Michael Wrede und Annabelle von Sperber vermitteln in ihrem Buch und ihren Seminaren die Grundlagen von Kinderbüchern. Was wird benötigt, um die Aufmerksamkeit zu fesseln? Was macht einen überzeugenden Charakter aus? Wie werden Illustrationen zu bleibenden Bildern im Kopf?

Ihr schreibt, dass sich jede*r von uns an mindestens ein Lieblingsbuch aus der Kindheit erinnert. Welches ist euer liebstes Kinderbuch von damals und was macht es für euch besonders?

Michael Wrede: Es gibt einige, schwer zu sagen, »Momo« von Michael Ende hat mich aufgrund des Bildes der grauen Herren, die die Zeit einsammeln, sehr beeindruckt. Ein Beispiel dafür, dass gute Kinderbücher eine Metaebene bieten, die auch Erwachsene anspricht.

Annabelle von Sperber: Müsste ich mich für eins entscheiden wäre es »Krabat« von Ottfried Preussler, Krabat hat mich als junge Leserin sehr geprägt, in meinen inneren surrealistischen Bildern, meiner Liebe zur Mystik, dem Glauben an die Intuition und dem Streben nach inniger Freundschaft und Liebe.

Könnt ihr kurz zusammenfassen, worauf es bei der Gestaltung von Kinderbüchern allgemein ganz besonders ankommt?

Michael Wrede: »Kurz, allgemein und ganz besonders!« (beide lachen)

Michael Wrede: Die allererste Frage ist. Für wen ist das Kinderbuch? Für welches Alter? Sprechen wir mal vom Bilderbuch (2–6 Jahre). Der Einstieg in das Buch sollte kurz und prägnant sein, am besten gleich mit einem Ereignis, die Protagonisten und das Setting werden en passant vorgestellt. In einem Film wird ja auch nicht von Beginn an alles erstmal über Seiten hinweg erklärt. Oft ist der Einstieg zu lang und lässt nicht genug Platz für die eigentliche Story. Sie soll den Löwenanteil des Platzes beanspruchen. Ereignisse, Hürden und Ziele werden eingebaut.

Annabelle von Sperber: Und das Ende sollte überraschend und freundlich sein. Ein Doppelende ist besonders charmant. Das bedeutet, die Handlung hat ein gutes Ende gefunden, alle sind in ihren Bettchen, oder das Schiff sticht nun endlich in See. Ende gut, alles gut, doch dann muss auf der allerletzten Buchseite doch nochmal jemand aus dem Bett krabbeln oder auf dem Schiff outet sich ein fremder Passagier – Auftakt in eine neue Geschichte, netter Kliffhänger und glückliche Buchhändler.

Michael Wrede: Ein gutes Kinderbuch steht und fällt auch mit den Charakteren. Diese sollten aufgeladen sein, so nennen wir das, wenn wir mit unseren Studierenden und Kursteilnehmer*innen Steckbriefe entwickeln: Welche Vorlieben hat dein Charakter, welche Ängste, Sehnsüchte, Ziele. Welche äußerlichen und innerlichen Attribute, welche Alleinstellungsmerkmale.

Annabelle von Sperber: Und wenn man seinen Hauptcharakter gut entwickelt hat, ergeben sich die anderen Figuren sehr viel leichter, indem man ins Gegenteil denkt, und die Handlung ergibt sich oft wie von selber. War das jetzt kurz genug?

Habt ihr in den letzten Jahren eine Entwicklung, bspw. in Bezug auf Themen oder Kategorien, in der Welt der Kinderbücher feststellen können? Wenn ja, woran glaubt ihr liegt das und vor welchen Herausforderungen stehen Illustrator*innen und Autor*innen?

Annabelle von Sperber: Die Themen im Kinderbuch passen sich immer auch der aktuellen Weltenlage an. Derzeit sind sehr viele Bücher zum Thema Wut erschienen. Die Pandemie, Homeschooling, Isolation und Quarantäne haben Kinder und Erwachsene wohl besonders wütend gemacht. Das politische Thema LGBT IQ A plus ist nun nach der Greta Thunberg-Welten-Klima-Retterwelle auch im Kinder und Jugendbuch angekommen. Und jetzt leider hochaktuell: die Themen Krieg, Tod, Umgang mit Trauer und Verlust … (Die Wolke unterm Dach: Das Bilderbuch über Trauer und Verlust (Chris Silber Annabelle von Sperber) – erscheint jetzt auf der Buchmesse Franfurt)

Was würdet ihr Illustrator*innen raten, die mit ihrer Stilfindung hadern?

Michael Wrede: Wir als Lehrende sehen Pinterest mit kritischen Augen. Viele Nachwuchsillustrator*innen orientieren sich an dieser Bildsprache. Die Entwicklung läuft in einen Einheits-Stil hinaus. Es wäre erfrischend wieder andere Bilderwelten zu sehen, beziehungsweise auch eine Chance für die Kreativen, damit aufzufallen.

Es hilft, verschiedene Techniken auszuprobieren und vielseitig interessiert zu sein, die Welt zu erkunden, die Nächte durchzufeiern, Museen zu besuchen und ein Skizzenbuch zu führen. Der Stil kommt mit der Zeit von alleine.

Möchtet ihr den Leser*innen noch etwas mitgeben?

Annabelle von Sperber: Unser Buch ist für alle geeignet, die sich mit Kinderbüchern beschäftigen, also neben Illustrator*innen und Autor*innen auch Lektor*innen, Buchhändler*innen, Lehrer*innen und Dozent*innen. Zeichnen und Illustrieren kann jeder (lernen)! Es ist hilfreich, die Filterinstanz im Kopf auszuschalten, die Dir erzählt, Du bist nicht begabt genug, oder hast keinen eigenen Stil. Dranbleiben! Wenn du über deine eigenen Figuren kicherst bist du auf dem richtigen Weg. Und um in den Markt hineinzuwachsen, dauert es unserer Erfahrung nach drei bis vier Jahre.

Michael Wrede: ein eigenes Kinderbuch zu gestalten, ist für viele ein Sehnsuchtsobjekt. Mit unserem Buch haben wir systematisch die Bausteine zusammengestellt, von Storytelling, über Charakterentwicklung und Stilfindung bis hin zur Vermarktung. Aber ein Schritt nach dem Anderen. Wer nun Lust bekommen hat, den oder die begleiten wir gern. Frohes Schaffen!

Das Interview führte Patrick Marc Sommer

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Interview

Wie Kinderbücher Gestalt annehmen

Michael Wrede und Annabelle von Sperber vermitteln in ihrem Buch und ihren Seminaren die Grundlagen von Kinderbüchern. Was wird benötigt, um die Aufmerksamkeit zu fesseln? Was macht einen überzeugenden Charakter aus? Wie werden Illustrationen zu bleibenden Bildern im Kopf?

Ihr schreibt, dass sich jede*r von uns an mindestens ein Lieblingsbuch aus der Kindheit erinnert. Welches ist euer liebstes Kinderbuch von damals und was macht es für euch besonders?

Michael Wrede: Es gibt einige, schwer zu sagen, »Momo« von Michael Ende hat mich aufgrund des Bildes der grauen Herren, die die Zeit einsammeln, sehr beeindruckt. Ein Beispiel dafür, dass gute Kinderbücher eine Metaebene bieten, die auch Erwachsene anspricht.

Annabelle von Sperber: Müsste ich mich für eins entscheiden wäre es »Krabat« von Ottfried Preussler, Krabat hat mich als junge Leserin sehr geprägt, in meinen inneren surrealistischen Bildern, meiner Liebe zur Mystik, dem Glauben an die Intuition und dem Streben nach inniger Freundschaft und Liebe.

Könnt ihr kurz zusammenfassen, worauf es bei der Gestaltung von Kinderbüchern allgemein ganz besonders ankommt?

Michael Wrede: »Kurz, allgemein und ganz besonders!« (beide lachen)

Michael Wrede: Die allererste Frage ist. Für wen ist das Kinderbuch? Für welches Alter? Sprechen wir mal vom Bilderbuch (2–6 Jahre). Der Einstieg in das Buch sollte kurz und prägnant sein, am besten gleich mit einem Ereignis, die Protagonisten und das Setting werden en passant vorgestellt. In einem Film wird ja auch nicht von Beginn an alles erstmal über Seiten hinweg erklärt. Oft ist der Einstieg zu lang und lässt nicht genug Platz für die eigentliche Story. Sie soll den Löwenanteil des Platzes beanspruchen. Ereignisse, Hürden und Ziele werden eingebaut.

Annabelle von Sperber: Und das Ende sollte überraschend und freundlich sein. Ein Doppelende ist besonders charmant. Das bedeutet, die Handlung hat ein gutes Ende gefunden, alle sind in ihren Bettchen, oder das Schiff sticht nun endlich in See. Ende gut, alles gut, doch dann muss auf der allerletzten Buchseite doch nochmal jemand aus dem Bett krabbeln oder auf dem Schiff outet sich ein fremder Passagier – Auftakt in eine neue Geschichte, netter Kliffhänger und glückliche Buchhändler.

Michael Wrede: Ein gutes Kinderbuch steht und fällt auch mit den Charakteren. Diese sollten aufgeladen sein, so nennen wir das, wenn wir mit unseren Studierenden und Kursteilnehmer*innen Steckbriefe entwickeln: Welche Vorlieben hat dein Charakter, welche Ängste, Sehnsüchte, Ziele. Welche äußerlichen und innerlichen Attribute, welche Alleinstellungsmerkmale.

Annabelle von Sperber: Und wenn man seinen Hauptcharakter gut entwickelt hat, ergeben sich die anderen Figuren sehr viel leichter, indem man ins Gegenteil denkt, und die Handlung ergibt sich oft wie von selber. War das jetzt kurz genug?

Habt ihr in den letzten Jahren eine Entwicklung, bspw. in Bezug auf Themen oder Kategorien, in der Welt der Kinderbücher feststellen können? Wenn ja, woran glaubt ihr liegt das und vor welchen Herausforderungen stehen Illustrator*innen und Autor*innen?

Annabelle von Sperber: Die Themen im Kinderbuch passen sich immer auch der aktuellen Weltenlage an. Derzeit sind sehr viele Bücher zum Thema Wut erschienen. Die Pandemie, Homeschooling, Isolation und Quarantäne haben Kinder und Erwachsene wohl besonders wütend gemacht. Das politische Thema LGBT IQ A plus ist nun nach der Greta Thunberg-Welten-Klima-Retterwelle auch im Kinder und Jugendbuch angekommen. Und jetzt leider hochaktuell: die Themen Krieg, Tod, Umgang mit Trauer und Verlust … (Die Wolke unterm Dach: Das Bilderbuch über Trauer und Verlust (Chris Silber Annabelle von Sperber) – erscheint jetzt auf der Buchmesse Franfurt)

Was würdet ihr Illustrator*innen raten, die mit ihrer Stilfindung hadern?

Michael Wrede: Wir als Lehrende sehen Pinterest mit kritischen Augen. Viele Nachwuchsillustrator*innen orientieren sich an dieser Bildsprache. Die Entwicklung läuft in einen Einheits-Stil hinaus. Es wäre erfrischend wieder andere Bilderwelten zu sehen, beziehungsweise auch eine Chance für die Kreativen, damit aufzufallen.

Es hilft, verschiedene Techniken auszuprobieren und vielseitig interessiert zu sein, die Welt zu erkunden, die Nächte durchzufeiern, Museen zu besuchen und ein Skizzenbuch zu führen. Der Stil kommt mit der Zeit von alleine.

Möchtet ihr den Leser*innen noch etwas mitgeben?

Annabelle von Sperber: Unser Buch ist für alle geeignet, die sich mit Kinderbüchern beschäftigen, also neben Illustrator*innen und Autor*innen auch Lektor*innen, Buchhändler*innen, Lehrer*innen und Dozent*innen. Zeichnen und Illustrieren kann jeder (lernen)! Es ist hilfreich, die Filterinstanz im Kopf auszuschalten, die Dir erzählt, Du bist nicht begabt genug, oder hast keinen eigenen Stil. Dranbleiben! Wenn du über deine eigenen Figuren kicherst bist du auf dem richtigen Weg. Und um in den Markt hineinzuwachsen, dauert es unserer Erfahrung nach drei bis vier Jahre.

Michael Wrede: ein eigenes Kinderbuch zu gestalten, ist für viele ein Sehnsuchtsobjekt. Mit unserem Buch haben wir systematisch die Bausteine zusammengestellt, von Storytelling, über Charakterentwicklung und Stilfindung bis hin zur Vermarktung. Aber ein Schritt nach dem Anderen. Wer nun Lust bekommen hat, den oder die begleiten wir gern. Frohes Schaffen!

Das Interview führte Patrick Marc Sommer

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