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Friedrich Forssman über das neue Reclam Design

Friedrich Forssman ist vielen Typografieliebhabern und Designern durch die Standardwerke »Detailtypografie« und »Lesetypografie« bekannt. Er ist einer der führenden Buchgestalter Deutschlands. Zusammen mit seiner Frau, der Textildesigerin Cornelia Feyll, hat er seit einigen Jahren Einzelwerke und Reihen für den Reclam-Verlag neu gestaltet, zuletzt die Universal-Bibliothek, auch bekannt als »Reclam-Hefte«.

Klassiker wie die Reclam-Hefte neu zu gestalten, ist eine große Herausforderung und bedarf sicher auch viel Mut. Die Initiative zum Redesign kam von Ihnen. Wie konnten Sie Reclam für eine Überarbeitung überzeugen? Was waren Ihre Argumente?

Nun, dass die Sache Mut erfordert, das habe ich nie so gesehen. Einen Gestaltungsauftrag zu übernehmen – ob er einem nun angetragen wurde oder ob man ihn angestrebt hat – ist immer auch mit Anmaßung verbunden: Man muss ja das Gefühl haben, dass man genau der Richtige für diese Sache ist, und dass andere sie bestenfalls gleichgut hinbekommen könnten.

Wenn man jung ist, ist man aus schierer Jugend heraus anmaßend (jedenfalls ging mir das so, zum Glück); wenn allerhand Jahre vergangen sind, ist diese Anmaßung Routine geworden; durch Erfolge sowie erwachsenen Umgang mit Misserfolgen hat sich zusätzlich eine bessere Form von Sicherheit eingestellt.

Im Falle der Universal-Bibliothek stand am Anfang meine Liebe zu dieser Reihe, mit der ich aufgewachsen bin, und die mir durch ihre wunderbare Handlichkeit und Mitnehmbarkeit Zugang zu Lektüren aller Art geboten hat – wie bei allen bestens funktionierenden Reihen war mir der Umstand, dass ein Text Aufnahme in die UB gefunden hat, immer schon Garant für ersprießliches Lesen. Bekanntlich wird Kallimachos der Stoßseufzer zugeschrieben: »Großes Buch, großes Übel« (dem ich als Setzer von »Zettel’s Traum nur bedingt zustimmen mag); die Umkehrung dieses Satzes stimmt allemal: Ein kleines Buch ist ein großes Glück.

Hinzu kommt, dass das Mitnehmen eines kleinen Buches, idealerweise auf eine Reise, bedeutet, dass man es auch lesen wird. Die Einflüsterung der Verkäufer des Virtuellen, »wie praktisch es doch sei, 5.000 Bücher in der Tasche zu haben«, führt genau in die falsche Richtung: Nach meiner Erfahrung bringt nur das echte, unsimulierte Buch die kostbare Chance zu tiefem Lesen mit. Den Verlag – genauer: den Verlagsleiter Frank Rainer Max – habe ich durch Gespräche und Argumente für die Neugestaltungs-Idee eingenommen.

So einfach kann es sein.

Ihr Lehrer Hans Peter Willberg hatte den vorhergehenden Entwurf in den 80er Jahren vorgelegt. War vielleicht auch das ein Anreiz, die Reihe neu zu gestalten?

Eher im Gegenteil. Sowenig, wie ich jemals meinen Vater ermorden und mit meiner Mutter schlafen wollte, hatte ich jemals den Wunsch, besser zu sein als mein Lehrer.

Gestaltung ist zum Glück nicht kompetitiv – was sich auch darin abbildet, dass die Gestalterszene sehr kollegial und neidarm ist. Wenn ich zu den Wenigen gehören würde, die eben doch auftrumpfen möchten, so hätte ich mir den falschen Meister ausgewählt: Hans Peter Willberg war ein phantastischer Gestalter, ein ausgezeichneter Fachautor und ein wunderbarer Lehrer. Natürlich möchte man auch einen so bewunderten und geliebten Lehrer hinter sich lassen, oder besser: aus seinem Schatten treten – aber das sollte doch bitte ohne trotzige Gegen-Gesten geschehen.

Ich habe mich um den Auftrag der Neugestaltung der UB bemüht, als Hans Peter Willberg noch lebte, und ihm auch mitgeteilt, warum ich fand, dass die Aktualitätszeit seines Entwurfes sich dem Ende zuneige. Er hat das nicht sehr gern gehört (er konnte nämlich auch ordentlich eitel sein, hat aber herzlich gelacht, wenn man ihn drauf hinwies), aber auch nicht das Geringste dagegen unternommen. So habe ich die Sache angestrebt – nicht weil Willberg mein Lehrer war, und nur ein bisschen, obwohl er das war – und sehr, weil es an der Zeit war und ich die Reihe so mochte.

Sie haben die Farbe Weiß in Form einer Fläche hinter dem Titel hinzugefügt. Was bedeutet diese weiße Fläche, die ein wenig an die Aufschrift auf einem Schulheft erinnert?

Dass diese Fläche etwas »bedeute«, wäre schon fast zuviel der Ehre. Sie bereichert die Einbände durch Hinzufügen einer dritten Farbe: Schwarz die Schrift, Weiß das Schild, und bunt der Hintergrund (der ja nicht immer gelb ist; es gibt auch rote, blaue, grüne, orange- und magentafarbene UB-Reihen).

Die Assoziation »Schulheft« war mir gar nicht als naheliegend erschienen, sie ist natürlich auch nicht abwegig. Selbst hatte ich eher an die Schildchen von so reizenden Reihen wie der Insel-Bücherei gedacht: Schrift auf weißem Schild kann dabei helfen, Proportionen zu klären, wenn man es richtig macht; das Schild fügt durch die Trennung vom Hintergrund eine weitere Dimension hinzu – und ich finde Schildchen auf Büchern einfach hübsch und buchgemäß.

Wie geht das neue Layout mit Illustrationen auf dem Cover um?

In den letzten Jahren waren zunehmend Bilder auf die UB-Einbände genommen worden. Das habe ich nicht immer gut gefunden – Bilder sind gern auch reichlich beliebig, und unsere Welt leidet nicht an Bildmangel.

So haben meine Frau und ich darum gebeten, Bilder spärlicher einzusetzen – Bei Reihen wie etwa »Filmgenres« oder Städteführern ist ihre Verwendung natürlich naheliegend und willkommen. Sie stehen künftig nicht mehr auf den Farbflächen, sondern sind in die weißen Schild-Flächen integriert: freistehend oder bis zum Rand reichend.

Auch wenn Gelb sicher die bekannteste Farbe für die Heftchen ist, gibt es weitere Farbvariationen. Erläutern Sie das Farbkonzept bitte ein bisschen.

Diese Erläuterung hat Karl-Heinz Fallbacher luzid und konzis vorgelegt, und zwar in dem von ihm herausgegebenen UB-Bändchen »Die Welt in Gelb – Zur Neugestaltung der Universal-Bibliothek 2012«, das vom Verlag und in der Buchhandlung Ihres Vertrauens (und eine solche sollten Sie haben und unterstützen, die trügerische Bequemlichkeit der Amazonen meidend) kostenlos oder für einen Euro zu haben ist.

Kurz: Gelb ist die Farbe der allgemeinen (und einsprachig deutschen) Reihe, Orange diejenige der zweisprachigen, Rot die der originalsprachigen Bände, blau sind die Bände speziell für die Schule, grün die für das literaturwissenschaftliche Studium. Die Reihe »Reclam Sachbuch« ist Magenta.

Die Schrift der neuen Reclam Hefte wurde von der »Stempel Garamond« zur »Documenta« von Frank E. Blokland geändert und wirkt jetzt dadurch viel lesbarer. Warum fiel die Entscheidung auf die »Documenta«? Was wurde noch getan, um die Lesbarkeit zu verbessern?

Nun, die erste Frage gibt sehr freundlich selbst die Antwort: Die »DTL Documenta« ist einfach phantastisch lesbar. Ihre Zeilenbildung ist hervorragend – auch bei geringem Zeilenabstand und gelegentlich unvermeidlich etwas größeren Wortabständen.

Sie hat auch ein gutes Gewicht für die verwendeten kleinen Größen. Schließlich ist sie eine klassische Antiqua, die aber nicht direkt auf historischen Vorbilder beruht und somit unaufdringlich-heutig wirkt. Außer durch die Schriftwahl wurde die Lesbarkeit durch klare Satzspiegelproportionen verbessert – so steht der Kolumnentitel nun am Fuß der Seiten, wo der breitere Greifrand angenehm ist, und wodurch die Texte des lebenden Kolumnentitels (also der Angabe von etwa Kapiteln oder Lemmata) sich nicht mit am Kopf der Seite stehenden Überschriften ins Gehege kommen.

Es scheint, als dürfe man solche Klassiker der Gestaltung nur mit Samthandschuhen anfassen. Das Feedback war – wie oft bei Poduktanpassungen – sehr durchwachsen. Welches Feedback haben Sie persönlich bekommen? Und was antworten Sie Kritikern, die der Meinung sind, die Buchreihe hätte keine Neugestaltung gebraucht?

Gerade dieser Tage habe ich die Pressemappe vom Verlag bekommen, und sie stützt meinen Eindruck, dass die Rückmeldungen keineswegs sehr durchwachsen waren, sondern fast durchweg sehr günstig. Dass überhaupt ein so umfangreiches und freundliches Echo zu vernehmen sein würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Die Arbeit war ja nicht etwa die komplexeste meiner Laufbahn – es ging um die Anwendung des kleinen Einmaleins der Gestaltung, um ein Ergebnis, das unaufgeregt und unverkrampft sein musste, so dass es hoffentlich für weitere 20 Jahre gelten mag.

Ein Bruch mit der Überlieferung war weder angestrebt noch das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit des Verlages, meiner Frau Cornelia Feyll und mir, sondern es ging um eine entspannte Fortführung. Im Internet fanden sich an verschiedenen Orten auch unfreundliche Kommentare (und übrigens auch dort keineswegs nur oder auch nur hauptsächlich solche); anonyme, flink hingeschriebene Anwürfe nehme ich natürlich nicht ernst – und kann nur dazu ermuntern, auch im Internet mit seinem Namen zu seinen (auch orthographisch vor Betätigen des »Senden«-Knopfes noch einmal zu prüfenden) Äußerungen zu stehen, wenn es nicht gerade um die seltenen Fälle geht, bei denen Anonymität wirklich unverzichtbar ist.

Ich persönlich habe ausschließlich freundliche Rückmeldungen bekommen. Klar: »Die Beweislast liegt beim Veränderer«, wie Odo Marquard geschrieben hat, und so musste genau argumentiert werden, warum eine Neugestaltung jetzt und so erfolgen sollte.

Diese Argumente habe ich verschiedentlich vorgelegt; eine Gegenmeinung, die mich verunsichert hätte, habe ich noch nicht vernommen. Die Reihe muss erneuert werden, um fortzubestehen; die Neugestaltung ist ja nicht die erste, sondern die siebente, und sie wirkt frischer, als die etwas unfrisch gewordene 80er-Jahre-Gestaltung. Wenn der Nachkriegs-20-Jahre-Rhythmus beibehalten werden wird, bin ich auf die 2032er-Neugestaltung neugierig.

Wie sehen sie die Zukunft von Büchern und der Buchgestaltung im Allgemeinen, vor allem im Kontext der E-Books und neuer Geräte wie Kindle und Tablets? Wie kann man die Gestaltung der Reclam-Hefte möglicherweise auf diese Medien übertragen? War das bisher ein Thema in den Diskussionen?

Eine nicht eben unterkomplexe Folge von Fragen. Das »Ende des Buches« werde ich nicht erleben, und gewiss auch meine jetzt vierjährige Enkelin nicht. Bücher sind unveränderbar, wenn sie einmal veröffentlicht sind; E-Books sind das in ihren streambaren Varianten nicht.

Buchkäufe sind anonym; E-Books sind das nicht (auch elektronische Kommentare, die der Leser anbringt, finden sich gern in der blöden »Wolke« wieder, wo ich sie nicht würde haben wollen).

Bücher sind unzerstörbar – wenn sie einmal in Auflage gedruckt und verteilt sind, sind sie nicht wieder vollständig einzufangen, auch nicht nach Jahrhunderten und auch nicht durch den bösesten Tyrannen; E-Books sind kurzlebig.

Bücher kann man verleihen, ausleihen, verschenken, weiterverkaufen; E-Books sind da bestenfalls sperrig. Bücher bringen sehr viel intuitive Informationen mit sich – Umfang, Fortschreiten des Lesens; E-Books sind virtuell.

Bücher sind liebevoll durchgestaltet (oder können es jedenfalls sein); E-Books sind Textschütten.

Bücher machen ganz von selbst das Kostbarste wahrscheinlich, das es im Lese-Zusammenhang gibt: Kontemplation und Konzentration; E-Books sind vernetzt, verlinkt, immer ist der Sprung in die weltumspannende Zeitverschwendungsmaschine Internet nahe.

Bücher ermöglichen sinnvolle Wertschöpfungsketten; E-Books sind mühelos und identisch raubkopierbar. Bücher stehen im Regal und bilden die Lesebiographie ab, durch den Grad der Zerlesenheit, durch die Zettel, die aus ihnen ragen; man orientiert sich auch bei Tausenden von Büchern noch gern und leicht. E-Books sind sterile, abstrakte Dateien.

Wenn ich etwas recherchiere, ist mein Arbeitszimmer ein Meer von offenen Büchern; E-Books samt Mindmaps sind unübersichtlicher.

E-Books sind praktisch? Das Praktische und das Ästhetische stehen gar zu oft antipodisch gegenüber: Es gibt kein richtiges Leben im Praktischen. Mit Nostalgie oder Technikverweigerung hat das natürlich nichts zu tun – welcher Graphiker kennte und schätzte seinen Rechner nicht überdurchschnittlich?; es ist die Zwischenbilanz eines Lese-Lebens, für das, wie für alle Aspekte des Lebens gilt: Wenn wir etwas bekommen, geben wir etwas. Und das, was wir geben, wenn wir E-Books den Büchern vorziehen, ist mehr als das, was wir bekommen. An der Übertragung von Gestaltungselementen aus echten Büchern in falsche war ich bisher nicht interessiert. Batteriebetriebene Simulationen geben keine Antwort auf irgendeine Frage, die sich mir stellte.

Was macht gute Buchgestaltung aus? Welche Tipps können Sie (jungen) Gestaltern geben, die eine große Menge Text gut lesbar unterbringen wollen?

Gute Buchgestaltung wird möglich, wenn folgendes zusammentrifft: Liebe zur Sache, Hochachtung vor den Inhalten, ausreichende Kenntnis der Fachgeschichte, formale Begabung, Freude am Einlassen auf den Inhalt und die vorgegebenen Strukturen, je nach Buchtyp auch Freude am Mitdenken beim Verbessern der Strukturen, und die Fähigkeit, Überliefertes anzunehmen. (Plus die Fähigkeit zu Akquisition.)

Große Mengen Text gut lesbar unterbringen?: Nun, das Magische Quadrat der Typographie besteht aus den Komponenten Schriftgröße – Laufweite – Zeilenbreite – Zeilenabstand. Wer eine gute Schrift nimmt und diese vier Stellschrauben geschickt betätigt, wird zu einem erfreulichen Ergebnis kommen – ein Prozess, der mir auch nach 30 Jahren im Fach immer wieder große Freude bereitet. Wenn alles gut abgestimmt ist, dann spürt man fast ein Lebendigwerden der Kolumne, ein geheimnisvolles Einrasten, das zeigt, dass man am Ziel ist.

Wie sieht die Reclam-Reihe in 50 Jahren aus?

Quicklebendig, außen gelb, innen Druckfarbe auf Papier, bekritzelt, zerlesen, gehasst und geliebt.

Die Begleitpublikation zum Redesign »Die Welt in Gelb« kann in Einzelexemplaren kostenlos bei Reclam bezogen werden, in der kommenden Woche sind die Büchlein auch beim Buchhandel zu bekommen, ggf. zu einer geringen Schutzgebühr.

http://www.reclam.de
http://www.lesetypografie.de

Das Interview führten Nadine Roßa und Patrick Marc Sommer

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