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Vorsicht Glas 6 – Black is the Colour of my true love’s hair

Als Kind wollte ich immer Astronaut werden. Jeden Tag in eine Kapsel steigen und durchs All fliegen, das wäre doch der beste Job der Welt (wie die arme Laika, als Kind mein Idol schlechthin, gestorben ist, habe ich gottseidank erst viel später gelernt). Heute bin ich Designer – und habe statt eines weißen Raumanzuges einen schwarzen Anzug an und schaue nicht auf Sterne, sondern auf Buchstaben und Bilder. Und was die Kleidung angeht, bin ich fast ein Designer-Klischee. Allerdings die »alte« Sorte, also nicht der etwas neuere studentische Hipster-Look mit Brille, Bart und quer über die Brust getragener Umhängetasche, den man auch sofort als Jungdesigner erkennt, sondern eher der semi-glatzköpfige Typ, der (fast) immer in schwarz herumläuft. Gott sei Dank gibt es Photos, die beweisen, dass ich schon als Teenager und noch mit Haaren in schwarzen Anzügen herumgelaufen bin. Es ist also anscheinend eher so, als habe sich meine Kleidung den dazu passenden Job gesucht, nicht umgekehrt.

Schwarz ist bei mir die Farbe, die bleibt, die überlebt. Immer wenn mich die Mode reitet und ich mir einen braunen oder gar dunkelgrünen Anzug zulege, oder etwas extravagant gestreiftes, bereue ich das wenige Monate später, die Sachen werden einfach nicht sonderlich alt in meinem Schrank – auch wenn sie durchaus den Vorteil haben, dass Hose und Sakko eindeutig als zusammengehörig zu erkennen sind, was bei rein schwarzen Anzügen spätestens nach dem dritten Trip zur Reinigung ja meist eher eine Herausforderung ist. Auch ein, zwei graue Anzüge können neben dem reinen Schwarz-Look überleben, alles andere übersteht den brutalen Darwinismus im Kleiderschrank nicht lange. Einfache blaue Jeans, für »casual days« an denen sich nur eine alte Jeans richtig anfühlt, sind die eine Ausnahme, aber wenn man ehrlich ist, sind auch Blue Jeans eigentlich »schwarz« – im Sinne von »unsichtbar«, ubiquitäres Design eben.

Denn darum geht es natürlich bei Schwarz – es ist diese Art Unsichtbarkeit, die das Schwarze zur Helvetica unter den Farben macht. Das Fehlen jedes tatsächlichen Farbreizes nimmt das Schwarz aus dem Modischen heraus, ebenso wie Weiß ja auch zeitlos ist – es sind beides »absolute« Lichtzustände, die nichts zu sein versuchen, nichts vorbestimmen, vielleicht weil sie bereits alles sind, binär ON oder OFF sind, und doch nie langweilen. Im Grunde verkörpern Weiß und Schwarz insofern einen Zustand, der auch im Design die Suche wert ist. Dieses unangestrengte, souveräne So-Sein, unhinterfragbar und monolithisch, suchen wir doch alle in unserer Arbeit. Design, das nicht mehr auffällt, einfach da ist, aber zugleich unsichtbar bleibt, nur funktioniert. Wir alle erkennen diesen Zustand in anderen Arbeiten und suchen es selbst in unserer Arbeit – je mehr Design zum Volkssport wird und jeder Laie mit furchtbar »totgestaltetem« Zeug aufwartet –, umso mehr suchen wir eben dieses Gefühl von »Schwarz«. Man darf das nicht mit Coolness verwechseln, der reinen Pose von Lässigkeit, die keinen Stresstest übersteht. »Schwarz«, das ist Vignelli, »Cool« ist Cranbrook Academy of Art in den frühen 90s. Cool ist der ganz sanft mintgrün gestreifte Anzug, den du wirklich unbedingt jetzt haben musst – »Schwarz« ist das Stück Basic, das auch in drei Jahren noch nicht alt aussieht. Schwarz bleibt.

»Ist es Schwarz genug« und »Ist das schon zu Schwarz« sind insofern alles andere als banale Fragen im Entwurfsprozess. Ich glaube ja, dass ein entscheidender Teil von Design nicht eben nur Informationsarchitektur ist, sondern das zum »on-message« eben auch ganz entscheidend »on-emotion« hinzukommen muss, also eine Art Gefühlsarchitektur. »Emotionales Design« ist ein freilich derart abgenudeltes Buzzword, dass man es kaum mehr in den Mund zu nehmen wagt – aber schaut man sich Arbeiten (eigene, aber auch andere Designergebnisse) unter dem Aspekt an, ob sie tatsächliche Gefühle wecken (also »wirken«) und nicht nur mehr oder minder schick aussehen, stellt man schnell fest, dass es in diesem Bereich der Landkarte irgendwo zwischen Werbung und Design noch viele weiße Flecken gibt und man selbst oft genug in diesem Limbo landet. Stellt man sich die »Blackness« einer Arbeit als parametrischen Schieberegler vor, bewegen sich viele Ergebnisse zwischen einem Zupfen an Retro-Emotionen (Handmade Look, Plakatschrift-Typographie usw.) und einer neoschweizerischen Kühle, die die auf Routine geeichte linke Hirnhälfte triggert, an der rechten, für Emotionen zuständigen Hemisphäre aber mitunter vorbeischippert. Interessant dabei ist, dass die kühleren Arbeiten durchaus nicht immer einen hohen »Schwarzwert« haben, sondern durch dekonstruktive Einflüsse eher »cool« sind, das heutige Gegenstück zum Cranbrook/Emigre/Carson-Look der 90er, ein Hybrid aus Müller-Brockmann und Crouwel. Was absolut keine Kritik ist – viele der aktuell entstehenden Arbeiten sind phantastisch – aber etwas Haas oder Univers macht allein kein »schwarz«.

In der täglichen Arbeit merke ich immer wieder, wie schwer es ist, den Moment festzunageln, wo ein entspannter Entwurf in den Korrekturen sein »Schwarz« verschiebt. Nach all den Jahren habe ich immer noch kein Rezept, keinen wirklich klar fassbaren Maßstab dafür, lediglich eine blinde, aber recht treffsichere Intuition, wenn es um diesen Punkt geht. Was ist zuwenig, was ist zuviel? Ich erwische mich dabei, einen Entwurf mit »Gebimmel« aufzuladen, um ihn vielleicht spannender zu machen, und nach einem Moment Abwesenheit, einer Teepause etwa, stellt man fest, dass man die Sache an sich dadurch nur kaputt gestaltet. Umgekehrt gibt es Aufträge, aus denen etwa in Korrekturen die kleinen visuellen Störelemente, die den Unterschied zwischen totlangweilig und entspannt ausmachen, gestrichen werden und man am Ende ein totes Design hat, das ebenso gut (bzw. ebenso schlecht) aus einer Textverarbeitung hätte kommen können.

Es sind oft die kleinen Dinge, die diesen Unterschied machen. Tatsächlich gilt: Je »schwärzer« das Design, umso überproportional wichtiger werden die Details. Wir erwischen uns bei nodesign immer wieder dabei, dass wir bei einem an sich extrem simplen Entwurf unzufrieden sind und nicht wissen, was hier eigentlich verdammt noch mal nicht passen will, bis wir die Form der 1-Glyphe umbauen, Inktraps entfernen oder am Kerning drehen … und plötzlich klickt es nahtlos zusammen. Dinge wie Schriftdetails, Kerning und Weißraum werden, je »schwärzer« das Design wird, unglaublich wichtig – die Kunst des lässigen Designs ist insofern oft alles andere als lässig, sondern entsetzliche Frickelei und Kampf um Details, die Außenstehenden oft nur schwer zu erklären sind. Tatsache ist: Je einfacher es aussieht, umso länger sitzt man meist dran… und umso weniger kann ein Dritter das gleiche Design weiterführen, weil die Details sich unweigerlich ändern. Das gleiche gilt für die Zeitachse – »Schwarz« braucht viel Energie und Mühe, um in den sich wechselnden Anforderungen des Alltags und dem »Kann man nicht mal eben noch…?«-Wünschen nicht zu Grau auszuwaschen. Zeitlos schlicht ist überraschend schnell überladen und eng, wenn man nicht gemeinsam an einer Art Designhygiene arbeitet. Ich persönlich kann in unfassbar kurzer Zeit wirsches Editorial mit dekonstruktiven Effekten absondern und hundert Seiten am Tag in diesem Flair durchlayouten, ohne dass mir langweilig ist (es macht ja Spaß), aber ein sauberes, zeitloses, makelloses Design mit einer durchdachten Strategie und einer sozusagen distinguierten Zurückhaltung – das muss immer wieder etwas ruhen dürfen, reifen dürfen, wie ein Wein, und braucht entsprechend länger. (Analog kann ich lange Texte wie diesen sehr schnell herunterschreiben, kurze brauchen sehr viel länger).

Das Gespür für »Schwarz« permeiert irgendwann den gesamten Alltag – ein winziges Detail kann ein Möbelstück zeitlos schön machen oder zu einem Ding, das man zwar gerade toll findet, aber besser nach zwei Jahren entsorgen sollte; eine harmlose Applikation zuviel kann etwas billig aussehen lassen, weniger wäre mehr gewesen. In einer von Information und Gewimmel überladenen Welt, ist Effizienz in der Information und eine schlichte, ehrliche Emotionalität ein Ausnahmezustand, und du entwickelst ein Feeling für genau diese Schwebung, diesen Punkt an dem die Dinge sich nicht zu sehr anstrengen, nicht zu viel wollen, aber eben auch nicht zu wenig Spannung haben und somit langweilen. Eine Uhr ohne Zifferblatt und Zeiger ist ebenso falsch wie eine überladene Angelegenheit mit zig Mondphasen und Komplikationen – und je näher man dem Ideal einer »schwarzen« Uhr kommt, umso entscheidender wird die Frage nach Details, der Schriftwahl bei den Ziffern der Form der Krone. Eine Art-Deco-Schrift auf einer ansonsten schlichten Uhr im Sechziger-Look kann dann so dissonant werden, dass die ganze Uhr angestrengt wirkt… irgendetwas fuchtelt sozusagen die ganze Zeit nervig »hier hier hier« mit den Armen in der Luft. Andere Uhren wieder stehen eher verklemmt in der Ecke und scheinen sich ihrer eigenen Funktion zu schämen, haben keinen Mut zur Form, keinen Oomph. Sie schweben nicht im genau richtigen Scheitelpunkt von Zuviel und Zuwenig, sondern sind längst im Sinkflug gen »too little«.

Dieser gravitationsfreie Punkt im Design hat viel mit Ehrlichkeit im Material, Aufrichtigkeit der gestalterischen Intention, einer Selbstverständlichkeit in der Bedienung, aber auch einer gewissen Unverschämtheit zu tun – und eben der Fähigkeit, im entscheidenden Moment einfach loslassen können. Die Zutaten sind schwer definierbar, aber dennoch erkennt man sofort intuitiv die Dinge im Alltag, die einfach »schwarz« sind. Nahezu alle Designer finden für diesen Scheitelpunkt ihre eigene, etwas autistische Sprache im Studioalltag, die dem eigenen Empfinden nahekommt. Bei uns ist da immer wieder von »will zuviel« bzw. »will zuwenig« die Rede, von Energie. Gutes Design vergeudet keine Energie, ist also unangestrengt, man ahnt die handwerkliche Perfektion, aber es riecht nicht nach guten Absichten. Wie man es auch nennen mag – die Jagd nach diesem Punkt ist, je länger man in dem Beruf tätig ist, ein entscheidender Antrieb in der Arbeit als Designer. Zumal dieser Punkt keineswegs fixiert ist, sondern (sich) wandelt – ebenso wie der schwerelose Punkt zwischen der Erde und den Planeten ja auch immer wieder anders, konstellationsabhängig sein kann, je nachdem, zu welchem Planeten die Reise gehen soll.

Ich gebe zu, in der Praxis erreicht man dieses Ziel eher selten. Entweder, weil man es selbst einfach verspielt und den richtigen Absprungpunkt verpasst, die Gestaltung überfrachtet. Oder weil die Auftraggeber sich in bester Absicht zu sehr einbringen und man am Ende ein »geführtes« Design hat (und das ist überraschend oft der Fall), in dem man ein bestmögliches Ergebnis gemeinsam zu erreichen versucht, an ein subjektives Maß von Perfektion aber vielleicht nicht mehr herankommen kann. Es gibt Jahre, da hat man fünf Ergebnisse, die kommen dieser Idealvorstellung nahe, andere Jahre, da gibt es keinen einzigen. Aber immer weiß man selbst, wenn man es geschafft hat, einfach solide Arbeit abzugeben, eine Uhr, die wirklich tickt, ein Auto, das ohne Stottern anspringt. Oft sind seltsamerweise gerade diese Arbeiten solche, die im Portfolio denkbar langweilig aussehen, weil sie so gar keinen visuellen »Wow«-Effekt hergeben, sondern einfach nur perfekte Arbeitstiere sind. Oft gewinnt man Preise für Arbeiten, die eigentlich eher in Richtung »zu viel« gehen, weil Jurys damit leichter zu fesseln sind – Arbeiten, die aber nach einer Dekade irgendwie nicht mehr funktionieren, während andere, einfachere Dinge immer noch zuverlässig ticken. Was alles nichts daran ändert, dass man der Yves-Klein-blauen Blume des perfekt »schwarzen« Designs immer wieder hinterherjagt. Der Flug zum »Vignelli-Punkt« (den Massimo Vignelli selbst auch nicht immer getroffen hat) ist einer der Gründe, warum man als Designer bei jedem neuen Auftrag wieder voll motiviert in die Raumkapsel steigt und sich ins All katapultieren lässt. Hinter jeder Diskussion mit Partnern und Dienstleistern, hinter jedem »Nein« zu Auftraggebern im Detail steckt ja schließlich das große »Ja« zu einem Ergebnis, das federleicht ist und doch kraftvoll, im besten Sinne sozial und pluralistisch wirkt und trotzdem eben »einfach funktioniert«, das also – und das ist die Aufgabe von Design – ganz und gar angemessen und kontrolliert ist. Floating like a butterfly, stinging like a bee.

Beim Stichwort »Angemessenheit« – es dreht sich hier natürlich nicht um einen »Style«. Und wo der perfekte Punkt ist, das wird jeder anders sehen. »Angemessenheit« heißt, die falschen Wege zur richtigen Lösung nach und nach auszuschließen, die richtige, disziplinierte Balance zu finden, wie ein Bildhauer die Essenz hervor zu arbeiten, die am Ende ganz natürlich und selbstverständlich schon immer da war, nur sichtbar gemacht wurde. Es ist die (nachträglich) plausibelste, die am einfachsten und fast zwangsläufig erscheinende Lösung, »Ockhams Rasiermesser« im Design. Das verschiedene Designer diesen Punkt an ganz anderen Stellen finden, zeigen die verschiedenen Lösungen, die bei einem Pitch produziert werden. Tatsächlich zeigen aber auch überraschende Gleichheiten, wie stark verschiedene Designer strategisch eben doch auch zu sehr ähnlichen »appropriate solutions« kommen… oft so sehr, dass man sich fragt, ob es den Wettbewerb eigentlich noch bräuchte … oder ob man im Wettbewerb an diese Form von Angemessenheit vielleicht noch gar nicht wirklich herankommt, eben weil man zu wenig mit dem Auftraggeber interagieren kann, das Problem und damit natürlich die Lösung noch nicht kennt und erst nach der Entscheidung wirklich loslegt.

Bei all dem wird klar, dass das, was ich für mich »Schwarz« nenne, keine Stilfrage ist und auch keinen Look vorgibt, sondern eher eine Art von Haltung suggeriert, eine Selbstverständlichkeit im Ergebnis, ein So-und-nicht-anders, eine Kette von vielen kleinen Entscheidungen, die am Ende sinnfällig und richtig erscheinen, Plausibilität haben. Was eben keineswegs heißt, das »Schwarz« langweilig oder berechenbar sein muss. Ganz im Gegenteil. Auch hier ist es wie bei der Farbe Schwarz – haben sich die Augen erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt, können wir ungezählte Nuancen, Lichtreflexionen und Abstufungen in der Nacht wahrnehmen. In der Mode gibt es wohl kaum eine bessere Kombinationsfarbe als Schwarz. In der Auswahl der nahezu unendlichen strategischen und operativen Werkzeuge im Design ist »Schwarz« dieser fiktive, flüchtige und gerade deshalb hoch lebendige Punkt, zu dem sich die Dinge (hoffentlich) magisch fügen, an dem sie well- aber nicht overdressed sind und wir uns wohl fühlen mit dem, was wir tun, weil die Dinge eben gut werden. Jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche, jeden Tag, den ich in schwarzem Anzug oder in entspannter Jeans ans Werk gehe, steige ich im Grunde in meine kleine Raumkapsel und suche diesen schwarzen Punkt am Firmament. Astronaut zu sein wäre dagegen fast langweilig.

Kolumne von HD Schellnack

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