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Usability für Kinder

Dass Kinder aber sehr wohl unterschiedliche Anforderungen an Benutzbarkeit von Anwendungen haben, hat die Berliner Agentur Aperto festgestellt. Sie hat die ZDF Online-Videothek für tivi umgesetzt. Wir haben den Creative Director Arne Braun zum Thema Usabilty für Kinder befragt.

Interview von Nadine Roßa mit Arne Braun, Creative Director Design bei Aperto, http://www.aperto.de

Die Generation der »Silversurfer« scheint als Zielgruppe sehr interessant zu sein. Die Frage, wie man Websites an die Bedürfnisse der älteren Generation anpasst, wird oft gestellt. Benutzerfreundlichkeit für Kinder scheint von untergeordnetem Interesse zu sein.

Das stimmt. Ich glaube, es liegt daran, dass die Zielgruppe der Kinder nicht werberelevant genug ist. Kinder treffen meist noch keine eigenen Kaufentscheidungen, das geschieht über die Eltern.

Für das Projekt »tivi« wurden eigene Usability-Tests durchgeführt. Wie surfen Kinder? Welche Anforderungen stellen sie an Usabilty und wie flossen diese in das Projekt ein?

Die Gesellschaft für innovative Marktforschung (GIM) hat im Auftrag des ZDF eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse in die Gestaltung der Website eingeflossen sind. Das Ziel war, das Internetverhalten von Kindern – in diesem Fall der 8 bis 12 jährigen – näher kennen zu lernen. Dabei haben sich viele Erwartungen bestätigt, aber einige Resultate waren auch überraschend.
Zum Beispiel gibt es große Unterschiede zwischen dem Nutzungsverhalten der 8 und der 12 Jährigen. Die Achtjährigen nutzen Navigationen beispielsweise so gut wie gar nicht. Sie navigieren über Bilder und Inhalte, oft auch über Animationen und probieren viel aus. Die Navigation ist ihnen – im Gegensatz zu Erwachsenen – aus dem täglichen Umgang nicht so vertraut. Sie haben ein wenig Angst, sich in der Anwendung zu verlieren und nicht mehr zum Ausgangspunkt zurück zu gelangen. Den Home-Button verstehen sie häufig nicht, das Logo als Link zur Startseite hingegen schon. Generell entdecken Kinder Websites spielerisch und nicht nach einem bestimmten Prinzip.
Die 10 bis 12jährigen gehen ganz anders an eine Website heran. Sie nutzen die Navigation und navigieren über Inhalte - wahrscheinlich weil sie besser lesen können. Die Orientierung fällt ihnen dadurch leichter.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Kinder sehr ungeduldig sind. Lange Ladezeiten sind für sie ein Zeichen, dass etwas nicht funktioniert. Sie warten nicht, sondern klicken weiter. Das Internet ist für sie keine Informationsquelle. Kinder wollen dort Spaß haben und sehen das Netz als einen lustigen Zeitvertreib. Informationsaufnahme spielt eine eher untergeordnete Rolle.

Wie läuft ein Usabilty-Test mit Kindern ab?

Für die tivi Online Videothek wurde ein zweistündiger Test durchgeführt. Dabei wurden 24 Kinder befragt, genau nach Jungen und Mädchen aufgeteilt. 
Um eine möglichst reale Situation zu schaffen und die Kinder nicht zu verunsichern, wurde die Testphase mit versteckten Kameras aufgezeichnet. Zusätzlich haben Psychologen die Tests beobachtet. 
Der Ablauf glich darüber hinaus den üblichen Usabilty-Tests. Es wurde zum Beispiel die  Methode des »lauten Denkens« angewandt und die Kinder gebeten, über ihr  Verhalten und ihre Gedankengänge zu sprechen.
Mit den Kindern von heute wächst die erste digitale Generation heran. Für sie sind Bildschirme und Maus so selbstverständlich wie früher Bücher und Stift. Erwerben sie ein Gespür für das Benutzen von Anwendungen automatisch? Kinder lernen sehr schnell und können Zusammenhänge gut erkennen. Die Verknüpfung zwischen der Mausbewegung und der Bewegung des Zeigers auf dem Monitor wird zum Beispiel klar erkannt und angewendet. Kinder werden heutzutage früh an Computer und Internet heran geführt, viele surfen täglich im Netz, wenn auch unter strenger Kontrolle ihrer Eltern. Die Online-Zeit ist oft von den Eltern eingeschränkt. Deshalb nehmen Kinder beispielsweise längere Ladezeiten als unerwünschte Zeitverschwendung wahr.

Kinder haben grundsätzlich wenig Berührungsängste. Sie probieren durch Klicks viel aus und freuen sich über direktes Feedback. Die Perlenketten-Navigation auf der tivi Mediathek-Website haben sie in unserem Usability-Test sofort verstanden und angenommen - eben weil es ein direktes Feedback gibt. Kinder lieben explorative Navigationsformen. Ich bin gespannt, wie sich das Nutzungsverhalten in Zukunft hinsichtlich der Touch-Pad-Technologie verändert. Was dieser Technologie immer fehlen wird, ist das haptische Erlebnis, wie z. B. bei traditionellen Pop-Up-Bilderbüchern. Insofern glaube ich, dass diese Technologie sehr lange nur eine Ergänzung sein wird: zum Buch, zum Gedruckten und zum normalen Computer. Ich kann mir aber vorstellen, dass Touch-Pads vor allem für ältere Menschen interessant werden können, weil der Umgang mit Technologie dadurch intuitiver und schneller als jemals zuvor möglich ist.

Kinder spielen gern. Muss eine Website damit automatisch verspielt sein?

Ja, besonders jüngere Kinder haben einen klaren Spiel-Fokus. Sie benutzen das Internet primär zu Unterhaltungszwecken. Inhalte entdecken sie eher gemeinsam mit ihren Eltern. Das Surfverhalten ist also eher losgelöst von Lernthemen und Schule. Deshalb müssen Websites für Kinder entsprechend »spielerisch« aufbereitet sein.

Kinder mögen bunte Farben und Bilder, das ist das gängige Verständnis über Design für Kinder. Auch die tivi-Videothek entspricht diesen Vorgaben. Hat sich dieses »Vorurteil« bestätigt?

Im Prinzip schon. Gerade bewegte Bilder und Animationen werden sehr oft angeklickt, was bei erwachsenen Surfern eher zur Ablehnung führt. Kinder stört das nicht, sie haben die Geduld zu entdecken, was sich hinter Animationen und großen Bildern versteckt. Erwachsene scannen Seiten nach Informationen, Kinder klicken alles, was auffallend, bunt ist oder blinkt, ohne dass eine konkrete Absicht in dieser Art zu Surfen erkennbar ist. Das heißt nicht, dass man auf ein Seitenraster und eine Seitenstruktur in der Gestaltung verzichten sollte, aber sie spielen eher eine untergeordnete Rolle.
Navigationen müssen außerdem aussagekräftig sein, das Mischen von Deutsch und Englisch funktioniert zum Beispiel nicht. Auch eine klare Trennung von Navigation und Inhalt ist sehr wichtig. Kinder sind in der Regel wenig motiviert, Texte im Internet zu lesen. Längere Passagen führen zu Frustration, besonders wenn es jüngere Kinder sind, die im Lesen noch nicht so geübt sind.
Ähnliches gilt für Registrierungen. Kinder registrieren sich nicht auf Websites, weil sie die Notwendigkeit noch nicht verstehen.

Spielzeug oder Kinderbücher werden meist über die Eltern verkauft. Eltern müssen zuerst überzeugt werden, dass das Produkt »gut« ist. Verhält sich das mit Websites für Kinder ähnlich?

Im Prinzip ja. Eltern filtern im Idealfall das Angebot vor. Die Kinder lernen Angebote im Netz also nur kennen, wenn ihre Eltern ihnen diese auch präsentieren. Damit haben Eltern eine gewisse Kontrolle darüber, was ihre Kinder im Internet anschauen. Kinder finden also selten selbst Inhalte im Netz und entscheiden damit auch nur bedingt, welche Seiten sie besuchen. Sie können allerdings sehr wohl bewerten, was sie mögen und was nicht. Kinder sind treue Website-Besucher. Gefällt ihnen eine Internetseite, kommen sie immer wieder. Die Mehrdimensionalität einer Website ist ihnen außerdem durchaus bewusst, deswegen verlieren sie nie die Lust, immer wieder Neues hinter Teasern und Links zu entdecken.

Mit welchen Anforderungen kam der Kunde ZDF auf Aperto zu?

Es gab zunächst eine öffentliche Ausschreibung, an der wir uns beteiligt haben. Es wurde klar definiert, was das Ziel des Projektes ist: Die Kinder möglichst früh an das Online-Angebot des ZDF heran zu führen. Die Positionierung auf dem Markt für Kinderwebsites war dabei besonders wichtig. Dieser wird derzeit fast ausschließlich von privaten Anbietern dominiert und steht damit immer in Zusammenhang mit werblichen Inhalten. Die ZDF tivi Seite hingegen ist komplett werbefrei. Das ist vor allem für Eltern sehr wichtig, weil damit garantiert wird, dass die Kinder nicht mit ungebeteten Werbeinhalten konfrontiert werden.
Auf längere Sicht soll ungefähr die Hälfte des ZDF Kinderprogramms in der tivi Mediathek verfügbar werden.
Die Zusammenarbeit mit der ZDF-Kinderredaktion war sehr angenehm. Wir haben direkt vor Ort zusammen einen Prototypen entwickelt und hatten die ZDF-Experten für Nutzungsverhalten von Kindern im Team. So haben wir verschiedene Navigationsarten ausprobiert und selbst auch viel darüber gelernt, wie Kinder das Internet erleben.

Wie wird das Angebot angenommen?

Konkrete Zahlen liegen uns zwar nicht vor, aber wir wissen anhand des Feedbacks aus dem ZDF-Team, dass sie sehr positiv aufgenommen und auch viel genutzt wird.

Aperto ist einer der führenden Dienstleister für Internet-Lösungen in Deutschland. Mehr als 75 Unternehmen gehören zum Kundenstamm der 1995 gegründeten Agentur, darunter u. a. das ZDF, Siemens, VW, SOS-Kinderdorf und verschiedene Bundesministerien. Aperto entwickelt markengerechte Kommunikationslösungen mit besonderem Fokus auf Bedienbarkeit und Dialogfähigkeit. Die Aperto-Gruppe ist ein Zusammenschluss aus Aperto und der Kreativagentur Plantage. Aperto hat heute mehr als 160 Mitarbeiter. Agenturstandort ist Berlin.

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