Design - typisch Deutsch?
Text: Klaus-Peter Staudinger
Es gab einmal eine Zeit, in der "Made in Germany" weltweit ein höchst angesehenes
Gütesiegel war. Vorsprung durch Technik lautete eines der Mottos, mit dem deutsche
Ingenieurskunst selbstbewusst um die Welt ging. Da muss noch etwas dran sein - sonst
wäre unser Land nicht Export-Weltmeister. Aber der Abstand, so er denn überhaupt
existiert, ist geringer geworden. Produktpiraten bedienen sich gern bei deutscher
Technologie und deutschen Produkten - aber natürlich nicht ausschließlich dort. Schaut
man sich das Grafik Design in der Welt an, so gibt es seit vielen Jahren globale Stile und
Trends, die sich nahezu übergangslos mit regionalen Eigenheiten vermischen. Diese
mögen als lokale Einflüsse in Sao Paulo, Sidney, Shenzen oder Stuttgart mehr oder
weniger ausgeprägt sein, reichen aber für eine eindeutige Zuschreibung kaum noch aus.
Gibt es also so etwas wie deutsches Design?
Die Frage bringt mich unmittelbar zu einer anderen: Was ist überhaupt Deutsch? Es
gibt den Deutschen und es gibt das Klischee davon. Das ist wie den meisten Nationen,
Ländern, Völkern so. Vor vielen Jahren war ich Zeuge, wie auf einer Arbeitsstelle ein
ausländischer Mitarbeiter von seinem deutschen Kollegen als "Kümmeltürke"
beschimpft wurde. Seine Antwort war mit "Kartoffeldeutscher" bei aller Reduziertheit
ebenso knapp wie treffend! Deutsche gelten ja allgemein als ordnungsliebend, sauber,
pünktlich. Nach gängigen Klischees neigen sie individuell entweder zu Grübelei,
Pedanterie oder gar Besserwisserei. Nicht gerade attraktive Attribute.
Dennoch scheint sich über die letzten Generationen etwas verändert zu haben: In
neuerer Zeit werden wir im Ausland als weltoffen und angenehm empfunden. Und im
Umgang mit der Krise wird den Deutschen viel mehr Gelassenheit als anderen Nationen
attestiert. Na so was!
Design hat im Land der Dichter und Denker Tradition. Es heißt, nur wer seine
Vergangenheit kennt, hat auch eine Zukunft. Wir können aber mehr als nur analytische
Erben des Bauhauses oder der Ulmer Hochschule sein. Sich mit den weit reichenden
Ansätzen unserer Vorgänger auseinanderzusetzen, ist ebenso klug wie vorwärts
gewand. Ganzheitlichkeit, Vernetztheit, Nachhaltigkeit. Bis auf die konkreten
Begrifflichkeiten ist das Alles gar nicht so neu - aber heute unumgänglicher denn je.
Man kann bedauern, dass unsere nationale Ikonologie aus schwarzrotgoldenen Streifen
und Adler nicht gerade hip ist (z.B. im Vergleich mit den in ihrer Abstraktion
überlegenen Insignien der USA, Großbritanniens, auch der Schweiz oder Japan). Aber
zuviel Folklore wäre sicher nicht gut. Es sei denn, wir finden einen unverkrampften
Umgang mit, sagen wir mal: Gartenzwergen, Jägerzäunen, Frakturschrift. Ob
Plattenbau, Doppelhaushälfte oder Dauercamper - das Spektrum teutonisch-tumber
Erscheinungsformen ist breit zwischen Ostmoderne und Postmoderne. Auch wenn
Lärmschutzwände, Häuserfassaden oder Zeitschriften derzeit immer bunter werden,
sagt das noch nichts über die Farbigkeit des Lebens dahinter aus.
Wenn wir also möchten, dass man bewundernd sagt "typisch deutsch", dann müssen
wir uns auch als Designer mit dem messen, was Deutschland tatsächlich Weltgeltung
verschafft hat. Vor kurzem brauchte sogar US-Präsident Obama Nachhilfe darin, dass
die Erfindung des Automobils eng mit den Namen Daimler, Benz und Otto verbunden
ist. Man kann trefflich darüber streiten, ob der Verbrennungsmotor Fluch oder Segen für
die Menschheit war. Aber die gewonnene Mobilität möchte heute kaum jemand missen.
Die Deutschen gibt es im engeren Sinne noch gar nicht so lang - aber sie haben unseren
Planeten ganz schön geprägt: Bach, Goethe, Humboldt sind über bekannte Grenzen in
neue Territorien eingedrungen; Luther, Gutenberg und Marx haben jeweils auf ihre Art
bestehende Verhältnisse revolutioniert; Kant, Einstein oder Adorno haben das Denken
als solches verändert. Die Spitzenriege deutscher Maler zählt derzeit zu den teuersten
und einflussreichsten Künstlern in der Welt. Von großen Sportlern nicht zu reden - aber
Fußball hat mindestens zweimal in unserer Geschichte das Bild von der Nation
verändert. Viele wären noch zu nennen, sicher auch die Eine. Doch auch wenn wir Pabst
sind, Popmusik können wir nicht so gut.
Ob Designmadeingermany nur eine Herkunftsbezeichnung ist oder ein Gütesiegel sein
kann, wird die Zukunft zeigen. Das verändern auch noch so viele Designpreise nicht.
Denken muss in den Köpfen "passieren", es kann nicht verordnet werden. Für die
notwendigen Taten gehören Mut zum Risiko oder der berühmte Blick über den
Tellerrand ebenso dazu wie das Wissen darum, woher man kommt. Dann wird es auch
etwas mit der Marke "Deutsches Design". Und wie es aussieht, werden Frauen dabei
maßgeblich das Sagen haben.