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Gerald Schuba – Über Farbtheorien und Farben im Design

Gerald Schuba studierte in Berlin Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste. Nach mehreren Jahren als Kreativ-Direktor, Konzeptioner und Texter in großen Agenturen, wie GGK und Saatchi & Saatchi, arbeitet Gerald Schuba als Fachberater für Unternehmensmarken- und Kommunikationsentwicklung und als Dozent an der Werbeakademie in Wien in den Fachausbildungen für Grafik Design sowie Marktkommunikation.

Wie stehst Du den verschiedenen Farbtheorien gegenüber?

Ob klassisch oder modern europäisch, ob traditionell asiatisch oder esoterisch, ob hermetisch oder naturwissenschaftlich optisch bzw. astronomisch: ich liebe alle Farbtheorien. Das physikalisch-psychologische Phänomen Farbe ist nämlich so vielfältig, so bunt und so faszinierend, dass man sich meiner Ansicht nach selbst beraubt, wenn man die unterschiedlichsten Auseinandersetzungen mit Farbe scheuen oder gering achten würde. Ich nenne jetzt nur einmal die bekanntesten. In Europa sind das: Newton, Goethe, Runge, Itten, Kandinksi, Newman. In Indien ist es die Chakra-Philosophie, in China die Feng Shui Philosophie. Aus dem Mittelalter kennen wir die hermetisch-alchemistische Philosophie und im Bereich der Astrophysik könnten wir ohne die Theorie der Rotverschiebung die Entwicklung des Weltalls gar nicht ermessen. Jede Farbtheorie hat also ihre Berechtigung, und jede Theorie eröffnet uns eine weitere Sicht in das Universum der Farben.

Was für mich aber am wichtigsten ist, ist die Einsicht, dass Farbe Energie ist. Und zwar eine Energie, die sowohl körperlich als auch psychologisch wirkt. Farbe wird zwar häufig in einer Zeichenfunktion eingesetzt, insbesondere im Brand- und CI-Design, wo sie mit rational erklärbaren Bedeutungen ausgestattet ist. Aber in erster Line ist Farbe Energie, die nicht mit dem rationalen Bewusstsein verarbeitet und gedeutet wird. Sondern die direkt auf die emotionalen Zentren unseres Nervenapparates (oder sagen wir altdeutsch: des Gemüts) einwirkt und so Wirkungen in verschiedenen körperlichen und psychischen Systemen in Gang setzt.

Mich persönlich interessieren deshalb diese emotionalen Wirkungen der Farbe am meisten.
In dieser Hinsicht halte ich auch die Goethe´sche Farbenlehre für die vielleicht bedeutendste Farblehre für Designer, obwohl natürlich auch Runge und Itten überaus wichtig sind. Goethe siedelt in seiner Farbenlehre die Farben ja zwischen der Finsternis und dem Licht an. Für Goethe sind das die beiden Urpole aller Emotionalität. Und Goethe lehrt, dass sich nun alle Farben als quasi seelische Empfindungsqualitäten zwischen diesen beiden gegenteiligen Emotionalitäten entfalten. Das Dunkel löst andere Empfindungen aus als das Helle. Von Goethe lernen wir daher, dass jede Farbe mit ihrem spezifischen, zwischen Hell und Dunkel liegenden Charakter, auf unser seelisches Empfinden einwirkt. Genau das ist die wichtige Erkenntnis. Mit Goethes Farbenlehre können wir uns deshalb nicht in physikalisch-mathematische Abstraktionen über Farbe entfernen. Wir können uns der Farbe nicht entfremden, sondern werden zu ihr hin- und in sie hineingeführt. Das Kennen, Erleben und Erfahren von Farbe als reale psychosomatische Energie sehe ich daher für Gestalter und Gestalterinnen als technisch enorm wertvoll, persönlich zutiefst bereichernd und fachlich schlicht unverzichtbar an.

Welche Rollen spielen Farben im Design?

Farben übernehmen natürlich eine lange Reihe wichtiger Funktionen im Design.

Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen der Rolle von Farbe als physikalischem Signal einerseits. Dann ihrer Rolle als Zeichen für semantische Steuerungen. Und, was immer wichtiger wird, ihrem Einsatz als Emotionen steuernder Reiz.

Im funktionalen Einsatz ist man an der Aufmerksamkeits- und Orientierungsleistung der Farbe interessiert, z.B. für Markierung- und Leitsysteme vom Verkehrswesen angefangen bis hin zu Marken-Designprogrammen wie Unternehmens- und Produktmarken.
An der Rolle von Farbe als semantischem Steuermittel ist man im Produkt- bzw. Packaging-Design interessiert, also überall dort wo man mit Farben bestimmte inhaltliche Bedeutungen und Eigenschaften vermitteln will, wie Reinheit, Frische, Natürlichkeit, Status oder Exotik beispielsweise.

Was die Rolle von Farbe als Steuermittel von Emotionen angeht, sind Farben vor allem in den Bereichen des Store-, Stage- und Interior-Designs, im Design von Medien wie TV-Sendern, Magazinen, Filmen, im Messe-Design bis hin zum Farbdesign von Automarken etc. von grundlegendem Interesse. Also immer, wenn es um die Schaffung von bestimmten Atmosphären und Erlebniswelten geht. Im Mode-Design ist Farbe sowieso eine Ur-Domäne.

Im ästhetischen Design – also überall dort, wo es um Beeinflussung von Wahrnehmung und Erleben geht – führt praktisch kein Weg an der Farbe vorbei. Farbkenntnisse sind ein eindeutiger Wettbewerbsvorteil.

Kannst Du ein konkretes Beispiel nennen für eine gute Farbwahl im Design und eine schlechte, weil Farbbedeutungen außer acht gelassen wurden?

Ein gutes Beispiel: Die Staubsauger-Marke Dyson.

Klare Farbkomposition, transparenter Farbzweiklang: Helles Silber-Metallic-Grau als Basisfarbe auf allen Ebenen der Markengestalt, akzentuiert mit einem klaren, warmen, leuchtenden, kräftigen Gelb.
Das ist ein sehr einfacher, zeitgemäßer Brand-Colour-Code: reduziert, klar, eigenständig und signifikant alleinstellend.

Der Dyson-Farbcode beweist auch eine semantisch exzellente Farbwahl:
Silber-Grau repräsentiert perfekt die funktional-technoide Design-Philosophie unserer kontemporären form follows function Kultur. Silber vermittelt gleichzeitig – auf protestantisch dezente Art, um es mit Max Weber zu sagen – den hohen Statuswert der Marke. Und: Silber hebt außerdem das technoid-reduktionistische Produktdesign exzellent ins rechte Augenlicht.

Das Gelb hingegen tönt in einem freudigen Klang mit dem Silber zusammen. Das Gelb ist etwas junges, freudiges, kräftiges (vielleicht auch sehr subtil: etwas wertvoll-goldenes), ein Licht, sozusagen, wobei »Licht« mit dem funktionalen Produktgrundnutzen »Reinheit« semantisch wunderbar synergetisch harmoniert und klingt.
Das Schöne an Dyson ist, dass die Marke, obwohl sie eine überaus streng funktionalistische Philosophie vertritt, durch dieses Gelb eine poetische Leichtigkeit und Schwingung bekommt, etwas musikalisches, beschwingtes, leichtes, stylisches und immer junges.

Das finde ich eine perfekte »Erzählung in Farbe«.

Wenn man Goethe hier heranziehen wollte, könnte man vielleicht sagen: Im Dyson-Mythos wird das Grau des alltäglichen Staubes von einer menschlichen Lichtmaschinengestalt besiegt und verwandelt. Womit wir mitten in der Tiefenpsychologie, der Archetypik und der Mythologie wären.

Weitere gute Beispiele für die hochprofessionelle Verknüpfung von semantischen, funktionalen und emotionalen Farbwirkungen findet man natürlich im Mode-Design und im Bereich des Kosmetik-Packaging.

Ein schlechtes Beispiel: Politik- und Wirtschaftsmagazine.

Viele schlechte Beispiele finde ich heute leider im Farb-Design vieler Publikums-Magazine.
Am unintelligentesten und unsensibelsten farbgestaltet sehe ich die Wochen- und Monatsmagazine für Politik und Wirtschaft, insbesondere hier in Österreich. Diese Magazine lassen überhaupt keine Farbkonzepte erkennen. Man sieht hie und da ein rudimentäres Farbleitsystem, aber die Farbe wird hinsichtlich ihrer Orientierungspotenziale meist taub und empfindungslos eingesetzt. Oft fehlen auch Konzepte zum Umgang mit der Farbigkeit in Fotografien. Und von atmosphärischer Dramaturgie und Rhythmik ist weit und breit nichts zu spüren. Wir befinden uns hier wirklich auf dem Friedhof des Farbdesigns.

Es gibt Künstler, die Farben »kontrollieren« und manche lassen ihnen in der Gestaltung freien Lauf. Welche Arbeitsweise würdest Du Designern raten.

Ich bin der Ansicht, ein Designer sollte unbedingt beide Modi beherrschen. Er sollte ja in der Lage sein, seine Arbeitsweise je nach Anforderung zu wählen und sie professionell auszuüben. Ich bin mir allerdings bewusst, dass es vielen jungen Designern heutzutage schwer fällt, die Farbe in ihrer energetischen Entfaltung nicht kontrollieren und einschränken zu wollen, sondern ihr freien Lauf zu lassen. Das ist aber keine persönliche Schwäche der Designer, sondern ein unbewusster Reflex auf die Anforderungen unserer weit fortgeschrittenen Kontroll- und Dominanz-Kultur, in der es immer mehr Angst gibt vor allem Unkontrollierten, Wilden, Ungezügelten – also auch vor der »freien Farbe«.

Im Zuge der Grafik-Design-Ausbildung an der Werbeakademie in Wien hast Du viele Übungen zum bewussten und denoch freien Umgang mit Farbe gemacht. Was muss in der Farblehre im Designunterricht verbessert werden?

Johannes Itten, der famose Farb-Lehrer am Bauhaus, hat damals in seinem Farbunterricht festgestellt, dass jeder Schüler und jede Schülerin eine ganze und eigene »Farbpersönlichkeit« ist, die nichts mit den erlernten »objektiven« Farblehren von Farbkreis und kulturellen Schönheitsmustern etc. zu tun hat. Als Designer stehen wir der Kultur also immer mit zwei Seelen gegenüber, wenn man so will: Da ist zum einen unsere kultivierte, erlernte, sozialisierte Seele, deren Lernerfolge uns in die Lage versetzt, gesellschaftlich konform zu agieren, was natürlich unverzichtbar ist. Da ist zum anderen aber auch unsere ganz individuelle, innere und meist versteckte Seele, die man suchen, entdecken und förden muss. Diese zweite Seele ist unsere »eigene« Empfindung, unser »eigenes Gemüt«, wie man früher sagte. Und diese Empfindungsfähigkeit ermöglicht uns mit andern empfindenden Wesen emotional zu kommunizieren. Das neudeutsche Wort dafür heißt „Empathie“ (= Einfühlungsvermögen). Und Empathie ist eine essentielle Fähigkeit unserer sozialen Kompetenz. Deshalb sollte in der Farblehre im Designunterricht unbedingt die Entwickung der sozialen Kompetenz der Designer gefördert werden. Die Entdeckung und Bildung der eigenen, individuellen Farbpersönlichkeit kann sehr viel zum Erreichen dieses Ausbildungsziels beitragen. Das war auch das Anliegen von Johannes Itten und ich finde, wir als Gestalter und Designer sollten dieses Vermächtnis hoch achten und pflegen. Bei Joseph Beuys steckt die empathische Kompetenz übrigens implizit in seinem wunderbaren Begriff der Sozialen Plastik.

Dass im Farbunterricht natürlich auch die »empirischen« Kenntnisse der anderen wichtigen Farblehren erlernt und vor allem Aufgaben-, Experimental- und Erfahrungszeiträume eingerichtet werden sollten, in denen die Schüler ausreichend Gelegenheit finden können, sich mit den Farbenergien zu beschäftigen, ist selbstverständlich.

Farben dienen zur Identifikationshilfe. Neben Unternehmen verwenden sie auch Politiker sowie Fußballmannschaften, Länder oder Designer in allen möglichen Bereichen als Wiedererkennung. Diese Farbcodes zu kennen ist essentiell und kann einen vor möglichen Konflikten bewahren. Findest Du es problematisch, dass solche – manchmal negative – Assoziationen mit Farben hergestellt werden oder essentiell für die Orientierung im sozialen Leben?

Wenn ich diese Frage recht verstehe, geht es hier um die Möglichkeit, Farben mit negativen Bedeutungen und Emotionen zu verknüpfen, so dass Menschen dadurch stigmatisiert und diskriminiert werden können. Das ist in der Tat ein mächtiges soziales und kulturelles Problem und darüber hinaus noch viel mehr ein interkulturelles Problem. Die Farben an sich können allerdings nichts dafür, denn es sind die Menschen, die Farben zu Zeichen mit negativer Bedeutung machen, die also Farben negativ semantisieren. Das Üble bei der Sache ist, dass solche negativen Belegungen sehr tief und breit in die Gesellschaftsschichten einsickern, dort über lange Zeiträume latent schlummern, und jederzeit wieder aktiviert werden können. Der Rassismus z.B. ist eine extrem negative, menschenverachtende Ideologie, die sehr stark mit Stigmatisierung durch negative Farb-Semantisierung arbeitet. Solche Stigmata halten sich leider über Jahrzehnte ja oft Jahrhunderte in den kollektiven Speichern von Gesellschaften. Das ist ein großes Problem, und ich denke, es kann nur durch Bildung und andauernde, intensive Aufklärung eingedämmt werden.

Wie wäre die Welt ohne Farbe?

Das ist eine gute Frage, denn eine Welt ohne Farbe wäre ja eine Welt ohne Licht, weil uns Farben als Folge von reflektiertem Licht erscheinen. Eine Welt ohne Farben wäre also eine blinde Welt. Oder eine Welt in schwarz weiß.

Wenn man sich bewusst macht, wie viele organisationale und technische Kommunikation und wie viel emotionale Kommunikation nicht allein zwischen Menschen und Menschen oder zwischen Mensch und Maschine, sondern zwischen allen Lebewesen in Kulturen und in der Natur mittels Farbe funktionieren, kann man sich leicht vorstellen, dass unsere Welt ohne Farbe fast still stehen würde. Für sämtliche farbbasierten Kommunikationsprozesse müßten neue, die Farbe substituierende Kommunikationstechnologien entwickelt werden. Das wäre in kurzer Zeit gar nicht möglich. Man kann sich so eine farblose Welt vielleicht wie eine Welt im Dunkeln oder im Winter vorstellen. Viel Schwarz. Viel Weiß. Sehr kalt. Zum Glück leben wir aber weder im Dunkeln noch in »Schwarz-Weiß«. Wir erleben Sonnenlicht. Und leben zum Glück in Farbe.

Ich danke sehr für die intelligenten, anregenden Fragen.

Das Interview wurde geführt von Nicole Zimmermann

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