Designmagazin

Artikel & Interviews

Gute Gestaltung verstehen, beurteilen und sicher beauftragen

Interview mit Rebekka Ludwig

Die Grafikdesignerin Rebekka Ludwig vermittelt mit ihrem Buch Nicht-Grafikern die Grundlagen guter Gestaltung und hilft ihnen so, die beauftragten Grafikdesigner*innen besser zu briefen, zu verstehen und eingereichte Entwürfe besser zu beurteilen. Ludwig schafft gestalterische Kompetenz und Urteilssicherheit dort, wo sonst persönliche Geschmäcker entscheiden – damit Auftraggeber*innen und Grafiker*innen die gleiche Sprache sprechen und am Ende die gute Gestaltung gewinnt.

Wie entstand die Idee zu dem Buch? Kannst du uns einen kleinen Einblick in den Entstehungsprozess geben?

Gute Gestaltung ist seit Jahren ein großes Herzensthema von mir. (2015 durfte ich ein Videotraining bei LinkedIn Learning dazu aufzeichnen.)

Ich liebe Bücher und wollte über das Thema auch schon immer schreiben, habe mich nur nie getraut. Als ich mit meiner zweiten Tochter schwanger war, habe ich mir ein Herz gefasst und dachte, wenn nicht jetzt, wann dann. Ist man erst mal wieder im Alltagsstress, bleibt oft keine Zeit fürs Schreiben. 

Meine zweite Tochter kam auf die Welt und mein Herzensprojekt entstand…ich habe einfach »gemacht«…recherchiert…drauflos geschrieben…wieder verworfen…gekürzt und wieder neue Ideen mit aufgenommen. Angefangen, zu zeichnen und schließlich die Zielgruppe geändert. Das war der Schritt, der am meisten veränderte: meine Sichtweise und die Ansprache. 
 
Und dann kamen plötzlich noch so viel mehr Ideen, was ich mit diesem Buch beim Lesenden auslösen wollte: ich will damit nicht nur die Augen der Nicht-Gestalter für die »Gute Gestaltung« öffnen, sondern auch die Zusammenarbeit fruchtbarer gestalten. In Form von Tipps, wie man wertschätzend und erfolgreich zusammenarbeitet. 

Die Corona-Krise hat auch ihren Teil dazu beigetragen: man geht an den eigenen Kern. Sieht über den Tellerrand hinaus. Und plötzlich war es mir unglaublich wichtig, viele Impulse und Vernetzungen mit dem Buch zu schaffen in Form der vielen unterschiedliche Gestaltungsbeispiele von ganz wunderbaren Kolleg*innen (manche kenne ich nur von der Kreativplattform Behance, manche sind seit Jahren Wegbegleiter*innen von mir). Mein Buch wurde damit so viel wertvoller.

Eines habe ich dadurch gelernt: die (eigene) Entwicklung und die Pausen haben dem Buch gut getan und manchmal braucht es genau diese Zeit.

Kannst du uns kurz und knapp ein paar Tipps geben für die Grundlagen erfolgreicher Zusammenarbeit?

Es ist wie mit einem guten Team: 

  • Achtsam zuhören und nachfragen (gute Kommunikation)
  • Offen und authentisch sein
  • Empathie zeigen und die Bedürfnisse herausfinden
  • Beratend zur Seite stehen
  • Immer das Große Ganze vor Augen führen (Ziele des Unternehmens/der Auftraggebenden), damit man sich nicht im Detail verliert
  • Mit in den Kreativprozess einbeziehen 
  • Wertschätzend miteinander umgehen

Wenn es darum geht bei den Auftraggeber*innen ein besseres Verständnis für den gestalterischen Prozess zu kultivieren, bis zu welchem Grad sollte man sie deiner Meinung nach in den Gestaltungsprozess mit einbinden?

Von der ersten Idee (der ersten groben Skizze) bis zum Ende. Vorausgesetzt, der Kunde möchte mit einbezogen werden. Es kommt also immer auf den Kunden an. Aber oft ist es so, dass der Kunde äußerst zufrieden ist, wenn er das Gefühl bekommt, er hat mitentscheiden dürfen und seine Bedürfnisse sind erkannt und umgesetzt worden. Letztlich haben wir die Werkzeuge in der Hand: Gestaltung mit all seinen Elementen beeinflusst und wir können durch dieses Wissen immer eine gewisse Richtung einschlagen und mit den richtigen Argumenten überzeugen.

Ab wann sollte man darüber nachdenken, trotz aller Mühe eine Zusammenarbeit zu beenden?

Wenn der eigene Bauch zu stark rebelliert ;) 
Ich merke, dass meine Arbeit darunter leidet, wenn man mit bestimmten Auftraggebenden einfach keine gemeinsame wertschätzende Basis und Kommunikation schafft, wenn es die 100. Korrekturschleife gibt und das Große Ganze übersehen wird. 

Hast du Tipps wie man als Gestalter*in damit umgeht, wenn die eigenen Entwürfe von Auftraggeber*innen abgelehnt werden?

Erst einmal tief durchatmen und es nicht persönlich nehmen, auch wenn es schwierig ist, weil die eigene Ideen immer persönlich sind. Am Ende geht es aber immer um ein Projekt und man kann oft analytisch vorgehen, um zu verstehen, warum es nicht geklappt hat. Also einfach den Mut haben und nachhaken, warum oder aus welchen Gründen die Entwürfe abgelehnt wurden. Es gibt immer einen Grund. Und man selber kann nur daraus lernen und es beim nächsten Mal besser machen.
Manchmal sind es auch einfach nur Missverständnisse in der vorangegangenen Kommunikation, oder man hat einen Nerv bei den Auftraggebenden getroffen, was man nicht hätte wissen können.

Wie kann man als Gestalter*in seine Leistungen überzeugend verkaufen?

Indem man dafür brennt und das mit dieser Leidenschaft auch rüberbringt. Indem man die Auftraggebenden dort abholt, wo man bei Ihnen den Kern trifft und sie ins Grübeln bringt. Und ganz klar formuliert, warum es wichtig ist, es so zu machen, wie man es macht. Am Ende geht es immer um die Vorteile und den eigenen Nutzen für die Auftraggebenden. Wenn man das klar formuliert, ist der Weg geebnet. 

Die perfekten Auftraggeber*innen sind …

  • offen
  • eindeutig und klar in der Kommunikation
  • detailliert in dem, was sie beauftragen möchte
  • klar in dem, was die eigenen Bedürfnisse sind
  • hat Vertrauen in unsere Gestaltungs-Kompetenz

Würden Sie den Leser*innen gerne noch etwas mitteilen?

Offen zu sein, beim Lesen und sich inspirieren lassen. Manchmal ist man erstaunt, was sich für Türen öffnen, wenn man es nur zulässt! ;) 

Das Interview führte Patrick Marc Sommer

Weiterlesen

Vom Ethos in Nachhaltigkeits­berichten

Interview mit Sophie Heins

Sophie Heins geht in ihrer umfassenden designrhetorischen Studie der Frage nach, mit welchen visuell-rhetorischen Mitteln Glaubwürdigkeit in Nachhaltigkeitsberichten erzeugt wird. Dazu analysiert sie die Wirkungen der Designelemente sowie ihr Zusammenspiel, und stellt visuelle Argumentationsarten vor, die eine neue Sicht auf Nachhaltigkeitsberichte ermöglichen.

Können Sie uns einen kleinen Einblick in den Entstehungsprozess geben?

In der Agentur, in der ich direkt nach meinem Studium als Designerin gearbeitet habe, bin ich das erste Mal in Kontakt mit dem Medium Nachhaltigkeitsbericht gekommen. Als ich mich im Rahmen meiner späteren Selbstständigkeit noch einmal intensiv mit diesem Medium auseinandergesetzt habe, habe ich begonnen mich zu fragen, warum diese Berichte eigentlich so gestaltet werden wie sie es werden. Diese Frage nach der »Sprache« von Nachhaltigkeitsberichten hat mich nicht mehr losgelassen. Also bin ich ihr mithilfe weiterentwickelter Fragestellungen im Rahmen meiner Promotion auf den Grund gegangen. Eine große Hürde war es für mich als Diplom-Designerin (FH) überhaupt eine Betreuung zu finden und zur Promotion zugelassen zu werden, aber das ist ein anderes Thema …

Können Sie kurz und knapp beschreiben welche gestalterischen Mittel in Nachhaltigkeitsberichten überzeugen?

Das lässt sich nicht verallgemeinern, da eine glaubwürdige Wirkung von verschiedenen Faktoren abhängig ist z.B. der Angemessenheit des Berichts, möglichen Zielkonflikten, dem Charakter des Unternehmens, der Situation des Unternehmens zum Zeitpunkt der Berichtserstellung usw. Generell konnte ich verschiedene visuelle ethos-Strategien ausfindig machen, die in Nachhaltigkeitsberichten verwendet werden wie beispielsweise die Darstellung eines zur Identifikation einladenden Charakters. Dieser Charakter kann ein Testimonial sein, aber er kann auch mithilfe von Design geschaffen werden.

Was allgemein gesagt werden kann ist, dass es immer um die Schaffung eines Zustands von Ausgewogenheit der visuell-rhetorischen Strategien geht. Wenn ein Bericht ausgewogen auf visueller Ebene argumentiert und so wahrgenommen wird dann wirkt er überzeugend und schafft Vertrauen. Ein nicht ausgewogen gestalteter Bericht, der beispielsweise nur auf der logos Ebene, also rein mithilfe von Daten und Fakten argumentiert würde das ethos des visuell konstruierten Unternehmenscharakters schwächen. Aber auch eine zu eigenwerbliche Gestaltung auf der ethos- und pathos Ebene bringt die Ausgewogenheit aus dem Gleichgewicht. Und auch die rein positive Darstellung der nachhaltigen Aktivitäten wirkt logischerweise weniger überzeugend als eine ausgewogene Darstellung mit negativen Entwicklungen.

Welche Bildsprache überzeugt?

Natürlich wirken Fotos glaubwürdiger, die beispielsweise echte Mitarbeitende, Produkte, Räumlichkeiten usw. des Unternehmens zeigen. Die Glaubwürdigkeit der Fotos kann zusätzlich durch Bildunterschriften gestärkt werden, die weitere vermeintlich überprüfbare Informationen zu dem entsprechenden Foto enthalten wie z.B. Name, Funktion, Position oder Orts- und Zeitangaben usw. 
Fotos in Stock-Ästhetik, vor allem wenn diese salient eingesetzt werden schwächen ebenfalls das ethos des visuell konstruierten Unternehmenscharakters in Nachhaltigkeitsberichten.

Welche Typografie wird gern verwendet?

Die Wirkung der Typografie auf den Inhaltsseiten in den von mir untersuchten Nachhaltigkeitsberichten habe ich den drei rhetorischen Appellen logos, ethos und pathos zugeordnet. Die Typografie im logos-Bereich wirkt sachlich-neutral, ordnend und zeichnet sich durch wenig Kontrast aus. Die ethos-Typografie wirkt hingegen charakteristisch, seriös, professionell sowie eigenständig und die im Bereich des pathos kann als kontrastreich und emotional beschrieben werden. Wenig überraschend ist, dass die Typografie der meisten Berichte sowohl im logos-Bereich einzuordnen ist sowie im Bereich der Schnittmenge von logos und ethos. Nur vier Berichte verwenden eine kontrastreiche und emotionale typografische Gestaltung auf ihren Inhaltsseiten.

Wie sehr überzeugen Aufzählungen von Auszeichnungen, Initiativen usw.

Die Aufzählung von Preisen, Auszeichnungen, Initiativen usw. ist eine Überzeugungsstrategie des ethos. Damit können die Unternehmen ihre nachhaltigen Aktivitäten von unabhängigen Dritten bzw. Autoritäten beglaubigen lassen und stärken damit die Glaubwürdigkeit des Berichts und somit auch ihren glaubwürdigen Unternehmenscharakter. Das Testat von Wirtschaftsprüfern dient ebenfalls dazu das mögliche Misstrauen der Rezipienten den Inhalten der Berichte gegenüber zu zerstreuen.

Wie sieht der Nachhaltigkeitsbericht der Zukunft aus?

Die Zukunft liegt sicherlich in der integrierten Berichterstattung, d.h. dass die finanzielle und die Berichterstattung zu Nachhaltigkeitsthemen in einem Bericht kombiniert und sozusagen verschmolzen werden. Außerdem gibt es immer mehr Berichte in Form von Berichtswebsites. Diese Online Berichte haben den Vorteil weitere Medien wie beispielsweise Videos oder Audio integrieren zu können und bieten weitere Möglichkeiten der visuellen Argumentation.


Meine große Hoffnung ist, dass sich auch Großunternehmen (ggf. durch politischen Druck) der Gemeinwohl-Ökonomie anschließen und eine Gemeinwohlbilanz erstellen. Diese Art der Berichterstattung ist deutlich ambitionierter als die Nachhaltigkeitsberichterstattung und könnte den Weg zur Postwachstumsökonomie ebnen.

Das Interview führte Patrick Marc Sommer

Weiterlesen