönlich wie programmatische Zielsetzungen beinhalten, und schafft daher weitere Varianten, meinetwegen des Erfolgs. Was spricht gegen Scheitern als Erfolgsvariante? Und, nachgelegt: Wie soll man Erfolg erkennen können ohne den Misserfolg? Und wie den Misserfolg ohne das Scheitern? Rhetorisches Ergo: Erfolg ist eine Funktion des Scheiterns!

Schellnack: Leider ist natürlich auch der Misserfolg eine potentielle Funktion wiederholten Scheiterns, oder? Welche Strategie unterscheidet erfolgreiches, konstruktives Scheitern von der er Abwärtsspirale, die in den Misserfolg führt?

Schmid: Misserfolg ist doch eher ein Synonym für Scheitern und sollte dem Erfolg, wie das Scheitern eben, erkenntnisreich vorausgehen. Es kommt darauf an, wann man einen Prozess abbricht; dann, wann er erfolglos ist, nach dem Scheitern oder Misserfolg (nachdem ich den Türgriff gedrückt habe), oder dann, wenn die Tür offen steht, nach dem Erfolg. Konstruktives Scheitern analysiert und integriert die Momente des Scheiterns gleichberechtigt in einen Prozess – auch als gefühlter Rückschlag. Erster strategischer Bestandteil des Konstruktiven Scheiterns ist zum Beispiel, das banale Geht nicht zu überwinden, dann geht es darum, sich von Rückschlägen nicht irritieren zu lassen, sondern sie auszuhalten und mit ihnen und nicht gegen sie zu arbeiten. Mit anderen Worten, den Vorgang der Erkenntnis zu genießen und zu nutzen (Nur so entsteht auch Poesie für und in den Dingen). Denn die Welt besteht weniger aus Umzus (Allein das Ziel/der Erfolg zählt) als aus Issos (Der Weg ist das Ziel). Am Ende fördert der Respekt vor dem Scheitern meine Lieblingstugenden: Freundlichkeit, Dankbarkeit und Zuversicht.

Schellnack: Inwiefern Zuversicht? Führt konstruktives Scheitern zu gelassenem Optimismus?

Schmid: Bei egal was für einem Vorhaben will ich das Gegenteil von Zuversicht nie in meiner Nähe haben. Und beim Scheitern kann man Zuversicht gut üben. A propos, ich hab da noch einen Dreisatz: Üben, Spielen und Scheitern sollte man können können.

Schellnack: Kann man das lernen – und kann man das lehren?

Schmid: Lernen? Ich denke Ja, am besten, indem man es einfach tut. Lehren? Ich denke Ja, am besten, indem man es vormacht.

Schellnack: Wie setzt du das selbst konkret im Unterricht um – als Vorbild, aber auch in den Ansprüchen an die Studenten?

Schmid: Zunächst: Als Theoretiker wird man ja von jenen nicht ernst genommen, für die nur die Praxis als Maßstab gilt (gemeint sind die eliministischen Materialisten). Für jene aber, die Theorie und Praxis als zwei notwendige Seiten derselben Sache betrachten können, ist es gut zu vermitteln, das alles Denkbare im Grunde auch entwerfbar ist und sich an den Sachverhalten gleichsam ab-, bzw. hochscheitert. Konkret und mal wieder im Dreisatz: Erfinden (Denken) – Machen (Entwerfen) – Scheitern (oder den begrenzenden Sachverhalt ändern). Wie soll denn eine Welt verändert, also auch verbessert werden können, wenn meine Entwürfe schon durch die existierenden Welt verhindert werden. Es ist im Grunde so, dass Ideen die Welt verändern und nicht die Welt die Ideen.
Im Scheitern ist dieser Disput zwischen Idee und Welt immer offen zutage. Nochmal kurz: Alles Denkbare ist auch entwerfbar. (Gui Bonsiepe hat zurecht die Frage nach der Entwerfbarkeit der Welt als eine der Bestimmbarkeit der Welt gleichgestellte gefordert.)

Schellnack: Obwohl ich zustimme –, abgesehen davon, dass ich die «existierende Welt» mit ihren Einschränkungen als Bereicherung im gestalterischen Prozess sehe, nicht als Einschränkung – will ich noch einmal nachfassen: Was bedeutet das konkret im Unterrichten von Designstudenten? Wie lernen die «konstruktives Scheitern»? Meine Wahrnehmung ist, dass das eben diese Fertigkeit nicht vermittelt wird, weil von Kindesbeinen an Frustration vermieden wird, von der Rechtschreibung in der Grundschule bis zum Selbstverwirklichungs-Design beim Bachelor.

Schmid: Vielleicht sollte man den Begriff «Konstruktives Scheitern» einfach abändern, denn immerhin suggeriert er einen erlernbaren Vorgang, den du ja zurecht einforderst. Dabei meint KS ja vielmehr eine Haltung. Und die ist natürlich nicht konkret erlernbar. Der Ansatz für KS muss (im Grunde) tiefer liegen: In der Erhaltung einer (bei den meisten Kindern vorhandenen) Bereitschaft, sich aus dem, was nicht klappt, kein negatives Selbstbild zu stricken, in der Vermittlung einer zutiefst humanistischen Gesinnung, die eine Auflösung der sozialvertikalen Verspannung zum Ziel haben muss. Der Ansatz läge dann in der Erziehung, einer Ideologie, vielleicht sogar in einer Antiideologie. Jetzt aber mal Buddabeidifische:
Ich will dennoch riskieren, konkret und ausgelacht und nicht wieder gedankenflüchtig zu werden. Hier ein paar Vorschläge, die ich im Unterricht zu beherzigen versuche:

– Was, wenn der Wert einer Arbeit nicht am ökonomischen, sondern am (so geforderten und kategorisierten, also hierarchieabbauenden) humanistischen Kapital gemessen wird?

– Was, wenn die Arbeit weniger am Resultat als auf dem Weg dahin gemessen wird (die Einführung einer Failquote als Wert)?

– Was, wenn die Prüfung nicht am Ende einer Arbeit stattfindet, sondern bei der Ad hoc-Konstituierung einer neuen Arbeit?

– Was, wenn wir lernen, Fragenkompetenz höher einzuschätzen als Antworten?

Schellnack: Das würde ich unterschreiben. Das Paradoxe am angewandten Design ist, dass wir auf einem etwas experimentellen Kurs zu einem Ergebnis kommen, dass am Ende auch an Parametern wie Funktionalität, kommunikativer Erfolg usw. gemessen werden sollte. Design ist nicht Kunst – und während die oben genannten Fragestellungen für die Kunst aus meiner Sicht als Selbstzweck reichen, sind sie für Design als pragmatisch-sozialen Prozess Tools, die man dem Auftraggeber oft zunächst erst einmal als wertvoll kommunizieren muss. Das wichtige an einem neuen Corporate Design ist natürlich nicht die neue Visitenkarte oder Website, sondern die Fragen, die man an sich selbst als Unternehmen und als Marke stellt – wobei diese Fragen aber auch Antworten verdienen und das Ergebnis, je nach Anlass, durchaus auch Erfolg haben sollte. Ebenso, dass es kein «Ende» mehr gibt, sondern eine ideal nicht endende, fluide und oft rekursive Begleitung der Lebensprozesse einer Einrichtung – erst aber in dieser Form einer langfristigen, offenen, entdeckenden Zusammenarbeit ist «Scheitern» nicht mehr als Fehler in der Dienstleistung, sondern aktiver Aspekt der Arbeit, findet gemeinsam statt. Es ist eine seltsame Mischung aus schnellen, intuitiven, bei einem erfahrenen Gestalter oft schon im Kopf vorweg gespielten Irrtümern, die mit hoher Energie zu etwas Neuem, oder zumindest einer neuen Melange führen. Die besten Ergebnisse kommen unter diesen vertrauensvollen Umständen dann oft zustande, wenn die Parameter wackelig sind und man am Ende kaum glauben kann, es geschafft zu haben. Was wir «Backpacker-Design» nennen: einfach mal los reisen und schauen, was geht. Aber es ist selten durchzusetzen, oft nur bei ökonomisch sinnlosen Aufträgen (Backpacking eben), nicht umsonst entsteht derzeit viel spannendes Design nur noch in Selbst-Beauftragungen von Designern, die beruflich nicht ausgelastet sind. Siehst du Chancen, dass die von dir skizzierte Form von Design-Denken auch wirtschaftlich, bei Auftraggebern, und als Modell erfolgreichen Arbeitens, in der Praxis ankommen kann?

Schmid: Ist die Frage, wie Design und Ökonomie zueinander stehen, eine schicksalhaft-kreatürliche, oder eine gestaltbare Beziehung? Ich fordere vom Design, dass es den Vertrag mit der Ökonomie aufkündigt und selbst in Führung geht. Man muss klar sehen, dass wenn ich im Schlepptau der Ökonomen arbeite, ich auch für ihr Ziel, Geld verdienen, arbeite. Wär ich Ökonom, wäre das auch mein Hauptziel. Wenn ich aber Designer bin, muss mein erstes Ziel gute Gestaltung sein, und dem müssen sich, logisch, alle anderen Ziele unterordnen. Aristoteles spricht von den ersten und zweiten Künsten. Und was eine erste Kunst (im Sinne einer Disziplin) sein will, muss auch ein eigenes Ziel – kompromisslos – verfolgen und darf nicht anderen Zielen hinterherlaufen. Andernfalls ist es eine Kunst zweiter Ordnung. Jeder Designer muss selbst entscheiden, wo er da stehen will. Im Schlepptau von Sach- und Geldzwängen oder als Vertreter einer «ersten Kunst». Ich meine also, dass Design sich nicht anbiedern sollte, sondern klar machen sollte, dass, in einer Überflussgesellschaft sowieso, Gestaltung und nicht Geld die Belange anführt. Das ist jetzt zwar platt und beamtenarschgmäßig, aber ich denke, das ist ein langer Weg, den Designer mit dem Ausbau von Backpacking, DThinking und anderen neuen, immer weiter zu entwickelnden Methoden gehen müssen, weshalb viel Arbeit für Designer in dem Bereich liegen, den wir hier gerade zu bespielen pflegen, im Diskurs.

Schellnack: Bereitet das Studium deiner Meinung nach die Studenten ausreichend auch auf das Scheitern in der Realität vor?

Schmid: Die auch unter den Designern ungezählten Depressiven, Eskapisten, Junkies, Analphabeten, Rassisten, eliministischen Materialisten, Narzisten und sonstige Weltabgewandten sind ein Indiz dafür, dass die Antwort Nein lauten muss. Denn das zeigt, dass Scheitern immer noch mit Versagen in Verbindung gebracht wird. Das sitzt tief in unserer Erziehung. Um das zu ändern, muss die Schule zuerst mithelfen, genauso wie die Familie und am Ende ist die Politik gefragt. Mich kotzt dieses Benchmarkingbildungssystem inzwischen richtig an, wo Zieleundleistungsbohème alles beansprucht; materiell, sozial und ideell. Das Leistungsprinzip sollte unbedingt dem Gemeinschaftsprinzip weichen. Die mentale Großwetterlage wird aber leider von Wachstum, Geld und Ruhm gespeist und leider nicht von Geschöpflichkeit, Gemeinschaft und Güte. Nur darin könnte am Ende Konstruktives Scheitern gedeihen.

Schellnack: Diese Dreifaltigkeit kriegen wir in diesem Interview wahrscheinlich nicht mehr überboten – Erik, herzlichen Dank für dieses Interview.

Erik Schmid ist Professor für Theorien zum Design an der Hochschule Niederrhein in der Rheinmetropole Krefeld, schafft mit seinen DesignDiscussions Begegnungen rund um Medien und Design und ist als Musiker und Autor online aktiv.

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