Die Gestaltung von Handelsmarken
Wahrscheinlich ist allen folgende Situation bekannt: der Einkauf im Supermarkt des Vertrauens führt an unzähligen Regalen mit noch unzähligeren Marken vorbei, die sich qualitativ – und das ist dem mündigen Verbraucher natürlich bekannt – oft wenig bis gar nicht unterscheiden. Also trifft man eine Kaufentscheidung, egal ob bewusst oder unbewusst, nach Preis und Gestaltung. Und genau das ist sehr eng aufeinander abgestimmt. Gerade die niedrig-preisigen Handelsmarken scheinen das auch in der Gestaltung widerzuspiegeln.
Aber so einfach ist es nicht ist, wie uns Matthias Beyrow, Professor für Corporate Design von der FH Potsdam in einem Interview bestätigte. Er hat mit seinem Studenten überlegt, wie man Handelsmarken auch optisch ansprechender gestalten kann und stellt uns diese Ergebnisse vor.
Im Sortiment vieler Supermarktketten sind Handelsmarken ein wichtiger Bestandteil. Sie tragen einen erheblichen Anteil zum Umsatz bei. Und doch werden sie – zumindest aus gestalterischer Sicht – meist stiefmütterlich behandelt. Warum ist das so?
Die Produkte der Handelsmarken sind technisch nicht per se »reudiger« verpackt oder unaufwändiger bedruckt als Markenprodukte. Auffällig aber ist, dass für Handelsmarken kaum eine eigenständige Visualität entwickelt wird. Ein Prinzip von Handelsmarken ist, dass sie sich qualitativ an Markenprodukten messen lassen, sie indes als die »günstigere« Alternative positioniert werden. Daher rührt es wohl, dass Handelsmarken die gleichen Gestaltungselemente nutzen, wie es etablierte Markenprodukte tun. Allerdings setzen sie sie handwerklich oft schlechter in Szene. Warum? Aus Angst, »zu teuer« zu wirken? Möglicherweise hält sich der Verdacht, dass günstige Produkte auch preiswert aussehen müssten. Im europäischen Ausland gibt es Beispiele für vorbildliche Handelsmarken: Migros in der Schweiz macht es vor, Coop kann es in Italien sehr gut. Die Botschaft aus diesen Beispielen: Wenn man einmal in ein intelligentes visuelles System investiert, kann über Jahre gutes Verpackungsdesign produziert werden.
In der Gestaltung sind Verpackungen von Handelsmarken oft sehr minimalistisch angehaucht. Man arbeitet mit viel Freifläche und wenigen Farben. Gibt es so etwas wie ein typisches Gestaltungskonzept für Handelsmarken?
Sind sie wirklich minimalistisch? Die Handelsmarke »Ja!« war früher minimalistisch: weißer Grund, große Marke in Bauklötzchenblau, kleingesetzte Konkretisierung der Ware, keine Produktfotos, alles schräg. Aber auch »Ja!« hat sich verändert. Inhaltlich verwenden Handelsmarken die gleichen Elemente wie Markenartikler: Branding, Produktbezeichnung nebst Beschreibung, Produktfotos, Bebilderung der Herkunft, Garnierempfehlung, farbverlaufende Hintergründe etc. Sie plappern unablässig um zu beweisen, dass sie »auch gut« sind. Und dafür werden die Regler ganz weit aufgedreht: die Farben übersättigt, alles groß abgebildet und das Label kann man nicht mehr übersehen. Minimalismus gönnt sich im Gegenteil das Premiumsegment. Ein Beispiel: Weihenstephan war – als es noch aus der gleichnamigen Agrarforschungsanstalt kam – ein hochpreisiges Milchproduktesortiment, das nur weiße Typo und sein weißes Wappen auf dunkelblauem Grund zeigte. Keine Kühe, kein Milcherguss, keine Almromantik. Irgendwann kamen die Erdbeerfotos dazu und mittlerweile müllert Weihenstephan ähnlich laut wie der Rest im Kühlregal. Oder nehmen wir Kartoffel-Chips: Die Premiummarken stecken ihre Chips in monochrome, matte Tüten mit ausgefeilter Typografie. Sie kosten den doppelten Preis vergleichbarer Markenprodukte und etwa den dreifachen von Handelsmarken. Reduktion wäre, und da stimme ich Ihnen zu, eine Chance für Handelsmarken gewesen, sich als qualitative Alternative neben den Markenartiklern zu positionieren.
In Deutschlands Supermärkten waren die »günstigen« Eigenmarken lange Zeit die alleinigen Hausmarken gewesen. Mit der veränderten Einstellung zum Essen gibt es nun auch neue Eigenmarken: von Bio über Fairtrade bis zu eigenen Edelmarken ist alles dabei. Bei denen wird entsprechend viel Wert auf gute Gestaltung gelegt. Ist das nicht ein Widerspruch? Dieses Segment kann doch eigentlich von großen Marken bedient werden?
Das Paradoxon der Handelsmarken ist, dass sie ursprünglich den Konsumentenwunsch nach Markenverweigerung bedienen, darin aber ihrerseits zur Marke werden. Kaiser’s/Tengelmann führt mit »A&P« und »Starmarke« gleich zwei Handelsmarken für unterschiedliche Preissegmente, daneben aber noch weitere für bestimmte Produktqualitäten. An Ihrer Frage bleibe ich an der Formulierung »Wert auf gute Gestaltung legen« hängen. Handelsmarken sind nicht ungestaltet! Und Premium-Handelsmarken, wie »Starmarke«, sind nicht per se gut gestaltet. Es scheint aber, dass die Gestaltung der Handelsmarken äußerst defensiv betrieben wird: nur nicht »zu« edel, nur nicht »zu« klug, nur nicht »zu« eigen. Als ob sich der Durchschnittsgeschmack aller Käuferschichten in einer Verpackung finden lassen müsste. Daraus resultieren die bekannten Durchschnittsverpackungen im schlimmsten Sinne.
Sie haben sich mit Ihren Studenten einer dieser Marken angenommen, der Marke A&P – Attraktiv & Preiswert – von Kaisers, die zwar preiswert aber optisch wenig attraktiv ist. Wie lautete die Aufgabenstellung für die Studenten?
Die Aufgabe war, visuelle Konzepte für eine Handelsmarke im niedrigen oder höheren Preissegment der Kaiser-Tengelmann-Gruppe zu entwickeln. Dabei trainierten meine Studenten das konsequente Deklinieren einer Gestaltungsidee für die ganze Breite der Verpackungstypen: von Tetrapaks über Gläser und Becher bis hin zu Beuteln und Schachteln. Ziel war die Entwicklung von Alternativen zum oben benannten Markendilemma.
Wurde das Projekt Kaisers jemals vorgestellt und falls ja wie waren die Reaktionen darauf?
Nein. Es handelte sich lediglich um einen Stegreifentwurf ohne jede Absprache mit Kaiser’s/Tengelmann als Kooperationspartner. Vielleicht ist das auch der Grund, warum die Vorschläge wirklich gänzlich anders aussehen. Vor Kurzem erst ist die Eigenmarke A&P renoviert worden. Aus dem tamponförmigen Träger der Buchstaben A&P ist ein richtiges Oval geworden, das auf einer fließenden Ecke mit Schwerpunkt rechts oben schwebt. Die drei Farben Blau, Rot und Gelb wurden auf zwei reduziert – A&P ist nur noch Rot mit einer kleinen gelben Intervention. Darunter ein weißer Grund mit Produktfotos. Neu gedacht wurde nicht – lediglich handwerklich halbwegs ordentlich sortiert. Aber mit dem branchenüblichen Rückfall auf leckere Aufnahmen etc. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, wenn wir unsere Ergebnisse vorgestellt hätten …
Welches sind Ihrer Meinung nach die gelungensten Entwürfe Ihrer Studenten?
Ich bin ein Fan gestalterischer Konsequenz! Von daher mag ich gern den Entwurf Mirko Merkels Entwurf lehnt eisern jede figürliche Produkt-Abbildung ab, akzeptiert aber ›Lautstärke‹ als Merkmal. Ein farblich wechselnder Kreis ist neben der Produktform im Stande, die komplette Produktpalette differenziert zu transportieren.
Etwas metaphorischer arbeitet Astrid Höffling, die das Prozentzeichen als abstrahierten Träger für das »Preisgünstige« verwendet und in ein farbig variables Muster münden lässt.
Viel Spass macht Juliana Hesses Arbeit »Nimm mich!«. Griesgrämige Betrachter würden das als Anmaßung bezeichnen – mich dagegen erfreut diese unverstellte, affirmativ- kaufmännische Geste, die das Spiel von Versprechen und Verkaufe mit einem Lächeln für sich entscheidet – man lese nur mal die Texte!
Viel ernster nimmt Felix Barthelt das Thema: Fein illustrierte Themenmuster bilden den Gesamtauftritt der Verpackung – gebrochen durch weiße Aufkleber, die für die bürokratischen Details zuständig sind … Verpackung als Tischschmuck!
Und schließlich Linda Kantchev. Sie tritt den Beweis an, dass man mit Würstchen, Käse & Co. schreiben kann und entwickelt daraus ein Verpackungskonzept, das viel von dem »Alternativen« in sich trägt, die der Konsument gern den Handelsmarken andichtet und das zudem noch lustig ist.
Eine der Arbeiten schreibt das Konzept direkt auf die Verpackung: »Nimm mich!« Genau das wollen die Supermarktketten ja. War es Teil der Aufgabenstellung sich von der eher plumpen Bezeichnung »Attraktiv & Preiswert« zu lösen?
Das lag im Ermessen der Studenten. Andere haben die Abkürzung A&P neu gestaltet. Die Qualität des Entwurfs »Nimm mich« von Juliana Hesse ist die frappierende Ehrlichkeit. Wie wohltuend, wenn Marken kein Konsumerleben heucheln oder Genuss strapazieren, sondern zum ehrlichen Marktschrei avancieren. A&P ist in der Tat ja ein wenig albern. Entweder ich sage den Leuten, was sie partout erwarten sollen – so macht es »gut und günstig« (Edeka), oder ich überrumple sie nassforsch mit Positivismus – so macht es »Ja!«. Oder ich suggeriere den Konsumenten Herkunft, wie z.B. »Birkenhof« oder Bio, wie »Naturkind« (beides Kaiser’s/Tengelmann). A&P ist ein Neutrum, das sich statt einer klaren Aussage hinter Unaussprechlichkeit verschanzt.
Gibt es so etwas wie eine bestimmte Typografie für Handelsmarken?
Es gibt Produktsparten, bei denen man Typiken ausmachen kann: je günstiger desto serifenloser und ggf. kursiv. Bei Sekt ist es einfacher: je mehr Edelmetall und Schatten, desto günstiger. Gott sei Dank gilt das nicht für Handelsmarken.
Die Kaisers A&P Marke bezeichnen Sie selbst als Negativbeispiel. Gibt es eine Handelsmarke, von der Sie persönlich denken, dort hat man aus gestalterischer Sicht alles richtig gemacht?
Bei REWE sind vernünftige Ansätze zu sehen. Auch bei tegut ist das so. EDEKA wirkt ziemlich ehrlich, selbiges gilt für Ja!. Alle genannten sind jedoch sehr dem diffusen »appetite appeal«-Diktat verhaftet, das ich persönlich bezweifle. Der Konsument glaubt doch nicht dadurch an Milch, dass eine Kuh auf der Packung grast. Und er bekommt auch nicht erst dann Hunger auf Pizza, wenn ein leckeres Bild davon im Tiefkühlregal aufgestapelt ist. Unübertroffen finde ich »M Budget« – die »Billigmarke« von Migros (Schweiz) – weil diese sich traut, wirklich preiswert auszusehen und dies als orangefarbenes Signal auf grünem Typomuster eindeutig setzt.
Wie sehen Sie persönlich die Zukunft von Handelsmarken, sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus gestalterischer Sicht?
Jede Konsumentscheidung ist letztlich eine zwischen Prestige und Pragmatismus. Die psychologischen Gründe zur Wahl des einen oder anderen sind vielschichtig. Fakt ist, dass zum Erfahrungsschatz jedes Menschen gehört, sich in Produkt-Vorurteilen zu täuschen. Wenn ein Konsument mehrfach erlebt, dass ein teures Markenprodukt nicht besser als das günstige Handelsmarkenprodukt ist, wird er auch vermehrt zur preiswerteren Alternative greifen – es sei denn, er will sich zusätzlich mit dem Nimbus einer Marke ausstatten. Andererseits besitzt auch Markenverweigerung mittlerweile eine soziale Signalfunktion. Nicht anders ist die Akzeptanz von Aldi bei Besserverdienenden zu erklären. Entscheidend ist, dass die naturgemäß skeptisch beäugten Handelsmarken ihren Qualitätsanspruch ehrlich halten. In manchen Bereichen, wie z.B. Milch, scheint es mir wenig Grund dafür zu geben, länger »Markenmilch« anzubieten, da die Entscheidung hier nicht zwischen Marken- und Eigenmarkenprodukt getroffen wird, sondern zwischen Massen- oder Individualprodukt. Entweder, der Konsument gibt sich mit Massenwaren zufrieden – dann reichen Produkte von Handelsmarken aus – oder er möchte sicher sein, dass die Milchkühe gut behandelt wurden und dass auch die Landwirte gut davon leben können. Dann muss es aber eher eine Kombi von »Bio« und »FairTrade« sein, deutlich mehr als bloße »Marke«.
Interview von Nadine Roßa