Design made in Germany / Design Magazin


Corporate Design - die große Freiheit? PDF

Von Andreas Koop

Schaut man auf derzeitige Trends im Bereich "Corporate Design", kann man durchaus von einem deutlichen Wandel sprechen. Schon im Vergleich zu den letzten beiden Jahrzehnten zeigt sich eindeutig: der Spielraum wurde größer. Und zwar in rein formal-gestalterischer Hinsicht, als auch in der Definition an sich. Was sind heute die notwendigen Bestandteile eines visuellen Erscheinungsbildes und dessen Anspruch?

Bis vor kurzem waren Corporate Designs in aller Regel streng durchdeklinierte Regelwerke, in denen die Verwendung des Signets (in allen erdenklichen Anwendungen), der Hausschrift und -farbe, der grafischen (Layout-)Elemente und der Bildsprache sowie deren Zusammenspiel untereinander dokumentiert und geregelt wurde. Doch so streng es auch angelegt war, allein die Vielzahl der Anwendungen (meist dann auch von anderen Gestaltern oder Nicht-Gestaltern umgesetzt) brachte bereits unumgänglich einen gewissen Variantenreichtum mit sich; da halfen selbst Online-CD-Portale nicht viel. Im Erscheinungsbild war deshalb - praktisch überall - zumindest das Signet, die Marke, das Markenzeichen "heilig". Bei allen anderen visuellen Konstanten hingegen war die Varianz steigend. Das gilt auch heute noch, wobei alternative Konzepte darauf bessere Antworten haben und bei letztlich gleichen "Rahmenbedingungen" eher darauf vorbereitet sind; einerseits noch stärker identitätsbildend, andererseits weniger "anfällig" bei sinkender Sensibilität.

Was gerade die Signets angeht, wird heute die bislang angestrebte Einfachheit (eine Prämisse gewissermaßen) in Frage gestellt - Markenzeichen mit Verläufen oder dreidimensionalem Charakter sind nicht mehr die große Ausnahme - aber auch deren Unveränderbarkeit. Das hat weder mit besserer Software oder veränderten medialen Anforderungen des Erscheinungsbildes zu tun. Eine äußerst einflussreiche Erkenntnis war mit Sicherheit die Feststellung, dass die Wahrnehmung und der Wiedererkennungswert einer Marke nur zu einem bestimmten Teil von einem gleichbleibenden Signet abhängen. Dieser ist weit weniger als vor allem von Kunden angenommen wurde. Die anderen Elemente eines Erscheinungsbildes und gerade deren Zusammenspiel sind mehr als arrondierend. Jeder Gestalter kennt das Phänomen bei bekannten, etablierten Erscheinungsbildern: man braucht nicht mehr alle einzelnen Bestandteile in Kombination zu sehen um es zu erkennen; mitunter eben nicht einmal das Signet selbst; oder aber, auch das zeigt die veränderten medialen Rahmenbedingungen, die akustischen "Sound Brandings".

Der Stellenwert des Signets (bei Markenartiklern nochmals stärker in den Brandings) bleibt.auch weiterhin sehr hoch, hat sich aber mindestens verschoben. Es führte zu einem Weiterdenken, öffnete die erwähnten neuen Spielräume. Sie zeigen, dass ein Signet viel "belastbarer" ist als man bisher dachte. Die anderen Elemente im Corporate Design und ihr Zusammenwirken werden nochmals stärker berücksichtigt. Man traut dem visuellen Erscheinungsbild als Ganzem heute also mehr zu, räumt ihm eine (ohnehin ja in gewissem Sinn unvermeidbare) gewisse Wandlungsfähigkeit ein, steckt dazu einen Rahmen bestimmter, vordefinierter Parametern ab - und entwickelt sich hin zu flexiblen, meist eher (nur) flexibleren Erscheinungsbildern. Die können gleich mehrere Vorteile (wie einen konsequenteren Umgang mit Submarken) mit sich bringen und bei umfassenden Anwendungsgebieten ihre Stärken ausspielen. Es bleibt dabei immer ein Spiel von Freiheit und Regeln auf der einen Seite und exakt vorgegebenen starren "Regeln" auf der anderen Seite. Aus dieser Bandbreite an Varianz wird dieses flexible, dieses verändernde Erscheinungsbild in seinem Ausmaß vordefiniert. Deshalb ist die Entscheidung für ein solches Erscheinungsbild letztlich auch selbst eine Aussage und wird sicher nicht zu jeder Marke passen. Dieses Um- und Weiterdenken bei Gestaltern und Kunden (sowie deren Kunden), das durch die flexiblen/flexibleren Erscheinungsbilder aufkam, entstand und sich über gelungene Beispiele auch immer weiter entwickeln wird, eröffnet auch viele Möglichkeiten für Lösungen, die zwischen einem klassischen (statischen) Erscheinungsbild und eben jenen neuen Spielweisen liegen. Wie bei allem (relativ) Neuen ist interessant, dass sich Kunden mit solchen Erscheinungsbildern, die von jenen streng "fixierten" abweichen, auch oftmals schwer tun. War es für sie früher nicht ganz nachvollziehbar, warum jede Anwendung den Richtlinien des Corporate Designs folgen musste, können sie nun nicht verstehen, warum das Signet manchmal sogar weggelassen werden darf.

Ein Beispiel für ein Erscheinungsbild, das recht genau zwischen einem flexiblen und einem klassischen Erscheinungsbild angelegt ist, wurde von uns für "casc" (campus advanced studies center), das Weiterbildungsinstitut der Universität der Bundeswehr, entwickelt. Eine Schwierigkeit bestand darin, dass dieses Institut noch gar nicht existierte, als das Erscheinungsbild erarbeitet wurde. Klar war nur, welchen Anspruch es hatte. Wichtige Begriffe waren dabei "wissenschaftlich und "technisch", für Studenten (militärische und zunehmend auch zivile) auf der Suche nach überaus speziellen (Master-)Studiengängen und "Summer Schools". Das Corporate Design sollte zudem auch gut mit dem bestehenden der Universität zusammenspielen. Eines stand ebenfalls schon zu Beginn fest: Der Verzicht auf die gängigen grausam nichtssagenden und austauschbaren Fotos, jene klassischen Imageaufnahmen mit einer Gruppe von Studenten an ...

Alle diese Überlegungen führten uns zu einem "strukturellen Erscheinungsbild": Ein eindeutiges und einprägsames Corporate Design sollte gerade aus der Art, wie mit Informationen umgegangen wird, entstehen. Zwar gab es auch ein Signet, der Anspruch aber war, dass eben jener strukturelle Ansatz so stark sein muss, dass es nur eine untergeordnete Rolle spielt, wie es im Detail aussieht. Der Bildmarke lag die Idee einer abstrakt dargestellten Treppe zugrunde, die den Gedanken des Aufsteigens visualisieren sollte. In diesem Fall geht Größe und Position über die formale Ausarbeitung. Im Entwicklungsprozess arbeiteten wir deshalb mehr mit einer Art "Platzhalter", statt uns zu diesem Zeitpunkt in Details zu verlieren. Wichtiger waren uns die zentralen Anwendungen wie Website, Geschäftsausstattung oder Programmheft. Das Erscheinungsbild wurde deshalb nicht vor, sondern mit und in den Anwendungen entwickelt. Es leitete sich nicht alles "von oben nach unten" ab, sondern auch "von links nach rechts". Es sollte durch Transparenz, Understatement und subtilen Witz bestechen - gilt es doch eine hoch intelligente Zielgruppe zu erreichen. Dadurch, dass Inhaltsverzeichnisse auf Titelseiten, das Menü der Website (die in Kürze online geht) eine Fortführung des Wortmarken-Zusatzes sind, jeweils kombiniert, strukturiert, mit feinen Linien, entsteht aus dem Inhalt selbst, wie auch aus der unmittelbaren Anwendung heraus das erste "eigentliche" (und durchaus wandelbare) visuelle Erscheinungsbild.

Wir wählten in diesem Fall bei der ersten Präsentation konsequenterweise einen eher unüblichen Weg: Der Kunde sollte unmittelbar in den Entwicklungsprozess des Signets und darüber hinaus des Erscheinungsbildes einbezogen werden; nicht nur, um sich besser mit dem Ergebnis zu identifizieren, es von Grund auf zu verstehen und dann auch "tragen" zu können und wollen, sondern gerade deshalb, da es in diesem Fall nicht die "eine" richtige Lösung gibt, sondern eine gewisse Bandbreite von denkbaren Ansätzen innerhalb eines von uns eingeschränkten Spektrums. Es gab also keine "Konfrontation mit vollendeten Tatsachen" oder die Auswahl aus ein oder zwei Alternativen (was wir ohnehin selten machen), sondern ein konstruktives Gespräch, eine offene Diskussion mit einer Art "Werkstättencharakter". Zu dieser Besprechung gab es stattdessen Schere, Stift, Klebstoff und zahlreiche A3-Bögen mit verschiedenen Wort- und Bildmarken, Zusätzen, Farbvarianten, Proportionen und Größen ... das endgültige Signet bekam erst hier seine endgültige Zusammensetzung und Gestaltung. Durch die Vorauswahl und die Begleitung durch uns und das Wesen unserer Kunden selbst entstand keine Gefahr der Beliebigkeit.

Auch wenn hier jeweils aus einer stark eingeschränkten Palette von Optionen gewählt wurde, konnten auf diese Weise doch eine Reihe subjektiver und strategischer Aspekte an Ort und Stelle abgewogen und zu einem Ergebnis zusammengeführt werden. Man darf nicht vergessen: selbst durch die wenigen Parameter und Elemente gab es noch immer hunderte von Variations- und Kombinationsmöglichkeiten. Mag man hier einwerfen, dass ja genau das die Aufgabe eines Gestalters sei, aus einer Vielzahl an Möglichkeiten genau jene in sich stimmige auszuwählen. Das stimmt natürlich und war über die grundsätzliche Vorauswahl und die konzipierte, bedachte sinnvolle "Kombinatorik".bereits geleistet; und zwar eine, die sich nicht darin zeigt, die Farbe von Variante 1, die Schrift von Variante 2 und die Bildmarke von Variante 3 zu kombinieren. Jeder Gestalter kennt diese wilden Zusammenführungswünsche von Kunden! Und "casc" gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Wie es erscheinen würde, hatte gerade deshalb auch einen großen Einfluss darauf, wie es sich schließlich entwickeln würde - deshalb waren die Vorstellungen und Empfindungen unserer Kunden nochmals wichtiger.

Erst als das grundsätzliche Vorgehen und die formale Richtung auf diese Weise festgelegt waren, ging es an die Ausarbeitung im Detail. Die Gestaltung der einzelnen Anwendungen wurde weiter entwickelt - und immer wieder fand man sich in dem "strukturellen Erscheinungsbild" bestätigt, entstand mit jedem Medium das Erscheinungsbild an sich.
Möglich war ein solches Arbeiten sicherlich erst, weil die Zahl der involvierten Personen denkbar klein, das Vertrauen aber umso größer war/ist; und auch, weil bei den Anwendungen Inhalt und Aussage sehr nah beieinander bleiben. Es gibt keine Differenzierung von "interner" und "externer" Kommunikation, eine überschaubare Anzahl an Anwendungen.

Für den Betrachter wirkt das Erscheinungsbild auf den ersten Blick beinahe konventionell - das "revolutionäre" Element lag gerade in der Herangehensweise und nicht im Ergebnis. Das "strukturelle Erscheinungsbild" ist mit "klassischen" Mitteln erreicht und erfüllt die Aufgaben und Aussagen dieses speziellen Falles bestmöglich. Es ist eben immer sehr individuell zu entscheiden, was nun als Erscheinungsbild notwendig ist und "ausreicht" - denn es hängt ja vor allem davon ab, was und wodurch in erster Linie kommuniziert wird.

Man kann über die Entwicklungen und die damit entstandenen neuen Freiräume durchaus dankbar sein, da sie es uns Gestaltern leichter machen, aus den eingefahrenen Bahnen auszubrechen und neue Wege zu gehen - nicht um des Neu-seins willen, sondern um veränderten sozialen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Anforderungen gerecht zu werden.