Das sitzende Arbeitsleben: Schmerz ist normal
Der Alltag von vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird heutzutage zumeist im Sitzen bestritten, da die Arbeitswelt sich immer mehr entkörperlicht. Berufsgruppen wie Informatiker, Verwaltungsangestellte oder Grafikdesigner sind dabei besonders betroffen, weil sie ihre Arbeit bis auf wenige Ausnahmen, die ja bekanntlich die Regel bestätigen, ausschließlich im Sitzen verrichten. Wir zeigen auf, warum dies so ist und was man dagegen tun kann.
Die Entkörperlichung von Arbeit
Der Körper als Handlungsinstrument spielt in der modernen Arbeitswelt eine immer geringer werdende Rolle. Die Zeiten, in denen Arbeit noch vor allem mit harter körperlicher Schufterei verbunden war, sind weitgehend vorbei. Wie das Robert Koch Institut (RKI) in einer Studie von 2017 herausfand, ging rund die Hälfte der befragten Frauen und Männer im Alter zwischen 18 und 64 Jahren einer ausschließlich sitzenden oder stehenden, sprich einer körperlich weitgehend inaktiven Tätigkeit nach.
Der körperlich entlastete Arbeitsalltag bringt natürlich eine Menge Vorteile mit sich und stellt ohne jeden Zweifel eine zivilisatorische Errungenschaft dar: Zu arbeiten bedeutet heute nicht mehr zwangsläufig, sukzessive seinen Körper zu zerstören. In Zeiten des Raubtierkapitalismus bzw. der industriell und handwerklich schweren Arbeit war es nichts Ungewöhnliches, wenn der Körper schon im mittleren Lebensalter buchstäblich aufgebraucht war. Gleichwohl muss man sagen, dass auch eine entkörperlichte Arbeit gewisse Gefährdungspotenziale für den Körper mit sich bringt. Denn die körperliche Inaktivität lässt die Muskulatur – insbesondere die Bauch- und Rückenmuskeln – degenerieren, was dazu führt, dass die Wirbelsäule nicht genügend Haltungsstützung bekommt. Muskelverspannungen, Bandscheibenvorfälle, blockierte Wirbel, kurzum: dauerhafte Schmerzen sind die unangenehmen Folgen, die sich mit der Zeit einstellen – wer »rastet«, der »rostet« eben auch. Nicht zuletzt gehen sitzende Tätigkeiten häufig auch mit einer Gewichtszunahme einher, was nicht nur eine höhere Belastung für die Wirbelsäule darstellt, sondern auch Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf den Plan rufen kann. Insofern verwundert es nicht, dass Rückenschmerzen in westlich-kapitalistischen Gesellschaften zu den häufigsten Gesundheitsstörungen zählen und ihre Ursache primär in modernen Arbeitszusammenhängen haben.
Besonders gefährdet sind diejenigen Berufsgruppen, die nicht nur körperlich inaktiv sind, sondern vor allem auch sehr lange und falsch sitzen. Dazu gehören zum Beispiel Informatiker und Grafikdesigner. Angehörige dieser Berufe arbeiten nämlich häufig überdurchschnittlich lange, während sie mit ihren Laptops oftmals in für den Rücken besonders ungünstigen Haltungen auf für diesen ebenfalls besonders ungünstigen Untergründen sitzen. Bei Grafikdesignern kommt außerdem noch hinzu, dass sie viele Skizzen auch mal von Hand anfertigen und dabei gekrümmt über ihren Zeichnungen »brüten«, was den Rücken mehr belastet als eine aufrechte Sitzhaltung bei der PC-Arbeit.
Wege aus der Schmerzfalle: Bewegung ist alles, aber sie hat ihren Preis
Um der Normalität des von Schmerzen geprägten Alltags zu entkommen, gibt es mehrere Wege, die zum Teil auch in Kombination gegangen werden müssen. So lassen sich akute Schmerzen beispielsweise gut mit einer Ultraschall Schmerztherapie oder mithilfe von Massagen behandeln. Eine dauerhafte, nachhaltige Lösung sind diese Maßnahmen jedoch nicht, da sie nur die Symptome, nicht aber die Ursachen der Schmerzen bekämpfen. Dies ist letztlich nur durch einen aktiven Lebensstil zu bewerkstelligen.
Laut dem RKI sollte bei der Prävention von Rückenschmerzen zunächst – und soweit wie möglich – auf eine »Entmedikalisierung« gesetzt werden. Dazu gehören allen voran Bewegungs- und Sporttherapien, die manuelle Therapie, Entspannungsverfahren sowie die Rückenschule zur Mobilisation des Bewegungsapparates. Zusätzlich sollte auch die Ernährung angepasst bzw. überprüft werden, um Übergewicht vorzubeugen bzw. abzubauen und damit die Rückenbelastung zu mindern.
Gleichwohl ist es abschließend wichtig zu betonen, dass man die Behandlung und Prävention im Zusammenhang mit Rückenleiden nicht einfach individualisieren darf. Denn die bzw. der Einzelne ist für ihre bzw. seine Rückenschmerzen mitnichten allein verantwortlich. Da es nämlich zu einem Großteil die modernen Arbeitsbedingungen sind, die zu den Rückenschmerzen führen, müssen entsprechend viel stärker die Arbeitgeber in die Pflicht genommen werden, auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu achten. Dazu gehört zum Beispiel die Einrichtung kostenloser Bewegungs- und Therapieangebote. Es sollte aber auch darüber nachgedacht werden, häufigere Arbeitspausen und eine generell kürzere Arbeitszeit anzustreben. Denn wer sich mehr bewegen möchte, braucht vor allem eines: Zeit. Außerdem würde durch eine kürzere Arbeitszeit automatisch die Sitzbelastung gesenkt werden. Dagegen sollte die zur körperlichen Betätigung nötige Zeit nicht von dem ohnehin schon strapazierten, privaten Freizeit-Konto der Arbeitenden abgezwackt werden, sondern von ihrem geschäftlichen. Warum? Weil jemand, der maßgeblich für den Unternehmenserfolg sorgt, durch eben dieses Engagement gesundheitliche Einbußen erleidet und sich dann noch selbstständig um eine Wiederherstellung seiner Arbeitsleistung kümmert, schlichtweg einen rechtlich kodifizierten Anspruch darauf haben sollte, vom Arbeitgeber entsprechend entschädigt zu werden – sei es in Form von Geld, Zeit oder eben beidem.