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Die gestalterische Bewertung von Geschäftsberichten

Im Rahmen des Manager Magazin-Wettbewerbs »Die besten Geschäftsberichte« beurteilt das Corporate Communication Institute anhand wissenschaftlich fundierter Bewertungskriterien jährlich die Gestaltung von Geschäftsberichten. Wir sprachen mit Prof. Gisela Grosse, Leitern des Institutes, über die Hintergründe.

Zur Kernaufgabe des Corporate Communication Institute (CCI) gehört die gestalterische Bewertung von Geschäftsberichten im Rahmen des manager magazin-Wettbewerbs »Die besten Geschäftsberichte«. Warum wurde dieser Wettbewerb ins Leben gerufen und was sind weitere Forschungs- oder Arbeitsfelder Ihres Instituts?

Der Wettbewerb ist schon ziemlich »erwachsen«, in diesem Jahr wurde er vom manager magazin zum 18ten Male veranstaltet, davor hat bereits das Industriemagazin eine Bewertung der Geschäftsberichte vorgenommen. Seit 1995 veranstaltet also das manager magazin den Wettbewerb »Der beste Geschäftsbericht« für die Unternehmen aus den Indizes DAX30, MDAX, SDAX, TecDAX sowie für die Börsenneulinge mit der höchsten Marktkapitalisierung. Bis zum Jahr 2010 wurden auch die Berichte des Stoxx 50 analysiert. Ziel dieses Wettbewerbs ist es, die Unternehmen zu motivieren, die Qualität ihrer Geschäftsberichte im Hinblick auf die Interessen der Stakeholder und Shareholder zu optimieren, das heißt die Berichterstattung transparent und nachvollziehbar zu machen. Die Geschäftsberichte werden dabei von Prof. Dr. Dr. Jörg Baetge und von mir im Hinblick auf betriebswirtschaftlichen Inhalt und Gestaltung anhand wissenschaftlich fundierter Kriterien beurteilt, wobei das Team um Prof. Baetge die Bewertung des betriebswirtschaftlichen Inhalts und das CCI Team die gestalterische Bewertung vornimmt. Damit ist der Wettbewerb einmalig in Europa, wenn nicht weltweit. Kein anderer Wettbewerb verfügt über solche wissenschaftlich fundierten Beurteilungskriterien und kann auf eine ähnlich lange Tradition blicken.

Dieser »Wettbewerb« ist allerdings mit klassischen Designwettbewerben nicht vergleichbar. Hier kann sich niemand um eine Teilnahme bewerben, vielmehr werden jedes Jahr alle Geschäftsberichte börsennotierter Aktienunternehmen zunächst auf ihre inhaltliche Qualität geprüft. Danach werden die inhaltlich 60 besten Geschäftsberichte auf ihre gestalterische Qualität geprüft. Aus den zusammengetragenen Ergebnissen werden dann die besten Geschäftsberichte gekürt. Dieser Wettbewerb ist kein Bezahlwettbewerb. Auch das unterscheidet ihn von den üblichen Wettbewerben. Es gibt keine Einreichgebühren und keine Veröffentlichungsgebühren.

Der Geschäftsbericht beinhaltet alle Disziplinen der Gestaltung. Das geht von der Corporate Identity über das Corporate Design, zur Bildsprache und Typografie bis hin zur Informationsgrafik. Und der Geschäftsbericht entwickelt sich weiter. Heute gehört die Online-Version, die App, die Hauptversammlung und das interne Reporting dazu. Entsprechend vielfältig sind die Forschungsarbeiten des CCI.

Das CCI hat wissenschaftlich fundierte Bewertungskriterien für die gestalterische Beurteilung der Berichte erstellt. Können Sie kurz zusammenfassen, worauf sich diese Kriterien beziehen? Wie genau laufen diese Bewertungen ab?

Ich habe über 80 Prüfkriterien zur Bewertung der gestalterischen Qualität entwickelt. Diese Kriterien beziehen sich zum einen auf Gestaltungswirkung, zum anderen auf das gestalterische Handwerk. Zur Gestaltungswirkung gehören u.a. die Themen Corporate Identity, die Darstellung der Equity Story und die Darstellung ökologischer und gesellschaftlicher Leistungsindikatoren, die Übersichtlichkeit/Gliederung sowie die Eigenständigkeit und Unverwechselbarkeit eines Geschäftsberichtes. Zu den gestalterisch handwerklichen Faktoren gehören das Layout, die Typografie, die Bildsprache, die Informationsgrafik sowie Farbe und Herstellung und Verarbeitung. Die Qualität der Herstellung und Verarbeitung wird von einem externen Team aus Fachleuten der Druckbranche vorgenommen.
Ein Team von rund 15 Personen bewertet anhand der Prüfkriterien die Geschäftsberichte. Dabei wird jeder Geschäftsbericht von mindestens zwei Personen unabhängig voneinander bewertet. Die Bewertung dauert ca. zwei Monate.

Unternehmen können von Ihrem Institut Gutachten und auch Beratung anfordern. Inwieweit wird dieses Angebot von Unternehmen genutzt?

Es wird stark genutzt. Wir erstellen Gutachten zu Geschäftsberichten, allerdings nur zu bereits veröffentlichten, d.h. wir beraten nicht bei der Erstellung, das würde unsere neutrale Position schädigen. Darüber hinaus werde ich regelmäßig zu Workshops und Vorträgen eingeladen. Diesen Service nutzen sowohl Unternehmen als auch Agenturen.

Sie bieten an der Fachhochschule Münster für Studierende den Kurs »Finanzkommunikation – die Gestaltung von Geschäftsberichten« an. Bisher gibt es kein vergleichbares Kursangebot an deutschen Hochschulen. Wie wird das Lehrgebiet Finanzkommunikation an der Hochschule angenommen und wie sieht es inhaltlich aus?

Ich habe das Lehrgebiet 2004 begründet, zunächst war die Reaktion der Studierenden etwas verhalten, sie hielten den Geschäftsbericht für ein reines Zahlenwerk, zu trocken, zu kompliziert. Das hat sich schnell geändert. Der Geschäftsbericht berichtet zwar – wie der Name schon sagt – über die facts & figures des letzten Geschäftsjahres, aber er wirbt auch um Vertrauen für die Zukunft. Aktiengesellschaften sind abhängig von ihren Aktionären. Sie wollen ihre Aktionäre durch Glaubwürdigkeit von ihrem Selbstverständnis, ihrer Vision und ihrem Handeln überzeugen. Diese ›weichen‹ Faktoren lassen sich über Text und Bild darstellen. Dabei verstehe ich das Bild als Gesamtbild des Unternehmens.

Die Studierenden analysieren bestehende Geschäftsberichte und erarbeiten neue Gestaltungskonzepte. Wie gestaltet sich dabei die Zusammenarbeit mit den Studierenden?

Die Zusammenarbeit mit Studierenden macht mir sehr viel Spaß. Diejenigen, die sich auf dieses komplexe Themenfeld einlassen, sind hoch motiviert und bereit über den Tellerrand der reinen Gestaltung zu blicken. In meinem Verständnis ist Gestaltung die Bestimmung durch Darstellung, insofern gehört die Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur und mit den fachlichen Inhalten der Unternehmen zum Seminar. Auch das löst ›Kribbeln im Kopf‹ aus und wird von Studierenden gerne angenommen.

Werden neu entwickelte Konzepte und Gestaltungsansätze den jeweiligen Unternehmen vorgestellt? Wurde schon mal ein Bericht mit einem Unternehmen nach diesen Vorgaben umgesetzt? 

Das CCI veranstaltet regelmäßig Tagungen zum Thema Geschäftsbericht, dabei werden auch studentische Arbeiten vorgestellt. Daraus entstanden z.B. ein Nachhaltigkeitsbericht für die BASF, das neue Corporate Design für die Douglas Holding oder eine App für die NRW-Bank. Viel häufiger werde ich aber von Unternehmen und von Agenturen wg. (bezahlter!) Praktika und wg. der Empfehlung für Absolventen angefragt.

Seit wann hat der Geschäftsbericht von Unternehmen einen so hohen gestalterischen Stellenwert? Können Sie hier eine Entwicklung, einen Trend oder auch einen Wandel feststellen? Gilt der Geschäftsbericht heute als ein Leitmedium in der Unternehmenskommunikation?

Unbedingt. Der Geschäftsbericht gilt gemeinhin als Leitmedium oder als Königsdisziplin der Unternehmenskommunikation. Das hat auch damit zu tun, das er eines der wenigen Medien ist, in denen Unternehmen über sich selbst berichten, nicht über ihre Produkte, d.h. der Geschäftsbericht ist Ausdruck der Unternehmensmarke. Die Inhalte des Geschäftsberichtes sind geprüft, d.h. per se glaubwürdiger als Imagebroschüren etc. In Zeiten zunehmender und vernetzter Kommunikation geraten diese Inhalte viel schneller und leichter in die Öffentlichkeit und sie sind – einmal im Internet veröffentlicht – irreversibel. Insofern wird die Kommunikation der Unternehmen rund um die Veröffentlichung im Geschäftsbericht auf allen Ebenen eines Unternehmens (Vorstand, Aufsichtsrat, interne und externe Kommunikation, PR etc.) abgestimmt und bestimmt dann die weltweite Kommunikation der Konzerne.

Gibt es auch eine »visuelle Bilanz« für Online-Berichte oder fließen diese in die Bewertung überhaupt nicht ein?

Zur Zeit fließen die Online-Geschäftsberichte nicht in die Bewertung ein. Online-Geschäftsberichte sind aber Bestandteil der Lehre am Fachbereich und das CCI wird künftig ebenfalls die Bewertung von Online-Geschäftsberichten vornehmen.

Welchen Stellenwert haben Online-Berichte heute? Wie werden sie angenommen und wie sieht in diesem Bereich in Ihren Augen die Zukunft aus? Glaubt man gedruckten Berichten (Print) mehr als Online-Berichten, auch im Hinblick auf Vertrauen zu Unternehmen?

»Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen«. Dieser Satz Mephistos aus Goethes Faust hat offensichtlich auch heute noch seine Berechtigung. Dem gedruckten Wort wird mehr vertraut, der Geschäftsbericht kann hier – über Jahre – wie ein Fortsetzungsroman gelesen werden. Allerdings sind Online-Berichte aus der heutigen Zeit nicht wegzudenken. Die Möglichkeiten der emotionalen Ansprache durch Bewegtbild und der individuellen Zusammenstellung von Informationen bietet nun mal der Online-Bericht, ganz abgesehen von der schnellen direkten Veröffentlichung. Aber hier steckt auch ein Nachteil von Online-Medien. Sie sind flüchtig und wenn Software und Hardware nicht regelmäßig upgedatet werden, verlieren wir den Zugriff auf diese Informationen.

Wie wird in Berichten »visuell geschummelt« (verzerrte Größenverhältnisse, geschicktes Ablenken von schlechten Zahlen)?

Das größte Schummelpotenzial steckt in den Informationsgrafiken. Da werden durch unterschiedliche Skalierungen Mrd. und Millionen gleich groß dargestellt. Da werden Balkendiagramme über den gesamten Satzspiegel gezogen, so dass die Werte gleich groß aussehen. Da beginnen Skalierungen nicht beim 0-Punkt um Veränderungen der Werte in Verlaufsdiagrammen möglichst groß wirken zu lassen, da werden in Säulendiagrammen Säulen unterbrochen, ebenfalls um Veränderungen möglichst groß darstellen zu können, etc. pp., ich könnte die Aufzählung lange fortsetzen. Aber auch im Layout gibt es Verzerrungen, zum Beispiel werden gute Zahlen sehr groß dargestellt, schlechte unverhältnismäßig klein.

Gibt es herausragende Berichte/Details, die Sie als Vorbilder nennen können?

Oh, da gibt es einige herausragende Berichte und … in jedem Jahr immer wieder Neue. Siemens zum Beispiel, BMW, Fresenius Medical Care, K+S, Bechtle, die Deutsche Post, Heidelberg, GfK, Gildemeister, Linde und weitere. Seit Jahren sind es auch die Geschäftsberichte nicht börsennotierter Unternehmen wie Zumtobel oder Vorwerk.
Als Vorbilder möchte ich diese Geschäftsberichte aber nicht bezeichnen. Das Wort Vorbild gefällt mir in diesem Zusammenhang nicht, weil allzu oft gute Berichte kopiert oder adaptiert werden. Jeder Geschäftsbericht sollte Ausdruck der Unternehmenspersönlichkeit sein und diese ist für jedes Unternehmen so individuell wie das Unternehmen individuell ist.

Welchen Stellenwert haben Typografie und Lesbarkeit innerhalb eines Geschäftsberichtes? 

Die Lesbarkeit eines Geschäftsberichtes ist von zentraler Bedeutung. Die Lektüre beinhaltet ja große Lesestrecken, zudem stellt die Finanzkommunikation besondere Herausforderungen an die Typografie der Mengentexte. Hier finden sich viele Eigennamen, Zahlen, Prozent- und Eurozeichen, dazu das gesamte Tabellenwerk. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche textliche Ansprachen, z.B. die persönliche Briefform, die Berichtsform, das Magazin, die lexikalischen Informationen. Um diesen typografischen Herausforderungen gerecht zu werden bedarf es einer sehr gut ausgebauten Schrift, d.h. diese muss zum einen Small Caps, Kapitälchenziffern, Tabellenziffern und Proportionalziffern beinhalten, zum anderen muss die Schrift in unterschiedlichen Schriftschnitten (Serif, Sans Serif, Slab Serif) vorliegen um eine den Anforderungen entsprechende Typografierung zu ermöglichen.

Wenn wir nur über die Gestaltung und nicht über den Inhalt der Berichte reden: Gibt es typische Fehler/Schwachstellen, die immer wieder von Gestaltern gemacht werden?

Zu allererst ist hier die Typografie zu nennen, die meisten Geschäftsberichte sind schlicht schlecht lesbar. Die Zeilen sehen aus wie eine Wolkenkratzer-Skyline. Das Auge springt von oben nach unten, die Buchstaben reihen sich stakkatoartig aneinander, die Wortbilder sind schlecht zu entziffern. Die Zeilen sind häufig viel zu lang, das Auge findet keinen Leseanschluss in die nächste Zeile und … der Umbruch: müsste man ihn so vorlesen, wie er gesetzt ist, würde es nur ein einziges Stottern sein.
An zweiter Stelle rangiert die Bildsprache. Nach wie vor sehen wir viel zu viele völlig unspezifische Bilder, die weder etwas mit dem Unternehmen zu tun haben noch ein Ausdruck der Unternehmenspersönlichkeit sind, geschweige denn die individuelle Geschichte des Unternehmens erzählen. Stockbilder sind für Geschäftsberichte nicht geeignet, sie sind in diesem Zusammenhang nichtssagend und austauschbar.

Was genau interessiert Sie persönlich an der Gestaltung von Geschäftsberichten? 

Wie schon gesagt: der Geschäftsbericht ist die Königsdisziplin der Unternehmenskommunikation. Er vermittelt den Zusammenhang von Identität und Gestaltung in allen medialen Ausprägungen.

Das Interview führten Elena Frielinghaus und Patrick Marc Sommer. Der Film ist von Louis Victor

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