Hochwertig. Vermutlich gibt es kaum einen Begriff, der so verschieden bewertet wird. Während manche Luxusartikel und teure Produkte als hochwertig ansehen, ist das immaterielle für andere viel wichtiger: Personen, Freundschaften, kleine persönliche Dinge. Und was bedeutet Hochwertig im Design und für Designer? Damit haben wir uns in der sechsten Ausgabe von Dmig auseinandergesetzt – Kollegen befragt und Interviews geführt. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und freuen uns über Weiterempfehlungen, Lob und Kritik.
Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer

DMIG NR 6, MÄRZ 2011, HOCHWERTIG.
Designed by × × × × × × × JOHANNES BREYER × × ×
1DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Designed by
JOHANNES BREYER Graphic Design & Typography Zurich /Amsterdam
www.johannesbreyer.com
2DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Impressum
Design Made in Germany 6 Schwerpunktthema: Hochwertig
HERAUSGEBER Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer nadine-rossa.de, patrickmarcsommer.com
GRAPHIC DESIGN & CUSTOM TYPEFACE Johannes Breyer johannesbreyer.com
CUSTOM TYPEFACE JB Schulbuch Friendly WEBDESIGN Martin Rack
FOTOGRAFIE Daniela Kleint
daniela-kleint.de
REDAKTIONELLE MITARBEIT
Alexander Fackler (alexanderfackler.de), Dan Reynolds (typeoff.de),
Daniel Bretzmann (eyegix.com), Daniela Kleint (daniela-kleint.de), HD Schellnack (hdschellnack.de), Karl Gfesser), Pascal Jeschke (pascaljeschke.de),
RA Jens O. Brelle (art-lawyer.de), Ulrike Daraghma, Ulrike Wilhelm (liebefonts.com)
LEKTORAT Anette, Ulla, Ulrike
RECHTLICHE BERATUNG Art Lawyer Kanzlei – RA Jens O. Brelle
Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen
nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar; Autoren sind für den Inhalt ihrer Beiträge selbst verantwortlich.
Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung strafbar.
3DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

MÄRZ 2011
I N D
E X
PLUS: Was ist für dich hochwertig?
39 Statements von Kollegen. Zusammen- gestellt von Patrick Marc Sommer & Daniela Kleint. Quer durch das Heft verteilt!
01 06 10
Über Veredelung und hochwertiges Drucken Interview von Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer mit Marco Bölling

Vorsicht Glas 5 Buy Low Sell High. Schriftvorstellung: LiebeErika Artikel Kolumne von HD Schellack von Ulrike Wilhelm ——
07
11
02
Robert Pirsig, Pommes und andere
Hartz IV Möbel – Möbel für Jedermann Gestern – Heute – Morgen. Über Reduktion
Geschmackssachen Interview von Ulrike
Interview von Daniela Kleint & Nadine Roßa und Evolution im Interface-Design. Artikel
Daraghma mit Sascha Lobe von L2M3
mit Prime Lee
von Daniel Bretzmann


DESIGN MADE IN GERMANY
12
03
Semiotik: Hochwertiges ! worauf es Neue alte Marke: Der Markenauftritt der
gründet, wozu es dient, wofür es gilt Artikel Espressomaschinenmanufaktur Olympia
von K—arl Gfesser
Express Interview von Nadine Roßa & Patrick
Marc Somme—r mit Christian Hanke
13
08
Food-Styling Interview von Pascal Jeschke 04 —
Designrecht: Wann ist ein Auftrag ein Auftrag? & Nadine Roßa
Premium British design: the Albertus typeface Kolumne von RA Jens O. Brelle
Artikel von Dan Reynolds – Art Lawyer Kanzlei
——
14
05
Die Gestaltung von Handelsmarken Interview von Nadine Roßa mit Prof. Matthias Beyrow von der FH Potsdam
09
Mythos Leica Interview von Alexander Fack- ler & Patrick Marc Sommer mit Johannes Fischer von Leica.
4DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Ich brauche mehr Zeit Ausschnitte aus der Diplomarbeit von Katrin Haase

Vorwort
Hochwertig.
Vermutlich gibt es kaum einen Begriff, der so verschieden bewertet wird.
Während manche Luxusartikel und teure Produkte als hochwertig ansehen, ist das immaterielle
für andere viel wichtiger: Personen, Freundschaften, kleine persönliche Dinge. Und was bedeutet Hochwertig im Design und für Designer?
5DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Vorwort
Damit haben wir uns in der sechsten Ausgabe von Dmig auseinandergesetzt – Kollegen befragt und Interviews geführt.
Wir wünschen
viel Spaß beim
Lesen und freuen uns
über Weiterempfehlungen, Lob und Kritik.
Patrick Marc Sommer
6DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Nadine Roßa &

01
Über Veredelung und hochwertiges Drucken Interview mit Marco Bölling
Bölling gehört zu den besten Adressen in puncto Prägedruck und Druckveredelung. Wir haben Marco Bölling, Geschäftsführer und Inhaber von Bölling Prägedruck, zum Interview gebeten.
Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer
Interview

DMIG Marco Bölling
Welche Veredelungsmöglichkeiten sind aktuell technisch möglich und was wird in Zukunft vielleicht machbar sein?
nicht im eigenen Haus leisten können, heraus- ragende Partner gefun- den. Teils kommt unsere Arbeit der eines Produk- tioners gleich. Hierin liegt meines Erachtens nach ein wichtiger Punkt für die Zukunft von Ver- edelungen: es braucht nicht noch mehr neue Techniken und Mög- lichkeiten, sondern erst einmal jemanden, der den Überblick behält und weiß, was funktio- niert und was nicht, was man kombinieren kann und was nicht.
Wann macht Druckveredelung Sinn und wann ist sie unter Umständen zu viel des Guten?
Interessant, dass diese Frage an uns als Ausfüh- rende gerichtet wird, da zur Beantwortung eher strategische bzw. konzeptionelle Erwägungen, die in den Bereich des
Ein weites Feld. technisch möglich ist so einiges. Wir kommen von den klassischen Veredelungstechniken: Blindprägung, Heißfolienprägung, Stahlstich und deren spannenden Kombinationen. Was möglich ist, hat natürlich auch viel damit zu tun, was gerade gewünscht wird. Das muss mitunter nicht neu erfunden werden. Vor einigen Jahren war der Buchdruck das »normale« Druckverfahren, bevor er durch den Offsetdruck abgelöst wurde. Heute begreift man es als Veredelungsverfahren und sagt »Letterpress« dazu – klare, ehrliche und haptisch ansprechende Drucksachen. Ich begreife diesen Trend als Gegenbewegung zu X-Farben-plus- Inline-Doppelt-und-Dreifach-Lack und Digitaldruckwahn. Die Anbieter digitaler Drucksysteme haben den Aspekt der Veredelung für sich erkannt und hier erwarte ich für die Zukunft weitere Lösungen. Was derzeit geboten wird, ist zwar eine Abgrenzung zu bestehenden Systemen und damit aus Sicht der Anbieter sicher ein Alleinstellungsmerkmal, aber – seien wir ehrlich – damit allein en—tstehen keine Pro-
Wir haben uns den Ruf des Problemlösers geschaffen. Wenn keiner mehr weiter weiß, dann landet es sehr oft auf unserem Tisch. Dadurch kommen wir mit den unterschiedlichsten Aufgaben- stellungen in Berührung und haben für viele Dinge, die wir
Foto von Marco Bölling
© 2010 Aziz Wakim www.azizwakim.com
MARCO BÖLLING
dukte, die Menschen wirklich berühren.
8DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG MB
DMIG MB
Werbers oder Kreativen fallen, maßgeblich sind. Dennoch: es gibt ein paar ganz nüchterne und technische Umstände, die eine Veredelung quasi unverzichtbar machen, z.B. Fäl- schungssicherheit bei Konzertkarten oder Modelabels.
Können Druckveredelungen Sinn haben? Streng genommen doch eigentlich nicht, da eine Botschaft ohne jede Veredelung gelesen werden kann. Scheinbar gibt es da aber noch etwas mehr als die bloße optische Wahrnehmung, um Menschen zu berühren, denn sonst müsste das weltweite Netz, doch all unsere Bedürfnisse befriedigen. Ein gut integ- riertes Gesamtkonzept mit ehrlicher und überzeugender Kommunikation ist das, was Sinn ergibt. Drucksachen mit gezielt eingesetzter Veredelung im Einklang mit hochwertig gestalteten und produzierten elektronischen Medien – das
Schwankungen unterworfen sind – zum Beispiel bei Ände- rungen von Temperatur und Luftfeuchte. Die Gretchenfrage ist letztendlich: was ist zu tun, um bis zur Grenze des physi- kalisch Machbaren vorzustoßen? Oft sind es ganz einfache Dinge, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden, wie zum Beispiel der Zeitfaktor. Ist die Zeitvorgabe so eng, dass man gezwungen ist, das Material, das eben noch bei -10°C im Laderaum des Papiertransporters war, sofort in die Maschine zu nehmen, darf man sich nicht wundern, dass am nächsten Tag kein Passer mehr zu erzielen ist. Mit Erfahrung, sorgfäl- tiger Planung und einem angemessenen Zeitplan lassen sich
Die unge- wöhnlichste Veredelungsanfrage? Das ist schwierig zu sagen, da wir uns jeden Tag mit Außergewöhnlichem befassen. Der eine findet echtes Blattgold irre, der andere wünscht drama- tisch erhabene Prägungen, ohne auf der Rückseite den Gegendruck zu sehen, und ein Dritter will zudem, dass die Ausstattung für seine neue Yacht pünktlich von einem adret- ten, mit grauem Anzug veredelten Mann am Pier eines schmucken süditalienischen Hafenstädtchens angeliefert wird. Wir suchen weltweit nach Materialien, um die Wün- sche unserer Kunden zu erfüllen, gibt es sie nicht, recher-
chieren wir Möglichkeiten um sie anzufertigen.
9DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Zuviel des Guten ist es immer dann, wenn eine Drucksache konzi- piert wird, ohne die Veredelung vom ersten Gedanken an zu
berücksichtigen. Dann wirkt es aufgesetzt und unstimmig.
Gibt es technische Grenzen in der Umsetzbarkeit und wenn ja, welche? Was war die ungewöhnlichste Veredelungsan- frage, die euch je gestellt wurde?
Technische Grenzen werden durch die Physik vorgegeben. Papier und Karton sind Naturprodukte, die
Stahlstichpresse
eine schmeichelt dem anderen und ergänzt es.

unglaubliche Dinge in die Tat umsetzen.

Was macht für Dich ein qualitativ hochwertiges Papier aus?
Gibt es Projekte, die ihr gerne mal machen würdet, aber auf- grund fehlender Möglichkeiten bisher nicht konntet?
Der Schuster trägt bekanntlich die schlechtesten Schuhe. Unsere eigenen Projekte stehen leider nur zu oft hinten an, weil uns unsere Kunden glücklicherweise stets auf Trab halten. Seit langer Zeit wünsche ich mir ein Projekt, das eine schöne Kalligraphie mittels Buchdruck in Szene setzt. Das werden wir demnächst angehen – ungezwungen und ohne wirtschaftliches Interesse, einfach weil es Spaß machen soll. Ansonsten: ich wüsste gerne, wie gut die Visitenkarten unserer Kanzlerin sind und möchte schauen, was man da noch besser machen kann.
Wie seht ihr eure Zukunft gerade vor der Entwicklung aktu- eller Technologien wie iPad und Co.?
Ich denke, wir sind nun langsam dort angekom- men, dass jeder weiß, wofür etwas am sinnvollsten angewen- det werden kann. Digitaldruck und Onlinedruckereien haben ihre Berechtigung und tragen mit On-demand-Produkten dazu bei, dass weniger in Lager genommen und weniger Papier sinnlos bedruckt werden muss. Das weltweite Netz mit seinen immer reicheren Anwendungen liefert die Infor- mationen und Lösungen, die ich in einer bestimmten Sekunde benötige. iDevices helfen im Alltag, unterhalten und machen
10DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Abstrakt: Es wäre zu einfach über Stoffzusam- mensetzungen, Eigenschaften und Eignung für verschiedene Verfahren zu dozieren. Die Wahl von Papier und Karton muss in das Konzept passen und mit der Persö—nlichkeit der Person
Persönlich: Ich war schon immer verliebt in Papiere und Kartons mit hohem Baumwollanteil. Wenn die Oberfläche dem weichen Frotteehandtuch aus dem Marmorbad eines Weltklasseho- tels gleichkommt, dann ist es das Material, das mir gefällt. Großartig finde ich auch Bambus- oder Eukalyptuspapiere, die meine Vorliebe in Sachen Haptik mit einem Beitrag zum
Umweltschutz vereinen.
oder des Unternehmens harmonieren.
DMIG MB
Über Veredelung und hochwertiges Drucken Interview mit Marco Bölling

DMIG MB
Freude. —
modelle und Anlässe, die das Gegenübertreten von Menschen beinhalten – und das beginnt zumeist mit einer Visitenkarte. Wir sehen unsere Mission darin, die aufrichtige Kommuni- kation einer Person oder eines Unternehmens in diesem Moment durch eine tadellose Drucksache zu untermauern.
Es gibt jetzt und in Zukunft genug Geschäfts-
11DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. × EINSCHUB 1/6 ×
Was ist für dich Hochwertig?
Wir haben Kollegen befragt, was sie mit »Hochwertig« verbinden. Herausgekommen sind 39 sehr unterschiedliche Statements, in 6 Einschüben quer durch diese Ausgabe verteilt.
Ailine Liefeld (BCaptured – Photography Ailine Liefeld) ailineliefeld.com
»Hochwertigkeit liegt für mich ganz klar in der Rarität der Dinge. Etwas Hochwertiges kann man weder einfach noch schnell bekommen. Hochwertigkeit hat für mich
auch weniger mit Geld als mit ideellem Wert zu tun. Natürlich kann ich in einen Laden gehen und mit ganz viel Geld teure Dinge kaufen und mir damit einen hochwertigen Status erkaufen. Für mich beginnt Hochwertigkeit jedoch schon bei Kauf einer guten Kartoffel, bei dem Fund einer 80 Jahre alten Kamera, die
noch die gleichen Fotos wie früher macht oder einfach in einem Moment auf der Straße, wo etwas schönes passiert und die Zeit stehen bleibt. Den Wert der
Dinge bestimmt jeder selbst und was man vom Leben erwartet bestimmt wie hoch dieser anzusetzen ist.«
12DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. × EINSCHUB 1/6 ×
Alexander Gellner (Regisseur & Animator, bitteschön.tv) www.bitteschoen.tv / www.gellnerism.com
»So ein richtig deutsches Wort. Fast ungewöhnlich, dass gerade dieser Begriff deutsch geblieben ist, im Differenzierungssprachkrieg noch nicht auf »high valuey« aufge-rüstet wurde. Hätte man ja machen können, man sagt ja auch »opinion leaders« zu Großmäulern, oder »stakeholder« zu Steakhalter. Aber »hochwertig«
ist für das was es aussagt, das alleroptimalste. Es wird nie durch ein nichtdeutsches Wort aufgepimpt werden, denn was es ausdrücken soll, ist so im Selbstverständnis des Deutschen und seinem Verhältnis zu seiner Arbeit und den Dingen mit
denen er sich umgeben soll, verwachsen, dass man es nicht einfach verdenglischen kann. »Hochwertig!« ist der große deutsche Fetisch und, das hört man ja auch
von überall, unsere letzte Chance. Deutsche Wertarbeit also, was der Chinese halt noch nicht kann. Wenn der Chinese Deutsche Wertarbeit kann, können wir immer noch auf Deutsche Hochwertarbeit upgraden. Obwohl ich hier eigentlich für das Weglassen des »Hoch« plädieren möchte. Wertig, das klingt doch viel sympathischer und hat ohne diesen elitären Prefix eine viel selbstbewußtere Authorität. Hochwertig bleibt ja letztlich immer eine Behauptung. Wertig ist eine nüchterne Feststellung. Zudem ist das Wort gut zu exportieren. Ich kann schon den hippen New Yorker rufen hören: »Hey, nice new hat. It looks very werty!«
13DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. × EINSCHUB 1/6 ×
Alexander Kamphorst (Stratege, Pixelpark Berlin) www.pixelpark.com
Unsere Kunden erwarten von uns die bestmögliche Lösung. Das Problem dabei: Bestmöglich ist äußerst subjektiv und organisationslastig zu betrachten. Von »in time & in budget« bis hin zu KPIs und ROI reicht dabei die Spannbreite der (betriebs- wirtschaftlichen) Blickwinkel.
Dies sind unbestreitbar wichtige Aspekte. Eine hochwertige Lösung geht aber darüber hinaus. Sie entsteht auf dem Weg zur Vereinbarkeit von Unvereinbarkeiten. Eine solche Unvereinbarkeit stellen oftmals die Einzelinteressen von Unternehmen und ihren Kunden dar. Eine gute Agentur vermittelt dabei nicht zwischen den Bedürfnissen der beiden Parteien und sucht den Kompromiss. Sie baut vielmehr auf den vordergründig divergierenden Bedürfnissen auf und schafft etwas neues, etwas für beide Seiten wertvolles, eben höher wertig als das bisher bekannte.
Zugegeben: Diese Königsdisziplin kreativen Auftragsschaffens findet nicht oft statt in Deutschland. Umso mehr ein Grund in diese Richtung zu arbeiten.
Denn hochwertigbedeutet immer auch mehrwertig – und zwar für beide Seiten!
14DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. × EINSCHUB 1/6 ×
Alexander Wodrich (Geschäftsführer, Alexander Wodrich Sound Branding) www.alexanderwodrich.de
In dem Wort Hochwertigkeit steckt zu allererst einmal das Wort »Wert«. Und Wert wird oft monetär verstanden. In diesem Sinne ist »hoch«-wertig das Gegenteil
von billig. Ich persönlich verbinde mit dem Wort Attribute wie edel, nobel,
schön, schöngeistig, kostbar, ausgewählt, Sorgfalt, mit Liebe zum Detail und Begehr- lichkeit. Ich denke an die guten alten Manufakturen, wo »kostbare« Gegenstände
in Handarbeit produziert werden. Es geht um Perfektion, lange Haltbarkeit
und die besten Materialien; um Gegenstände, die man nur einmal im Leben kauft – zeitlos im Design.
Im Hinblick auf mein Geschäftsfeld, dem Sound Branding übertrage ich
das Wort hochwertig auf echte Instrumente, ausgefeilte Kompositionen, clevere, einzigartige und auf die entsprechende Marke abgestimmte, passgenaue Arrangements, die überraschen und sich auch nach langer Zeit noch behaupten können.
15DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

02
Gestern — Heute —
Morgen
Über Reduktion und Evolution im Interface-Design.
von Daniel Bretzmann Artikel

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die Reduktion von Funktion
und Inhalt auf das visuelle Erscheinungsbild von Applikationen auswirken kann.
Welche Konsequenzen ergeben sich dabei für das Web wie wir es heute kennen?
Führt eine Reduktion am Ende zu einem einfacheren und hochwertigeren Zustand in punkto Design?
× GESTERN ×
Das Web hat sich in den letzten Jahren dank neuer technischer Möglichkeiten grundlegend verändert und verbessert: Für Infor- mationsarchitekten, Designer, Developer und den User. Kon- zepte, die sich an den Bedürfnissen des Users orientieren, erhö- hen die Usability und ermöglichen dank einer schlanken Informationsarchitektur ein schnelleres Auffinden von Infor-
mationen innerhalb moderner Webseiten und mobiler Applika- tionen.
Dennoch hat man immer noch das Gefühl, dass sich viele Websi- tes in ihrer »Form« häufig noch zu sehr an klassischen Print- Medien orientieren. Dieses liegt vor allem daran, dass die Inhalte oftmals auf traditionellen Print-Konzepten basieren. Diese haben immer weniger mit modernen und dynamischen Web-Applikati- onen zu tun. Die Zeiten, in denen man Inhalte eins zu eins online publizieren konnte und wollte, gehören der Vergangenheit an. Große Verlage und Medienhäuser gehen mit eigenen Apps ihrer Print-Publikationen an den Start und versuchen mit diesen gleichzeitig einen Mehrwert zu schaffen. Dabei wird oft verges- sen, dass digitale Inhalte anders konsumiert werden als analoge.
× HEUTE ×
An kaum eine Plattform werden derzeit größere Erwartungen und Hoffnungen geknüpft als an das iPad von Apple. Dies liegt vor allem am anhaltenden Erfolg der inzwischen vierten iPhone- Generation, die immer noch Maßstäbe setzt. Zwar hat das iPad zahlreiche mehr oder weniger ernst zu nehmende Mitbewerber, wie beispielsweise das Galaxy Tab von Samsung oder Amazons Kindle, doch stehen diese Geräte nicht für das hochwertige Design oder die technische Innovation, die mit Apples Tablet verknüpft werden.
17DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Woher kommen der Glanz und die Aura, die dieses Gerät aus- strahlt und dabei sogar auf seine Inhalte übertragen kann? Selbst eine simple Nachrichtenseite ist auf dem iPad doch irgendwie cooler als im normalen Webbrowser. Liegt das am hochwertigen Design, an einer auf das Wesentliche reduzierten Hardware, am Interface-Konzept, das den Inhalt in den Vordergrund stellt – und nicht die Navigation? Es ist die Kombination all dieser Facet- ten, aus denen sich jedoch auch Rückschlüsse für die Weiterent- wicklung des Webs von heute ziehen lassen.
× MORGEN ×
Innovative Interface-Konzepte, die auf berührungsempfindliche Displays und eine intelligente Software dahinter setzen, verbrei- ten sich immer schneller. Auch von einer Hard- oder Software- Plattform zur nächsten werden gelernte und vom User bereits akzeptierte Basis-Funktionalitäten gerne übernommen, um den Zugang zu diesen Geräten oder Applikation stringent und simpel zu halten. Gleichzeitig steigen die Erwartungen der User mit jeder neuen Generation. Bestimmte Gesten, die wir von einer Plattform kennen, erwarten wir inzwischen auch bei jeder ande- ren. Selbst das Trackpad am Laptop kann inzwischen längst mehr als den Mauszeiger zu bewegen. Der Einzug von Multi- touch und die Steuerung von Hard- und Software mit Gesten gehören heute zu jedem modernen Gerät. Genutzt werden sie bisher vor allem auf mobilen Geräten oder Applikationen, da
diese aufgrund von kleineren Displays oder anderen Einschrän- kungen darauf angewiesen sind. Die Einschränkung bestimmter Möglichkeiten oder die Vereinfachung gelernter Routinen kann demnach zu neuen und innovativen Lösungen führen. Das Erfolgsgeheimnis der Reduktion – im Funktionalen wie im Visu- ellen – kann auch auf herkömmliche Websites übertragen wer- den. Die Einfachheit, die uns bei vielen Apps begeistert, kann im Ansatz auch bei normalen Webseiten angewendet werden. Mit dem Ziel, den Zugang für den User am Ende einfacher und benutzerfreundlicher zu machen, muss bereits bei der Konzep- tion darauf geachtet werden, welche Inhalte überhaupt sinnvoll abzubilden und wie diese durch eine schlanke Informations- architektur zu erschließen sind.
Auf etwas zu verzichten erfordert immer auch den Mut dabei etwas zu verlieren. Aber vielleicht gewinnt man am Ende auch etwas Neues und Unerwartetes dazu. Die Aufgabe, Inhalte und Anforderungen neu und unvorbelastet zu durchden- ken, ist gerade in der Praxis nicht immer einfach. Zu viele Vorga- ben in Briefings, eingefahrene Vorstellungen und Erwartungen oder zu straffe Timings lassen neue Ansätze oft gar nicht zu. Dennoch zeigen uns viele Apps eine Richtung auf, die Inspira- tion und Vorbild für innovative und neue Konzepte sein sollte. damit sich das Web von morgen weniger wie eine »Online-Bro- schüre« anfühlt sondern vielmehr als hochwertige inhalts- und userbezogene Anwendung darstellt.
18DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Daniel Bretzmann www.eyegix.com www.graphito.net

03
Neue alte Marke: Der Markenauftritt der Espressomaschinenmanufaktur Olympia Express
Christian Hanke – Design Director bei EdenSpiekermann – betreute den Relaunch der alteingesessenen Espressomaschinenmanufaktur aus der Schweiz
und erzählt davon, wie sich langjährige Hochwertigkeit
in einem Erscheinungsbild widerspiegeln kann.
Nadine Roßa & Patrick Marc Sommer
Interview

20DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Christian Hanke
DMIG CH
Die Marke Olympia Express ist eine kleine Schweizer Manu- faktur, die in Handarbeit in der Schweiz hochwertige Espres- somaschinen herstellt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen dir und dem Unternehmen?
Der Kontakt kam über die Frankfurter PR-Agen- tur Klenk & Hoursch zustande. Die Agentur kannte ich schon länger und hatte bereits andere Projekte für sie gestaltet, u.a. für Elektrolux. Zunächst hieß es nur
»Die brauchen eine Website, ruf da mal
an!«, aber es stellte sich schnell heraus,
dass es eigentlich um eine Neu-Positio-
nierung einer Marke samt Markenre-
Also haben wir uns zu einem Kick-Off-Workshop getroffen. Ich habe damals schon bei EdenSpiekermann gearbeitet und das Projekt nach dem Workshop Erik vor- gestellt, aber das Budget war einfach zu klein für eine große Agentur. Erik meinte, ich solle es einfach alleine machen und so bin ich das Projekt auch alleine angegangen. Allerdings hat er
auch immer mal wieder wichtige Ratschläge gegeben.
>klenkhoursch.de
eher im November/Dezember war. Da ich das Projekt neben meinem normalen Job in der Agentur gemacht habe, bedeu- tete das viel »Nach-Feierabend« und Nachtarbeit. Und es musste auch so alles nebenher organisiert werden, die Büro- zeiten des Kunden waren ja auch tagsüber. Die Produktions- betreuung haben die Freunde von Zwölf gemacht, ich konnte ja nicht tagsüber mit den Druckereien kämpfen. Das war keine entspannte Zeit, da im Dezember unserer Tochter
launch ging.

geboren werden sollte. Aber meine Frau nahm das mit Humor und half noch abends mit das Lektorat zu kontrollieren. Die wichtigsten Druckerzeugnisse waren am Freitag vor der Weihnachtswoche in der Schweiz, unsere Tochter wurde am Montag geboren. Das war echt knapp. Die Kollegen aus der Agentur (Danke Eva, Erik & Ralf!) haben mir aber immer Rückhalt gegeben und mich auch mal gern nach Feierabend mit einem frischen Blick und Feedback unterstützt, was ich sehr wichtig fand. Ich habe ja die gesamte Art Direktion und Gestaltung alleine gemacht, da braucht man das ab und an.

CHRISTIAN HANKE
Der Zeitraum, den ich für das Projekt zur Verfügung hatte war knapp ein halbes Jahr, wobei die Stoßzeit dann
21DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

22DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Christian Hanke
DMIG CH
Kanntest du die Marke Olympia Express vorher?
Nein, aber Olympia Express ist in Deutschland auch nur als Geheimtipp bekannt. Vor 80 Jahren im Tessin gestartet mit riesigen Maschinen für die Gastronomie, ent- standen erst in den späten Sechzigern Espressomaschinen für den Haushalt. Vorher trank man Kaffee in der Kaffee-Bar.
>manufactum.de
In den 90ern wurden die Maschinen über Manufaktum in Deutschland vertrieben. Durch das Aufkommen der Vollau- tomaten in den 90er Jahren gerieten die Geschäfte in Turbu- lenzen. Daraufhin folgte ein Eigentümerwechsel durch eine Frankfurter Familie 2007. Da war ein Neuanfang samt Neu- Positionierung der Marke auch dringend notwendig. Und nach dem gelungenen Relaunch war die Resonanz in der
Im Zuge des Relaunch galt es in diesem Fall auch den Kern der Marke bewahren und schärfen. So wurde an Preis und Sortiment nicht gerüttelt. Denn der hohe Preis der Maschinen von fast 3.000 Euro erzeugt eine natürliche Exklusivität. Dies liegt im Qualitäts- anspruch als Schweizer Manufaktur begründet – da wird fast alles von Hand gefertigt. Und man muss ja auch nicht noch
Weiterhin beschränkte sich Olympia Express auf ihre zwei Kult-Espressomaschinen sowie eine Mühle. Mutig, wie ich fand. Gerade die »Cremina«, eine Handhebelmaschine, ist schon ein wenig aufwendiger zu Bedienen und eher so ein Männerding: »Whoa, ich habe den Espresso selbst erlegt!«. Man benötigt da auch ein wenig Übung, aber nach zwei Wochen hat man perfekten, handge- machten Espresso ist. Und er schmeckt wirklich fantastisch – so bin ich durch das Projekt zum begeisterten Kaffeetrinker
geworden.
23DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Presse auch sehr positiv.


ein Massenhersteller werden.

DMIG Christian Hanke
DMIG CH
Erzähl ein bisschen über die Arbeit am Erscheinungsbild.
Da der Markenauftritt einer 80-jährigen Manu- faktur nicht aus dem Nichts entsteht, gab es natürlich schon bestimmte Elemente, auf die man zurückgreifen konnte oder musste. Aber die Grundidee war ungefähr diese: Eine Schwei- zer Firma baut im italienisch-geprägten Tessin präzise Pre- mium-Maschinen für ein so sinnliches Produkt wie Kaffee. Das forderte eine Kombination aus Schweizerischer Präzi- sion, zeitlosem Design und italienischer Lebensart. Das hieß typografisch »Akkurat« trifft »Absara« und wenige Farben, wobei immer wieder das Schweizerische Rot auftaucht. Sehr scharfe, kühle Bilder in Frontal-Perspektiven zeigen das Material und überhöhen die präzisen Maschinen und deren
sehr zeitloses Understatement im Produktdesign.
Das Markenzeichen war eine Geschichte für sich. Es ist sym- pathisch und in der Schweiz bekannt, deshalb wollte ich es erhalten. Das Männchen im Markenzeichen stammt noch aus den 30er Jahren und zeigt einen Kellner mit einer dampf- enden Tasse Kaffee. Beine und Körper bilden ein schräges Y, was im Schriftzug wiederkehrt. Der Kellner wurde als Figur neu gezeichnet, in weiß umgefärbt und besser im Kreis posi- tioniert. Damit Beine und Arme auch harmonisch sind, habe ich länger herumgefeilt. Denn es sollte an die alte Form anknüpfen, sympathisch wirken und trotzdem in Bewegung
es unterschiedlich feine Varianten. Für den Manometer z.B. ist das Logo nur einige Millimeter groß und diese werden im Siebdruck bedruckt. Das war ein Kampf, bis der Kaffee-Duft wieder zu sehen war und man beim Zulieferer verstand, dass meine Beschriftungsdatei die Akkurat enthält und deshalb
keine Helvetica-Ziffern verwendet werden sollen.
Um die Hochwertigkeit der Marke wiederzugeben, musste natürlich mit Veredlungen im Druck gearbeitet werden. Die Visitenkarten sind geprägt und mit Sonderfarben gedruckt. Allerdings war das Papier ein Problem: während der Produk- tion gingen drei Papiermühlen Pleite und jedes Mal verän- derte sich das Papier minimal. Das einem Auftraggeber zu
Als kleines Detail wurden die Broschüren z.B. mit roten statt silbernen Heftklammern geheftet, die erstmal organisiert werden musste. Und das Heften war bei über 50 Seiten auch nicht einfach, denn es entstanden unschöne Abdrücke an den Stellen, an denen die Heftklammen eingeschossen wurden. Also musste die Dru- ckerei immer ein »blindes« Blatt um jede Broschüre mit- heften, das danach entfernt wurde. Die Drucker freuten sich immer schon, wenn ich kam. Aber wir haben dann natürlich auch die große Freude geteilt, als der »red dot : best of the
best« usw. eintrudelten.
sein.

Für die unterschiedlichen Anwendungen gibt

>Wikipedia Eintrag über Manometer
erklären ist undankbar.

24DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG CH
Wie bist du an die Drucksache wie Bedienungs- anleitungen, Handbuch usw. heran gegangen?
Für die unterschiedlichen Kommu- nikationsebenen gab es mehrsprachige Postkar- ten, Broschüren und für die Käufer ein echtes Besitzerbuch, das Stolz vermittelt. Und wie es zu einer kleinen, feinen Premium-Manufaktur passt, wählte ich ein kleines, individuelles Olympia Format für alle Publikationen von Postkarten bis Besitzerbücher: 124 x 186 mm. Zwei zu drei wie das Seitenverhältnis der Maschinen und pass- genau unter die Maschine zu schieben.
Und um so eine Traditionsmarke
erfolgreich neu zu definieren, braucht es auch
einen mutigen Auftraggeber. Einen, der zum Bei-
spiel bereit ist, mit den ungeschriebenen Geset-
zen der Branche zu brechen und statt der übli-
chen Gebrauchsanleitung jeder Expresso-Maschine ein aufwändig gestaltetes »Besitzerbuch« mit Markengeschichte, Espressorezepten und technischer Anleitung beizulegen. Es ist wirklich gruselig, was da mancher Maschine jenseits der 1.500 Euro als li—eblose Anleitung beiliegt. Das konnten wir
Natürlich spielt auch bei so hoch- wertigen Produkten deren entsprechende Abbildung eine große Rolle. Zum Glück hatte die Firma einen guten Produkt-
fotografen im Verwaltungsrat, der die Maschinen entspre- chend ins Bild setzen konnte. Bei Frontal-Aufnahmen im rechten Winkel und so viel poliertem Stahl ist die richtige Ausleuchtung eine Herausforderung und es muss fast das gesamte Studio weiß eingepackt werden, da es wie verrückt spiegelt. Es gab es auch einige historische Abbildungen aus Cafés aus den 40er Jahren und das jeweils erste Produktblatt der Maschine. Das zeitlose, schlichte Design der Maschinen
25DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
anders machen.

DMIG CH
ist nahe—zu unverändert geblieben und das sollte man auch
Ergänzend gab es Illustrationen für die ver- schiedenen Prozesse, die Hanna Hildenbrand gemacht hat. Ich hab sie gebeten sehr sachliche, edle aber irgendwie auch unspektakuläre Illustrationen zu machen. Für die Anleitung zum Milchaufschäumen probierten wir mit unserem Agen- tur-Latte-Art-Champion so lange, bis die mysteriösen Bewe- gungen—der Milch für perfekten Milchschaum verstanden
Als Schriften erwähnte ich bereits die »Akku- rat« und die »Absara« von Xavier Dupré. Die »Akkurat« zum einen weil sie eine Schweizer Schrift ist und sehr modern wirkt und weil sie im Vergleich mit der »Absara« einen guten Kontrast bildet. Ich bin ein großer Fan der Schriften von Xavier Dupré, vor allem die »Absara« ist sehr eigenständig und mit einer wunderbar herben Kursiven ausgestattet. Die Headlines und Navigation sind immer in der »Akkurat« gesetzt, im Fließtext unterschied ich technische Texte (Akkurat) von erzählenden Texten (Absara). Das hat sogar meine Schwester sofort erkannt, die mit Design eigentlich
nichts am Hut hat!
sehen.
waren.
>hannahildenbrand.de
×
ÜBER CHRISTIAN HANKE ×
Das Interview wurde während der TYPO Berlin 2010 geführt. Christian Hanke ist Design Director bei Edenspiekermann in Berlin.
Seit 2007 arbeitet für Auftraggeber wie Bosch, Rexroth,
Hering Berlin, Kia Motors, Manroland, tegut … und das ZDF. Darüber hinaus lehrt er Typographie an der HTW Berlin. 2003 gründete
er zusammen mit seinem Bruder Daniel J. Hanke, Director bei der PR-Agentur Klenk & Hoursch, hpunkt2, eine freie Gestaltungsgruppe
für Identität, Editorial Design und Illustration. Christian Hanke
studierte visuelle Kommunikation und Schriftgestaltung in Berlin, Leipzig und Chicago und war Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und
der Fulbright-Kommission. Seine Arbeiten als Gestalter wurden mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem red dot design award „best of the best“.
27DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 2/6
André Kura (Creative Director, Designair) www.designair.org
Hochwertig = Der in Form gebrachte, höchste Anspruch.
Boris Kahl (Magma Brand Design) www.magmabranddesign.de
Hochwertig bedeutet für mich: einmalig, selten, unbezahlbar, unersetzbar, rar, brillant, ausgezeichnet, Aufsehen erregend, aufwändig, vortrefflich, vorbildlich, großartig, bedeutsam, überragend, auffällig, erstrangig, einzigartig, glänzend, delikat, kostspielig, stabil, wertbeständig, stark, unverfälscht, unverwüstlich, dauerhaft, exquisit, solide, luxuriös, gediegen, achtbar, unzerstörbar, bewundert, strapazierfähig, echt, massiv, widerstandsfähig, geschätzt, nützlich, geliebt, vollkommen, schön, vollendet, fein, nobel, erstklassig, kostbar, unschätzbar, edel, geschmackvoll, auserlesen, exzellent, kultiviert, elitär, hervorragend, schmackhaft, erste Wahl, begnadet, vornehm, gepflegt, anmutig, gehoben, apart, mustergütig, attraktiv, überdurchschnittlich, exemplarisch, außergewöhnlich, sagenhaft, beeindruckend, famos, klassisch, überzeugend, nachhaltig, unübertrefflich, interessant, beispielgebend, nacheifernswert, beachtlich, klasse, bestmöglich, perfekt, grandios, leistungsfähig, überwältigend, makellos, meisterhaft, genial, außerordentlich, erstaunlich, optimal, herrlich, wundervoll.
28DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 2/6
Christian Büning (Büro Büning, Informationsgestalter) www.christianbuening.de
Für mich ist etwas hochwertig, wenn ich es entweder nicht pflegen muss, weil es von sich aus gut ist oder wenn es so gut ist, dass ich es unbedingt pflegen will.
Ich versuche, nur diejenigen Dinge zu kaufen, die eins von beiden erfüllen, was mir leider nicht immer gelingt.
Daniela Hensel (Professorin für Corporate Design und Editorial Design, HTW Berlin) www.htw-berlin.de
Besonders hochwertig ist für mich z. B. ein Geschenk, das so persönlich ist, dass
ich es niemand anderem schenken könnte. Den allergrößten Coup nach jahrelanger Geschenkepleite, habe ich letztes Weihnachten bei meinem Vater gelandet.
Ich schenkte ihm »Das große Laufbuch«. Dieses Buch wird nie einen Designpreis gewinnen. Es gleicht eher einer Gebrauchsanweisung für eine hoch komplexe Rechenanlage, als einer Motivationshilfe. Immerhin motiviert diese Sammlung von Pulswerten und Ernährungsplänen den ehemaliger Maschinenbauingenieur so
sehr, dass er sich nach jahrelanger Trainingspause wieder auf den Marathon vorbereitet. Ein hochwertiges Geschenk sagt nicht ich bin teuer, gut verarbeitet und gut designed, sondern, Du wurdest wahrgenommen! Im Grunde kann man diese Erkenntnis auf alle Geschäftsbeziehungen übertragen: Konsumenten, Kunden, Mitarbeitern, Patienten etc. Wir alle werden gerne wahrgenommen. Das ist hochwertig.
29DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 2/6
Detlef Wildermuth (European School of Design) www.europeanschoolofdesign.eu
Das Edelmetall Gold ist für mich hochwertig. Bei den aktuellen Kursen gerade in Form von ADC-Nägeln und Cannes-Löwen eine wertstabile Anlage.
Eike König (HORT) www.hort.org.uk
»hochwertig« sind für mich die dinge die man nicht für geld bekommt.
Elias Barrasch (Innovation Strategist, The Disruption Consultancy – a unit of TBWA) www.thedisruptionconsultancy.com Der Fokus bei hochwertigen Ergebnissen liegt gar nicht nur auf der Qualität der Ausarbeitung, sondern vielmehr auf der Bedeutungsebene: Die Idee, die zu mir passt, die mich tief berührt, die eine Reaktion auf das Zeitgeschehen ist und Angebote macht. Hochwertig ist etwas, wenn es Bedeutung schaffen kann.
Felix Görmann (Comiczeichner & – autor, flix) www.der-flix.de
Hochwertig sind für mich alle die Dinge, die mir beim Erstkontakt das Gefühl vermitteln: Du und ich, wir haben noch viel zusammen vor.
30DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 2/6
Finna Leibenguth (freiberufliche Illustratorin) www.wg-atelier.de
HOCHWERTIG bedeutet für mich, daß das Endprodukt optisch & haptisch einen bleibenden Eindruck hinterläßt. Es freut mich immer wahnsinnig, wenn sich jemand wirklich WAS GETRAUT hat, was nicht allen Regeln oder dem ewigen LESS IS MORE entspricht, aber trotzdem prima funktioniert. HOCHWERTIGKEIT braucht – neben aller Kreativität – vor allem Zeit, ein angemessenes Budget, ganz viel Vertrauen durch den Kunden und manchmal auch ein bißchen Mut, sich den zerpflückenden Kommentaren der lieben Kollegen zu stellen…denn irgendjemand findet ganz sicher ein Haar in der Suppe, obwohl man alles auf mindestens
5 verschiedene Arten genau richtig machen kann.
HD Schellnack (Nodesign) www.hdschellnack.de Hochwertig = Das, was bleibt.
Henning Horn (Initiator, Gründer und Vorsitzender Face to Face e.V.) www.face-to-face.eu
Hochwertig ist für mich alles, was mir ein Erlebnis, eine Problemlösung, einen Genuss bietet, der qualitativ weit über dem liegt, was üblich ist – ohne dadurch anderen Menschen zu schaden.
31DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

04
Premium British design: the Albertus typeface
von Dan Reynolds
Artikel
I first saw the Carter Sans design-in-process in October 2008. Since it reminded me
very much of Wolpe’s work, I instantly liked the typeface. In the spring of 2010, I was assigned to help complete the project.
Matthew Carter delivered most of the Regular, Bold, and Italic fonts. These
were already fitted, included had both oldstyle and lining figures. Based on this, I drew
a Bold Italic, and made a few interpolations. The character set was expanded, and
small caps were added to the family as well. During the four months that
I devoted to the project, I spent a good deal
of time analyzing other typefaces by Matthew Carter and Berthold Wolpe. This seemed appropriate, as Matthew Carter himself pre- pared the phototype fonts of Berthold Wolpe’s Pegasus typeface about 30 years ago.
Aside from this and Albertus, the two typefaces I consulted the most were
Verdana — probably Matthew Carter’s most successful sans serif — and Alisal, a serif typeface he developed for Monotype in 1995.
32DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Can type be valuable? Depending on your bud- get, font licensing may be expensive— Ruse, from the Enschedé Font Foundry (TEFF) costs at least ¤562. Yet, that fee only gives you access to font files … how does one judge the value of a typeface?
Personally, I do see some typefaces as priceless, because I cannot imagine how our environment would look if they would be remo- ved. One example is Albertus, a vintage 1930s design that is still in use today. The Monotype Corporation first released it between 1935 and
1940 (image 1) (1)
Since then, its letters have held a steady place in the history of graphic design, especially in Great Britain. Originally intended for use with Monotype’s hot-metal casting machines, Albertus has been converted into all
successive industry-standard font formats. (2)
1 The typefaces were as follows: Series 324, Albertus Titling, caps only, released 1935. Series 481, Albertus, upper and lowercase, released 1938. Series 534, Al- bertus Light, also upper and lowercase, released 1940. Series 538, Albertus Bold Titling, also caps only, unknown release date. Albertus Italic is of a much later date; Berthold Wolpe drew the
design in 1984. (See images 1 and 2)
2 Albertus was later made available for phototype-typeset- ting systems. Some digital Albertus fonts are bundled with Hewlett-Packard laser printers. Mono- type Imaging, Inc. released he most-re- cent digital version of Albertus, Albertus Pro, in 2007.
Image 1
Two pages showing the Albertus design as metal type (from the Riscatype Abridged Catalog. London: Yendall & Co. Ltd. Undated [1940s?]).
33DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Aside from Edward Johnston’s letters for the London Underground, few typefaces say “London” as much as Albertus does (image 3). In many ways, London is a city of immigrants, and Albertus is something of an immigrant as well. Berthold Wolpe (1905–1989), the designer behind Alber- tus, 3 began work on the typeface in 1932, while he was still working in Offenbach, Germany (image 4). Trained as a bronze chaser, Wolpe had been a student of Rudolf Koch at the Offen- bacher Kunstgewerbe- schule and a member of the Offenba- cher Werkstatt. On a visit to London, he met with Stanley Morison—Monotype’s typographical adviser. Morison was convinced that Wolpe’s raised bronze inscriptional lettering styles could be turned into a typeface (image 5). In 1935, because of his Jewish heritage, the German government for- bade him from continuing work as a graphic designer. He immigrated to England, where he spent the rest of his life, and career. (4)
I find the typeface valuable for its appearance (image 6), as well as for the role it plays graphic design and visual culture—for decades, Albertus was a run-away success. Wolpe used the typeface often, especially on Faber & Faber book jackets, but Albertus found use by many others as well. 5 The typeface proved valuable to me in a different way, as well. I recently worked on a project at Linotype where I was able to learn much from Albertus: Matthew Carter’s new typeface, Carter Sans. (images 7–9)
Image 3
Albertus is the typeface used on signage
in the “City of London” borough. Image
by Michael Bojkowski (http://www.flickr.com /photos/moos- ki/3153460990), a still
from his film “A Typographic Survey of the City of London”.
www.vimeo.com/2517434
34DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

35DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Image 5
Part of an Albertus type specimen from 1936. Scan from Berthold Wolpe, A Retrospective Survey. London: Victoria and Albert Museum and Faber & Faber Ltd (1980). True to its incised roots, the Albertus typeface features letterforms with a visceral character. The original design included alternate forms for M, W, and &. The current OpenType Pro fonts do not include alternate letters. However, while the form of the M in the digital font is
the standard form from the initial Albertus 1935 design, the forms of the W and & are actually the typeface’s original alternates.
The standard form of the M is quite similar tot he form used in Gill Sans.

Image 2
Albertus Pro Italic, based on drawings made by Berthold Wolpe for Monotype in 1984. The design for the Italic is five decades more recent than the design for the Roman. Additionally, the letters of the Italic are much nar- rower.
36DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

37
time analyzing other typefaces by Mat-
Image 7: Top left, A from Albertus Pro Light, based on the original Albertus types from Berthold Wolpe and Mono- type. Top right, A from the new Carter Sans typeface, drawn by Matthew Carter for ITC. Bottom left, lowercase a from Albertus Pro Regular. Bottom right, low- ercase a from Carter Sans Bold.
The Albertus typeface has proven
valuable to me in a personal way, as well:
a something of a design inspiration.
In 2010, I worked on a project for ITC
Image 7
where I was able to learn much from Al-
Top left, A from Albertus Pro Light, based on the original Albertus types from Berthold
bertus—Matthew Carter’s new typeface,
Wolpe and Monotype. Top right, A from the new Carter Sans typeface,
drawn by Matthew Carter for ITC. Bottom left, lowercase a from Albertus Pro Regular. Bottom right, lowercase a from Carter Sans Bold.
Carter Sans.
I firsatsoamwetthhineg CofardtesrigSnainspdiraetsioing.nI-n 2010, I worked on a project for ITC where
DMIG Magazine — Nr 6
März 2011
The Albertus typeface has proven valuable to me in a personal way, as well: I was able to learn much from Albertus—Matthew Carter’s new typeface, Carter Sans.
in-process in October 2008. Since it reminded me very much of Wolpe’s work, I instantly liked the typeface. In the spring of 2010, I was assigned to help complete the project. Matthew Carter delivered most of the Regular, Bold, and Italic fonts. These were already fitted, included had both oldstyle and lining figures. Based on this, I drew a Bold Italic, and made a few interpolations. The character set was expanded, and small caps were added to the family as well.
During the four months that I devot-
ed to the project, I spent a good deal of
thew Carter and Berthold Wolpe. This
seemed appropriate, as Matthew Carter

ABCDEFGHIJKLM&
ABCDEFGHIJKLM&
NOPQRSTUVWXYZ
NOPQRSTUVWXYZ
abcdefghijklm
Im
Typ ond San and typ low x-h
Image 8
First and third rows – Open-Type Pro version of Albertus Light. Second and fourth rows – the new Carter Sans typeface,
from ITC. Letters drawn and spaced by Matthew Carter. Both typefaces have been resized so that the capital letters are shown at the same height.
abcdefghijklm
Image 9: First and third rows – Open- Image 9
abcdefghijklm
are shown at the same x-height.
nopqrstuvwxyz
Dan Reynolds is a font engineer and typographic specialist at
×
and spaced by Matthew Carter. Both typefaces have been resized so that the lowercase letters are shown at the same x-height.
ÜBER DAN REYNOLDS ×
Linotype GmbH, a Monotype Imaging company. Working in the font
development group, he helps bring new releases from the ITC,
nopqrstuvwxyz
Linotype, and Monotype libraries to market. He blogs from time to
time at www.typeoff.de
Image 8: First and third rows – Open- Type Pro version of Albertus Light.
Second and fourth rows – the new
abcdefghijklm
height. nopqrstuvwxyz nopqrstuvwxyz
Carter Sans typeface, from ITC. Letters
drawn and spaced by Matthew Carter.
Both typefaces have been resized so that
the capital letters are shown at the same
Type Pro version of Albertus Light. Sec-
First and third rows – Open-Type Pro version of Albertus Light. Second and fourth ond and frowusrt–hthreownesw–CtahrternSeawnsCtyapretfearce, from ITC. Letters drawn and spaced by
Matthew Carter. Both typefaces have been resized so that the lowercase letters
Sans typeface, from ITC. Letters drawn
38DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
a
s
e e e

05
Die Gestaltung von Handelsmarken
Interview mit Prof Matthias Beyrow
von Nadine Roßa Interview
Wahrscheinlich ist allen folgende Situation bekannt: der Einkauf im Supermarkt des Vertrauens führt an unzähligen Regalen mit noch unzähligeren Marken vorbei, die
sich qualitativ – und das ist dem mündigen Verbraucher natürlich bekannt – oft wenig bis gar nicht unterscheiden. Also trifft man
eine Kaufentscheidung egal, ob bewusst oder unbewusst, nach Preis und Gestaltung. Und genau das ist sehr eng aufeinander abgestimmt.
Gerade die niedrig preisigen Handelsmarken scheinen das auch in der Gestaltung wiederzuspiegeln. Aber so einfach ist es nicht ist, wie uns Matthias Beyrow (Professor für Corporate Design) von der
FH Potsdam in einem Interview bestätigte.
Er hat mit seinem Studenten überlegt,
wie man Handelsmarken auch optisch anspre- chender gestalten kann.
39DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Matthias Beyrow
Im Sortiment vieler Supermarktketten sind Handelsmarken ein wichtiger Bestandteil. Sie tragen einen erheblichen Anteil zum Umsatz bei. Und doch werden sie – zumindest aus gestalterischer Sicht – meist stiefmütterlich behandelt. Warum ist das so?
Die Produkte der Handelsmarken sind tech- nisch nicht per se »reudiger« verpackt oder unaufwändiger bedruckt als Markenprodukte. Auffällig aber ist, dass für Handelsmarken kaum eine eigenständige Visualität entwi- ckelt wird. Ein Prinzip von Handelsmarken ist, dass sie sich qualitativ an Markenprodukten messen lassen, sie indes als die „günstigere“ Alternative positioniert werden. Daher rührt es wohl, dass Handelsmarken die gleichen Gestaltungsele- mente nutzen, wie es etablierte Markenprodukte tun. Aller- dings setzen sie sie handwerklich oft schlechter in Szene. Warum? Aus Angst, »zu teuer« zu wirken? Möglicherweise hält sich der Verdacht, dass günstige Produkte auch preiswert aussehen müssten. Im europäischen Ausland gibt es Beispiele für vorbildliche Handelsmarken: Migros in der Schweiz macht es vor, Coop kann es in Italien sehr gut. Die Botschaft aus diesen Beispielen: Wenn man einmal in ein intelligentes visuelles System investiert, kann über Jahre gutes Verpa- ckungsdesign produziert werden.
„Viel Spass macht Juliana Hesses Arbeit ‘Nimm mich!’. Griesgrämige Betrachter würden das als Anmaßung bezeichnen – mich dagegen erfreut diese unverstellte, affirmativ-kaufmännische Geste, die
das Spiel von Versprechen und Verkaufe mit einem Lächeln für sich entscheidet
– man lese nur mal die Texte!“
In der Gestaltung sind Verpackungen von Handelsmarken oft sehr minimalistisch angehaucht. Man arbeitet mit viel Freifläche und wenigen Farben. Gibt es so etwas wie ein typisches Gestaltungskonzept für Handelsmarken?
Sind sie wirklich minimalistisch? Die Handels- marke »Ja!« war früher minimalistisch: weißer Grund, große Marke in Bauklötzchenblau, kleingesetzte Konkretisierung der Ware, keine Produktfotos, alles schräg. Aber auch »Ja!« hat sich verändert. Inhaltlich verwenden Handelsmarken die gleichen Elemente wie Markenartikler: Branding, Produkt-
40DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

41DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Matthias Beyrow
DMIG MB
bezeichnung nebst Beschreibung, Produktfotos, Bebilde- rung der Herkunft, Garnierempfehlung, farbverlaufende Hintergründe etc. Sie plappern unablässig um zu beweisen, dass sie „auch gut“ sind. Und dafür werden die Regler ganz weit aufgedreht: die Farben übersättigt, alles groß abgebildet und das Label kann man nicht mehr übersehen. Minimalis- mus gönnt sich im Gegenteil das Premiumsegment. Ein Bei- spiel: Weihenstephan war – als es noch aus der gleichnamigen Agrarforschungsanstalt kam – ein hochpreisiges Milchpro- duktesortiment, das nur weiße Typo und sein weißes Wap- pen auf dunkelblauem Grund zeigte. Keine Kühe, kein Milch- erguss, keine Almromantik. Irgenwann kamen die Erdbeerfotos dazu und mittlerweile müllert Weihenstephan ähnlich laut wie der Rest im Kühlregal. Oder nehmen wir Kartoffel-Chips: Die Premiummarken stecken ihre Chips in monochrome, matte Tüten mit ausgefeilter Typografie. Sie kosten den doppelten Preis vergleichbarer Markenprodukte und etwa den dreifachen von Handelsmarken. Reduktion wäre, und da stimme ich Ihnen zu, eine Chance für Handels- marken gewesen, sich als qualitative Alternative neben den Markenartiklern zu positionieren.
In Deutschlands Supermärkten waren die ›günstigen‹ Eigen- marken lange Zeit die alleinigen Hausmarken gewesen. Mit der veränderten Einstellung zum Essen gibt es nun auch neue Eigenmarken: von Bio über Fairtrade bis zu eigenen Edel-
marken ist alles dabei. Bei denen wird entsprechend viel Wert auf gute Gestaltung gelegt. Ist das nicht ein Widerspruch? Dieses Segment kann doch eigentlich von großen Marken bedient werden?
Das Paradoxon der Handelsmarken ist, dass sie ursprünglich den Konsumentenwunsch nach Markenver- weigerung bedienen, darin aber ihrerseits zur Marke werden. Kaiser’s/Tengelmann führt mit ›A&P‹ und ›Starmarke‹ gleich zwei Handelsmarken für unterschiedliche Preissegmente, daneben aber noch weitere für bestimmte Produktqualitäten. An Ihrer Frage bleibe ich an der Formulierung ›Wert auf gute Gestaltung legen‹ hängen. Handelsmarken sind nicht unge- staltet! Und Premium-Handelsmarken, wie ›Starmarke‹, sind nicht per se gut gestaltet. Es scheint aber, dass die Gestaltung der Handelsmarken äußerst defensiv betrieben wird: nur nicht ›zu‹ edel, nur nicht ›zu‹ klug, nur nicht ›zu‹ eigen. Als ob sich der Durchschnittsgeschmack aller Käuferschichten in einer Verpackung finden lassen müsste. Daraus resultieren die bekannten Durchschnittsverpackungen im schlimmsten Sinne.
Sie haben sich mit Ihren Studenten einer dieser Marken angenommen, der Marke A&P – Attraktiv & Preiswert – von Kaisers, die zwar preiswert aber optisch wenig attraktiv ist. Wie lautete die Aufgabenstellung für die Studenten?
42DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Die Gestaltung von Handelsmarken Interview mit Professor Matthias Beyrow

„Viel ernster nimmt Felix Barthelt das Thema: Fein illustrierte Themenmuster bilden den
Gesamtauftritt der Verpackung – gebrochen durch weiße Aufkleber, die für die bürokratischen
Details zuständig sind … Verpackung als Tischschmuck!“
43DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Matthias Beyrow
DMIG MB
Die Aufgabe war, visuelle Konzepte für eine Han- delsmarke im niedrigen oder höheren Preissegment der Kaiser-Tengelmann-Gruppe zu entwickeln. Dabei trainierten meine Studenten das konsequente Deklinieren einer Gestal- tungsidee für die ganze Breite der Verpackungstypen: von Tetrapaks über Gläser und Becher bis hin zu Beuteln und Schachteln. Ziel war die Entwicklung von Alternativen zum oben benannten Markendilemma.
Wurde das Projekt Kaisers jemals vorgestellt und falls ja wie waren die Reaktionen darauf?
Nein. Es handelte sich lediglich um einen Stegreif- entwurf ohne jede Absprache mit Kaiser’s/Tengelmann als Kooperationspartner. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Vorschläge wirklich gänzlich anders aussehen. Vor Kurzem erst ist die Eigenmarke A&P renoviert worden. Aus dem tamponförmigen Träger der Buchstaben A&P ist ein richti- ges Oval geworden, das auf einer fließenden Ecke mit Schwer- punkt rechts oben schwebt. Die drei Farben Blau, Rot und Gelb wurden auf zwei reduziert – A&P ist nur noch Rot mit einer klei- nen gelben Intervention. Darunter ein weißer Grund mit Pro- duktfotos. Neu gedacht wurde nicht – lediglich handwerklich halbwegs ordentlich sortiert. Aber mit dem branchenüblichen Rückfall auf leckere Aufnahmen etc. Vielleicht wäre es hilf- reich gewesen, wenn wir unsere Ergebnisse vorgestellt hätten …
Eine der Arbeiten schreibt das Konzept direkt auf die Verpa- ckung: „Nimm mich!“ Genau das wollen die Supermarktket- ten ja. War es Teil der Aufgabenstellung sich von der eher plumpen Bezeichnung „Attraktiv & Preiswert“ zu lösen?
Das lag im Ermessen der Studenten. Andere haben die Abkürzung A&P neu gestaltet. Die Qualität des Entwurfs »Nimm mich« von Juliana Hesse ist die frappierende Ehrlichkeit. Wie wohltuend, wenn Marken kein Konsumer- leben heucheln oder Genuss strapazieren, sondern zum ehr- lichen Marktschrei avancieren. A&P ist in der Tat ja ein wenig albern. Entweder ich sage den Leuten, was sie partout erwar- ten sollen – so macht es »gut und günstig« (Edeka), oder ich überrumple sie nassforsch mit Positivismus – so macht es »Ja!«. Oder ich suggeriere den Konsumenten Herkunft, wie z.B. »Birkenhof« oder Bio, wie »Naturkind« (beides Kaiser’s/ Tengelmann). A&P ist ein Neutrum, das sich statt einer klaren Aussage hinter Unaussprechlichkeit verschanzt.
Gibt es eine bestimmte Typografie für Handelsmarken?
Es gibt Produktsparten, bei denen man Typiken ausmachen kann: je günstiger desto serifenloser und ggf. kur- siv. Bei Sekt ist es einfacher: je mehr Edelmetall und Schatten, desto günstiger. Gott sei Dank gilt das nicht für Handelsmarken.
44DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

„Etwas metaphorischer arbeitet Astrid Höffling, die das Prozentzeichen als abstrahierten Träger für das Preisgünstige verwendet und in ein farbig variables Muster münden lässt.“
45DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Matthias Beyrow
DMIG MB
Die Kaisers A&P Marke bezeichnen Sie selbst als Negativbei- spiel. Gibt es eine Handelsmarke, von der Sie persönlich den- ken, dort hat man aus gestalterischer Sicht alles richtig gemacht?
Bei REWE sind vernünftige Ansätze zu sehen. Auch bei tegut ist das so. EDEKA wirkt ziemlich ehrlich, sel- biges gilt für Ja!. Alle genannten sind jedoch sehr dem diffu- sen »appetite appeal«-Diktat verhaftet, das ich persönlich bezweifle. Der Konsument glaubt doch nicht dadurch an Milch, dass eine Kuh auf der Packung grast. Und er bekommt auch nicht erst dann Hunger auf Pizza, wenn ein leckeres Bild davon im Tiefkühlregal aufgestapelt ist. Unübertroffen finde ich »M Budget« – die »Billigmarke« von Migros (Schweiz) – weil diese sich traut, wirklich preiswert auszuse- hen und dies als orangefarbenes Signal auf grünem Typomus- ter eindeutig setzt.
Wie sehen Sie persönlich die Zukunft von Handelsmarken, sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus gestalterischer Sicht?
Jede Konsumentscheidung ist letztlich eine zwi- schen Prestige und Pragmatismus. Die psychologischen Gründe zur Wahl des einen oder anderen sind vielschichtig. Fakt ist, dass zum Erfahrungsschatz jedes Menschen gehört, sich in Produkt-Vorurteilen zu täuschen. Wenn ein Konsu-
ment mehrfach erlebt, dass ein teures Markenprodukt nicht besser als das günstige Handelsmarkenprodukt ist, wird er auch vermehrt zur preiswerteren Alternative greifen – es sei denn, er will sich zusätzlich mit dem Nimbus einer Marke ausstatten. Andererseits besitzt auch Markenverweigerung mittlerweile eine soziale Signalfunktion. Nicht anders ist die Akzeptanz von Aldi bei Besserverdienenden zu erklären. Entscheidend ist, dass die naturgemäß skeptisch beäugten Handelsmarken ihren Qualitätsanspruch ehrlich halten. In manchen Bereichen, wie z.B. Milch, scheint es mir wenig Grund dafür zu geben, länger »Markenmilch« anzubieten, da die Entscheidung hier nicht zwischen Marken- und Eigen- markenprodukt getroffen wird, sondern zwischen Massen- oder Individualprodukt. Entweder, der Konsument gibt sich mit Massenwaren zufrieden – dann reichen Produkte von Handelsmarken aus – oder er möchte sicher sein, dass die Milchkühe gut behandelt wurden und dass auch die Landwirte gut davon leben können. Dann muss es aber eher eine Kombi von ›Bio‹ und ›FairTrade› sein, deutlich mehr als bloße ›Marke‹.
46DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Die Gestaltung von Handelsmarken Interview mit Professor Matthias Beyrow

… und schließlich Linda Kantchev. Sie tritt den Beweis an, dass man mit Würstchen, Käse & Co. schreiben kann und entwickelt daraus ein Verpackungs- konzept, das viel von dem ‘Alternativen’ in sich trägt, die der Konsument
gern den Handelsmarken andichtet und das zudem noch lustig ist.
47DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

06
VORSICHT GLAS 5 BUY LOW SELL HIGH
von HD Schellnack
Kolumne
×
DER CHEMIEKASTEN DESIGN ×
Im Gespräch mit Kollegen wird mir immer wieder klar, wie wun- derbar breit gefächert unser Berufsfeld als Designer eigentlich ist. Ich kenne kaum ein Handwerk, das unter einer scheinbar klaren Bezeichnung so viele unfassbar verschiedene Ausprägun- gen einer Tätigkeit unterbringt. So definieren sich beispielsweise Designer, die aus dem Illustrativen zum Design kommen, immer eher als eine Art Künstler. In der klassischen Werbung oder auch bei größeren Corporate-Design-Anbietern fließt hingegen gern ein strategischer oder betriebswirtschaftlicher Aspekt mit ein. Manche Kollegen arbeiten fast nur auftragsbezogen, andere seit Jahren mehr oder minder frei, sind sich selbst der beste Auftrag- geber. Was viele Designer aus den jeweiligen unterschiedlichen Bereichen als scharfe Gegensätze betrachten, die es auszufech- ten gilt, – als gelte es, einen einheitlichen, nämlich ihrer eigenen Sicht entsprechenden und insofern «richtigen» Design-Begriff durchzusetzen – , sehe ich eher als dynamische Morphologie einer Tätigkeit, die durch ihre Natur ganz einfach unterschied- lichste Formen annehmen kann und vielleicht im Sinne der eige- nen Weiterentwicklung auch muss. Unter dem Deckmantel «Design» gibt es eine Vielzahl von Subspezies, in denen sich jeder seine eigene Lebens-Nische schaffen kann, was insgesamt eine große Stärke dieser noch durch recht wenig Regeln standar- disierten Branche ist. Ich interpretiere meinen Beruf entspre-
48DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

chend – meinen eigenen Interessen folgend – als eine Mischung aus Unternehmensberater, Sozialpsychologe, Architekt und Dra- maturg. Und nicht zuletzt vielleicht auch als Chemiker … oder besser gesagt als Kind, das mit einem Chemiebaukasten experi- mentiert und dabei mal ein BUMM mit einer wunderbar dicken schwarzen Rauchwolke erzeugt, mal aber auch nur ein pfffff! mit seltsam riechender Brühe als Ergebnis.
×
NIEMAND WILL HÄSSLICH SEIN ×
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir alle, egal wie wir uns unseren Beruf selbst zurecht definieren, nach «hochwertigen» Arbeitsergebnissen streben. Niemand wird absichtlich schlechte Arbeit machen wollen – selbst der aggressivste Antidesigner ver- sucht noch, auf möglichst ästhetische Art hässlich zu wirken, selbst Punk hat seine eigenen Regeln von miss- und gelungenen Szene-eigenen Ästhetiken, die das Genre von Außenseitern schützen. Hochwertigkeit ist insofern kein neutraler, absoluter Begriff, sondern eine individuelle Definition, wie ja auch die vie- len Diskussionen, die Gestalter mit Auftraggebern immer wieder haben, zeigen – die persönlichen Definitionen von «erfolgrei- chem Design» sind oft nicht kongruent. Während man über Geschmack eigentlich kaum streiten kann, sind individuelle Vor- stellungen von Hochwertigkeit oft gut begründbar und sehr unterschiedlich. Deshalb hilft die Auseinandersetzung dem Designer auch, zu verstehen, was der Auftraggeber unter einem
Design versteht, das BUMM macht, und kann manchmal zu einem wichtigen Teil des Gestaltungsprozesses werden – form follows discourse. Denn während der Designer vielleicht nur eine möglichst ästhetische Lösung anstrebt, und für ihn ein Design hochwertig ist, das möglichst «gut» aussieht, kann der Auftraggeber verständlicherweise ganz andere Parameter für «hochwertig» haben – etwa ganz banal ein Design, dass den Umsatz ankurbelt. Ich glaube nicht an den immer wieder herbei zitierten Unterschied zwischen «Ästhetik» und «Umsatz», an den manche Kollegen, vor allem aber leider viele Klienten glau- ben – Design ist dann hochwertig, wenn es gut aussieht und wirkt. Und es ist eben nicht so, dass Holzhammer-Gestaltung besser verkauft (auch wenn viele Klienten das denken). Ein Blick auf die meisten Anzeigen zeigt, dass keine große Marke wirklich glaubt mehr Umsatz zu generieren, indem sie potentielle Kun- den anbrüllt. Gute Gestaltung hebt den Umsatz, indem sie sou- verän wirkt. Die Frage ist: Wie kriegt man im Chemiebaukasten eine Mixtur hin, die nicht nur eine tolle Färbung hat, sondern auch noch ordentlich knallt?
× SCHEISSE UND GOLD ×
Als Designer sind wir alle in der Lage, Scheiße in Gold zu ver- wandeln. Wir sind Meister des Lackierens und Kaschierens. Wie versierte Präparatoren können wir noch die schlimmste Leiche sexy aus dem Sarg winken lassen. Ich weiß nicht, wie es euch
49DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

geht, aber in unserem Studioalltag kommt es immer wieder vor, dass wir in der letzten Sekunde, wenn ohnehin alles brennt, aus mauen Texten und schlechtem Bildmaterial irgend etwas noch halbwegs Überzeugendes zusammenmixen – Headlines um- schreiben, Fotos «aufhübschen“; aus zu niedrigen Budgets etwas melken, was nicht so ganz peinlich wirkt, wie es in der Preis- klasse eigentlich sein müsste; ex post eine Strategie herbeizau- bern, wo nie eine vorhanden war. Das ist so, das war immer so, das wird immer so sein, und ich fasse diesen Veredelungsprozess inzwischen auch als zentralen Teil der Arbeit auf – ein guter Koch muss immer auch mit armseligen Zutaten ein einigerma- ßen überzeugendes Gericht kochen können, ein Handwerker auch mit einem schlechten Werkzeug noch passable Arbeit abliefern.
Tatsächlich ist diese Verwandlung im Chemiebau- kasten des Designs ein Prozess der Mehrwertschaffung. Längst übernehmen Designer die strategische Planung, positionieren Unternehmen durch konzeptionelle Ideen und klare visuelle Sprache, retten miserable Ansätze und werten fast en passant im Layout dann noch lese-feindliche Texte auf. Ein Designer, der sein Geld halbwegs wert ist, wird immer mittel- oder langfristig durch eine Mischung aus Enthusiasmus und Können einen spür- baren Mehrwert für eine Marke oder ein Produkt schöpfen, der nicht aus dem Unternehmen selbst kommt, sondern erst im nachgelagerten Veredelungsprozess entsteht. Das ist der banalste Kern angewandten Designs: Der Auftraggeber liefert Zinn und wir produzieren natürlich kein Gold, aber zumindest doch
soliden Stahl oder mit etwas Glück sogar Silber. Wenn man uns denn lässt.
Jeder von uns tut das. Wir Designer versuchen stets, den Klienten davon zu überzeugen, seine EIGENE Sache besser zu machen als er es eigentlich tut. Ich kenne keinen Designer, der stundenlang mit einem Auftraggeber über ein Logo debat- tiert, weil er das nun persönlich gerade zu seinem Glück braucht – wir alle tun das, weil wir wissen, dass der Kunde im Endeffekt von der durchdachteren Lösung profitieren wird, selbst wenn er das akut vielleicht noch nicht so sieht. Die Aufgabe des Designers ist ja schließlich, die Zukunft zu schmecken.
Was wir in diesem Prozess machen, ist im Grunde Aktien niedrig kaufen und sie zu einem deutlich höheren Wert wieder verkaufen, wie Sanierer in ein marodes Unternehmen gehen, die Sache wieder ins Rollen bringen und mit Gewinn wei- terverkaufen; mit dem Unterschied, dass es nicht unser Gewinn ist, sondern der des Auftraggebers. Wir verwandeln Zinn in Silber und behalten das Silber nicht für uns, sondern bringen es brav zu demjenigen zurück, der uns das Zinn geliefert hat (gegen ein gemessen an der tatsächlichen Mehrwertschaffung meist eher moderates Honorar).
Ob bei der großen Markenbildung oder nur einem kleinen Internetauftritt – mit Wissen und Leidenschaft (Leiden und Wissenschaft) mischt der Designer Qualität aus den pro- fansten Stoffen. Und oft fast beiläufig – ich erinnere mich an
50DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

einen Fall, wo wir für ein großes Unternehmen einen Webauf- tritt machen sollten und in diesem Prozess heraus fanden, dass die Firma keinerlei Ordnung in ihrer Produktlinie hatte, was vielleicht erst auffällt, wenn man die Produkte in das navigierbar logische Gerüst einer Site strukturieren will und feststellt, dass es keine sinnvollen Produktgruppen gibt, Produkte teilweise doppelt existieren, andere wichtige Marktkategorien aber gar keine Produkte haben. Ergebnis des Prozesses war eine Bereini- gung der Produktpalette, eine erfolgreiche Straffung von Marke- tingstrategien und mehrere komplett neue Produkte, die klaf- fende Lücken füllten und deshalb binnen kurzer Zeit erfolgreich liefen. Ich bin sicher, ihr alle kennt solche Prozesse von «Abfall- produkten» des Designprozesses, die oft wertvoller für ein Unternehmen sind als die ursprüngliche Aufgabe, für die man engagiert wurde. Wir alle zaubern Teflon in unserem Chemie- baukasten. Hat der Auftraggeber offene Ohren und Interesse an Erfolg, mündet Design in Effekten, die weit über das Gestalten eines Geschäftsberichtes oder einer Website hinausgehen. Design ist angewandte Unternehmensberatung.
Die kommunikative Wasseraderfindung und Auf- wertung, die gutes, engagiertes Design für ein Unternehmen oder eine Einrichtung bedeutet, ist so signifikant für deren Erfolg, dass Design (und eben nicht nur die Produktdesign) längst neben Preis, Qualität und Service der zentrale Faktor in der Wertkette von Produktion zu Verkauf ist. Design ist überra- schend oft mehr als ein Deckmäntelchen, sondern offenbart eine Haltung der Unternehmen, die auf gutes Design setzen, die tiefer
geht und die einen Respekt vor den Kunden sowie Liebe zum eigenen Produkt zum Ausdruck bringt.
× EVERYTHING COUNTS … ×
Aber das Chemiebaukasten-Kind in mir weiß, dass unsere Mix- turen besser werden, wenn die Rohstoffe reiner sind. Insofern ist für mich die Frage nach wirklicher Hochwertigkeit immer eine Frage, die zu den Zutaten führt – Qualität entsteht immer am besten aus Qualität. So spannend es sein mag, aus Fast-Food- Zutaten ein gutes Gericht zu zaubern, so sehr weiß doch jeder Koch, dass erst frische Zutaten, eine einwandfreie Qualität von Gemüse oder Fleisch, kleinste stimmige Details in den Aromen, zu einem wirklich phantastischen Gericht führen. Detail ist alles, alles ist Detail. Auf unsere Arbeit übertragen sind es zunächst ganz offenbar lesenswerte, mit Liebe geschriebene und involvie- rende Texte und gute, ästhetisch sowie technisch einwandfreie Fotos. Das klingt genauso einfach wie es ist, aber im Alltag ist unfassbar, wie viel Energie man in genau diese Banalität stecken muss. Wie oft habt ihr im Kleinen oder Großen schon versucht – immer mit der Angst im Nacken, den Auftraggeber mit eurem Interesse an den Details auch noch zu vergraulen – , Material nachbessern zu lassen oder selbst zu überarbeiten, selbst wenn es mit eurer ureigentlichen Arbeit nicht direkt verbunden ist, weil ihr einfach glaubt, dass diese Zutaten für ein überzeugendes Endergebnis essentiell sind? Ich würde wetten, jeder von euch
51DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

tut das permanent und fragt sich in schwachen Stunden, warum man sich eigentlich so beherzt um Dinge kümmert, die dem Klienten scheinbar egal sind, anstatt den Shit einfach zusammen zu klotzen und stumpf das Geld zu kassieren. Aber macht euch nichts vor – gerade die Tatsache, dass ihr auf Qualität besteht, den Auftraggeber zu überzeugen versucht und motiviert, dass ihr Entwürfe ändert, nachbessert, Texte umschreibt, Bilder neu anfragt, Logos in Vektorqualität auftreibt und immer wieder und wieder an den Details schmirgelt und feilt… gerade diese Tatsa- che macht euch erst zu guten Designern. Es mag wie aufreiben- der Alltagskleinkram wirken, aber es ist die Essenz unserer Arbeit – Dinge besser machen. Nicht mit den Schultern zucken, nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Kompro- misse machen (und suchen), aber immer wieder jeden Morgen neu an den Schreibtisch zu gehen und um das Beste zu kämpfen. Die Qualitätssicherung im Kopf, der Versuch, immer das Best- mögliche herauszuholen und das am schlimmsten Denkbare zu vermeiden. Designer wollen die Nutzbarkeit und die Wirkung dessen verbessern, was sie entwickeln – und das nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen.
×
DAS GROSSE GANZE ×
Es ist insofern eine oft logische Konsequenz guten Designs, dass es langfristig auch ganze Prozesse beim Auftraggeber optimieren kann. Die Wertschöpfung am Ende hat das Potential, zurück-
strahlen in die Produktion und Planung, wenn der Klient in der Lage ist, die Anregungen des Designers intelligent aufzugreifen und umzusetzen. Der Design-Chemiker schließlich nimmt ja das Produkt in seinem Labor unter die Lupe, zentrifugiert es, findet die Essenz, aber auch die Schwachpunkte und kann aktiv helfen, die Markenkommunikation drastisch aufzuwerten. Tat- sache ist, dass Design erst dann messbar wirken kann, wenn es als Planungsparadigma gedacht wird und nicht nur als «Hoppla, wir müssen ja auch noch Werbung machen»-Notlösung am Schluss stattfindet. Eine solide Zielgruppen- oder Marktanalyse, eine saubere Strategie mit stets evaluierbaren Zielen, ein diesen Zielen und dem Unternehmensvolumen angemessenes Budget, aber auch ein ehrlich gutes Produkt, ein motivierter Verkauf und guter Service – all diese Zutaten sind für erfolgreiches Design entscheidend, sie sind Aspekte des ganzheitlichen Designs und sollten aus der Perspektive des Designs kritisch betrachtet wer- den. Je solider das Fundament, umso wirksamer kann Design wirken. Natürlich kann man mit einer schicken Package auch furchtbaren Müll verkaufen – aber langfristig funktioniert das nicht, in Zeiten von Online-Foren zur Bewertung von tatsächli- cher Nutzererfahrung mit einem Angebot weniger denn je. Echte Substanz entscheidet, die Einheit von inhaltlicher Qualität und im Marketing gegebener Versprechen. Ziel eines guten, integ- rierten Designs ist also eben nicht, Zinn in Stahl zu verwandeln, sondern dafür zu sorgen, dass da von Anfang an gutes Erz geför- dert wird, das Ziel ist Ehrlichkeit. Ein guter Designer wird sich also für jedes kleine Detail dessen interessieren, was er am Ende «verpacken» soll – und ein guter Auftraggeber weiß, wie wertvoll
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VORSICHT GLAS 5 — BUY LOW SELL HIGH

der Input eines engagierten Designstudios für sein Unterneh- men ist. Auch wenn der Begriff des «Design Thinking» inzwi- schen ziemlich abgenutzt ist – in der Praxis ist es so simpel wie nahe liegend, und auch keineswegs neu, von Anfang an und in jedem Lebensprozess einer Einrichtung darüber nachzudenken, welche Ziele man hat und wie man sie evolutionär und langfris- tig erreicht. Will Gestaltung am Ende erfolgreich sein und be- gründbar funktionieren, tut der Auftraggeber sich immer selbst den größten Gefallen, wenn es von Anfang an eine Philosophie des runden Tisches gibt, in der er und sein Designer im Diskurs die beste Lösung erarbeiten, sich an die Essenz der gemeinsamen Hochwertigkeit heranarbeiten. Egal, was man tut, ob Schrott- handel oder Theater, Autobau oder Architektur – es gibt immer mehrere passende Wege, in seinem Feld die bestmögliche Arbeit zu tun. Design ist die Landkarte, mit der man diese Wege findet, denn die Manifestation von Intelligenz in der Konzeption, Pro- duktion und im Marketing ist nun einmal ein Designprozess. Was liegt näher, als Designer, deren ureigenstes Interesse es ist, Prozesse so reibungslos und funktional wie nur eben möglich zu gestalten, und die ja schon am Ende der Kette einen spürbaren Mehrwert schaffen, von Anfang an einzubinden? Design, von Anfang an richtig gemacht, erzeugt Hochwertigkeit als Folge von Aussiebungsprozessen, von Optimierungen, von kritischem Denken und Besser-Machen-Wollen. Designer sind die Wissen- schaftler des Alltags, die von dem Trieb beherrscht sind, die Dinge optimieren zu wollen. Das Richtige ist dabei dann das Funk- tionierende, ist das Schöne, ist das Erfolgreiche – es gibt keinen Gegensatz mehr zwischen «verkauft sich» und «sieht gut aus»
×
AUF DEM MASKENBALL DER VERPACKUNGSKÜNSTLER ×
Derzeit geht es bei Design sehr viel um die Oberfläche, den Style. Das mag daran liegen, dass primär auf Schaueffekte setzendes Design, das keine Auseinandersetzung fordert, sich in reizüber- fluteten Pitches, in rasant durchgeklickten Online-Portfolios und bei hektischen Jury-Entscheidungen einfach besser durch- setzen kann. Die Folge ist, dass heute ganze Design-Lookbooks wie aus einer Hand aussehen, obwohl sie eine ganze Schar verschiedener europäischer Designer aus unterschiedlichen Ländern präsentieren… die halt nur mehr oder minder auffällig identisch gestalten, Echos von Echos in der Echokammer des größten Lookbooks von allen – dem Internet. Es mag auch daran liegen, dass die erfolgreichen Designer weniger und weniger Zeit (und Budget) haben, sich wirklich intensiv und lange mit einem Re-Design einer Marke o.ä. zu befassen und oberflächliche, eben vor allem visuell funktionierende, aber kaum mehr begründbare Lösungen entwickeln. Es mag auch sein, dass genau diese Lösun- gen in Pitches am einfachsten funktionieren, wenn selbst die Auftraggeber über individuelle Farbvorlieben sprechen und nicht mehr über konkrete Kommunikationsziele, wenn alles im Nebel persönlichen Geschmacks zerstäubt wird. Diese Ästheti- sierung von Design, von der sich niemand ganz freisprechen kann, produziert natürlich wunderschön anzusehende Arbeiten von herausragenden Designern/Illustratoren.
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In diesem Segment von Design als eher visueller Leistung lässt sich Hochwertigkeit sicher an subjektiven oder modischen Para- metern festmachen. Es kann keinen Zweifel geben, dass wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Methoden entwickeln werden, um in Form einer aktiven Designkritik über diese ästhe- tische Dimension von Design urteilen zu können, wie wir heute Film- oder Plattenkritiken schreiben. Grafik-Design wird sich wie Kunst, Photographie oder Architektur als visueller Kultur- faktur etablieren und sich noch mehr als bisher einen Weg in Magazine, Galerien und Museen bahnen. Ich mag diesen Aspekt von Design per se, aber manchmal beschleicht mich die Angst, dass diese Spezies von Design sich ungesund vervielfältigt und allzu dominant wird, es nur noch um modische Launen, um den Gestalter-als-Künstler geht, nicht mehr um die «Sache», die es zu verbessern gilt, nur um subjektive (und damit unangreifbare) und weniger um objektive Vorstellungen von «Hochwertig». Es ist eine resignierte Haltung, die ich hinter manchen Arbeiten vermuten, die nur noch kommentieren oder schlicht sperrig- «anti» sind (wohlgemerkt alle auf recht gleiche Art), oder die auf der anderen Seite nur noch Nichtigkeiten schön verpacken wol- len – so als könne man nicht mehr die Kraft aufbringen, das große Ganze besser zu machen. Man kommentiert die Misere, aber als Beobachter, passiv, cool, eben rein ästhetisch. Was sich in den 90er Jahren noch wie ein Befreiungsschlag anfühlte – raus aus dem Korsett des Sachzwangs, rein in den Posthistorismus -, führt heute in ein oft seltsam unterkühltes Spiegelkabinett, in dem narzisstische Verkleidungskünstlern sich einander gleichgültig smarte Insider-Zitate zuflüstern. Es ist ein seltsamer Fin-de-
Siècle-Maskenball und nach fast zwei Dekaden hat kaum noch jemand die Kraft, wirklich zu tanzen und im Halbdunkeln sehen alle Gäste verdammt ähnlich aus.
×
DESIGN ALS MISSION ×
Versteht mich nicht falsch – ich finde es toll, wenn es im Design einen großen Bereich visueller Arbeiten gibt, die frei und aben- teuerlich sind, die ohne Leine spazieren gehen. Ich bin vielleicht nicht ganz sicher, ob dieser Bereich derzeit so mutig und frei ist, wie er sein müsste – aber Design-als-Kunst ist ein wichtiges Feld, keine Frage. Aber wenn es um «Hochwertigkeit» geht, komme ich immer wieder zurück zu einem anderen, etwas älteren Desi- gnbegriff, dem ich eine Renaissance wünsche. Während Dieter Rams (und leider im nur geringeren Maße der großartige Hans Gugelot) gerade wieder en vogue sind, weil Jonathan Ive den reinen Look des Braun-Designs bei Apple aufgreift, sind es tat- sächlich die Thesen hinter dem Design von Rams, die man ähn- lich auch bei Bill oder Aicher wiederfinden kann, diese Ideen des Designs der sechziger Jahre, eines soziopolitischen Ansatzes, der aus meiner Sicht einen verblüffend Weg zu einem anderen Begriff von «Hochwertigkeit» zeigt.
«Hochwertig» ist hier nicht das, was modern ist, oder gefällt, was einer ästhetisch-künstlerischen Vorstellung des Designers entspricht sondern das, was evolutionär funktioniert,
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Kolumne von HD Schellnack

sich durchsetzt, was also bleibt. Dieses Design fungiert als per- manenter Innovations- und Verbesserungszyklus, als Schumpe- terscher Prozess von Selbstkritik, Hinterfragung, Erneuerung. Es ist nur zwangsläufig, dass ein derart an der Nützlichkeit orientiertes Design einen Hunger hat, sich in betriebliche Aspekte einmischen will, die auf den ersten Blick nichts mit «Grafik» zu tun haben. Dieses Design hat stets den Beigeschmack des Missionarischen, weil es ganzheitlich denkt und Nutzungs- aspekte eines Produktes ebenso ernst nimmt wie die Usability einer Homepage. Es ist einfach die logische Fortführung jenes Denkens, das uns als Designer im Detail um Verbesserungen kämpfen lässt. Es ist der Kampf des Chemiebaukasten-Kindes um die besten, pursten Zutaten für das größtmögliche BUMM, eine Art Askese des Guten. Um Rams noch einmal zu zitieren: «Weniger, aber besser.» Unterm Strich ist dieses Design der anstrengende und oft ohne Frage auch frustrierende Versuch, im eigenen Arbeitsethos, in Gesprächen, im Umfeld immer wieder nach Vernunft und Angemessenheit zu suchen, die Prinzipien des eigenen Entwerfens auf das Umfeld auszuweiten. Die Vor- stellung von «hochwertig» endet hier nicht bei Schriftwahl und Druckveredelung. Keine Frage, dass die Design-Missionare sich hierbei nicht selten aufreiben, frustriert sind, ausbrennen, in die Lehre flüchten oder nach und nach zu den schlimmsten «Wer zahlt hat Recht»-Zynikern mutieren. Weil die Welt sich in ihrer Komplexität nicht rigide entwerfen und steuern lässt, ist der Ingenieurs-Ansatz eines Otl Aicher im Grunde zum Scheitern verurteilt, zu statisch, zu steif, wo der Ansatz der reinen Ästhe- ten zu schlaff, zu hedonistisch, zu pseudo ist. Weil Design immer
ein sozialer Prozess ist und eben nicht wie Wissenschaft in einem durchgehend kontrollierbaren oder wie Kunst in einem zutiefst individuellem (ergo auch kontrollierbaren) Umfeld stattfindet, sondern in einem Spannungsfeld von widersprüchlichen und oft fehlerhaften Kommunikationen, Wünschen, Zielen ist ein hartes Streben nach «Exzellenz» eine perfekte Strategie zum Unglück- lichsein. Ein Designer wird niemals die Resonanz und Tiefe der Arbeit eines «echten» Künstlers erreichen, ohne sozusagen unbemerkt das Feld zu wechseln – andererseits wird niemals ein Designer auch nur eine ganze Firma re-organisieren und verbes- sern können, von der Gesellschaft als solche ganz zu schweigen. Aichers Designer als Weltentwerfer und flammender Erzieher würde heute an der eigenen Rigidität und Freudlosigkeit ersticken.
×
COME TOGETHER ×
Die Zerteilung des Designs in Ästheten und Moralisten, Stylisten und Ingenieure, Realos und Fundis, ist nun schon so alt wie die Entdeckung des Selbstbewusstsein des Designs im Jugendstil oder Dada oder Bauhaus. Das dürfte sicher ein 100 Jahre altes Thema sein – und es wäre überfällig, diesen Gegensatz als Reich- tum zu verstehen. Ja, wir haben derzeit sicherlich zu viele reine Stylisten, syntaktische Meister ohne Inhalte, aber die Austausch- barkeit der meisten Arbeiten ist auch für die Protagonisten der Szene greifbar. Auf der anderen Seite wird auch der strengste selbsternannte «Informationsarchitekt» erkennen müssen, dass
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Kommunikation eben kein Haus ist, keine Architektur hat, son- dern arationalen Aspekten folgt, die man spielerisch und explo- rativ integrieren kann. Auch Freude an der Nutzung sind eben «objektive» Funktionsfaktoren. So ist zu hoffen, dass die Ästhe- ten auf der Flucht aus dem ermüdenden Nihilismus ihrer Arbeit weiter nach tieferen Inhalten suchen und die Moralisten ihrer- seits die Magie des Spaßes und die Leichtigkeit des intuitiven Spiels entdecken. Was seit Jahren wie zwei unvereinbare Lager scheint, kann in der Fusion eine dynamische, lebendige Idee von angewandtem Kommunikationsdesign ergeben, eine Art Dritten Weg als Ausweg aus der Sackgasse, in der die Branche steckt. Design als Kreuzzug funktioniert ebenso wenig wie Design als Cocooning in die Heile Ich-Kuschelwelt. Ein dritter Weg zwi- schen missionarischem Eifer und nonchalanter Oberflächlich- keit ist eine Chance, sich in aller Bescheidenheit wieder im Sinne Aichers als Weltverbesserer zu verstehen, ohne dabei wie Wile E. Coyote ohne jeden Lerneffekt immer wieder an der Unmög- lichkeit dieser Aufgabe zu scheitern. Das wäre eine Chance, aus dem nihilistischen Anti-Design herauszukommen, das nichts erschafft, nur cool sein will, und die Energie und die Leiden- schaft und auch die Wut der Gestalter wieder in positive, die Zukunft suchende Entwürfe zu leiten. Anstatt die Gegenwart müde zu dekonstruieren würden wir so wieder die Zukunft (mit-)gestalten.
Und unsere Suche nach Hochwertigkeit könnte dabei ganz neue Dimensionen erreichen …
Text: HD Schellnack
× NACHBEMERKUNG ×
Die Vorsicht-Glas-Texte sind tatsächlich nur lautes Nachdenken über Design und die eigene Arbeit und die Zukunft … meist in einem Rutsch geschrieben und entsprechend ausufernd, ungeordnet, unstrukturiert. Sie sind nicht mit einem echten Essay zu verwechseln, auch wenn es so niedergeschrieben verdächtig danach aussieht – insofern denkt euch am besten ein Gespräch in einer verrauchten Kneipe morgens um sechs als Umfeld, dann stimmt der Ton schon eher. Sie sollen nicht belehren oder besser wissen, auch wenn es manchmal so klingen mag. Und morgen kann ich vehement das Gegenteil behaupten.
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 3/6
Holger Eggert (User Experience Designer, level green) www.levelgreen.de
Hochwertig sind für mich alle Dinge, denen bei ihrer Erstellung ein hoher Wert beigemessen wurde.
Wenn ein Autor länger, als vielleicht nötig, an seinen Sätzen feilt, wenn ein Designer seinen Entwurf immer wieder verbessert, obwohl der Auftraggeber schon längst zufrieden ist, wenn eine Firma ihr Produkt trotz großem Erfolg immer weiterentwickelt, dann entsteht etwas hochwertiges.
Denn das Gegenteil von hochwertig ist für mich Mittelmaß. Also nicht
mit der ersten Idee zufrieden sein, nicht mit dem ersten Entwurf zufrieden sein und vor allem nie aufhören, unzufrieden zu sein!
57DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. × EINSCHUB 3/6 ×
Ivo Gabrowitsch (Marketing Director bei FSI FontShop International) www.fontfont.com Eine Sache ist hochwertig, wenn ihr Verlust schmerzt.
Johannes Erler (Factordesign) factordesign.com/
Versuch einer allgemeingültigen definition: hochwertig bedeutet, dass etwas einen hohen wert hat. objektiv ist dies in der währung »geld« messbar. subjektiv ist
dies in der währung »bedeutung« messbar. meistens steht das, was man so bewertet, dabei in relation zu vergleichbaren gütern.
Johannes Pauen (Managing Director, kleiner und bold) www.kleinerundbold.com Liebe zum Detail.
Judith Drews (Illustration) www.judithdrews.de
»Hochwertig« ist dann möglich, wenn der Spaß an der Arbeit bis zum letzten Strich anhält.
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 3/6
Jürgen Siebert (Fontshop Vorstand & Betreiber des Fontblogs) – www.fontblog.de/ www.fontshop.de
Gibt es eine bessere Übersetzung für hochwertig als … Made In Germany? Das soll auf keinen Fall heißen, dass in anderen Industrieregionen keine hochwertigen Produkte hergestellt werden. Das iPhone 4 zum Beispiel ist Made in China, wie übrigens die gesamte Apple Hardware, und weist eine Verarbeitungsqualität auf, wie man sie im Bereich der Smartphones noch nie gesehen hat. Nein, Made in
Germany ist mehr, als nur eine Herkunftsbezeichnung. Seine Geschichte geht zurück ins 19. Jahrhundert.
Im April 1887 verabschiedet das britische Parlament zum Schutz seiner StahlwarenIndustrie eine Neufassung des 25 Jahre alten »Merchandise Marks Act«: Ob aus Frankreich, aus den USA oder aus dem Deutschen Reich … auf allen Import- artikeln, die aufgrund ihrer Namen und Warenzeichen mit englischen Fabrikaten verwechselt werden konnten, musste künftig ein Hinweis auf das Urheberland stehen, mit den Worten »Made in…«. Das Siegel sollte Kunden vor billigen Fälschungen warnen und den Kauf heimischer Produkte fördern.
Die deutschen Hersteller reagieren zunächst empört auf das Gesetz. Doch die Sorge, ihr Geschäft könne Schaden nehmen, war unbegründet. Weil viele auf
Export ausgerichtete Unternehmen seit der Weltausstellung 1976 in Philadelphia die neue Strategie »Konkurrenz durch Qualität« befolgten, wandelt sich das neue
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 3/6
Zeichen binnen weniger Jahre vom Herkunftssiegel zum Qualitätssigel.
… Ob Messer, Klaviere, Spielzeug oder Bier: bald greifen Menschen in aller
Welt bewusst zu Waren Made in Germany, weil sich deren Qualität schnell herum- gesprochen hat und die Produkte jetzt klar gekennzeichnet sind.
Niemand kann heute vorhersagen, ob Made in China das Made in Germany des 21. Jahrhunderts werden wird. Im Moment steuern die deutschen Exporte Rekordzahlen an, und nach wie vor gelten Marken wie Miele, BMW, Siemens oder Zwilling als der Inbegriff für hochwertige Qualität.
Kai Vermehr (Eboy) www.eboy.com
Hochwertige Dinge sollten das, wofür sie gemacht werden besonders gut können – und eine gewisse Raffinesse bei der Konzeption oder Herstellung gehört vielleicht auch dazu. Man merkt ihnen an, dass ihr Hersteller den Zweck dem sie dienen wirklich verstanden hat. Mehr als durchschnittliche Produkte sagen sie etwas über den Designer/Erfinder/Hersteller aber auch den Nutzer aus. Nicht die Kosten stehen im Mittelpunkt, sondern das Produkt und im Besonderen der Zweck dem es dient.
60DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

07
Robert Pirsig, Pommes & andere Geschmackssachen
Interview mit Sascha Lobe von L2M3
Ulrike Daraghma Interview
Wenn es um eine Annäherung an den Begriff Qualtität geht: Einfach den Designer seines Vertrauens fragen! Das ist leicht gesagt, die Fragen schnell formuliert und glücklich
wer Antworten bekommt, die nicht in mund- gerechten Häppchen serviert werden, sondern wie eine Kombination aus shiny Austern
mit Pommes Rot-Weiß daherkommen. In die- sem Fall sind wir die Glücklichen.
Professor Sascha Lobe ist Kommuni- kationsdesigner und Gründer des Designbüros L2M3. Seit 2009 lehrt er an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach Typografie. Obwohl die Designprojekte aus dem Hause L2M3 beispielhaft für hochwertige Qualität sind, tut sich der Grafiker mit der überstrapazierten Worthülse schwer. Eine ganz persönliche Sichtweise dominiert seine Antworten und macht das Interview mit Sascha Lobe über einen Begriff, der oft nur noch ein Gähnen pro- voziert, vielleicht erst richtig interessant.
61DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Sascha Lobe
DMIG SL
Ich hätte gern auf eurer Webseite unter den Projektbeschrei- bungen nach dem Wort »Qualität« gesucht. Gäbe es eine Textsuche, wäre ich fündig geworden?
sind, die für Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit sorgen. Irgendeine Ecke oder Besonderheit die für inhaltlichen, kommunikativen oder visuellen »Grip« sorgt, an der sich die
Der Begriff »Qualität« ist eine meiner Hasslieben, wobei er auf meiner persönlichen Skala immer weiter fällt – zu über- strapaziert, wie »Authentizität« und »Identität« oder »Nach- haltigkeit«. Der Begriff »Qualität« pendelt ja zwischen den Bedeutungen »Eigenschaften« und »Hochwertigkeit« – je nachdem, ob ich ihn neutral oder wertend einsetze.
Neutral verwendet wird er für mich interessant: die eigentliche »Qualität« eines Projektes ist für mich die Frage, ob genügend spezifische Eigenschaften vorhanden
Sinne reizen und vielleicht sogar schulen können. »Qualität« ist heute leider meist ein Begriff für Mainstream auf den sich alle verständigen können – als eine Orientierungshilfe, die Sicherheit suggeriert.
»Qualität« ist insofern die Absprache einer Gruppe von Menschen über Werte, bezogen auf eine Sache. Was dort vereinbart wird ist aber in vielen Fällen austausch- bar. In Bezug auf unsere Grundbedürfnisse sprechen wir eigentlich sehr selten über Qualität, meist wird der Begriff
62DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG SL
zur Kennzeichnung von Sublimierung verwendet. Er beschreibt nicht die Notwendigkeiten, sondern die Verede- lungen und das ist im Grunde falsch.
Zudem bin ich »Romantiker«, zumindest im Sinne von Robert M. Pirsig und seinem Buch »Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten« und somit der Meinung, dass Qualität im metaphysischen Sinne nie vollständig zu erfassen ist, da sie ein Ereignis darstellt, dass sich im Zusammenspiel von Subjekt und Objekt einstellt. »Qualität« lässt sich somit im naturwissenschaftlichen Sinne nicht objektiv messen, dies gilt insbesondere für Design, Kommunikation, Sinnes- eindrücke und so weiter.
In der Tat wollte ich darauf hinaus, wie du den Begriff ein- ordnest, definierst und welche Bedeutung er als Beurtei- lungsparameter für dich und insbesondere deine Tätigkeit hat. Wenn sich Qualität nicht objektiv messen, also auch nicht auf eine Definition festlegen lässt, wie ließe sie sich – und ich gehe hier auf »Qualität als Ereignis« ein – erhalten oder gar verbessern? Welche Rolle spielt Dynamik dabei?
Ich finde gar nicht, dass es so sehr darum geht, ob sich objektive Kriterien finden lassen. Einen Grundpegel dafür können wir im konkreten Fall sicher leicht gemeinsam definieren, was »gute« Luft zum Atmen ist zum Beispiel.
63DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Sascha Lobe
DMIG SL
Schwieriger wird es, sich einig zu werden welcher Parfüm- duft denn jetzt mehr Qualität hat. Der süße schwere oder der zitronig- frische leichte – Geschmackssache, werden viele sagen. In Jedem lässt sich mit Sicherheit ein Gutes und ein Schlechtes finden. Wenn wir uns lange
genug Zeit nehmen, werden wir uns ten- denziell vielleicht sogar einig werden aber nie ist Qualität eine Eigenschaft die ins ein Objekt eingeschrieben ist und dort allein vor sich hin existiert, sondern Qualität ent- steht immer erst im Dialog Subjekt-Objekt. Im Moment der Wahrnehmung sozusagen, »dynamisch« wenn Du willst.
Welche Aspekte an einem Konsumgut lassen dich auf seine hochwertige Qualität schließen?
Du meinst, ob es lange hält oder gut funktioniert oder so was? Oder eine shiny Oberfläche hat?
Es gibt für mich vier Annäherungen:
– Ist es gut gedacht?
– Ist es technisch gut produziert?
– Ist es in der Lage mich emotional anzusprechen?
– Und 4. – gilt nicht immer – hält es die Zeit die es verspricht?
In welchen Konsumgüterbereichen legst du besonders viel Wert auf hohe Produktqualität?
Eigentlich in allen, aber es gibt sicher in jedem Leben Füllmaterial, das seine Qualtiät darin hat, die wirklich guten Dinge besser aussehen zu lassen. Und wie gesagt, die »Qualität« eines Dings (im Sinne von Eigenschaft), kann ja durchaus auch mal der Kontrast zum Üblichen sein.
64DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Sascha Lobe
DMIG SL
Kannst du bitte näher erläutern was du mit »Füllmaterial« meinst und wenigstens ein konkretes Beispiel für letzteres, den erwähnten »Kontrast zum Üblichen«, nennen?
»Füllmaterial«: die tolle Gänseleber (sorry!) die ich immer aus dem Elsass mitbringe, schmeckt mir auf Weiß- brot einfach besser als pur gelöffelt. Ist natürlich dem Weiß- brot gegenüber unfair, da gibt es auch gutes und schlechtes. Anderes Beispiel, nur umgekehrt – nicht Füllmaterial, son- dern sozusagen Lücke: den prima Anselm Adams Land- schaftsfotos tut ein großes Passepartout gut. Sieht einfach besser aus, sie können atmen, obwohl ganz sicher das Foto mehr Qualität hat als die weiße Fläche.
Kontrast zum Üblichen: Austern mit Pommes, Jeans am Wochenende nach einer Woche Anzug, …
Gibt oder gab es Dinge die du trotz ihrer offensichtlich min- derwertigen Qualität kaufst, interessant findest oder sogar schätzt?
Ja klar, das Leben besteht nicht nur aus High, sondern auch aus Low. Das macht es spannend. Ich finde z.B. die Bildzeitung super, weil sie mir viel über unsere Welt erzählt, wo gerade die gesellschaftlichen Interessen sind, was die Leute tun und denken usw. – also sozusagen Zeitungsle- sen als Sozialstudie. Erkenntnisgewinn über ein offensicht-
lich am unteren Level orientierten aber professionell gemach- ten Medium.
Ich kenne, außer dem Amsterdamer Hans Brinker Budget Hotel, kein Produkt welches so offensiv seine miese Qualität hinsichtlich Komfort bewirbt und trotzdem oder gerade des- halb ausgebuchte Zimmer und obendrein Kultstatus hat. Ist die Betonung hochwertiger Qualität immer der passende Schlüssel um potentielle Kunden zur Kaufentscheidung zu bewegen?
Naja, es schon ein Unterschied, ob ein Hotel von vielen gekannt wird oder immer ausgebucht wird. Aber hat das Brinker-Hotel denn überhaupt eine so schlechte Quali- tät? Keine Ahnung, ich war nie dort. Ich weiß auch nicht, ob man dort schwierig ein Zimmer bekommt. Ich kenne nur die mediale Oberfläche und die sogar nur aus der »Sekundärlite- ratur«, aus Designmagazinen und -büchern. Was ist Schein und Sein? Es könnte sein, dass es um Wahrnehmung geht, also eine Ressource, an die man schneller kommt, wenn man sich unterscheidet.
65DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Robert Pirsig, Pommes & andere Geschmackssachen Interview mit Sascha Lobe von L2M3

DMIG Sascha Lobe
DMIG SL
Ist Kommunikationsdesign respektive Werbung dazu in der Lage, aus einem nach üblichen Qualitätsstandards „schlech- ten“ Produkt , einen Kassenschlager zu machen?
Es geht dabei doch selten darum was tatsächlich ist, sondern darum, was die Leute glauben wollen. Diesen Knopf möchten Marketing und Werbung finden. »Haltung« ist ein akademischer Begriff, der in dieser Realität leider keine große Rolle spielt. »Projektion« – das was die Men- schen gerne haben oder sein wollen oder in den Dingen sehen wollen – ist viel wichtiger und die kann man mit den richti- gen Kniffen sicher erreichen. Aber das ist nicht mein Metier.
Sind in der Designpraxis Inhalt und Form wirklich so abhän- gig voneinander, wie es das theoretische Ideal vorgibt und macht die Einhaltung dieser Formel letztendlich den Grad der Qualität einer Designleistung aus?
Eine gute Frage – sie macht mich etwas ratlos. Wenn dem so wäre, warum inspirieren dann Subkulturen und Eindrücke »von der Straße« so oft? Weil sie »echt« sind?
Wer sollte deiner Meinung nach über den Qualitätsgrad einer Kommunikationsdesign-Leistung in einer Dienstleister-Auf- traggeberbeziehung entscheiden?
Der, der mehr Ahnung davon hat, was man in dem verhandelten Fall als Qualität bezeichnet.
Nach welchen Maßstäben bewertest du die Qualität von Kommunikationsdesign?
Darf ich an dieser Stelle den Telefonjoker ein- setzen? Ich persönlich finde klare Konzepte, die kommuni- zieren und echt sind wichtig und natürlich eine handwerklich einwandfreie Umsetzung. Ach so, und gute Entwürfe sollten nicht nur Antworten, sondern auch Fragen liefern.
Kann man grafische Qualität überhaupt am darstellenden Medium ausmachen oder ist die Debatte Screen versus Papier von vornherein vielmehr eine kulturelle gewesen und anstatt einer gestalterischen?
Gestaltung = Kultur.
Im Grunde meines Herzens bin ich Typograf auch wenn ich in vielen anderen Bereichen arbeite, ich bin also Anhänger eine der genialsten Entwicklungen der Menschheit, der Schrift – so wichtig wie die Erfindung des Rads oder die Entwicklung der Mathematik. Das Tolle an der Schrift ist, dass sie nicht abhängig vom Medium ist (solange es ein visuelles bleibt). Die funktioniert immer, in Stein, auf Papyrus, Leder, Holz, Papier oder im Sand.
66DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Sascha Lobe
DMIG SL
Zudem sind mir die ganzen Diskussionen, ob man auf Bildschirmen schlechter liest als auf gedrucktem Papier, immer auf die Nerven gegangen: seit zehn, fünfzehn Jahren arbeitet die halbe Menschheit tagsüber am Computer und liest dort alle möglichen Texte problemlos.
Ich glaube die Aufgabe heutiger Kommunikati- onsdesigner sind formatlose visuelle Systeme, die sich in allen Kontexten etablieren können. Aber natürlich geht es beir der Umsetzung von Applikationen wie Büchern, Plaka- ten, Screens, what ever, darum medienspezifische Gestal- tungsgesetzmäßigkeiten zu berücksichtigen.
Der Screen behauptet sich als Darstellungsmedium gegen- über dem Papier immer mehr. Ist diese Entwicklung deiner Meinung nach auf einen Gewöhnungsprozess, die Verbesse- rung der Displays und des Editorial-Designs für die Bild- schirmformate oder sogar auf die Attraktivität bestimmter Ausgabegeräte zurückzuführen?
Nein, das Praktische gewinnt die Überhand über das Aufwendigere. Screen geht schneller, lässt sich leichter ändern und anpassen und ist sowieso moderner. Aber hat das was mit Qualität zu tun?
67DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

08
Designrecht: Wann ist ein Auftrag ein Auftrag?
von Jens O. Brelle Art Lawyer
Kolumne
Die Frage hat sich sicher jeder Freiberufler schon einmal gestellt. Vor allem dann, wenn es zum Streit kommt, hört man aber oft Märchen. Zum Beispiel kursiert noch immer das Gerücht, dass mündlich geschlossene Verträge nicht wirksam sind. Doch das sieht das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ganz anders. Um mit den Märchen und Gerüchten aufzuräumen, müssen einige Begrifflichkeit zunächst definiert werden.
×
Der Auftrag ist die Grundform eines Rechtsgeschäfts und nach dem BGB immer unentgeltlich. Im allgemeinen Sprach- gebrauch wird Auftrag meist als Synonym für einen Vertrag ver- wendet. Bei einem Vertrag handelt es sich um ein Rechtsgeschäft, welches durch mindestens zwei übereinstimmende Willenser- klärungen zustande kommt. In Deutschland herrscht Vertrags- freiheit, das bedeutet, dass Vertragsinhalte von den Vertragspar- teien frei bestimmt werden können, solange sie nicht sittenwidrig sind. Das BGB unterscheidet Dienst-, Werk- und Geschäftsbe- sorgungsverträge. Für einzelne Verträge gilt die Schriftform. So müssen beispielsweise Bürgschaftserklärungen, Grund- stücksverträge und Mietverträge (die für mehr als 1 Jahr abge- schlossen werden) schriftlich fixiert werden. Im Umkehrschluss gilt also, dass auch mündlich geschlossene Verträge wirksam sind. Mündliche Verträge sind dann wirksam, wenn sich min- destens zwei Vertragsparteien über Leistung und Gegenleistung,
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sowie über den Zeitpunkt der Leistung geeinigt haben. Ein Handschlag am Ende der Verhandlung ist also vollkommen aus- reichend um den Vertrag zu besiegeln, notwendig ist der Hand- schlag aber nicht.
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Das größte Problem bei mündlich geschlossenen Verträgen ist jedoch die Beweisbarkeit. Gibt es niemanden, der das Zustandekommen bezeugen kann, sieht es schlecht aus. Werden Verträge mündlich geschlossen, sollte deshalb ein Zeuge dabei sein. Bei telefonisch geschlossenen Verträgen ist es sinn- voll, einen Zeugen das Gespräch mithören zu lassen. Doch Vor- sicht, der Gesprächspartner muss darüber informiert werden! Andernfalls stellt das Mithören einen Eingriff in das Persönlich- keitsrecht des Gesprächspartners dar. Auch eine schriftliche Bestätigung des Vertrags kann sinnvoll sein. Hier schickt man dem Vertragspartner nach den Verhandlungen die mündliche Absprache am Besten per E-Mail, Fax oder per Post zu und bittet um Bestätigung und Rücksendung.
×
Kenntnisnahme übermittelt werden. Einer Bestätigung durch den Annehmenden bedarf es in diesem Fall nicht. Allein das Schweigen reicht als Zustimmung. Diese Ausnahme gilt aber nur, wenn es sich bei den Vertragspartnern um zwei Kaufleute im Sinne des HGB handelt.
× FAZIT ×
Entgegen der so oft kritisierten deutschen Regelungswut herrscht in Deutschland Vertragsfreiheit. Auch mündlich geschlossene Verträge sind wirksam, einem Handschlag bedarf es nicht. Eine schriftliche Bestätigung mit Unterschrift des Ver- tragspartners ist aus Gründen der Beweissicherung immer sinn- voll. Eine Bestätigung per E-Mail hat vor Gericht als Urkunden- beweis jedoch keinen Bestand, höchstens dann, wenn sie verschlüsselt erfolgte. Ein Sendebericht per Fax gilt bei Gericht auch nicht unbedingt als Nachweis für den vollständigen Zugang eines Schreibens.
Art–Laywer
Wer als Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbu- ches auftritt, hat zudem die Handelsbräuche und Gepflogenhei- ten zu beachten. Zur wichtigsten Gepflogenheit zählt, dass mündliche Absprachen schriftlich zusammengefasst (kaufmän- nisches Bestätigungsschreiben) und dem Vertragspartner zur

Jens O. Brelle Rechtsanwalt Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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09
Mythos Leica
Leica steht für hochwertige Verarbeitung und einzigartige Bildqualität wie kein anderer Kamerahersteller.
Alexander Fackler & Patrick Marc Sommer
Interview

Mythos Leica
Die Idee der Kleinbildkamera löste 1925 eine fotografische Revolution aus und begründete den Mythos Leica. Den Anspruch, den Leica Camera an seine Produkte stellt, lautet:
»Das bessere Bild zu ermöglichen«
Wir haben mit Johannes Fischer, Leiter des Bereichs Marketing & Kommunikation, über Fotografie und den Mythos Leica gesprochen.
Interview

DMIG JF
DMIG JF
Wie wichtig ist Design für eine Marke wie Leica?
Design ist zentral für die Marke Leica. Es spiegelt die Werte der Marke wider und ist die Übersetzung der Produktleistung in Optik und Haptik. Wenn mich eine Kamera optisch anspricht, will ich sie in die Hand nehmen. Wenn sie gut in der Hand liegt, benutze ich sie gerne. Wir wollen, dass unsere Kunden eine Leica so gerne in die Hand nehmen, dass
sie sie immer dabei haben.
Durch welche Merkmale zeichnet sich ein hochwertiges Produkt für
schätze ich auch die Sorgfalt, die andere Menschen aufge- wendet haben, um es herzustellen.
Wie hat sich die Fotografie durch die Digitalisierung verän- dert und was bedeutet das für die Marke Leica?
Ein hochwertiges Produkt ist durchdacht und mit besonderer Sorgfalt aus langlebigen Materialien herge- stellt. Außerdem geht es um den Wert über den Tag hinaus – etwas Hochwertiges ist von Dauer und Beständigkeit.
Die Hochwertigkeit hat auch etwas mit der Wertschätzung zu tun, die einem Produkt entgegengebracht wird: Wenn ich mich an einem hochwertigen Produkt freue, dann wert-
JOHANNES FISCHER
ihnen in der Freizeit.
Sie aus?
Die Digitalisierung hat die Fotografie demokrati- siert. Ohne Kosten für Filmmaterial und Abzüge ist sie einer viel breiteren Öffentlichkeit zugänglich geworden als früher. Auch die Anlässe, zu denen fotografiert wird, haben sich ver- ändert: Wurde früher hauptsächlich im Urlaub oder zu besonderen Ereignissen fotografiert, nutzen heute Menschen die Möglichkeit, auch alltägliche Augenblicke festzuhalten. Kameras sind heute ständige Begleiter. Bilder sind viel mehr als früher ein Medium, um andere Menschen am eigenen Leben teilhaben zu lassen, zum Beispiel indem man ein Bild per E-Mail verschickt oder auf Facebook posted. Zudem ist es leichter geworden, Bilder zu machen, denn ein verwackel- tes Bild ist schnell gelöscht, ein zweites schnell gemacht. Viel mehr Menschen mach—en heutzutage Bilder und widmen sich
Für Leica war die Digitalisie- rung der Fotografie eine Herausforderung, die das Unterneh- men erfolgreich gemeistert hat. Auf der vergangenen photo- kina, der größten Technologie- und Trendshow der Imaging-Branche in Köln im September 2010, haben wir das bislang vollständigste Portfolio an digitalen Kameras vorge-
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73DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG JF
DMIG JF
stellt, das je von Leica Camera verfügbar war – von intelli- genten Kompaktkameras über Reportage- und Systemkame- ras bis hin zum Hochleistungswerkzeug für Berufsfotografen. Ob Fotografie-Einsteiger, Profi, Leica Liebhaber und ver- mehrt auch jüngere Fans der Marke – sie alle zeigten großes Interesse an den Leica Produkten und bescherten Leica einen Rekordauftragseingang. Diesen Erfolg hat nicht zuletzt auch die Digitalisierung ermöglicht.
Verändert die Digitalfotografie den Wert des Bildes?
Ja und nein. Unverändert ist meines Erachtens der emotionale Wert von Bildern, denn dafür ist nicht ent- scheidend, wie ein Bild aufgenommen wurde, sondern was darauf zu sehen ist. Dieser emotionale Wert ist von Mensch zu Mensch verschieden und hat nicht einmal etwas mit der MeisterschaftdesFotografenzutun–erbemisstsic—hallein daran, was man beim Betrachten eines Bildes fühlt.
Heute werden mehr Bilder gemacht, verschickt, veröffent- licht, im Internet geteilt. Der Wert eines einzelnen Bildes hat dabei insofern abgenommen, als dass es schnell gelöscht wird, wenn es nicht gefällt. Wer fotografiert, prüft meist auch direkt, ob das Foto etwas geworden ist, falls nicht, fotografiert er noch einmal. Der Anspruch an die Qualität des einzelnen Bildes ist auf der anderen Seite gestiegen: Aus der heute grö- ßeren Auswahl wird das Beste herausgesucht – früher gab es
auch einmal ein verwackeltes Bild in einem Fotoalbum, weil es das einzige Zeugnis einer Begebenheit war. Heute ist das seltener geworden. Das Interesse am besseren Bild ist insge- samt gewachsen und mehr Menschen verbringen mehr Zeit mit Bildern. Früher wurde nach dem Urlaub zum Dia-Abend eingeladen. Heute werden Bilder zu Hause nachbearbeitet, verschlagwortet, auf Flickr hochgeladen und so weiter. Ohne die Digitalfotografie wäre das undenkbar.
Was macht für Sie ein gutes Foto aus?
Ein gutes Foto muss mich neugierig auf die Geschichte machen, aus der es ein Ausschnitt ist.
Glauben Sie, dass Marken sich ihren Status als »hochwertige« Marke erst verdienen müssen durch eine lange Geschichte, ähnlich wie bei Leica?
Marken sind Leistungsversprechen. Das wich- tigste ist dabei die Leistung der Produkte – nur wenn ein Pro- dukt kontinuierlich über einen langen Zeitraum hält, was es verspricht, wird es überhaupt als hochwertig wahrgenom- men. Unsere Kunden haben seit Jahrzehnten Freude an den Kameras und Sportoptikprodukten, weil sie bessere Bilder ermöglichen. Das schafft Vertrauen, was existentiell ist für den Wert einer Marke. Und da Vertrauensaufbau Zeit benö-
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Der Mythos Leica und die Fotografie Interview mit Johannes Fischer

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tigt, spielt die Geschichte eine sehr große Rolle für—die Bil- dung und Führung einer hochwertigen Marke.
Zudem ist Geschichte wichtig für den emotionalen Wert einer Marke, der durch alle Assoziationen geprägt wird, die mit einer Marke verbunden werden: Denn auch dazu braucht es Zeit und Kontinuität.
Leica verbindet aktuell altbewährtes (um das Trend-Wort »Retro« an dieser Stelle zu vermeiden) mit neuem, altes Design mit neuer Technik. Erhält sich die Marke damit das Vertrauen ihrer Kunden?
Die Frage stellt sich so nicht – die Marke Leica bleibt sich einfach selbst treu. Ursprünglich war das Design der Kamera durch ihren technischen Aufbau bestimmt, und viele Elemente sind bis heute erhalten, so dass eine Leica immer als Leica erkennbar ist. Unsere Kunden vertrauen uns, weil sie mit unseren Produkten bessere Bilder machen. Und sie schätzen uns, weil sie genau wie wir höchste Ansprüche an Design und Qualität stellen.
Im Vergleich zu anderen Kameras bietet eine Leica nur wenige Funktionen. Warum liegt gerade darin anscheinend der Reiz für viele Fotografen?
Bei den Funktionen einer Leica geht es um die Kon- zentration auf das Wesent- liche. Der Reiz für viele Fotografen liegt darin, dass sie sich mit einer Leica eben auch auf das Wesent- liche konzentrieren kön- nen. Sie haben alles selbst in der Hand. Keine Auto- matik schaltet sich in die Bildgestaltung ein. So ent- stehen Bilder, die ganz bewusst gemacht sind.
Warum sollte man sich eine Kamera kaufen, die mit Objektiv, fast so viel kostet wie ein Kleinwagen?
Weil sie grandiose Bilder ermöglicht. Und weil sie mit einer Leica einen Wert erwerben, der sie über Jahre und Jahrzehnte begleitet.
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WALTER DE ́SILVA
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DMIG JF
DMIG JF
Welche Rolle spielt das Leica Magazin für das Unternehmen?
Das unabhängige Magazin Leica Fotografie International spielt eine wichtige Rolle für uns, weil es sich an alle Leica Liebhaber wendet und umfangreich über die
Die The- men sind vielseitig: Neben Produktneuheiten, technischen Infos und Praxistipps steht in jeder Ausgabe immer auch die Besonderheit des Leica Bildes im Vordergrund. Abwechs- lungsreiche Portfolios bekannter Leica Fotografen und jun- ger Talente verdeutlichen die Qualität der Leica Bilder und geben den Lesern Einblicke in die zahlreichen Möglichkeiten
der Leica Fotografie.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Walter de‘Silva (VW- Designchef ) für die Sonderedition der Leica M9?
Unser Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Andreas Kaufmann hat Walter de’Silva vergangenes Jahr auf Schloss Bensberg angesprochen. Volkswagen und Leica sind Sponso- ren der Schloss Bensberg Classics. Und er war spontan inter- essiert mehr zu erfahren, über Leica und unsere Kameras. Bei einem Treffen im Firmensitz in Solms wurde über das Design für eine limitierte Sonderedition unseres Flaggschiffs, der M9, gesprochen. Es war schnell klar, dass das eine wun- derbare Kooperation werden würde. Aber klar war auch: Was
dabei herauskommen soll, muss die Formensprache der Leica
Neuheiten aus dem Hause Leica berichtet.

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sprechen.

Walter de’Silva ist es gelungen, die charak- teristischen Merkmale des Leica Messsuchersystems neu zu interpretieren. Er hat der Leica M-Kamera ein ergonomi- sches, präzises, logisches und stringentes Erscheinungsbild verliehen, ohne den Charakter der Messsucherkamera zu verändern. Die Kamera vereint Eleganz und Schlichtheit mit Funktionalität und lässt nicht nur das Herz von Leica Fans höher schlagen – auch für Liebhaber exklusiver Pro- dukte von Design-Ikonen und Premium-Qualität »Made in Germany“ ist sie ein echtes Highlight, was die positive
Wir sind sehr froh, dass wir mit Walter de’Silva einen der renommiertesten Designer unserer Zeit für dieses gemeinsame Projekt gewin-
Medienresonanz mehr als bestätigt. nen konnten.

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 4/6
Karin Schmidt-Friderichs (Verlag Hermann Schmidt Mainz) www.typografie.de
Was ist für uns hochwertig? Wir sehen zwei Ansätze: Einen herstellerischen, der misst in Kriterien wie Verarbeitungs- und Gestaltungsqualität bis ins Detail sowie Haltbarkeit.
Das andere ist der persönliche Wert. Sie ziehen um: welche Gegenstände,
welche Bücher, welche Kleidungsstücke packen Sie sicher ein? Diejenigen, die
es Ihnen wert sind, gepackt, getragen, ausgepackt, wieder eingeräumt und zwischen- durch noch abgestaubt oder gewaschen zu werden. Hochwertiges.
Darunter sind bei uns ebenso alte und neue Schriftmuster- und andere Bücher (klar!) wie alte Schallplatten (Sound ist besser), Kleidungsstücke, die auch nach vielem Tragen nicht oll aussehen und deshalb die Zeit hatten, uns ans Herz
zu wachsen wie die Tizio-Lampe, die Bertram mir von dem Honorar seines ersten Vortrags schenkte. Zeitloses, das die Qualität hat, alt zu werden, ohne alt auszusehen.
Interessanterweise erfüllen bei uns all die einpackenswerten Gegenstände die Kriterien des ersten Ansatzes. Danach arbeiten wir dementsprechend auch im Verlag.
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 4/6
Mathias Jahn (Chief Creative Officer Heye, Group) www.heye.de
»Hochwertig« ist nix wert. Ein verbrauchtes Wort, altersschwach und ausgenutzt. Ausgenutzt vor allem von der Werbung für Dinge, die nicht so sind, wie sie eigentlich sein sollten: Der »Kaschmirpullover mit hochwertiger Paillettenapplikation« ist
eben ein Billigteil für 49,90€. Ein Auto mit »hochwertiger Lederausstattung« kostet garantiert weniger als eines mit Connolly-Leder. Ein »hochwertiges Designsofa« kommt vom Möbeldiscounter und nicht von Minotti. Und das ist der Punkt: Was wirklich etwas wert ist, ist auch ein eigenes Adjektiv wert. Dann sagt man zum Beispiel: »handgearbeitet« oder »rahmengenäht«, »selbstgestrickt«, »mundgeblasen« – oder von mir aus auch »customized«, für die Englischfreunde unter uns. Alles Worte, die mir mehr über den tatsächlichen Wert eines Dinges sagen als das Wort mit »h«. Und wenn man’s ganz einfach mag, kann man auch »gut« sagen.
Denn schließlich heißt es bei Manufactum ja auch nicht »Es gibt sie noch, die hochwertigen Dinge.«
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 4/6
Mareen Fischinger (freiberufliche Fotografin und Gründerin von lum.io) www.mareenfischinger.de
Für mich ist ein Objekt, ein Bild oder ein System dann hochwertig, wenn es trotz der Erfüllung komplexer oder smpler Aufgaben einfach strukturiert bleibt. Wenn es seine Aufgaben erfüllt und die optimale Form sich nach seinem Zweck richtet.
Das geht am besten, wenn es geschaffen wird, ohne Gedanken oder Volumina von Material zu verschlingen, die nicht der Sache dienen — sondern Investitionen stattdessen in das Erreichen einer nachhaltigen Simplizität gemacht werden.
Martin Gassner (Executive Creative Director) https://www.xing.com/profile/Martin_Gassner
Hochwertig, also von hohem Wert, ist eine recht schwammige Bezeichnung. Ergibt sich »hochwertig« im Gegensatz zu »minderwertig«? Und wer legt dann eigentlich den Wert fest? Oder hat das nur was mit meinem persönlichen Kontext zu tun?
Für mich persönlich ist »Etwas« hochwertig: • wo sehr smart die Aufgabe oder Funktion eines »Etwas« herausentwickelt wurde (Idee) • dies mit großer Liebe zum Detail und gestalterischer Sicherheit bei der formalen Lösung dieses »Etwas« geschehen ist (Umsetzung) • und dadurch dieses »Etwas« mir sehr lange Freude, Wohlgefallen und Nutzen (und zwar genau in dieser Kombination und Reihenfolge) bereiten wird (Haltbarkeit).
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Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 4/6
Martin Besl (Creative Director, SERVICEPLAN München, Haus der Kommunikation) www.serviceplan.com HOCHWERTIG bedeutet für mich: Haben wollen.
Ohne Bedenken. Cooles Design. Hält was aus. Wertbeständig. Einzigartig. Respektabel. Tolles Produkt. Image geladen. Geht so geht garnicht.
Martin Wenzel (Typografie und Kommunikationsdesign) www.martinplus.com
Für mich ist etwas hochwertig, wenn es mir lange Freude bereitet. Grund hierfür ist in den meisten Fällen, wenn Folgendes zusammenkommt: hervorragende Verarbeitung, sinnvolle Gestaltung, beste Materialien und Technik. Je mehr Gründe es gibt mit einem Möbelstück, Gerät oder Druckwerk zufrieden zu sein, desto hochwertiger ist es. Muss ich mich ständig über etwas ärgern, wurde ich übers Ohr gehauen!
Mirko Borsche (Bureau Mirko Borsche) mirkoborsche.com
Hochwertig bedeutet für mich, das etwas mit aller liebe und perfekt bis ins Detail, sorgfältigst angefertigt wurde.
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Dass ich mal leidenschaftlich Schriften gestalten und erfolg- reich verkaufen könnte, wäre mir noch vor zwei Jahren nicht im Traum eingefallen.
Im Studium an der Fachhochschule Potsdam saß ich zwar einige Semester in Luc(as) de Groots Schriftge- staltungskurs, habe mich aber viel intensiver mit klassischer Illustration und Kalligrafie beschäftigt.
Im Rahmen meiner Abschlussarbeit ist dann – als Nebenprodukt – eine Serie von Piktogrammen und Mini- Illustrationen entstanden.
Als ich ein halbes Jahr später diese Arbeiten wieder in die Hand nahm und Freunden zeigte, entstand die Idee, daraus Dingbat-Fonts zu machen.
Und tatsächlich habe ich kurz darauf unter dem Namen LiebeFonts meine ersten Illustrations-Serien bei MyFonts veröffentlicht. In den folgenden Monaten sind weitere dazugekommen: LiebeFish, LiebeCook, LiebeTweet, …
Schriftvorstellung: LiebeErika
von Ulrike Wilhelm Schriftvorstellung
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Meine erste ›richtige‹ Schrift LiebeErika ist dann eigentlich aus der Not heraus entstan- den, dass ich keinen Font hatte, der zu mei- nen Illustrationen passte. Bis dahin hatte ich jeden Text, zum Beispiel die E-Mail-Adresse auf meiner Visitenkarte, per Hand geschrie- ben. Das klingt zwar romantisch, ist aber oft einfach nur unpraktisch. Deshalb begann ich im letzten Sommer mit dem Entwurf von genau der Schrift, die mir bisher fehlte: seri- fenlos, schmal und extrem dünn, ordentlich, aber nicht steif, handgemacht, aber nicht kit- schig.
Selbstverständlich sind Entwurf und Produktion einer lesbaren Schrift anspruchsvoller als bei Fonts, die nur aus Illustrationen bestehen. Und anders als beim Zeichnen von Schriftzügen kann man sich nicht nur auf das konzentrieren, was man gerade vor sich sieht. Bei einer Schrift muss natürlich jeder Buchstabe in Kombination mit allen anderen Buchstaben funktionieren.
Aber nicht nur die Kurven und Strichstärken müssen feiner justiert werden; auch bei einem lockeren, gezeichnet ausse- henden Font ist eine saubere Zurichtung ent- scheidend für Wirkung und Qualität des
Gesamtbildes. Zum Glück habe ich in mei- nem Umfeld einige liebe Leute mit Typo- Feingefühl, die auch noch das Fontproduk- tions-Biest zu zähmen wissen und meine LiebeErika geduldig bis zur fertigen OTF- Datei begleitet haben.
Ich arbeite auch im Analogen sehr sorgfältig und sauber. Außerdem bin ich sehr geduldig, was wohl sehr wichtig ist, wenn man Schrif- ten gestalten möchte.
Ich zeichne zuerst alle Buchstaben sehr genau – zunächst auf Papier und dann am hochauflösen- den Pixelbild mit mei- nem Zeichentablett. Diese Methode hatte ich bei den Illustrations- Fonts schon erprobt und sie hat auch für LiebeE- rika gut funktioniert.
Der Schritt zur Vektor- grafik findet bei mir erst statt, wenn ich mit allen Formen ziemlich zufrie- den bin. Bei der anschlie- ßenden Feinjustierung an den Vektorkurven muss ich immer vorsich- tig sein, nicht zu viel zu verbessern. Mein hand-
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gemachter Stil lebt schließlich von den subti- len Unregelmäßigkeiten. Wie es bei lockeren Schriften inzwischen zum guten Ton gehört, so gibt es auch bei LiebeErika mehrere Vari- anten für häufig paarweise auftretende Buch- staben, so dass auch hier eine leichte Unre- gelmäßigkeit das Schriftbild auflockert.
Mir ist wichtig, dass LiebeErika viele Sprachen unterstützt. Auch sollen die osteuropäischen Zeichen nicht «irgendwie“ aussehen, sondern historisch und konzeptio- nell richtig hergeleitet sein. Sicherheitshal-
ber gibt es auch ein Versal- ß – man kann ja nie wissen!
Nach Kyrillisch wurde ich schon mehrmals gefragt und hoffe, mich auch damit einmal angemessen beschäftigen zu
können.
Die Mühe hat sich ausgezahlt, denn LiebeErika war schnell so weit oben in der Liste der beliebtesten Fonts, dass MyFonts sie in mehreren Newslettern vorgestellt hat – was mir wiederum viel Aufmerksamkeit beschert hat. So landete LiebeErika auch in MyFonts Top 10 der besten Schriften 2010. Das war für mich Grund genug, einen riesi- gen Satz Ornamente zu gestalten, der in
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Strichstärke und Größe perfekt zu LiebeE- rika passt.
Die nächste Schrift ist auch schon in Arbeit, und die ist weder schmal,
noch dünn, noch serifenlos.

Erhältlich bei MyFonts. new.myfonts.com/foundry/LiebeFonts/

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Hartz IV Möbel –
Mobiliar für Jedermann
»Konstruieren statt Konsumieren«
Unter diesem Motto möchte der Berliner Architekt Prime Lee möglichst vielen Menschen den Zugang zu zeitlosem und hochwertigen Mobiliar ermöglichen.
Interview

87DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Hartz IV Möbel – Mobiliar für Jedermann
Zu kaufen gibt es die Hartz IV Möbelserie jedoch nicht, denn hier geht es um den Prozess des Selbst- bauens, der in der Auseinandersetzung mit dem Möbelstück entscheidend ist.
Wir haben mit ihm und fünf Möbelbauern über die Idee und die Beziehung zu einem selbstgebauten Möbelstück gesprochen.
Daniela Kleint & Nadine Roßa
Interview

89DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Prime Lee
DMI,G PL
Erzähl uns ein bisschen darüber, wie es zu der Idee »Hartz IV Möbel« kam.
Alles begann mit einer wackligen Tür zu Haus. Ich wollte meiner Freundin imponieren und ihr zeigen, dass ich das selbst reparieren kann und habe einen Tischlerkurs an der Volkshochschule Berlin City West gemacht. Ich will die Frau ja heiraten, und da möchte ich ihr ein guter Ehe- mann sein (lacht). Es gibt Bildungsferne und Handwerks- ferne. Ich zähle mich auf jeden Fall zu der zweiten Gruppe und war so stolz, als es mir dann doch gelang – an dem Wochenendkurs binnen 24 Stunden – aus einem Brett einen Sessel zu schreinern, mit allem Pipapo: Sägen, Fingerverzin- kung, Holzdübelung. Der 24-Euro-Chair war geboren. Ich war so begeistert. Ich habe mich bei dem Entwurf von den Klassikern der Moderne inspirieren lassen. Die Baupläne publiziere ich kostenlos im Netz. Seitdem wollen Hunderte von Menschen diese Selbstbaumöbel schreinern, die ich Hartz IV Möbel getauft habe. In der Zwischenzeit haben sich zu dem 24- Euro-Chair viele andere Möbel gesellt. Ich kann nun Holzmöbel bauen. Ist das nicht toll? Danke Volkshoch- schule! Danke Bauhaus!
Der Name ist politisch sehr vorbelastet. Wieso ist das der Markenname deiner Möbelserie? Und wie war das Feedback darauf ?
Ich weiß als Flüchtlingskind, wie es ist, sehr wenig zu besitzen, und große Wünsche zu haben. Ich habe viel bekommen von Deutschland: Eine solide Ausbildung (Bafög) zum Architekten – die vielen kostenlosen Bibliothe- ken in Deutschland sind ein Segen – und damals Sozialhilfe, als das Geld meiner Mutter, die Nachtschichten am Fließ- band schob, nicht mehr reichte. Mit den Hartz IV Möbeln will ich etwas zurückgeben. Jeder kann sich ein Stück Lebens- qualität leisten. Ein Barcelona Chair kostet über 3.000 Euro. Mit einem Bruchteil davon, ein wenig Zeit und starkem Wil- len kann sich jeder sein eigenes schickes Möbel herstellen. Mir hat das großes Selbstbewusstsein gegeben, mit Holz zu arbeiten. Ich will andere animieren, verborgene Talente zu entdecken. Das ist die Botschaft. Die Resonanz ist überwälti- gend. Einige fühlen sich auch auf den Schlips getreten. Das bedaure ich. Doch ich erreiche die Hartzer im Internet nun mal am besten, wenn ich es mit dem Suchbegriff verknüpfe, den sie am meisten googlen, also Hartz IV.
Sind wirklich viele Hartz IV-Empfänger unter denen, die sich die Baupläne deiner Möbel runterladen und auch bauen oder ist der Name vielleicht einfach nur Mittel zum Zweck?
Es sind etwa 1.000 Menschen in ganz Europa und einige in Amerika und Japan, die die Baupläne von mir zuge- schickt bekommen haben. Etwa ein Drittel von ihnen hat sehr
90DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

wenig Geld. Nicht alle sind Hartzer, es sind auch viele Studenten und Rentner darunter.
Verfolgst du die politische Debatte(n) um Hartz IV?
Ja, ich habe mir ein Google Alert zu dem Thema aktiviert.
Abgesehen von den kostensparenden Vortei- len der Möbel, welche Rolle hat das Design beim Entwurf gespielt?
Die Gestaltung ist eine Verbeu- gung vor den großen Architekten und Den- kern des Bauhauses. Es spielt für mich eine
große Rolle.
Deine Möbel sind kein Fertigprodukt, das man im Laden kaufen kann, sondern das Ergebnis eines Prozesses. Der Prozess des Selbst-Herstellens ist entscheidend. Glaubst du, dass Menschen Gegenstände, die sie selbst herstellen, mehr schätzen?
Probiere es aus. Bau einen Stuhl und Du wirst sehen, dass auch Gegenstände
eine Seele haben können.
Du stellst die Baupläne für deine Möbel kos- tenlos zum Download bereit und gibst den
nen Bauplan und geben mir eine Geschichte. Das ist der Deal, den ich allen vorher schreibe.
Was hat es mit den von dir aktuell parallel initiierten Guerilla-Aktionen auf sich?
Guerilla Lounges sind Experi- mente im öffentlichen Stadtraum. Ich rufe via Facebook die Menschen auf, ähnlich wie bei einem Flashmob, ihre Lieblingsmöbel mitzubringen und wir machen einen kühlen Bahnhofseingang heimlich heimelig. Mir geht es darum, auf die schönen Ecken der Stadt hinzuweisen. Die Stadt ist wie ein lebender Organismus. Man muss ihn manch- mal an vergessenen Stellen streicheln, damit
er dort nicht krank wird.
Wie oft wurden die Pläne schon herunter geladen?
Etwa eintausend mal seit dem letzten März. Aber frag mich nächste Woche noch einmal und die Zahl stimmt nicht mehr. Ich beantworte die Anfragen alle mit meinem iPhone, wenn ich im Bus oder in der U-Bahn
sitze.
Nutzern lediglich einen Plan zur Umsetzung an die Hand. Was danach damit geschieht, kannst du wahrscheinlich in vielen Fällen nicht mehr verfolgen. Stimmt das und bedau- erst du das vielleicht auch? Oder teilen die Bauer ihre Ergebnisse mit dir?
Viele schreiben mir zurück. Geben und nehmen. Die Leute nehmen mei-
91DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG Prime Lee
DMIG PL
Welches ist dein Lieblingsstück aus deiner Kollektion?
Ich finde den Berliner Hocker ganz gut. Der ist ein Mutmacher, ein treuer Begleiter, der sich dir anpasst.
Glaubst du, dass »Hochwertigkeit« zwingend mit Materialis- mus zusammen hängt?
Für mich gibt es nur menschliche oder unmensch- liche Materialien. Menschlich ist das Material, wenn es den gleichen Ursprung hat wie ich selbst. Holz zum Beispiel kommt aus der Erde. Da werde ich irgendwann auch hinkom- men. Mensch und Holz gehören irgendwie zusammen. Der Wert orientiert sich am Nutzen.
Besitzt du einen privaten Gegenstand, der für dich besonders wichtig und hochwertig ist?
Ich hatte mal ein Aluklapprad von Muji. Das fand ich sehr schön und im Detail sehr überlegt. Das war ein Phä- nomen. Als ich das in der U-Bahn ein- oder ausklappte, waren die Menschen fasziniert von dem Design, ganz gleich ob Akademiker oder Obdachlose. Das Fahrrad wurde geklaut. Es gibt in Berlin nur drei davon. Falls das hier jemand liest, bitte Mail an prime@web.de
Deine Idee ist inzwischen sehr erfolgreich und vor allem umfangreich geworden. Was hast Du als Nächstes geplant?
Ich würde sehr gerne in Berlin eine Hartz IV Wohnung mit selbstgebauten Möbeln einrichten, die man sich wie ein Showroom anschauen oder auch mal darin über- nachten kann. Mir ist dabei sehr wichtig, dass die Möbel nicht nur irgendwie zusammengeschustert sind, sondern eine gewisse Qualität haben. Das heißt, dass die Details ehrlich sind, die Möbel menschenfreundliche Proportionen haben und großzügig sind. Sie müssen unterschiedliche Launen, Trends und Anwendungen erlauben. Hat jemand eine Ein- zimmerwohnung frei für mich?
×
ÜBER PRIME LEE ×
Prime Lee alias Le Van Bo arbeitet als Architekt und Konzepter bei Dan Pearlman – Markenarchitektur. Seit vielen Jahren sammelt er leiden- schaftlich Möbel und hat deshalb gleich 3 Wohnungen in Berlin. Darüber hinaus engagiert er sich in zahlreichen gemeinnützigen Projekten wie z.B. der kieztankstelle.de und den schooltalks.de. Anfang 2010 erblickte sein bekanntestes Möbelstück – der 24€ Sessel – das Licht der Welt und ebnete damit einer ganzen Serie an Selbstbaumöbeln den Weg.
92DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

93DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

11 b
Interviews mit Hartz IV Möbelbauern
Anke Buchmann aus Berlin Jan-Phillip aus Berlin Joachim Weitkamp aus Bielefeld Ole Kloss aus Berlin Steven Dave aus Nürnberg
Interview

DMIG AB
DMIG AB
Anke Buchmann,
User Experience Designerin aus Berlin
es natürlich auch einen ideellen Wert. Es macht mich einfach stolz und bringt mich immer wieder zum Lächeln.
Warum hast du dir dein Möbelstück nicht einfach fertig gekauft?
Mir ging es von Anfang an mehr um den Weg als das Ziel. Ich wollte etwas bauen. Ich wollte mit Holz arbeiten und ich wollte Spaß. Und es hat wirklich viel Spaß gemacht. Am liebsten hätte ich direkt weiter gebaut. Ideen für nächste Projekte habe ich auch schon. Und damit ich diese nicht aus den Augen verliere, habe ich mir meine eigene Japansäge gekauft. :-)
Wie wichtig war das »Selbst-Machen« für dich?
Ja, wie gesagt, das war wohl das Wichtigste dabei für mich. Ich arbeite einfach gerne mit den Händen. Zu Schulzeiten war es das Töp- fern, dann habe ich Gold- schmieden ausprobiert und jetzt ist es das Tischlern. Mal sehen, was als Nächstes kommt.
Welches Möbelstück hast Du gebaut und wie kam es dazu?
Ich habe das Siwo-Sofa gebaut. Und so kam es dazu: Ich hatte Lust meine Hände mal wieder zum Einsatz zu bringen. In meinem Job verbringe ich einfach viel Zeit vor dem Rechner und entwickle digitale Konzepte. Als Ausgleich wollte ich mal wieder etwas Reales schaffen. Also entschied ich mich einen Tischlerkurs zu machen. Über die VHS-Web- site bin ich auf Primes Blog gestoßen und so auch auf das Siwo-Sofa. Ich finde es spannend, das volle Potential aus klei- nen Räumen herauszuholen und da kam mir Primes Idee vom Siwo-Sofa sehr entgegen.
Was schätzt du an deinem selbstgebauten Möbelstück beson- ders? Was bedeutet es dir?
Mittlerweile ist das Siwo-Sofa der Mittelpunkt meiner Wohnung geworden. Dass ein Möbelstück mitten im Raum steht, ist für mich neu. Solche Veränderungen finde ich spannend. Dadurch, dass das Möbel eigentlich 3 Möbelstü- cke umfasst, nämlich Bett, Sofa und Sitzbank, habe ich an Raum gewonnen und so endlich Platz für einen Esstisch in meiner Wohnung. Aber neben den praktischen Vorteilen hat
95DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG JP-H
DMIG JP-H
Jan-Phillip Holzenburg, BWL Student aus Berlin
Warum hast du dir dein Möbelstück nicht einfach fertig gekauft?
Ganz einfach: Ich hatte Lust etwas zu bauen – selber Hand anzulegen, mit Säge, Bohrer und Schraubzwinge!
Wie wichtig war das »Selbst-Machen« für dich?
Der Gedanke des »Selbst-Machens« ist für mich dabei genauso wichtig gewesen wie das Ausein- andersetzen mit den Rahmenbedingungen, unter denen der Sessel entstanden ist: Ihn in einer Ber- liner Volkshochschulwerkstatt gebaut zu haben hat für mich einen sehr wertvollen symbolischen Charakter. Ebenso wichtig ist mir die Tatsache, dass der Sessel schon quer durch Berlin »getourt« ist, um bei Ausstellungen oder »Guerilla- Loungings« andere Menschen zum Nachdenken und Selbermachen anzustiften.
Jan-Phillip Holzenburg , BWL Student aus Berlin
Welches Möbelstück hast Du gebaut und wie kam es dazu?
Ich habe den 24¤ Sessel gebaut. Angesteckt wurde ich durch Primes Enthusiasmus, nachdem der seinen Sessel fertig gestellt hatte. Und da meine Freundin im Früh- jahr 2009 in einem fertig möblierten Zimmer
gewohnt hat, wo keines der Möbelstücke ihr selbst
gehörte, habe ich das zum Anlass genommen, ihr
ein eigenes Möbel zu bauen.
Was schätzt du an deinem selbstgebauten Möbel- stück besonders? Was bedeutet es dir?
Mit dem 24¤ Sessel verbinde ich sehr unterschiedliche Dinge: Zum einen ist er ein Stück weit aus der Freundschaft zu Prime entstanden, die mir sehr viel bedeutet und zum anderen habe ich Ihn wie gesagt für meine Freundin gebaut. Außerdem steckt sehr viel Berlin in dem Möbel.
96DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG JW
DMIG JW
Joachim Weitkamp, Lehrer aus Bielefeld
Welches Möbelstück hast Du gebaut und wie kam es dazu?
Bei meinen Recherchen im Internet zu Holzmö- beln, unter anderem zu Enzo Mari, stieß ich per Zufall auf die Seite der Hartz IV-Möbel. Ich schrieb an Le Van Bo und bat um eine Bauanleitung für den Kreuzberg 36 Chair. Da ich nicht auf den Bauplan warten wollte/konnte, habe ich mir so meine eigenen Gedanken gemacht und den Kreuzberg als Kinderstuhl für mein Enkelkind nachgebaut in 60x30x30.
Was schätzt du an deinem selbstgebauten Möbelstück beson- ders? Was bedeutet es dir?
Ich habe keine handwerkliche Ausbildung, son- dern werkele in meiner Werkstatt eher als Hobby-Holzwurm. Ich entspanne mich ungemein bei Holzarbeiten.
Warum hast du dir dein Möbelstück nicht einfach fertig gekauft?
Wie gesagt, ich bin/war begeistert von dem »Kreuzberg 36 Chair«. Auch ich kann mir keine teuren Desi- gnermöbel von den Designklassikern leisten. Ich finde es viel
interessanter mit einfachen Mitteln und/oder aus Recycling- Materialien mir selber Sitzmöbel zu bauen.
Wie wichtig war das »Selbst-Machen« für dich?
Gebaut habe ich das zu Hause in meiner Holz- werkstatt. Ich bin, wie gesagt, kein Tischler oder ähnliches,. Ich habe mir in den letzten 3 Jahren mein »Können« ganz alleine autodidaktisch erarbeitet. Es entspannt ungemein und es ist herrlich, auch einmal etwas mit den Händen zu schaffen. Ganz nebenbei habe ich wunderschöne Sitzmöbel für meine Enkelkinder und bald »in groß« für meine Küche. Weitere Infos findet ihr unter: recycling-design.blogspot.com
97DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
Joachim Weitkamp, Lehrer aus Bielefeld

DMIG OK
DMIG OK
Ole Kloss Filmrequisiteur aus Berlin
besondere Rolle und dadurch, dass ich ihn selber gemacht habe, könnte er zum Beispiel ein Stuhl zum Meditieren wer- den.
Warum hast du dir dein Möbelstück nicht einfach fertig gekauft?
Der Grundgedanke war, dass das Material nur gut aussieht, wenn auch das Gestell selber gemacht ist , sodass ein ganz eigener Stil entsteht.
Wie wichtig war das »Selbst-Machen« für dich?
Ganz ehrlich wollte ich mir, glaube ich, bewei- sen, dass ich das kann und durchziehe. Es sollte aber auch mein eigener Stuhl werden. Ich habe den Stuhl bei einem Möbeltischler in der Werkstatt bauen dürfen, der mir gute Tipps und Beratung geben konnte. Dabei war es interessant seinen ruhigen und genauen Rhythmus mitzukriegen – er baute an einer Kommode – und wie ganz langsam und mit Konzentration so ein Stuhl entstehen kann. Mein Stuhl ist ziemlich gerade geworden und man sitzt ebenso darauf. Es war toll mit ihm zu rekonstruieren, bei welchem Arbeits- schritt ich die eine Latte etwas weiter unten anbringen müsste, um ein völlig anderes Sitzgefühl zu erhalten. Ein kleiner Einblick in die Möbel-Entwickler Branche!
Welches Möbelstück hast Du gebaut und wie kam es dazu?
Ich habe den Kreuzberg 36 Chair von Le Van Bo gebaut. Ich hatte vor einiger Zeit das Material entdeckt, das übrig bleibt, wenn die Littfasssäulen der Stadt gereinigt wer- den. Das geschieht ca. 1–2 Mal im Jahr. Dicke Schichten von Plakaten werden abgenommen und entsorgt. Diese aufeinan- der geklebten Schichten von Plakaten ergeben ein sehr festes und warmes Material. Ich hatte die Idee
Sitzfläche und Lehne für einen Stuhl daraus
zu machen, wollte aber nicht den Stuhl an
sich neu erfinden. So bin ich dann im Inter-
net auf Le Van Bos Hartz IV Möbel gestoßen
und auf den schönen Kreuzberg 36 Stuhl,
den er entwickelt hat.
Was schätzt du an deinem selbstgebauten Möbelstück besonders? Was bedeutet es dir?
Ich habe den Stuhl noch gar nicht richtig in meinen Haushalt integriert. Bisher steht er so da und ich sehe ihn mir an und zeige ihn herum. Er hat schon eine
Ole Kloss, Filmrequisiteur aus Berlin
98DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG SD
DMIG SD
Steven Dave Architekturstudent aus Nürnberg
dem wollte ich wissen, ob der Hartz IV Sessel auch taugt und nicht nur gut aussieht.
Wie wichtig war das »Selbst-Machen« für dich?
Sehr wichtig, da man ein Möbelstück viel besser erlebt, wenn man es selber baut. Man stellt dabei fest, dass es nicht schwer ist, einfache Möbel selber zu bauen, wie man sie braucht.
Welches Möbelstück hast Du gebaut und wie kam es dazu?
Den Hartz IV-Sessel. Ich fand die Idee sau cool, aus einem Brett und einem bisschen Arbeit einen Sessel zu bauen, der bequem ist und gut ausschaut.
Was schätzt du an deinem selbstgebauten Möbelstück beson- ders? Was bedeutet es dir?
Ich schätze es, weil es ganz einfach gebaut ist, ohne komplizierten Plan, ohne Schrauben, nur Holz und Leim und ein paar Gurte. Mir bedeutet er viel, weil er selbst gebaut ist und so ein cooles Möbelstück entstanden ist. Auch die Idee des Hartz IV Sessel wird weiter getragen. Im Prinzip kann ihn jeder bauen, ohne großen Aufwand, aus Materia- lien, die in meinem Fall Abfall waren (altes Holzbrett, alte Rollogurte) und heraus gekommen ist der Sessel.
Warum hast du dir dein Möbelstück nicht einfach fertig gekauft?
Zu teuer und man schätzt die Dinge viel mehr, wenn man sie selbst gebaut hat. Man weiß, was man daran hat und wie es mit einfachsten Mitteln funktioniert. Außer-
Steven Dave, Architekturstudent aus Nürnberg
99DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 5/6
Nicoletta Gerlach (Scholz & Volkmer, Creative Direction) www.s-v.de
Von hohem Wert ist…für mich eine persönliche Sache. Was für jemanden von »hohem Wert« ist, entscheidet jeder meist subjektiv und hat meist mit der persönlichen Erfahrung und dem eigenen Werteverständnis zu tun.
Der »hochwertige« Sonntagsbraten zum Beispiel wird für viele jener sein, der
so schmeckt als hätte ihn die eigene Großmutter mit viel Liebe zubereitet – ungeachtet dessen, aus welchem Stall das Tier, woher die Beilagen oder die Gewürze stammten. Für mich ist Gestaltung von hohem Wert, wenn man die Seele in der Arbeit spürt, Herzblut darin steckt, wenn sie ideengetrieben ist. Hinzu kommen die handwerkliche Exzellenz, eine Prise Überraschung durch Innovatives sowie
das Geschick das Ganze möglichst klar und einfach zu servieren.
100DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 5/6
Nora Gummert-Hauser (Professur Typografie + Editorial Design an der Hochschule Niederrhein) www.gummert-hauser.de Hochwertig: Dieses Wort irritiert mich, je mehr ich darüber nachdenke. Es hat im Nachklang etwas altmodisches, es erinnert an Zeiten als bei mir zu Hause noch der Tisch zwischendurch mit dem »guten Leinen« und dem »guten Porzellan« eingedeckt wurde. Das waren die 60er. Die nächste sich aufdrängende Erinnerung ist verbunden mit der Inflation des Designbegriffes in den 80er Jahren des
letzten Jahrhunderts. Möbeldesign bis Nageldesign … Danach gab es dann plötzlich nicht mehr nur hochwertige Drucksachen und hochwertige Küchenmöbel im Angebot, sondern auch noch hochwertiges Design. Was soll das eigentlich sein?
Und der dritte Gedanke ist eher linguistischer Art – Das Gegenteil von hochwertig ist minderwertig. In Spanien stehen überall Parkschilder auf denen steht: Minusvalidos oder auch menos válidos . Ich habe eine Zeitlang gebraucht, bis mir klar war, dass es sich um Behindertenparkplätze handelt. Wörtlich übersetzt
heißt das dann: weniger Wert. Aber so ist das bestimmt nicht gemeint.
101DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 5/6
Peter Reichard (TYPOSITION. Botschaft für Typografie und Gestaltung) www.typosition.de/
»Hochwertig« ist ein seltsamer Begriff, er wird gerne als Qualitätsbeschreibung
verwendet, aber kaum jemand kann so recht sagen, was genau damit gemeint ist. Worin liegt der Unterschied zwischen »wertig« und »hochwertig«? Und leider
ist »hochwertig« häufig ein verkaufsförderndes Adjektiv, um Mittelmäßiges verbal, aber nicht real aufzuwerten.
Stattdessen könnte es auch lauten: erlesen, ausgezeichnet, exquisit, exzellent, fein, hervorragend, kostbar, vortrefflich, vorzüglich, ausgewählt, edel, wertvoll, bestmöglich, perfekt, bewundernswert, prächtig, makellos, unübertroffen, beispielhaft, bedeutend, meisterhaft, einwandfrei, genial, außerordentlich, erstaunlich, optimal, wundervoll, mustergültig, überdurchschnittlich, exemplarisch, außergewöhnlich, beeindruckend, überzeugend, unübertrefflich, fantastisch, geschmackvoll, kultiviert, hervorragend, nobel, erstklassig, unschätzbar, …
Synonyme zu verwenden ändert nichts an der Augenwischerei mit Begrifflichkeiten, erweitert aber die sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten.
102DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 5/6
Philipp Barth (Creative Director bei Jung von Matt/Neckar)
Ich benutze das Wort »hochwertig« gern als verbalen Entspannungstee. Zum Beispiel, wenn ich einem Premiumhersteller die Idee für ein Mailing oder ein Give- away vorstelle. Der Kunde versteht dann, dass die Umsetzung zu seinem Premiumanspruch passt und ist entsprechend beruhigt. Allerdings kann der Entspannungstee manchmal auch einen etwas herben Beigeschmack haben. Denn je hochwertiger etwas produziert wird, desto teurer ist es auch.
Raban Ruddigkeit (Ruddigkeit Corporate Ideas) www.ruddigkeit.de
Haste Ohne Concept Hantiert, Wird Es Richtig Teuer. Ich Gelobe.
103DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

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Karl Gfesser Hochwertiges – worauf es gründet, wozu es dient, wofür es gilt.
»… and there is no distinction of meaning so fine as to consist in anything but a possible difference of practice.« Charles Sanders Peirce, CP 5.400
Artikel

Der Wert eines Dinges ist sein Gebrauch für den Menschen in seiner Kultur, der Wert eines Naturstoffs ist sein Nutzen für den Menschen in seiner Natur, für die Natur überhaupt, die ihrer wohl selbst wert ist. Der Mensch findet, hält, erachtet etwas für wert, etwas ist ihm von hohem, gar höchstem Wert, aufgrund dessen Bedeutung, Geltung, Wichtigkeit für sein individuales und soziales Leben. Selbstverständlich kann auch einem Ereig- nis Wert zuerkannt, einem Kunstwerk beigelegt, einer Leistung beigemessen werden. Man kann eine Person wertschätzen und sich selbst jemandes Wertschätzung erfreuen, jemandes Rat schätzen, Erfahrung und Erlebnis werten. Man spricht von materiellen, ideellen, geistigen, moralischen, ethischen, kultu- rellen, künstlerischen Werten.
Und man spricht von einem Wertzuwachs, der sich finanziell als Mehrwert, (Marx/Engels 1979: 192-213) als die Differenz zwischen dem Wert der Arbeit und dem Lohn dafür niederschlägt, und fiskalisch als Mehrwertsteuer anfällt, wenn der Tauschwert des Produkts, Ware oder Handelsgut nun, mit seinem Geldwert verrechnet wird. Alles, was bewertet wird, kann auf- und abgewertet, auch entwertet werden. Und wenn etwas verwertet wird, soll überlegt werden, ob der Aufwand an Material, Energie, Arbeitsmitteln und Arbeitskraft die Sache wert ist; es geht dabei schlicht um Effizienz, um möglichst gerin- gen Aufwand für größtmöglichen Nutzen.
Dieser Nutzen ist eben der erarbeitete Gebrauchswert. (Marx/ Engels 1979: 49-62) Es ist der Nutzen eines Dinges zur Befriedi- gung von Bedürfnissen, zur Entfaltung von Individualität und Sozialität, zur Vermehrung beider schöpferischen Potentials. Wes bedarf der Mensch nun? Wer Durst hat, hat Bedarf an Was- ser und das Bedürfnis ihn zu stillen. Er hat Bedarf an etwas und in erforderlicher Menge. Und er hat ein Bedürfnis nach etwas oder nach jemandem, was nicht quantitativ gemessen, doch qua- litativ ermessen werden kann. Der Bedürfnisse gibt es vielerlei; des Bedarfs gibt es viel. Es gibt verzichtbares Bedürfnis nach vie- lem, jedoch notwendigen Bedarf an wenigem.
Die Bedürfnisse sind mannigfaltig wie die Werte, die der Mensch setzt: materiell, physisch, psychisch, mental, emoti- onal, sozial, ökonomisch, ästhetisch. Es ist ihm natürlich, das Leben zu kultivieren, und es ist ihm ein Bedürfnis, nicht nur zu überleben, sondern das Leben auch zu genießen. Deshalb sollte man nicht nur dessen bedürfen dürfen, woran man lebensnot- wendigen Bedarf hat, sondern seine Bedürfnisse erweitern und verfeinern können; das macht Kultur aus und macht das Leben reicher. Kultur selbst ist der lebendigen Mitwelt, nicht, missver- ständlich, einer Umwelt bedürftig. Menschliche Fähigkeiten, Gefühl, Verstand, Vernunft, sind evolutionär und, unser aller Verwandtschaft bedingend, genetisch basiert.
Sie haben sich in der Naturgeschichte der Mensch- heit entwickelt und darum sollte der Mensch die Natur vernünf- tig, mit größtmöglicher Rücksicht nutzen, nicht dreist selbst-
105DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

süchtiger Nutznießer sein, damit er nicht ihrer und seiner selbst verlustig geht. Vernunft geht aufs Ganze, Verstand auf den Teil. Was zu verstehen ist, muss nicht vernünftig sein. Was Sachver- stand uns anheimstellt, ist abwägender Vernunft bedürftig. Es ist nicht jede Nutzung nützlich. Und, Kultur dient dem Leben, nicht, Leben ist der Kultur geschuldet. Kultur und Natur sind dem Menschen leiblich vermittelt. Der Natur verhaftet schafft er sich Kultur. Er lebt seine Natur und erlebt seine Kultur. Beides kennt und erkennt er mittels Zeichen. Der physiologischen Vermitt- lung folgt die semiotische. »Der Mensch ist ein semiotisches Tier; seine Menschheit besteht darin, daß er statt des natürli- chen Ausdrucks seiner Bedürfnisse und Befriedigungen sich eine conventionelle, symbolische, nur mittelbar verständliche Zeichensprache angeeignet hat …« (Mongré 1897:7)
Das Zeichen ist ein dreiheitlicher Bezug von bezeich- nendem Mittel, bezeichnetem Objekt und bedeutendem Inter- pretanten. Da kein Zeichen allein steht, weil jedes Zeichen selbst der Bezeichnung und Bedeutung bedarf, ist es zunächst ein Mittel der Wahl aus seinem Repertoire, bezüglich eines Bereichs von Objekten, dem Interpretanten das Feld eröffnend. Diese tri- adische Relation ist nicht statisch, sondern sowohl materialiter, als auch realiter und idealiter dynamisch, also im Gebrauch des Zeichens veränderlich, kann doch jedes der drei Relate abgewan- delt, erweitert, eingeschränkt werden. Mittel ist potentiell jedes Material, ist es nur in diese triadische Relation gebracht. Objekt ist prinzipiell alles, was bezeichnet, dargestellt werden kann. Interpretant ist weitestgehend sämtliches Wissen der Welt.
Der Mittelbezug des Zeichens, ob visuell, auditiv oder tentativ, ist allererst eine Qualität, ein Qualizeichen, ein Sinzeichen (sin- gulär) ermöglichend, in welchem sich ein Typus, ein Legizeichen manifestiert. Der Mittelbezug des Zeichens wird an Wahrnehm- barkeit, Aufmerksamkeit, Wirksamkeit gemessen, der Objekt- bezug daran, welcher Art er bezeichnet: ikonisch abbildend, indexikalisch verweisend, symbolisch benennend; der Interpre- tantenbezug wird in seinem offenen, geschlossenen, vollständi- gen oder emotionalen, energetischen, logischen Kontext ermes- sen, ästhetisch befriedigend, informativ hinreichend, intelligibel schlüssig. Der logische Interpretant entschlägt sich der Idiosyn- krasien und gewährleistet Intersubjektivität.
Die Relate der triadischen Zeichenrelation nennt man auch Repräsentant, Repräsentat und Repräsentation. Das Zeichen ist ein Mittel: ein Repräsentant, indem es für etwas steht, sein Objekt: das Repräsentat, und zu etwas steht, seinem Inter- pretanten: der Repräsentation. Es besitzt Information insofern, als in seinem Objektbezug die Bezeichnung oder Darstellung in Form gebracht ist, um für das Objekt stehen und dieses seinem Interpretanten erschließen, Bedeutung gewinnen zu können. Es ist dies zunächst ein potentialer, interner Interpretant, auf den der dynamische, externe Interpretant zugreift, in jeweiliger durch das Zeichen ausgelöster Wirkung. Der dynamische Interpretant tendiert zum finalen Interpretanten als die vorläu- fig optimale Bedeutung des Zeichens, diejenige Wirkung, die das Zeichen zeitigt, wenn Fähigkeiten und Umstände es zulassen.
106DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Charles Sanders Peirce, (1839-1914) der Begründer der moder- nen Semiotik, fundiert das Zeichen auf drei Universalkategorien, nämlich der Firstness, Secondness, Thirdness. »Firstness is the mode of being of that which is such as it is, positively and without reference to anything else. Secondness is the mode of being of that which is such as it is, with respect to a second but regardless of any third. Thirdness is the mode of being of that which is such as it is, in bringing a second and a third into relation to each other.« (Peirce 1931-1960: CP 8.328) Semiotisch gewendet, heißt es an anderer Stelle: »Now a sign has, as such, three references: first, it is a sign to some thought which interprets it; second, it is a sign for some object to which in that thought it is equivalent; third, it is a sign, in some respect or quality, which brings it into connection with its object.« (CP 5.283) Der Erstheit kommt die Möglichkeit der Wahrnehmung und Anschauung zu, der Zweitheit die Wirklichkeit der Erfahrung und Beobachtung, der Drittheit die Notwendigkeit der Kenntnis und Erkenntnis.
Wie wohl alles Weltliche, ist gerade auch das Zei- chen systemischer Art. Ein System ist nichts anderes als die Beziehungen seiner Elemente, und die Elemente eines semioti- schen Systems sind seine Zeichen und Subzeichen. Ein semioti- sches System ist involvativ, da das Subzeichen höherer Semioti- zität im Subzeichen niedererer Semiotizität involviert ist. Zuunterst ist das Mittel in seiner Qualität, worunter kein Zei- chen gehen kann und wodurch allein schon Realität in das Zei- chen eingeht, nicht erst über dessen Objektbezug. Die Semiosis, der Zeichenprozess, baut auf Materie auf. Deshalb ist die Semio-
tik eine nicht ranszendentale Tiefenorganisation aller Systeme, ob der Darstellung, der Gestaltung oder der Vermittlung.
Selbstverständlich ist ein Gebrauchsgegenstand, ein zum Gebrauch designiertes Objekt, kein semiotisches System. Es ist aber vermittelt durch dieses. Nur die graduierende Repräsen- tation der Semiotik demonstriert den vielfach vermittelten Welt- gehalt eines Objektes. Sie verläuft im Objektbezug von der Ikoni- zität durch Anpassung über die Indexikalität durch Annäherung zur Symbolizität durch Zuordung. Hebt aber das Symbol von der Semiose ab und sind der Index und das Ikon retrosemiosisch nicht mehr auffindbar, ist der Weltgehalt, im wahrsten Sinne des Wortes, abhanden gekommen, das Symbol zum Hirngespinst verkommen.
Symbole neigen dazu. Denn im Symbol ist der Objektbezug dem Mittel arbiträr zugeordnet. Er geht nicht in einer Abstraktionsfolge innerhalb des Objektbezugs hervor, wie dies beim Ikon der Fall ist. Es mangelt dem symbolischen Objekt- bezug an semiotischer Information. Semiotische Information ist der »Grad der Präsentation des Objekts im Zeichen, welches nichtsdestoweniger allererst repräsentativer Art ist. Sie ist im ikonischen Objektbezug am höchsten und fällt über den indexi- kalischen Objektbezug ab zum symbolischen, wo sie am nied- rigsten ist. Der ikonische Objektbezug ist also derjenige, der der Präsentation des externen Objekts am nächsten ist, weil diese durch formale oder strukturale Ähnlichkeit im Ikon aufgehoben ist.« (Gfesser 2009: 11; vgl. Walther 1979: 141) Gleichwohl ist im
107DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Symbol die Semiotizität am höchsten. Semiotizität und semioti- sche Information sind einander konträr. Semiotizität ist allein zeichenintern, der semiotische Informationsgehalt aber bemisst sich an dem Grad, nach dem der Objektbezug des Zeichens vom zeichenexternen Objekt determiniert ist.
Im Ikon (2.1) wird das Mittel als Qualizeichen (1.1) mitgeführt, im Symbol (2.3) als Legizeichen (1.3), in welchem das Qualizeichen zwar inkludiert ist, jedoch nicht als selegible semiotische Information in die Repräsentation eingeht. (Anhang) Vor dem Ikon, das ja ein gesetztes Zeichen semantischer Art ist, ist das Anzeichen mantischer Natur. Mantisch verlautet die Natur: natura loqui. Die »sprechende« Natur ist semiosisch nicht einzuholen, geht sie doch jeder Semiose vor. Wenn es aber um Hochwertiges geht, soll Mantik nicht unter Semantik verschütt gehen. Mantisch entbirgt uns die Natur ihre Werte, die wir wis- senschaftlich erschließen, technisch nutzen, bionisch adoptie- ren. Wir schöpfen aus der Mantik der Natur auch unseren Sinn für das Schöne, unsere Achtung vor dem Guten, gar unser Urteil über das Wahre.
Hochwertiges vernehmen wir derart zuallererst in der Natur. Die Wahrnehmung des natürlich Schönen führt zur Erfahrung des gesellschaftlich Guten, das zur Erkenntnis des geistig Wahren leitet. Eingedenk unserer Herkunft folgen wir dem Weg von der Wahrnehmbarkeit über die Tauglichkeit zur Schlüssigkeit, von der Ästhetik über die Ethik zur Logik, willens, diese Folge zum zivilisatorischen, kulturellen Erfolg gereichen
zu lassen. Was sehens- und hörenswert ist, ist schätzens- und liebenswert, denkens- und lebenswert. All das ist nicht beliebig. Auch das Urteil über Wertiges und Hochwertiges ist nicht einer Beliebigkeit überlassen, sondern obliegt einer Anstrengung, jener der Vorstellungs- und Urteilskraft.
Urteilskraft geht über Klarheit, Stimmigkeit, Ange- messenheit. Auf das Design angewendet heißt das: passend sele- gieren, angemessen objizieren, schlüssig interpretieren, in ener- getischer, technischer, ästhetischer Hinsicht. So gerät die Gestaltung, semiotisch reflexiv, kritisch, also unterscheidend begleitet, nicht allein praktisch zweckdienlich, sondern auch ästhetisch einnehmend. Das so geschaffene Objekt erweist Taug- lichkeit und weist Schönheit auf, als eine gewisse Eigenrealität, die aufscheint, aber nicht Schein ist. Deshalb ist das Schöne nicht ein lediglich subjektiv Wohlgefälliges, wie es einem eben scheint, sondern weit mehr etwas, was im tauglich Guten widerscheint, dem kritisch Wahren verpflichtet.
Peirce untersucht das Schöne, Gute, Wahre inner- halb dreier normativer Wissenschaften, der Ästhetik, der Ethik und der Logik, weil gemeinhin gesagt sei, dass dies die drei Leh- ren seien, »die gut und schlecht unterscheiden; Logik hinsicht- lich der Darstellungen der Wahrheit; Ethik hinsichtlich der Wil- lensanstrengungen und Ästhetik in Objekten, die nur in ihrer Präsentation betrachtet werden.« (Peirce 1991: 18; CP 5.36) So »muß Logik oder die Lehre dessen, was wir denken sollten, sicher eine Anwendung der Lehre dessen sein, was wir bewußt
108DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

zu tun wählen, und das ist die Ethik.« (Peirce 1991: 17; CP 5.35) »Ein logisch Schließender ist ein Schließender, der in seinen intellektuellen Operationen große Selbstkontrolle ausübt; und daher ist das logisch Gute einfach eine besondere Spezies des moralisch Guten.« (Peirce 1991: 87-88; CP 5.130)
Das moralisch Gute wiederum erscheint »als eine besondere Spezies des ästhetisch Guten«, insofern als bereits dieses »sich selbst als in sich selbst vernünftig empfiehlt«, als ein »bewundernswertes Ideal«. (Peirce 1991: 88; CP 5.130) Um ästhe- tisch gut zu sein, müsse ein Objekt eine Vielzahl von Teilen haben, »die so miteinander verbunden sind, daß sie ihrer Totali- tät eine positive einfache unmittelbare Qualität verleihen.« (Peirce 1991: 88-89; CP 5.132).
Peirce ist so zu verstehen, dass das moralisch Gute nicht wohlfeil zu haben ist, einfach aus dem ästhetisch Guten hervorgeht, sondern der »Billigung eines Willensaktes« obliegt, dem nämlich, »welche Handlungsziele wir wohlüberlegt anzu- nehmen gewillt sind.« Die Ethik ist die Untersuchung dessen. (1991: 87; CP 5.130) Dem ästhetisch Guten eignet nach Peirce die Ausdruckskraft, (1991: 92; CP 5.140) dem moralisch Guten die Glaubwürdigkeit, (1991: 92; CP 5.141) dem logisch Guten die Vortrefflichkeit des Arguments. (1991: 95; CP 5.143) Geltung erwirbt das Argument durch Vernünftigkeit.
Die Logik dient Peirce als ars inveniendi, wie sie im 17. Jahrhundert von Francis Bacon, René Decartes und Gottfried
Wilhelm Leibniz erörtert worden ist, als eine Methode, Wahr- heit zu entdecken. Er nennt sie Abduktion. (CP 2.619-2.644) Die Abduktion ist eine Hypothese, die dem suchenden Zweifel ent- springt, ist ein erprobender Schluss. Sie verknüpft die Deduk- tion: p q, p, q und die Induktion: p, q …, p q, indem von q ausgegangen, p q vermutet wird und p gesetzt wird: q, p q,
p. (Gfesser 1987: 69; 1996: 233) Die Abduktion ist, rückschlie- ßend von q, die Vermutung, dass p q; p kann als induktiv zu prüfende Ursache angenommen werden, und der Zusammen- hang p q, kann, sollte er sich erweisen, als ein allgemeines Gesetz oder zumindest als Regel p q formuliert werden, was die Deduktion von q gestattet, sobald p vorausgesetzt ist – bis neue Zweifel auftauchen. Die Abduktion ist im Fortschritt der Erkenntnis das kreative Transformativ zwischen Zweifel und Überzeugung. Es handelt sich hier um eine Semiosis oder Retro- semiosis, die nach Peirce wie jede Semiosis »eng mit einer Bewusstseinsveränderung« verknüpft ist. (Walther 1981: 63)
In praxi: Die Induktion ist der Test einer hyposta- sierten Regel hinsichtlich ihrer Verifikation, die zwar logisch nicht einlösbar ist, aber Geltung hat, solange sie nicht falsifiziert ist. Die Deduktion ist die Anwendung einer Regel auf einen Fall, deren Ergebnis die Regel, vorläufig nur, bestätigt. Die Abduktion ist die Erklärung eines Falles, die sich aus der Anwendung einer hypostasierten Regel ergibt. Es handelt sich hier aber nur um den ersten Versuch einer Erklärung, um einen nicht verallgemei- nernden Schluss, der aufgrund gewisser Bedingungen kreativ prüfbare Folgen als Konditionalaussage formuliert, was eine
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deduktive Ableitung ermöglichen und in das Testverfahren der Induktion übergehen kann.
Peirce hat das Zusammenwirken der drei Schluss- weisen als Momente einer einzigen Methodologie verstanden, innerhalb derer zwischen der Hypothese bildenden Abduktion und der bestätigenden oder verwerfenden Induktion die Deduk- tion die logische Konsistenz gewährleistet. »This step of adopt- ing a hypothesis as being suggested by the facts, is what I call abduction«. (CP 7.202) »[…] the first thing that will be done, as soon as a hypothesis has been adopted, will be to trace out its necessary and probable experiential consequences. This step is deduction.« (CP 7.203) Die dritte Schlussweise definiert er so: »This sort of inference it is, from experiments testing predictions based on a hypothesis, that is alone properly entitled to be called induction.« (CP 7.206) Peirce stellt klar: »Induction is the expe- rimental testing of a theory. […] It never can originate any idea whatever. No more can deduction. All the ideas of science come to it by the way of Abduction. Abduction consists in studying facts and devising a theory to explain them.« (CP 5.145)
Verbunden mit dem argumentisch-symbolischen Legizeichen als der des Arguments, welches ja nicht nur deduktiv, sondern auch induktiv und abduktiv auftreten kann, ergeben sich in um je ein Subzeichen aus jedem Bezug erweiterten Zeichenklassen folgende Repräsentationen der drei Schlussweisen und ihre Semiosen: (Anhang)
Eben »die Struktur eines Arguments« spricht Claudio Guerri dem Designprozess zu. Deshalb sei dieser nicht auf »schöpferi- sche Intuition« zurückzuführen, sondern auf »einen abduktiven Prozeß. Der gesamte Design-Prozess beruht auf einem Aufstel- len von Hypothesen über den sozialen, ästhetischen, den funkti- onalen Wert des Geplanten und Gebauten.« (Guerri 2000: 383) Selbstverständlich muss die Hypothese sich qualitativ-induktiv bewähren, um derart gewichtet deduktive Geltung gewinnen zu können. Hochwertig ist nicht, was merkantilen, finanziellen Mehrwert verheißt, sondern das, was sachlichen, funktionalen, kurz pragmatischen Mehrwert trägt, ästhetischen Wert mitfüh- rend, das, was im vielfältigen semiotischen Vermittlungsprozess zwischen Welt und Bewusstsein ästhetisch, ethisch und logisch Bestand hat, weil dessen Momente erkannt und angemessen berücksichtigt sind.
110DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
3.3 3.1 2.3 2.1 ˇˇ
3.3 3.2 2.3 2.2 ˇˇˇ
3.3 3.3 2.3 2.3
1.3 1.2 1.3 1.2 1.3 1.3
Abduktion Induktion Deduktion

in der Erstheit in der Zweitheit in der Drittheit
den repertoiriellen Mittelbezug,
den bezeichnenden Objektbezug,
den bedeutenden Interpretantenbezug,
und diese drei Bezüge,
auf das Repertoire der Mittel, den Bereich der Objekte,
das Feld des Interpretanten,
lassen sich in je drei Feinbezüge oder Subzeichen unterteilen; die Trichotomien sind: (Peirce1931-1960: CP 2.243-2.253)
der Erstheit der Zweitheit der Drittheit
der Wahrnehmung/Anschauung, der Erfahrung/Beobachtung, des Erkennens/Denkens.
Die daraus generierte kategorial-fundierte triadische Zeichen- relation universal-semiotischer Entitäten:
( = semiotische Transition, > = semiotische Selektion)
Kat Zr3 ((.1. .2.) .3.) oder Ent Zr3 (Z(M) > Z(O) > Z(I))
im M-Bezug im O-Bezug im I-Bezug
Qualizeichen Ikon
Rhema
Sinzeichen Index Dicent
Legizeichen Symbol Argument
In der auch numerisch notierten kleinen semiotischen Matrix: (Bense/Walther 1973: 22-23, 61-62; Walther 1979: 58)
M O I
M MM MO MI O OM OO OI I IM IO II
.1 .2 .3
1. 1.1 2. 2.1 3. 3.1
1.2 1.3 2.2 2.3 3.2 3.3
Hochwertiges ist argumentisch verstandene Qualität, auf den Begriff gebrachte Realität. Wie Peirce in seiner maxim of prag- matism anschaulich formuliert: »The elements of every concept enter into logical thought at the gate of perception and make their exit at the gate of purposive action; and whatever cannot show its passports at both those two gates is to be arrested as unauthorized by reason.« (CP 5.212)
× ANHANG ×
Ch. S. Peirce geht in seiner Semiotik von drei Universalkatego- rien aus (Peirce 1931-1960: CP 8.328):
(Bense 1979: 36) umfasst:
111DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

VZr(.1.(1.1, 1.2, 1.3) .2.(2.1, 2.2, 2.3) .3.(3.1, 3.2, 3.3)) VZr(M(Qua, Sin, Leg) O (Ic, In, Sym) I (Rhe, Dic, Arg))
Im vollständigen Zeichen, aus dem die zehn Peirceschen Zei- chenklassen (Peirce 1931-1960: CP 2.254-2.264, 8.341-8.344) sele- giert werden, sind alle Momente des semiotischen Vermittlungs- prozesses zwischen Welt und Bewußtsein enthalten: (Gfesser 1996: 31-33)
Ontizität Wahrnehmung (Trans)formation
M-Bezug 1.1 Materialität O-Bezug 2.1 Strukturalität I-Bezug 3.1 Intentionalität
Faktizität Erfahrung Information
1.2 Sensualität 2.2 Empirizität 3.2 Kognitivität
Semiotizität Erkenntnis Kommunikation
1.3 Konventionalität 2.3 Textualität
3.3 Theorizität
differenziert sich also die kategoriale triadische Zeichenrelation über ihre trichotomischen Stellenwerte zur vollständigen triadisch-trichotomischen Zeichenrelation, welche linear so geschrieben wird: (Bense 1979: 113)
Signal, als singular sensuelle Aktualisation, als material-energe- tisches konkretes Exemplar des abstrakten, konventionell einge- führten Legizeichens (1.3) Gegenstand der Wahrnehmung.
Das Icon (2.1) setzt strukturell am Objekt an, bildet es über gemeinsame Merkmale oder Ähnlichkeit ab; der Index (2.2) erschließt die Empirizität des Objekts, da er einen direkti- ven, nexalen oder kausalen Verweis darauf gibt, oder es identifi- ziert; das Symbol (2.3) fasst den objektalen Bezug innerhalb eines textualen Systems oder Kontextes, es nominiert das Objekt arbiträr, ohne irgendwelcher Übereinstimmung mit diesem zu bedürfen, ist also gänzlich vom Interpretanten abhängig.
Der Interpretantenbezug setzt in einem offenen Kontext intentional im Rhema (3.1) ein; die Intention ist auf die Kognitivität des kontextuell geschlossenen Dicent (3.2) gerich- tet, welcher beurteilbare Aussagen festhält, und zwar im gesetz- mäßigen, vielleicht sogar vollständigen Argumentationszusam- menhang einer Theorie (3.3).
Was nun die Vermittlungsfunktionen der (Trans) formation, Information und Kommunikation angeht, so setzt die Ontizität schaffende (Trans)formation schon bei der Separation materialer Qualitäten aus dem gesamten Weltobjekt an, bei der Bereitstellung von Repertoirematerial (1.1), und setzt sich dann in dessen Umformung in energetische Signale (1.2) fort. Das Sig- nalrepertoire ist vom Interpretanten normiert, weshalb er über die Konventionalität des Legizeichens (1.3) in die (Trans)forma-
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Das Qualizeichen (1.1) stellt auf die selegierbare Qualität und Materialität des Zeichenmittels ab; das Sinzeichen (1.2) ist als

tion des Mittels involviert ist. In der Erstheit der Zweitheit (2.1) zeigt sich die (Trans)formation in der Übernahme strukturaler und qualitativer Merkmale ikonisch und führt dann zur Erstheit der Drittheit (3.1) als dem intentionalen Interpretanten, der ja einen eher ikonischen Objektbezug meint.
Die Faktizität schaffende Information zeigt sich am deutlichsten in der genuinen Zweitheit, dem Index (2.2), läuft weiter über die strukturalen Entsprechungen des Objekts im Ikon (2.1) zur Zweitheit der Drittheit, zur Beurteilbarkeit im Dicent (3.2), also z. B. zu einer Folge von Sätzen als dem Erkennt- nisgehalt einer Theorie, deren Realgehalt sich im Index ange- zeigt findet; die Information steht in einem symbolisch bezeich- neten Zusammenhang (2.3) und geht zurück auf das Signal (1.2) als ihrer materialen Manifestation.
Die hohe Semiotizität voraussetzende Kommunika- tion gipfelt in der argumentativen Theorizität (3.3) und dient im weitesten Sinn der Erkenntnis als behauptetem Sachverhalt (3.2); Kommunikation ist intentional (3.1) und bedient sich der Kontextualität symbolischer Objektbezeichnungen (2.3), in wel- cher die intendierte objektale Indikation und Information erst umfassend interpretierbar werden, weil der Kontext immer schon interpretativ und Kommunikation von vornherein textual ist. Im Mittelbezug setzt Kommunikation beim Legizeichen (1.3) an als der Normierung des Zeichenmittels durch den Inter- pretanten.
Dargestellt innerhalb der kleinen semiotischen Matrix, sieht der Verlauf von (Trans)formation, Information und Kommunikation wie folgt aus; berücksichtigt ist dabei, dass die im Materialen basierende (Trans)formation auf die Ontizität des Zeichens abhebt und anfänglich natürlich die Wahrnehmung angeht, dass die Information den Gegenstand der Erfahrung, seine Faktizität gibt, dass Kommunikation über verschiedene Theorien Erkennt- nis vermittelt, was deren hohe Semiotizität ausmacht, und dass eine Theorie selbstverständlich kommunikabel sein muss:
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(Trans)formation Information Kommunikation
Ontizität Wahrnehmung
1.1 1.2 1.3 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3
Faktizität Semiotizität Erfahrung Erkenntnis
1.1 1.2 1.3 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3
1.1 1.2 1.3 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3
M-Bezug O-Bezug I-Bezug

Zeichenklasse
Realitätsthematik
1.1 1.2 1.3
2.1 1.2 1.3 3.1 1.2 1.3 2.1 2.2 1.3 3.1 2.2 1.3
3.1 3.2 1.3 2.1 2.2 2.3
3.1 2.2 2.3 3.1 3.2 2.3 3.1 3.2 3.3
Strukturelle Realität
M-them. M (vollständiges M) M-them. O M-them. I O-them. M
M- und O-them.
I, M- und I-them. O,
O- und I-them. M I-them. M. O-them. O. (Vollständiges O) O-them. I
I-them. O I-them. I (Vollständiges I)
1. 3.1 2.1 1.1 X
2. 3.1 2.1 1.2 X
3. 3.1 2.1 1.3 X
4. 3.1 2.2 1.2 X
5. 3.1 2.2 1.3 X
6. 3.1 2.3 1.3 X
7. 3.2 2.2 1.2 X
8. 3.2 2.2 1.3 X
9. 3.2 2.3 1.3 X
10. 3.3 2.3 1.3 X
Wahrnehmung geht über die physikalische Transformation im Signal: Erfahrung geht über die kausale,
nexale Information im Index: Erkenntnis geht über die kommunizierbare Theorie im Dicent:
Rezeption Mittelobjekt Perzeption Objektobjekt Apperzeption Interpretantenobjekt
1.1 1.2 1.3 2.1 2.2 2.3 3.1 3.2 3.3
Betrachtet man die Mittelachse der semiotischen Matrix, so bemerkt man, dass in der Mitte eines jeden Bezugs jeweils das singuläre, identifizierbare, entscheidbare Moment steht, und darum ergibt die Mittelachse der Matrix auch die Realitätsthe- matik des objektthematisierten, des vollständigen Objekts: (siehe unten)
Aus je einem Subzeichen eines jeden Bezugs hat Peirce zehn Zeichenklassen gebildet, welchen Bense als ihre inverse, duale (X) Form die sogenannten Realitätsthematiken hinzugefügt hat. Die Realitätsthematik ist die Realisationsform der Zeichenklasse; sie gibt die (zeichen)strukturelle Realität an, zeigt an, in welcher Form und auf welcher Stufe der Semiotizität das Objekt im Zeichen realisiert ist. (Bense 1983: 36)
Das Objekt-thematisierte Mittel ist das Mittel des rhematisch- indexikalischen Legizeichens: Der Objektbezug bestimmt die Wahl des Mittels – durch den Interpretanten.
Der Objekt-thematisierte Interpretant ist der Inter- pretant des rhematisch-indexikalischen Legizeichens: Der Objektbezug bestimmt den Interpretanten – bei der Wahl des Mittels.
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Zkl 3.1 2.2 1.2 Zkl 3.1 2.2 1.3 Zkl 3.2 2.2 1.3
X Rth X Rth X Rth
2.1 2.2 1.3 3.1 2.2 1.3 3.1 2.2 2.3
O-them. M Ästh. Realität O-them. I
Der Mittel- und Objekt-thematisierte Interpretant oder das Mit- tel- und Interpretanten-thematisierte Objekt oder das Objekt- und Interpretanten-thematisierte Mittel sind Interpretant, Objekt und Mittel des rhematisch-indexikalischen Legizeichens: Der Mittel- und Objektbezug bestimmen den Interpretanten oder der Mittel- und Interpretantenbezug bestimmen das Objekt oder der Objekt- und Interpretantenbezug bestimmen das Mittel.
Die Zeichenklasse 3.1 2.2 1.3 und ihre dual-identi- sche Realitätsthematik 3.1 2.2 1.3 kennzeichnen die ästhetische Realität (Bense 1979: 92-151, 1986: 90–111) und die Variabilität des kreativen Prozesses von Semiose, Retrosemiose und Superi- sation.
Im Falle von Kreation: Wenn nach vorausgegange- nen Semiosen wie Selektion, (Trans)formation, Iteration, Per- mutation, Substitution, die auch schon am kreativen Prozeß teilhaben, Semiose ( ) und Retrosemiose ( ) sowie Transition ( ) und Retrotransition ( )
vom O-thematisierten Mittel und vom Objekt-thematiserten Interpretanten zur dual-identischen Zeichenklasse und Reali- tätsthematik gelingen, ist ästhetische Realität entstanden.
Ästhetische Realität ist etwas, was sich selbst prä- sentiert, selbst designiert, selbst repräsentiert, ohne etwas ande- res zu repräsentieren und durch etwas anderes repräsentiert zu werden. Sie zeigt sich, scheint auf. Sie ist Repräsentant, Repräsentat und Repräsentation zugleich.
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× LITERATUR ×
Bense, Max (1979). Die Unwahrscheinlichkeit des Ästhetischen und die semiotische Konzeption der Kunst. Baden-Baden: Agis
Bense, Max (1983). Das Universum der Zeichen. Essays über die Expansionen der Semiotik. Baden-Baden: Agis
Bense, Max (1986). Repräsentation und Fundierung der Realitä- ten. Fazit semiotischer Perspektiven. Baden-Baden: Agis
Bense, Max; Elisabeth Walther (Hg.) (1973). Wörterbuch der Semiotik. Köln: Kiepenheuer & Witsch
Gfesser, Karl (1987). Sprache und Realität in der Physik. Eine semiotische Annäherung. Semiosis 46/47, 67-81
Gfesser, Karl (1996). Die Politik der Wirtschaftsgesellschaft. Prolegomena zu einer Soziosemiotik. Stuttgart: Helfant-Edition
Gfesser, Karl (2009). Die Retrosemiosis der Marke – von der Repräsenz zur Präsenz. In: Klaus M. Bernsau (Hg). Güter, Geld und gute Worte. Ergebnisse der Sektion Wirtschaft und Semiotik des 12. internationalen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS e.V.). Saarbrücken 2009: Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, 7-12
Guerri, Claudio (2000). Gebaute Zeichen: die Semiotik der Archi- tektur. In: Wirth, Uwe (Hg.). Die Welt als Zeichen und Hypo- these. Perspektiven des semiotischen Pragmatismus von Charles Sanders Peirce. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 375-389
Marx, Karl; Friedrich Engels (1979). Werke: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 23, Buch I. Berlin: Dietz
Mongré, Paul (1897). Sant‘Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras. Leipzig: C. G. Naumann
Peirce, Charles S. (1931-1960). Collected Papers. Volume II, V, VII and VIII. Cambridge, MA: Harvard University Press
Peirce, Charles S. (1991). Vorlesungen über Pragmatismus. Elisabeth Walther (Hg). Hamburg: Meiner
Walther, Elisabeth (1979, zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage). Allgemeine Zeichenlehre. Einführung in die Grundlagen der Semiotik. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt
Walther, Elisabeth (1981). Common-sense bei Kant und Peirce. Semiosis 23, 58-66
116DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

13
Food Styling Interview mit Frank Weymann
Pascal Jeschke & Nadine Roßa
Interview
Abbildung und Realität haben manchmal nicht viel miteinander zu tun. Das weiß jeder, der schon mal eine Dosensuppe zubereitet hat und deren Optik meist ein anderes Gericht ver- spricht, als das was man am Ende auf seinem Teller vor sich hat.
Es muss nicht gleich so drastisch sein, wie in diesem Fällen:
http://www.pundo3000.com/werbung- gegenrealitaet3000.htm
Das Produktetikett verspricht «Haute Cuisine», das Innenleben verspricht Magenschmerzen. Auf Werbung und deren Versprechen gehen wir hier nicht allzu sehr ein. Aber warum
«low cost» wie «high cost» aussieht, kann uns Frank Weymann erklären.
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DMIG MB
DMIG MB
Du bist von Beruf Food-Stylist. Wenn dich Leute auf einer Party danach fragen, was du beruflich machst, wie umschreibst du das, was du machst?
Wie sieht dein Arbeitsablauf bei einem Fotoshooting bzw. Werbefilmdreh aus?
Ich verändere Lebensmittel so, dass sie vor der


Ich verwandle Konsistenzen von Lebensmitteln, um das Fliessverhalten so zu verändern,
Kamera haltbarer sind.

Ich baue Bil-
Durch Zufall.
cotrophologiestudiums sprach mich eine Freundin an, die einen Foodstylisten kannte, ob ich nicht Lust hätte, ihm zu assistieren. Daraus ergaben sich nach einiger Zeit die ersten kleinen eigenen Jobs, die sich dann sehr schnell vervielfältig- ten.
Warum muss Essen „gestyled“ werden? Warum sieht „normales“ Essen nicht gut genug aus?
Lebensmittel sind sehr heterogene Stoffe, die vor der Kamera (zum Teil) nicht gut aussehen. Zudem „sieht“ eine Kamera im Gegensatz zum Auge nur zweidimensional. Diese eine fehlende Dimension muss ausgeglichen werden.
dass es vor der Kamera lecker aussieht. der vor der Kamera
Wie bist du zu diesem Beruf gekommen?



vom Kunden gewünscht ist.
Während meines Oe-

Lebensmittel einkaufen. Mit dem Storyboard (Drehbuch) auseinandersetzen um zu verstehen ,was
Lay- outfilme drehen oder Fotos schießen (falls
Bei Bedarf müs- sen die Lebensmittel vorweg verarbeitet
Vor
Du bist gelernter Koch. Bereitest Du das Essen manchmal auch selbst zu oder küm- merst Du Dich ausschließlich ums Styling?
Manchmal koche ich das Essen
auch selber, ansonsten kümmert sich eine Assistenz darum, damit ich mich zu 100% auf das Stylen und den Aufbau kon- zentrieren kann. Um das Einkaufen kümmere ich mich in Deutschland aber ausschließlich selber, im Ausland lasse ich die einheimische Assistenz die Einkäufe erledigen.
118DMIG Magazine — Nr 6 März 2011
vorab gewünscht).

Nach dem Vorbereiten die
werden.
Originalprodukte nachbauen.
der Kamera das gewünschte Bild aufbauen.

119DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

DMIG MB
DMIG MB
Kann man die Lebensmittel auf deinen Fotos/in deinen Fil- men wirklich essen? Sind sie also „echt“?
In den meisten Fällen ja. Vor allen Dingen wenn die Darsteller die Produkte vor der Kamera essen müssen, müssen diese zumindest halbwegs schmackhaft sein. Die Zeiten der artifiziellen Produkte sind Vergangenheit.
Perfektes Food-Styling und Fotografie kann für den Hobby- koch mitunter ziemlich ernüchternd sein. Wie real sind Food-Fotos?
Der Trend geht weiterhin in Richtung natürli- cher Produktfotografie. Nichts desto trotz werden Produkte nach wie vor für die Kamera geschönt und aufgearbeitet.
Wie weit gehst Du mit Deiner künstlerischen Freiheit?
Wenn es geht, bis an die Grenze. Das ist das was die Kunden an mir schätzen.
Wenn du schick essen gehst, denkst du dann oft daran, wie du das Essen auf deinem Teller stylen würdest?
Ja, ständig. Leider ist es mittlerweile so, dass teuer essen gehen nicht immer mit höchster Qualität verbun-
den ist. Meist bezahlt man einen bekann- ten Namen und erhält dafür aber mindere Qualität, einen schlechten Service und nicht das, was einem versprochen wird.
Arbeitet man auch in der Haute Cuisine mit optischen Tricks (auch jenseits der Kameras), um essen hochwertiger ausse- hen zu lassen?
Ja, durchaus wird die ein oder andere Nudel auch gefärbt. Vor allem die Molekularküche hat sich dadurch ausge- zeichnet. Der Trend dazu ist aber schon wieder vorbei und es bewegt sich alles mehr in Richtung natürlichen Produkten
und natürliches Aussehen.
Hat sich deine Einstellung zum Essen mit deinem Beruf verändert?
Nein, die Einstellung zum Essen hat sich bereits in meiner Ausbildung und Tätigkeit als Koch verändert und geprägt. Ein “Feintuning” wird es dennoch immer wieder geben.
120DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Fotografie & Fooddesign: Frank Weymann www.foodstyling-weymann.com

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 6/6
Roland Brückner (Autor & Illustrator) www.bitteschoen.tv, www.mumpelmonster.de
Hochwertig verstehe ich als die Wahl von erstklassigen Lösungen bei der Umsetzung einer Produktidee. Das direkte Gegenteil ist minderwertig. Ist etwas von minderem Wert, wurde bei der Herstellung gegeizt, geschlampt, gehetzt oder absichtlich schlecht gearbeitet. Konkret als hochwertig empfinde ich meine Uhr, mein Mobiltelefon, meine Axt und meine Schuhe. Allesammt Gegenstände von Firmen,
die Ihren Namen pflegen und deren Güter über dem Durchschnittspreis liegen.
Sebastian Pilzner (Creative Director, Use Idendity & Design Network) www.use-id.de
Hochwertig ist für mich ein Attribut, das die Güte von Rohstoffen, Halbzeugen, fertigen Produkten aber auch Prozessen (der Be-/Verarbeitung) beschreibt. Hochwertig definiert für mich dabei eine Relation kein absolutes Maß. So sehe ich die Eigenschaft hochwertig unabhängig vom absoluten Preis einer Sache.
In der Regel kennzeichnet es für mich eine Kombination von qualitätvollen Ausgangsstoffen oder -materialien und deren ebenso erstklassiger und angemessener Be- oder Verarbeitung. Auch beide Komponenten an sich können dabei bereits hochwertig sein.
121DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 6/6
Tino Grass (büro für visuelle kommunikation) www.tinograss.de
»das hat keinen wert.« diese aussage von martin hess, student der hochschule
für gestaltung in ulm und ehemaliger professor an der fachhochschule düsseldorf, hat mich während meines studiums geprägt.
hochwertig wird oft mit überteuert, luxuriös oder exquisit in verbindung gebracht– das ist es aber nicht. wertigkeit erlangt man nicht durch hohe geldmittel, kostspieligen schnickschnack oder schillerndes beiwerk.
es ist die arbeit, das entwickeln und entwerfen, das ausschließen, der austausch, der spaß und die immer wieder neue herausforderung durch den inhalt.
ein klarer blick und mit dem ziel vor augen, eine bessere und funktional schöne lösung für ein problem zu finden, zu gestalten, zu überraschen.
design als schein, systeme die nicht laufen und produkte die nicht nützen – sie sind wie brezln ohne butter. das hat keinen wert.
Wolfgang Beinert (Atelier Beinert / Berlin) www.beinert.net
Handwerkliche und schöpferische Leistungen, die ich unabhängig von meinem persönlichen Geschmack und Bedarf als außergewöhnliche, authentische, meisterhaft durchdachte und beeindruckende Spitzenleistungen akzeptieren kann.
122DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Was ist für dich hochwertig? 39 Statements von Kollegen. EINSCHUB 6/6
Torsten Sørensen (Senior Berater & Senior Account Manager, Designair) www.designair.org
Hochwertig ist für mich alles Stoffliche/Anfassbare, was eine sehr hohe Wertigkeit im Sinne einer sehr hohen Qualität besitzt. Das kann alles mögliche sein: ein Kühlschrank genau so wie eine Torte, eine Stereoanlage, eine Zigarre, eine Küche, ein Buch, …
Allen gemeinsam ist, dass zum einen sehr gute »Zutaten« die Grundlage bilden und diese zum anderen mit viel Liebe zum Detail und sinn-formend gestaltet und »verarbeitet« werden. Damit haben solche Produkte auch einen hohen Preis aber
sie sind normalerweise eben auch haltbarer, wenn nicht sogar für die Ewigkeit gemacht. Na gut, bis auf die Genussmittel. Aber bei denen ist dann einfach mehr drin, vor allem Geschmack. Und auf den kommt es ja letzten Endes an. Auch wenn sich darüber trefflich streiten lässt.
123DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

14
Ich brauche mehr Zeit! von Katrin Haase
Interview
Seit unsere Art zu kommunizieren und zu arbeiten so schnell geworden ist und die Flexi- bilität uns alles abverlangt, scheint Zeit kostbarer denn je. Wir schieben Dinge auf,
die wir gerne machen würden, aber für
die wir keine Zeit finden. Wir prokrastinieren und verschwenden damit viel Zeit, die wir
für vermeintlich Wichtiges eigentlich bräuchten. Kein Wunder also, dass sich die Einstellung
zu Zeit verändert hat. Zeit ist zu einem hoch- wertigen Gut geworden. Aber was macht
Zeit so »hochwertig«? Was ist Zeit überhaupt? Darüber hat Katrin Haase in ihrer Diplom- arbeit nachgedacht, sie hat sich Gedanken über Zeit und was sie für Menschen in versch- iedenen Positionen bedeutet, nachgedacht. Dmig6 veröffentlicht Auszüge aus ihrer Arbeit.
124DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

×
AUS DEM TAKT GERATEN
– PLANÄNDERUNG ×
Einmal angenommen, Sie erhalten einen Gratis-Tag zur Probe, einfach zwischengeklemmt in Ihre Woche. Sie müssen dafür keine eigene Zeit opfern, Sie bekommen 24 Stunden zur freien Verfügung, einfach so.
Zusätzlich. Was würden Sie mit der Zeit anfan- gen? Legen Sie einfach los, gucken Sie was kommt oder schmieden Sie erst einmal Pläne? Würden Sie Ihre Uhr liegen lassen oder mitnehmen? Und jetzt nehmen Sie einmal an, an diesem Tag wären alle Uhren verschwunden. Keine Uhr, nir- gends. Was würden Sie tun? Wie sähe der Tag dann aus? Den sonstigen ähnlich oder würden Sie ihn ganz anders ablaufen lassen? Würden Sie die üblichen Reihenfolgen trotzdem ein- halten? Wären Sie nervös ohne Uhr oder fänden Sie das famos?
× TRAINING ×
Im Alltag omnipräsent, suggeriert die Uhrzeit, sie hätte immer und überall etwas zu melden. Routinemäßig überlas- sen wir ihr sogar die Aufsicht über Bereiche, die nicht wirk- lich ihrer Kontrolle bedürfen.
Wir können nicht anders. Vielen von uns fällt es schwer, den Uhrzeit-Autofokus auszuknipsen, nur weil Sonntag ist und wir mit einem Eis in der Sonne sitzen.
Die technische Zeit wird uns schon im Kindesal- ter nähergebracht – neugierig wie wir sind und stolz auf unsere lustigen Armbanduhren, lernen wir gerne die Uhr lesen. Schnell verinnerlichen wir ein Bewusstsein für Zahlen und Zeigerstellungen und sind um 18 Uhr zum Abendbrot zu
Hause – sonst schimpft Mama! Später meckert der Chef, wenn wir zu spät zur Arbeit kommen und könnte einen über- mäßigen Gebrauch von Verspätungen mit der
Kündigung quittieren.
Den regelmäßigen Blick auf die Uhr haben wir uns inzwischen gut antrainiert, aber trotzdem bleibt uns die
125DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Uhrzeit vom Wesen her fremd. Wir müssen schon die objek- tive Zeit, ans Handgelenk gebunden oder auf dem Handy, überall mit hintragen, damit wir uns überhaupt an ihr orien- tieren können.
aneinander. Die beiden Zeiten, deren Wesen einander völlig fremd ist, stehen permanent miteinander im Konflikt. Sobald wir den Blick von der Uhr nehmen, springt der Eigenzeitmo- dus wieder an und folgt seinen eigenen Regeln.
× KONFLIKT ×
Unser prima Raster bildet nämlich keinen natürlichen Takt ab, sondern ist mit Hilfe von Mathematik künstlich gezüchtet worden – extern in der Petrischale, wenn Sie so wollen. Die technische Zeit ist dem Menschen nachträglich einge- impft worden und gerät nun mit dem subjektiven Zeitgefühl
Wir haben also unser sauber getaktetes und fein gegliedertes Zeitraster, mit dem rein theoretisch Planung und absolute Pünktlichkeit bis auf die Sekunde genau mög- lich wären. Wenn sich nur alles und alle daran hielten. Tun sie aber nicht. Was Sie sich bestimmt auch gerade gedacht haben, nicht wahr?
Nicht immer ist das auf Laisser-faire zurückzu- führen. Irrtümlicherweise wird gerne angenommen, dass die Möglichkeit zur minutengenauen Aufrechnung der Zeit auch eine gezielte Ansteuerung der einzelnen Minuten zulässt.
126DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Dass das nicht so einfach funktioniert, lässt sich schon anhand der mangelhafen Synchronisation von Mensch und Uhr fest- stellen. Und schlechterdings lässt sich nicht alles in Plan und Raster zwingen, auch wenn ein Plan spektakulär perfekt daherkommt.
× ZUFALL ×
Mit Plänen ist es außerdem so eine Sache. Eine einmal fixierte Zeitplanung ist nicht zwangsläufig fix. Gegebenheiten verän- dern sich unvorhersehbar, verschwinden, tauchen komplett neu oder unter anderen
Vorzeichen auf und verschieben die Reihenfolge in der Prioritätenliste. Kein noch so ausgeklügelter Plan ist vor der Realität sicher. Also muss umstrukturiert werden, notfalls auch mehrfach.
An der Spitze der Unvorhersehbarkeit, die schon die besten Pläne hat aus dem Ruder laufen lassen, kommt der Zufall ins Spiel. Entweder schafft er gleich vollendete Tatsa- chen oder er bringt den Empfänger immerhin ins Dilemma, entscheiden zu müssen, ob der Plan oder der Zufall die Marschrichtung vorgeben soll.
Wer keinen Plan hat, dem ist der Zufall sicherlich ein guter Freund und Helfer, der freundlich in die eine Rich- tung weist und bestimmte Türen einfach zufallen lässt. Wer dagegen keine Überraschungen mag, der ist auf Zufälle schlecht zu sprechen und versucht sich mit detaillierten Plä-
nen und exakten Terminen gegen sie zu rüsten. Nur: Je aus- gefeilter ein Plan ist, desto größer wird die Angriffsfläche für den Zufall und desto größer das Chaos, das er hinterlässt. Nehmen wir es mal bildlich: Je kleiner und feiner die Zahn- rädchen werden, desto kleiner kann ein Fremdkörper zu sein, der das Getriebe zum Knirschen oder zum Stillstand bringt.
Je komplexer und ausgefeilter das Zusammen- spiel von Einzelteilen, desto länger und eindrucksvoller ist die Kettenreaktion , die ausgelöst werden kann. Es ist para- dox, aber je detaillierter und genauer ein Zeitplan ist, desto unsicherer wird er und desto unwahrscheinlicher wird ein reibungsloser Ablauf – und damit auch absolute Pünkt- lichkeit.
127DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

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EIN DRUCKBOGEN ZEIT ×
Dieser Text ist ein Auszug aus »Ein Druckbogen Zeit.« – Dip- lomarbeit von Katrin Haase Spätausgabe ist ein Magazinpro- jekt, das das Phänomen Zeit unter die Lupe nimmt. Im Fokus steht das Verhältnis des Menschen zur Zeit und der Konflikt zwischen objektiver Zeitmessung und subjektiver Wahrneh- mung. Spätausgabe soll informieren, unterhalten, provozie- ren und zu Entdeckungen einladen. Spätausgabe entsteht auf nur einem Druckbogen, der zu einem chronologisch ange- ordneten 24-seitigen Magazin gefalzt wird. Ohne Endbe- schnitt ausgeliefert, bietet sich dem Leser jedoch auf dem aufgefalteten Bogen eine Fülle von gleichzeitigen Ereignis- sen an – wodurch die individuelle Wahrnehmung von Zeit auf verschiedenen Ebenen visualisiert werden kann.

www.designtricks.de
×
ÜBER KATRIN HAASE ×
Nach ihrer Ausbildung zur Werbe- und Medienvorlagenherstellerin
war Katrin Haase zunächst Designerin und dann Art Direktorin bei RotherPlus, einer klassischen Berliner Full Service Agentur. Dann jedoch bekam sie
den Rappel, unbedingt studieren zu wollen – und nahm sich die Zeit, genau das zu tun. 2009 machte sie ihren Abschluss als Dipl. Kommunikations- designerin an der HTW Berlin und arbeitet nebenher als Freelancerin.
Seit letztem Jahr ist sie Art Direktorin bei Young & Rubicam Berlin.
128DMIG Magazine — Nr 6 März 2011

Ende
Die nächste Ausgabe erscheint unter dem Schwerpunktthema »Farben«. Wie immer freuen wir uns über Themenvorschläge.

Current View
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