Lesen bedeutet die Fähigkeit, Zeichen aller Art dechiffrieren, deuten und einordnen zu können. Menschen haben eine ganze Reihe von Methoden entwickelt, unmittelbare Wahrnehmungsprozesse mit medial vermittelten Wahrnehmungsangeboten zu ergänzen. Entwickelt haben sich diese Zeichensprachen aus unterschiedlichen Motiven. Ein Ziel verfolgen jedoch alle diese Bemühungen: Sie sollen helfen, die Flüchtigkeit der Erinnerung zu überwinden und abstrakte Daten, Überlegungen, Regeln, Übereinkünfte, Phantasien etc. festzuhalten, zu fixieren und auszutauschen. Alle Methoden der medialen Kommunikation sind auf zu erlernende Konventionen angewiesen. Um Kommunikate lesen zu können, bedarf es eines äußerst umfangreichen Vorwissens, nicht nur um die einzelnen Zeichen entschlüsseln zu können, sondern noch viel mehr, um sie in jenem sinngemäßen Kontext setzen zu können, der erst eine Botschaft als sinnhältig erkennbar macht. So verbringen immer mehr Menschen wachsende Zeiträume, etwa 15 Jahre ihres Lebens in Schulen, Hochschulen oder Universitäten, um den Umgang mit komplexen Kommunikaten zu erlernen.

„Es sind angeblich 9,5 bis 10 Stunden, die wir hier in Mitteleuropa täglich mit der Nutzung von Medien verbringen.“

Menschen die gerne lesen, schreiben auch immer öfter eigene Texte. Sich mit Texten an eine, wie immer geartete Öffentlichkeit zu richten, ist immer einfacher geworden. Jeder und jede kann heute in Grunde publizieren. Diese Entwicklung führte dazu, dass der Umfang der prinzipiell lesbaren Kommunikate unendlich größer ist, als die verfügbare Zeit, sich mit diesen auch zu beschäftigen. Unser Medienkonsum ist grundsätzlich ausschnitthaft. Gleichzeitig reduzieren wir durch wachsenden Medienkonsum unsere Zeit, die wir einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der wahrnehmbaren Welt widmen könnten, dramatisch. Es sind angeblich 9,5 bis 10 Stunden, die wir hier in Mitteleuropa täglich mit der Nutzung von Medien verbringen. Bei einer durchschnittlichen Schlafdauer von 7 Stunden, würden gerade einmal weitere 7 Stunden verbleiben, um sich mit der uns umgebenden Welt zu beschäftigen, so wir diese Zeit nicht mit Arbeit, Shoppen oder anderen Aktivitäten verbringen, die uns nur einen eingeschränkten Blick auf die Welt erlauben. Davon abgesehen, bestimmen immer mehr Faktoren unser Leben, die sich grundsätzlich unserer unmittelbaren Wahrnehmung entziehen. Die einzige Möglichkeit, die Herkunft und Relevanz einzelner Informationen zu überprüfen, würde in Vergleich unterschiedlichster Quellen bestehen. Da immer mehr Produzenten und Produzentinnen von Medienprodukten in einem wachsenden Wettbewerb zueinander stehen, wächst der Druck permanent neue, spektakuläre und Aufmerksamkeit raubende Informationen zu produzieren. Dadurch entsteht der Eindruck einer beschleunigten Zeit, da eine Meldung die nächste zu jagen scheint. Aus diesem Grunde ziehen sich heute viele in eine mediale Wahrnehmungsblase zurück, um nicht von der Vielfalt der Meinungen erschlagen zu werden.

Mit anderen Worten, wir leben zunehmend in einer Medienwelt, die uns als Orientierung dafür dient, was wir denken, wie wir uns fühlen und welche Ziele wir verfolgen. Nicht eigene Erfahrung, sondern Erfahrungen »aus zweiter Hand« bestimmen unser Leben. Die Medienangebote bieten uns jedoch keine Abbildung der »realen« Welt. Sie müssen bislang Wahrnehmungen in übermittelbare Zeichen verschlüsseln. Sprache und Schrift erlauben es, komplexe Wahrnehmungen oder Zusammenhänge in wenige Worte und Sätze zu komprimieren. Vilém Flusser hat bereits darauf hingewiesen, dass die Kommunikation des Menschen »unnatürlich« ist, da sie einer symbolischen Vermitteltheit bedarf. Wir haben uns jedoch so sehr an die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Zeichensystemen gewöhnt, dass es uns schwer fällt zu erkennen, wie sehr ein Medium das Spektrum der darin möglichen Übermittlungen von Informationen limitiert, strukturiert und formatiert. In globalem Maßstab zeigt sich heute, dass die Welt, die wir nur mehr zu lesen, aber kaum noch unmittelbar wahrzunehmen gewohnt sind, durchaus von uns gerade in jenen Bereichen zerstört werden kann, die für unser Überleben grundlegend sind. Die Welt ist uns fremd geworden. Nachdem sich so mancher Mangel mit Hilfe eines medialen Konsums verdecken und verdrängen lässt, sehen wir uns immer weniger genötigt, an unseren konkreten Lebensumständen den Hebel anzusetzen. »Ein Symbol besitzt nicht nur das Potential, die Welt darzustellen, es trägt auch die Tendenz inne, die Welt zu verdecken.« Jene Techniken, die wir einmal in der Absicht entwickelt haben, unsere Wahrnehmungsfähigkeit der Welt zu steigern, tragen die Gefahr in sich uns blind zu machen. Pointiert ließe sich behaupten: Wir lesen uns zu Tode. Wenn dem so ist, wie könnte oder sollte dann die Zukunft des Lesens beschaffen sein?

„Pointiert ließe sich behaupten: Wir lesen uns zu Tode. Wenn dem so ist, wie könnte oder sollte dann die Zukunft des Lesens beschaffen sein?“

Parallel zur menschlichen Wahrnehmung entwickelt sich derzeit ein immer umfassenderes System aus Sensoren und Daten verarbeitenden Maschinen. Diese Systeme dienen nicht nur dazu, Geldflüsse aufzuzeichnen, Temperaturen, Bewegungen oder chemische Zusammensetzungen zu messen, sondern sie »lernen« zum Beispiel auch Bilder zu erkennen und Sprache zu »verstehen«. Tendenziell ergeben sich dadurch historisch neue Optionen, unmittelbare menschliche Wahrnehmungen mit medialen Erweiterungen zu kombinieren. Diese erst im Anfangsstadium befindlichen Entwicklungen werden als »augmented reality«, als »erweiterte Realität« bezeichnet. Anders als herkömmliche Medien fordern sie nicht unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit, sondern ermöglichen uns, während wir uns auf konkrete Handlungen in der Welt konzentrieren, einen Zugang zu einer Vielzahl ergänzender Informationen, die über unterschiedlichste Wahrnehmungskanäle das Spektrum sinnlicher Erfahrungen erweitern. Sie könnten uns nicht aus der Welt hinaus, sondern in diese hin helfen. Smartphones lassen sich als rudimentäre Vorläufer dieser Entwicklung betrachten.

Von Generation zu Generation entwickelte sich das Vermögen dieser Geräte, uns mit situationsbezogenen Informationen zu versorgen, weiter. Neben den Möglichkeiten, sich mit sprachlichen Mitteln zu verständigen, stehen uns aktuell zwei weitere Optionen zur Verfügung. Wie können anderen immer umfangreicher direkt zeigen wie wir die Welt sehen, aus welchen Blickwinkeln wir Ereignisse betrachten und wie wir auf diese reagieren. Im nächsten Schritt können wir diese Eindrücke mit weiteren Informationen anreichern und ohne großen Aufwand so etwas wie Wunschbilder erzeugen. Indem wir uns permanent diese Bilder vorhalten und auf Reaktionen hoffen, entwickelt sich derzeit, im gemeinsamen Umgang mit diesen Medium, so etwas wie eine neue Bildsprache, eine Konvention des bildlichen Ausdrucks, der es erlaubt auch komplexere Aussagen zu übermitteln. Ob und wie wir diese neuen technologischen Entwicklungen nutzen – selbstlernende Systeme, Bilderkennung, künstliche Intelligenz, Bots, virtuelle Rekonstruktion räumlich-zeitlicher Zusammenhänge, Visualisierung großer Datenmengen etc. – liegt in unserer Hand. Google liefert uns derzeit unendliche Treffer zu jedem Suchbegriff, nicht jedoch eine Zusammenfassung aller verfügbaren Informationen. Noch spannender als eine solche rein textliche Zusammenfassung wäre die Einbeziehung von verarbeiteten Bilddaten. Möglicherweise muss eine solche Zusammenfassung uns auch nicht mehr in schriftlicher Form übermittelt werden, sondern kann als multisensorisches Erlebnis, uns eine unmittelbare Teilhabe an unterschiedlichsten Erfahrungswelten ermöglichen.

Auch Texte wurden vielfach nicht nur verfasst, um uns zu helfen und uns darin zu unterstützen, jene Handlungsentscheidungen treffen zu können, die uns und unseren Mitmenschen ein möglichst lebenswertes Leben ermöglichen. Medien wurden immer auch schon aus manipulativen Absichten entwickelt. Heute besteht die berechtigte Gefahr, dass wir über vernetzte Informationssysteme nicht nur Daten erhalten, sondern permanent auch Daten liefern. Unser Informationsbedürfnis macht uns für andere »lesbar«. Diese Entwicklungen blieben vor allem deshalb weitestgehend unbeeinsprucht, weil sich ein Bewusstsein für die Konsequenzen unbedachten Informationskonsums bislang nur eingeschränkt entwickelt hat. Selbstverständlich ist den meisten Menschen klar, dass Medien uns auch zu täuschen vermögen. Da Informationen gleichsam »in der Luft liegen«, und wir sie permanent, auch unreflektiert, aufnehmen und verarbeiten, haben nur wenige erkannt, dass deren Aufbereitung einen enormen Aufwand bedeutet, dessen Kosten auch von irgend jemandem zu tragen ist. So haben bislang vorwiegend jene, die ein Interesse daran haben uns mit bestimmten Informationen zu versorgen, die Kosten gerne übernommen und wir haben uns daran gewöhnt, alles kostenlos geliefert zu bekommen. Wenn wir also mit vernetzten Informationen versorgt werden wollen, dann sollte uns klar sein, dass wir dafür zahlen müssen, wenn wir nicht wollen, dass wir selbst verkauft werden. Wenn uns darin liegt, dass die Welt in erweiterter Form »lesbar« wird und sich uns als Handlungsraum in optimierter Weise öffnet, dann ist jetzt der Zeitpunkt zu kommen jene Initiativen zu unterstützen, die Kunden nicht nur als Option betrachten, Gewinne zu machen.

Wir haben die Chance, in Zukunft ein Leben zu führen, in dem »Lernen« nicht vorwiegend in, von der unmittelbar erlebbaren Welt abgeschiedenen Räumen, erfolgt. Handeln, Erleben und Lernen könnten in absehbarer Zeit wieder miteinander verschmelzen. Handeln und erweiterte Wahrnehmung können im Zusammenspiel uns gänzlich neue Zugänge zur Welt ermöglichen. Noch sind die Geräte, die ein solches wahrhaft crossmediales und multimediales Zusammenspiel unterschiedlichster Informationsströme erlauben, nicht entwickelt. Aber es lässt sich bereits erahnen, wie grundlegend sich dadurch ein »Lesen der Welt« verändern würde. Wenn wir jedoch wollen, dass wir nicht in gleichem Maße zu Datenlieferanten werden, wie wir Daten konsumieren, müsste sich das Bewusstsein für die Bedeutung der lesbaren Welt verändern.

Was als Frage offen bleibt: Wie könnte es zu einer solchen Bewusstseinveränderung und Werteverschiebung kommen?

Lesen in der Zukunft digitaler Kommunikation

Lesen bedeutet die Fähigkeit, Zeichen aller Art dechiffrieren, deuten und einordnen zu können. Menschen haben eine ganze Reihe von Methoden entwickelt, unmittelbare Wahrnehmungsprozesse mit medial vermittelten Wahrnehmungsangeboten zu ergänzen. Entwickelt haben sich diese Zeichensprachen aus unterschiedlichen Motiven. Ein Ziel verfolgen jedoch alle diese Bemühungen: Sie sollen helfen, die Flüchtigkeit der Erinnerung zu überwinden und abstrakte Daten, Überlegungen, Regeln, Übereinkünfte, Phantasien etc. festzuhalten, zu fixieren und auszutauschen. Alle Methoden der medialen Kommunikation sind auf zu erlernende Konventionen angewiesen. Um Kommunikate lesen zu können, bedarf es eines äußerst umfangreichen Vorwissens, nicht nur um die einzelnen Zeichen entschlüsseln zu können, sondern noch viel mehr, um sie in jenem sinngemäßen Kontext setzen zu können, der erst eine Botschaft als sinnhältig erkennbar macht. So verbringen immer mehr Menschen wachsende Zeiträume, etwa 15 Jahre ihres Lebens in Schulen, Hochschulen oder Universitäten, um den Umgang mit komplexen Kommunikaten zu erlernen.

„Es sind angeblich 9,5 bis 10 Stunden, die wir hier in Mitteleuropa täglich mit der Nutzung von Medien verbringen.“

Menschen die gerne lesen, schreiben auch immer öfter eigene Texte. Sich mit Texten an eine, wie immer geartete Öffentlichkeit zu richten, ist immer einfacher geworden. Jeder und jede kann heute in Grunde publizieren. Diese Entwicklung führte dazu, dass der Umfang der prinzipiell lesbaren Kommunikate unendlich größer ist, als die verfügbare Zeit, sich mit diesen auch zu beschäftigen. Unser Medienkonsum ist grundsätzlich ausschnitthaft. Gleichzeitig reduzieren wir durch wachsenden Medienkonsum unsere Zeit, die wir einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der wahrnehmbaren Welt widmen könnten, dramatisch. Es sind angeblich 9,5 bis 10 Stunden, die wir hier in Mitteleuropa täglich mit der Nutzung von Medien verbringen. Bei einer durchschnittlichen Schlafdauer von 7 Stunden, würden gerade einmal weitere 7 Stunden verbleiben, um sich mit der uns umgebenden Welt zu beschäftigen, so wir diese Zeit nicht mit Arbeit, Shoppen oder anderen Aktivitäten verbringen, die uns nur einen eingeschränkten Blick auf die Welt erlauben. Davon abgesehen, bestimmen immer mehr Faktoren unser Leben, die sich grundsätzlich unserer unmittelbaren Wahrnehmung entziehen. Die einzige Möglichkeit, die Herkunft und Relevanz einzelner Informationen zu überprüfen, würde in Vergleich unterschiedlichster Quellen bestehen. Da immer mehr Produzenten und Produzentinnen von Medienprodukten in einem wachsenden Wettbewerb zueinander stehen, wächst der Druck permanent neue, spektakuläre und Aufmerksamkeit raubende Informationen zu produzieren. Dadurch entsteht der Eindruck einer beschleunigten Zeit, da eine Meldung die nächste zu jagen scheint. Aus diesem Grunde ziehen sich heute viele in eine mediale Wahrnehmungsblase zurück, um nicht von der Vielfalt der Meinungen erschlagen zu werden.

Mit anderen Worten, wir leben zunehmend in einer Medienwelt, die uns als Orientierung dafür dient, was wir denken, wie wir uns fühlen und welche Ziele wir verfolgen. Nicht eigene Erfahrung, sondern Erfahrungen »aus zweiter Hand« bestimmen unser Leben. Die Medienangebote bieten uns jedoch keine Abbildung der »realen« Welt. Sie müssen bislang Wahrnehmungen in übermittelbare Zeichen verschlüsseln. Sprache und Schrift erlauben es, komplexe Wahrnehmungen oder Zusammenhänge in wenige Worte und Sätze zu komprimieren. Vilém Flusser hat bereits darauf hingewiesen, dass die Kommunikation des Menschen »unnatürlich« ist, da sie einer symbolischen Vermitteltheit bedarf. Wir haben uns jedoch so sehr an die allgegenwärtige Verfügbarkeit von Zeichensystemen gewöhnt, dass es uns schwer fällt zu erkennen, wie sehr ein Medium das Spektrum der darin möglichen Übermittlungen von Informationen limitiert, strukturiert und formatiert. In globalem Maßstab zeigt sich heute, dass die Welt, die wir nur mehr zu lesen, aber kaum noch unmittelbar wahrzunehmen gewohnt sind, durchaus von uns gerade in jenen Bereichen zerstört werden kann, die für unser Überleben grundlegend sind. Die Welt ist uns fremd geworden. Nachdem sich so mancher Mangel mit Hilfe eines medialen Konsums verdecken und verdrängen lässt, sehen wir uns immer weniger genötigt, an unseren konkreten Lebensumständen den Hebel anzusetzen. »Ein Symbol besitzt nicht nur das Potential, die Welt darzustellen, es trägt auch die Tendenz inne, die Welt zu verdecken.« Jene Techniken, die wir einmal in der Absicht entwickelt haben, unsere Wahrnehmungsfähigkeit der Welt zu steigern, tragen die Gefahr in sich uns blind zu machen. Pointiert ließe sich behaupten: Wir lesen uns zu Tode. Wenn dem so ist, wie könnte oder sollte dann die Zukunft des Lesens beschaffen sein?

„Pointiert ließe sich behaupten: Wir lesen uns zu Tode. Wenn dem so ist, wie könnte oder sollte dann die Zukunft des Lesens beschaffen sein?“

Parallel zur menschlichen Wahrnehmung entwickelt sich derzeit ein immer umfassenderes System aus Sensoren und Daten verarbeitenden Maschinen. Diese Systeme dienen nicht nur dazu, Geldflüsse aufzuzeichnen, Temperaturen, Bewegungen oder chemische Zusammensetzungen zu messen, sondern sie »lernen« zum Beispiel auch Bilder zu erkennen und Sprache zu »verstehen«. Tendenziell ergeben sich dadurch historisch neue Optionen, unmittelbare menschliche Wahrnehmungen mit medialen Erweiterungen zu kombinieren. Diese erst im Anfangsstadium befindlichen Entwicklungen werden als »augmented reality«, als »erweiterte Realität« bezeichnet. Anders als herkömmliche Medien fordern sie nicht unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit, sondern ermöglichen uns, während wir uns auf konkrete Handlungen in der Welt konzentrieren, einen Zugang zu einer Vielzahl ergänzender Informationen, die über unterschiedlichste Wahrnehmungskanäle das Spektrum sinnlicher Erfahrungen erweitern. Sie könnten uns nicht aus der Welt hinaus, sondern in diese hin helfen. Smartphones lassen sich als rudimentäre Vorläufer dieser Entwicklung betrachten.

Von Generation zu Generation entwickelte sich das Vermögen dieser Geräte, uns mit situationsbezogenen Informationen zu versorgen, weiter. Neben den Möglichkeiten, sich mit sprachlichen Mitteln zu verständigen, stehen uns aktuell zwei weitere Optionen zur Verfügung. Wie können anderen immer umfangreicher direkt zeigen wie wir die Welt sehen, aus welchen Blickwinkeln wir Ereignisse betrachten und wie wir auf diese reagieren. Im nächsten Schritt können wir diese Eindrücke mit weiteren Informationen anreichern und ohne großen Aufwand so etwas wie Wunschbilder erzeugen. Indem wir uns permanent diese Bilder vorhalten und auf Reaktionen hoffen, entwickelt sich derzeit, im gemeinsamen Umgang mit diesen Medium, so etwas wie eine neue Bildsprache, eine Konvention des bildlichen Ausdrucks, der es erlaubt auch komplexere Aussagen zu übermitteln. Ob und wie wir diese neuen technologischen Entwicklungen nutzen – selbstlernende Systeme, Bilderkennung, künstliche Intelligenz, Bots, virtuelle Rekonstruktion räumlich-zeitlicher Zusammenhänge, Visualisierung großer Datenmengen etc. – liegt in unserer Hand. Google liefert uns derzeit unendliche Treffer zu jedem Suchbegriff, nicht jedoch eine Zusammenfassung aller verfügbaren Informationen. Noch spannender als eine solche rein textliche Zusammenfassung wäre die Einbeziehung von verarbeiteten Bilddaten. Möglicherweise muss eine solche Zusammenfassung uns auch nicht mehr in schriftlicher Form übermittelt werden, sondern kann als multisensorisches Erlebnis, uns eine unmittelbare Teilhabe an unterschiedlichsten Erfahrungswelten ermöglichen.

Auch Texte wurden vielfach nicht nur verfasst, um uns zu helfen und uns darin zu unterstützen, jene Handlungsentscheidungen treffen zu können, die uns und unseren Mitmenschen ein möglichst lebenswertes Leben ermöglichen. Medien wurden immer auch schon aus manipulativen Absichten entwickelt. Heute besteht die berechtigte Gefahr, dass wir über vernetzte Informationssysteme nicht nur Daten erhalten, sondern permanent auch Daten liefern. Unser Informationsbedürfnis macht uns für andere »lesbar«. Diese Entwicklungen blieben vor allem deshalb weitestgehend unbeeinsprucht, weil sich ein Bewusstsein für die Konsequenzen unbedachten Informationskonsums bislang nur eingeschränkt entwickelt hat. Selbstverständlich ist den meisten Menschen klar, dass Medien uns auch zu täuschen vermögen. Da Informationen gleichsam »in der Luft liegen«, und wir sie permanent, auch unreflektiert, aufnehmen und verarbeiten, haben nur wenige erkannt, dass deren Aufbereitung einen enormen Aufwand bedeutet, dessen Kosten auch von irgend jemandem zu tragen ist. So haben bislang vorwiegend jene, die ein Interesse daran haben uns mit bestimmten Informationen zu versorgen, die Kosten gerne übernommen und wir haben uns daran gewöhnt, alles kostenlos geliefert zu bekommen. Wenn wir also mit vernetzten Informationen versorgt werden wollen, dann sollte uns klar sein, dass wir dafür zahlen müssen, wenn wir nicht wollen, dass wir selbst verkauft werden. Wenn uns darin liegt, dass die Welt in erweiterter Form »lesbar« wird und sich uns als Handlungsraum in optimierter Weise öffnet, dann ist jetzt der Zeitpunkt zu kommen jene Initiativen zu unterstützen, die Kunden nicht nur als Option betrachten, Gewinne zu machen.

Wir haben die Chance, in Zukunft ein Leben zu führen, in dem »Lernen« nicht vorwiegend in, von der unmittelbar erlebbaren Welt abgeschiedenen Räumen, erfolgt. Handeln, Erleben und Lernen könnten in absehbarer Zeit wieder miteinander verschmelzen. Handeln und erweiterte Wahrnehmung können im Zusammenspiel uns gänzlich neue Zugänge zur Welt ermöglichen. Noch sind die Geräte, die ein solches wahrhaft crossmediales und multimediales Zusammenspiel unterschiedlichster Informationsströme erlauben, nicht entwickelt. Aber es lässt sich bereits erahnen, wie grundlegend sich dadurch ein »Lesen der Welt« verändern würde. Wenn wir jedoch wollen, dass wir nicht in gleichem Maße zu Datenlieferanten werden, wie wir Daten konsumieren, müsste sich das Bewusstsein für die Bedeutung der lesbaren Welt verändern.

Was als Frage offen bleibt: Wie könnte es zu einer solchen Bewusstseinveränderung und Werteverschiebung kommen?

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