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Multilinguale Typografie

Bei der Gestaltung von Texten mit lateinischen und chinesischen Zeichen müssen die spezifischen typografischen Regeln beider Zeichensysteme beachtet und entsprechend einer integrativen Gestaltung manipuliert werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob es überhaupt Gemeinsamkeiten zwischen beiden Systemen gibt, denn auf den ersten Blick fallen vor allem die Unterschiede auf:

Während lateinische Buchstaben an der Grundlinie ausgerichtet sind und durch die so genannten k- und p-Linien begrenzt sind, werden chinesische Zeichen an einer horizontalen Mittelachse ausgerichtet und "flattern" nach oben und unten. Entscheidende Frage hier: Wie kann diese Differenz überwunden werden?

Beiden Systemen ist gemein, dass die Schriftzeichen aus unterschiedlichen Einzelteilen aufgebaut sind, die sich horizontal und vertikal über einen vordefinierten Bereich ausbreiten. Die Bestandteile lateinischer Buchstaben bezeichnet man zum Beispiel als Grundstrich, Serife, Punze oder Tropfen. Die Bestandteile chinesischer Buchstaben hingegen werden gemäß ihrer Strichart beschrieben. Dabei wird unterschieden zwischen Grundstrichen, die keine Richtungsänderung vorgeben, und komplexen Strichen, die aus Grundstrichen aufgebaut sind und Richtungsänderungen erkennen lassen. Die wesentliche Frage lautet: Wie kann bei der Schriftmischung trotz des unterschiedlichen Aufbaus der Zeichen eine Einheitlichkeit im Schriftbild erzeugt werden?

(diân, Punkt), (héng, horizontaler Strich) oder (tí, nach rechts oben ansteigend gezogener Strich).

Die lateinischen Buchstaben wirken in ihrer Anordnung und Ausrichtung harmonisch und dynamisch. Es gibt keine gleichgroße Buchstabenbreite, diese richtet sich nach der Form des Zeichens zuzüglich einer Vor- und Nachbreite, damit sich die Buchstaben im Satz nicht berühren. Die chinesischen Zeichen hingegen wirken aufgrund ihrer immer gleich bleibenden quadratischen Grundfläche, in der alle Bestandteile des einzelnen Zeichens angeordnet sind, eher statisch. Aufgrund dieser Eigenschaft werden solche Schriften auch als monospaced-Schriften bezeichnet. Die Anzahl der Bestandteile variiert in der Anzahl der Striche. Eine Vor- bzw. Nachbreite gibt es nicht, es wird jeweils zum linken und rechten Rand der quadratischen Grundfläche etwas Platz gelassen, damit sich die Zeichen nicht berühren. Stehen nun Zeichen mit sehr vielen und sehr wenigen Bestandteilen (Einzelstrichen) nebeneinander, wirkt der Grauwert des gesamten Textes eher unregelmäßig und "fleckig". Die lateinischen Buchstaben hingegen sind hinsichtlich Proportion, Strichstärke und Anzahl der Bestandteile so aufeinander abgestimmt, dass im Satz ein ansehnlicher Grauwert entsteht. Es stellt sich die Frage: Wie können Schriften so "gemischt" werden, dass eine dynamisch-wirkende, lateinische Schrift gleichberechtigt neben einer statisch-wirkenden, chinesischen Schrift stehen kann?

Eine weitere Schwierigkeit bei der Gestaltung ergibt sich aus der gängigen Verwendung von lateinischen Zeichen und arabischen Ziffern in der chinesischen Schrift. Oftmals sind diese Zeichen nicht an die Gestaltung der chinesischen Zeichen angepasst und wirken wie Fremdkörper. Da in China zunehmend arabische Ziffern anstelle der eigenen Zahlzeichen verwendet werden, müssen diese natürlich mit den chinesischen Zeichen aufeinander abgestimmt werden. Im Falle einer Mischung mit lateinischer Schrift würden sonst nicht nur zwei Zeichensysteme, sondern insgesamt drei verschiedene Schriften miteinander kombiniert werden. Hiervon ist auch die Interpunktion betroffen. Während im chinesischen Satz Punkte, Kommata und andere Satzzeichen an der Mittellinie "aufgehängt" sind, basieren diese im lateinischen Satz auf der Grundlinie. Grundlegende Frage hier: Für welche Methode entscheidet man sich nun, wenn man beide Systeme miteinander kombinieren möchte?

Die Multilinguale Typografie ist ein sehr junges Praxisfeld; zum gegenwärtigen Zeitpunkt wirft es vor allem Fragen auf, um im hieran anknüpfenden Forschungsprozess Antworten geben zu können. Diesen und ähnlichen Fragen gehen GestalterInnen unterschiedlicher Disziplinen des Grafikdesigns bereits nach. In interkulturellen Gestaltungsprojekten, an interdisziplinären Forschungsinstituten und in Kooperationsprojekten zwischen Kunsthochschulen unterschiedlicher Kulturkreise forschen Experten auf der Basis dieser Fragen und entwickeln Methoden der multilingualen Gestaltung. Ein Beispiel für diese Forschung ist das Kooperationsprojekt der Universität der Künste Berlin (Deutschland) mit der China Academy of Arts Hangzhou (VR China). Beide Hochschulen entwickelten einen gemeinsamen, chinesisch-deutschen Masterstudiengang für die Studienbereiche Architektur, Visuelle Kommunikation, Design, Neue Medien, Malerei und Bildhauerei. Die daraus entstandene Chinesisch-Deutsche-Kunstakademie, die ihren Sitz an der China Academy of Arts in Hangzhou hat, bildet chinesische Studierende nicht nur in ihrem Praxisfeld aus, sondern vermittelt neben der deutschen Sprache auch einen umfassenden Einblick in die europäische visuelle Kultur. Die Studierenden werden abwechselnd von chinesischen und deutschen Lehrenden unterrichtet und durchlaufen dadurch bereits eine bilinguale Ausbildung, nicht nur sprachlich sondern vor allem auch auf ihre spätere Profession bezogen.