Design made in Germany / Design Magazin


Unentschuldigt deutsch PDF

Von Sina Peters

"Ich habe die schreckliche Ahnung, dass die Deutschen immer noch nicht herausgefunden haben, wer sie eigentlich sind. Sie definieren sich meistens darüber, was sie nicht sind", so die Einschätzung des amerikanischen Schriftstellers Arthur Miller (1915-2005). Doch allmählich sieht es so aus, als würde sich eine neue deutsche Identität behaupten, die eigene Impulse setzt und selbstbewusst zu ihrer Herkunft steht. So wirken deutsche Attribute mittlerweile verkaufsfördernd - und das nicht nur im eigenen Land.

Der britische Musiker Gavin Rossdale nennt sein neues Album "Wanderlust" und das Label Lala Berlin scheut sich nicht, bereits im Namen auf die deutsche Heimat zu verweisen. Die Zeitschriften Elle, Wallpaper* und Vogue bringen nahezu zeitgleich Titelthemen zu Deutschland, in Cannes gewinnen deutsche Agenturen mehr Design Lions als alle anderen Nationen und laut einer BBC-Studie ist Deutschland unter 21 Ländern sogar zum beliebtesten Staat der Welt gekürt worden - ein Ergebnis, das vor allem im Gewinnerland selbst für Verblüffung sorgte. Denn die BBC hatte keineswegs nur japanische Touristen gefragt.

Es lässt sich schwerlich leugnen: Deutschland ist Trend. Woher kommt das? Seit der Fußball-WM 2006 steht die Marke "Deutschland" generell hoch im Kurs. Botschafter wie die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Topmodel Heidi Klum verstärken als internationale Sympathieträger diese Tendenz - egal, wie gegensätzlich und diskussionswürdig sie auch sein mögen. Im Bereich Mode hat außerdem die Berlin Fashion Week dem deutschen Design zu mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung verholfen. So steht "Made in Germany" immer noch für Präzision und Funktion, aber neuerdings auch für Ästhetik und Kreativität.

Geradlinig, pur und stringent, zum Teil mit einer gewissen Härte - so präsentiert sich das deutsche Design heute überwiegend. Wichtigstes Merkmal aber ist, dass es sich nicht mehr seiner Herkunft schämt, sondern mit dem Heimatbezug spielt - auch durch verbale Anklänge. Und während früher das Qualitätsmerkmal "Made in Germany" rein an die Vernunft appellierte, ist der deutsche Ursprung heute auch emotional positiv besetzt.


Bekenntnis zur Heimat

Von dieser neuen Wahrnehmung beflügelt, bekennen sich nicht nur die Menschen, sondern auch Produkte und Designs offen zu ihrer deutschen Herkunft - und zwar unaufgeregt, präzise, dabei gerne schlicht und auch einfallsreich.

In der Gestaltung technischer Produkte liefert der Hersteller Loewe derzeit prägnante Beispiele für deutsches Design, das international erfolgreich ist. Konsequent hat das Unternehmen die Gestaltung zum Mittelpunkt seiner Strategie gemacht, und zwar nicht nur im Produktdesign. Die gesamte Kommunikation, der komplette Außenauftritt richten sich an der Designstrategie aus. "Design ist Teil unserer DNA", lautet ganz ausdrücklich die Strategie dahinter. Dazu greift Loewe klassische deutsche Werte wie Geradlinigkeit und Fokussierung auf und übersetzt sie in eine übergreifende Designklammer. Hierzu gehören auch eine reduzierte Farbigkeit und der bewusste Einsatz von Weiß inklusive der Erkenntnis, dass gerade Weiß einen sorgsamen Umgang erfordert.

Noch deutlicher zeigen sich deutsche Anklänge im Bereich Fashion. Deutsche Einflüsse selbst kleiner Labels haben mittlerweile ihren festen Platz in der internationalen Modeszene. So machen Marken wie Kaviar Gauche und Lala Berlin weit über die Landesgrenzen hinaus von sich reden. Eine spielerische Bezugnahme auf die eigene Herkunft gehört zu den Erkennungszeichen dieser Newcomer, die ihr Deutschsein ganz selbstbewusst zur Schau stellen - nicht nur als Teil des Namens, sondern auch in den Kollektionen. Noch spielerischer gibt sich Karl Lagerfeld bei seinem Abstecher in die Spielwarenbranche: Zusammen mit dem Hersteller Steiff brachte er Ende 2008 sein Alter Ego als Teddy in auf den Markt.

Bauwerke mit Strahlkraft

Auch deutsche Bauwerke verstecken sich nicht länger hinter eintönigen Fassaden, sondern wirken spektakulär nach außen. Neubauten wie die Allianz-Arena in München oder die Hamburger Elbphilharmonie stehen selbstbewusst als ikonische Bauwerke da; die Gebäude strahlen keine Scheu aus, sich visuell zu behaupten. Dieser Wunsch danach, Wahrzeichen zu schaffen, ist ebenfalls Ausdruck eines wachsenden deutschen Selbstbewusstseins.

Filterkaffee und regionale Küche

Als eine der beliebtesten deutschen Marken erweitert momentan Nivea seine Markenwelt um die Nivea Häuser. In Berlin soll unter anderem ein Café namens "VERWÖHNBAR", mit dessen Konzept und Corporate Identity The Brand Union beauftragt wurde, die Laufkundschaft ins Haus ziehen - was auch gelingt. Diese Manifestierung einer deutschen Marke im Umfeld von Designer-Shops und historischen Sehenswürdigkeiten zieht selbst das internationale Publikum an. - Ebenfalls ein Beleg für die Popularität deutscher Attribute? Deutsche Produktnamen wie "Wolke Sieben", "Bildschön" und "Küss' die Hand" oder "Süße Wirkstoffkur" für die eigens entwickelte Nivea-Schokolade setzen jedenfalls auf den Heimatbezug. Auch hier funktioniert damit das unverstellte Deutsche, obwohl - oder eben weil? - am Standort "Unter den Linden" in Berlin zu einem Großteil internationales Publikum verkehrt.

Delikatessenhändler Mutterland, Feinkostladen mit Onlineshop und Pilgerstätte der gutverdienenden jungen Hamburger mit Qualitätsbewusstsein, schöpft aus dem heimatverbundenen Gesamtauftritt seinen unternehmerischen Erfolg. So wurde das Hamburger Stammhaus, das sich als "Hommage an Deutschland" sowie an die "Mütter" und das "traditionelle Handwerk" versteht, vom Deutschen Einzelhandelsverband 2009 zum Store of the Year im Bereich Food erklärt. Produkte aus der Region, traditionelle deutsche Spezialitäten, ein wohliges, aber schlichtes Ambiente und schnörkellose Verpackungen treffen bei den Kunden ins Schwarze. Auch die Sprache kommt folgerichtig ohne Anglizismen und andere vermeintliche Aufwertungen aus. Die schlichte Bezeichnung "Filterkaffee" wird zum Verkaufsargument - wohl auch als Kontrapunkt zu "Tall Latte Macchiato Strawberry, decaf, low fat" & Co.

So liefern Beispiele aus den verschiedensten Bereichen Belege dafür, dass deutsche Attribute nicht nur im eigenen Land gefragt sind - und zwar offen, unverstellt und ohne sich für ihre Herkunft zu entschuldigen. Und es sieht so aus, als könnten sich die Deutschen endlich über etwas definieren, was sie haben und nicht über etwas, das ihnen fehlt: nämlich über weltweit beachtete Designs.

Sina Peters

Sina Peters ist Managing Director bei The Brand Union. In dieser Position verantwortet sie die Geschäftsführung mit speziellem Augenmerk auf die Leitung des Kreationsteams. Außerdem baut sie die führende Rolle des Hamburger Büros im Bereich Product Branding innerhalb des weltweiten Netzwerks von The Brand Union weiter aus.

The Brand Union

The Brand Union ist eine der führenden internationalen Agenturen für Branding und Design mit 21 Büros in 18 Märkten. The Brand Union gehört zu WPP, einer der weltweit größten Werbe- und Marketingholdings.

The Brand Union Hamburg betreut als Spezialist für Packaging Desing, Corporate Design, Markenstrategie, Namensentwicklung und Digital Branding nationale und internationale Kunden wie Beiersdorf, Tchibo, Henkel, Kühne, Mars, Philip Morris, Teekanne, Tchibo, Vodafone und Volkswagen.