Wer etwas verschenken will, muss jemanden finden, der diesem Geschenk immerhin so viel Wert zumisst, dass er es in seinen Besitz aufnehmen möchte. Alles, was wir uns zurechnen, kann sowohl als Bereicherung wie auch als Belastung empfunden werden. Besitz ist das, was uns anhaftet und somit in unterschiedlicher Konsequenz unser Leben bestimmt.
Jeder Austausch verändert – wenn manchmal auch nur mit minimalen Folgen – unsere Beziehung zu anderen Menschen. Wer Geschenke annimmt, geht meist auch eine Art Verpflichtung ein. Wir bleiben, im Sinne etlicher gesellschaftlicher Konventionen dem, der uns etwas geschenkt hat, etwas schuldig. Im Rahmen vieler gegenwärtiger kommunikativer Situationen werden wir mit Botschaften nicht nur »beschenkt«, sondern überhäuft. Es fällt uns nicht leicht, diese »Geschenke« abzulehnen, denn sie hinterlassen bereits Spuren in unserem Gedächtnis, noch bevor wir uns entscheiden können, sie abzulehnen oder zu ignorieren.
Jene, die wahrnehmbare Signale in die Welt setzen, machen dies meist mit einem bestimmten Ziel. Das Mindeste, was als Gegenleistung erwartet wird, ist Aufmerksamkeit. Indem jemand auf die Aufmerksamkeit von bestimmten Personen zielt, fordert er diese Körper in ihrer Gesamtheit heraus, denn Wahrnehmung aktiviert nicht nur Sinne und Gehirn, sondern verändert, wenn auch nur in geringfügiger Form, eine Unmenge von Zellen in allen Bereichen des Körpers. Nicht wenige Botschaften fordern von den Menschen jedoch mehr als nur Aufmerksamkeit, sondern hoffen auf eine wirkungsvolle Modifikation mentaler Modelle, um auf diesem Weg auf das zukünftige Handeln der Menschen Einfluss zu nehmen. Der immer dichter werdende »Kokon« von wahrnehmbaren Zeichen, der viele Menschen permanent umgibt, fordert von diesen zwar keine unmittelbaren finanziellen Opfer, wurde jedoch gesponnen, um sie in einem Informationsnetz gefangen zu halten. Die Möglichkeiten, einem solchen Netz zu entrinnen, sind gering, da wir immer in unserem Handeln auch auf Informationen angewiesen sind, die wir nicht aus uns selbst heraus generieren können. In allen Aspekten der Kooperation mit anderen Menschen brauchen wir Orientierungshilfen. Umso erstaunlicher ist es, dass viele heute zwar bereit sind, für jedes Angebot und jede Dienstleistung einen bestimmten Preis zu bezahlen, aber auf der Ebene der Entscheidungshilfen sich im Wesentlichen mit »kostenlosen« Informationen zufrieden geben.
Wann immer Informationen wahrnehmbar gemacht werden sollen, für dessen Erstellung die Zielpersonen nichts bezahlen müssen oder wollen, müssen im Falle professioneller Aktivitäten entsprechende Finanziers einspringen. Diese bezahlen jedoch Gestalterinnen und Gestalter meist nicht, ohne eigene Interessen ins Spiel zu bringen. Der Berufsstand des Medien- und Kommunikationsdesigns geriet deshalb auch in den Verruf, »käuflich« zu sein. In den letzten Jahrzehnten wurden Agenturen beauftragt, Formen zu entwickeln, um Inhalte wahrnehmbar zu machen, da angenommen wurde, sie würden ein Wissen darüber besitzen, auf welche Signale so genannte »Zielgruppen« ganz besonders ansprechen. Solange über eine beschränkte Anzahl von Kommunikationskanälen weitgehend uniforme Botschaften transportiert wurden, ließ sich im Umkehrschluss behaupten, dass diese allgemein üblichen Ausdrucksformen auch den Bedürfnissen der Menschen entsprechen würden. Selbst in noch so raffinierten Umfragen lässt sich ja nicht herausfinden, wie jemand auf Zeichen reagieren würde, die er noch nie wahrgenommen hat. Geschlossene Systeme tendieren dazu, sich selbst zu bestätigen.
Inzwischen hat sich die Situation jedoch geändert. Die klassische Abfolge sah folgendermaßen aus: Jemand nimmt etwas wahr, entwickelt auf Basis dieser Wahrnehmungen ein mentales Modell, vergleicht dieses Modell mit anderen bereits vorhandenen Modellen und entwickelt so eine Botschaft, um diese wiederum in eine für andere wahrnehmbare Form zu bringen. Die Medien- und Kommunikationsbranche hat diesen Markt dominiert. Ein Heer an Gestalterinnen und Gestalter konnte sein Wissen und seine Fähigkeiten an diesen Markt verkaufen, um Orientierungshilfen aller Art zu produzieren.
Die aktuell an Dominanz gewinnende Abfolge sieht demgegenüber so aus: Vielfältigste Sensoren sammeln Unmengen an Daten. Programme vergleichen diese Daten und berechnen daraus Prognosen auf Basis von Wahrscheinlichkeiten. Die Nutzer solcher Systeme wählen aus unterschiedlichen Angeboten jene Verarbeitungsprogramme mit entsprechend automatisierten Visualisierungen aus, die sich aufgrund eigener Erfahrungen als erfolgsversprechende Orientierungshilfen erwiesen haben. Das jeweils eigene Verhalten verändert, durch die Spuren, die so entstehen, die Informationen, die uns ein solches System als vermutlich attraktiv übermittelt. Diese selbstlernenden und personalisierten Systeme optimieren sich durch jede einzelne Interaktion. Ein Heer an Programmiererinnen und Programmierern entwickelt noch solange diese Systeme, als sie sich noch nicht selbst programmieren können.
Diese Veränderungen kamen nicht über Nacht, sondern haben sich langsam entwickelt. Vergleichbare Schritte haben wir schon öfter erlebt. So verloren jene Schreiberinnen und Schreiber, für die Buchseiten noch kunstvoll gestaltete »Textbilder« waren, durch die Entwicklung des Buchdrucks an Bedeutung. Umso mehr Texte geschrieben und vervielfältigt wurden, desto automatisierter werden diese gestaltet und übermittelt. Eine individualisierte Bereitstellung von Informationen für breite Bevölkerungsschichten lässt sich nur auf Basis von Templates und automatisierten Abläufen realisieren.
Haben Gestalterinnen und Gestalter deshalb »nichts mehr zu verkaufen«? Einen Ausweg haben einzelne darin gefunden, wahrnehmbare Zeichen zu entwickeln, die vorderhand als »unverkäuflich« erscheinen. Befreit von der Aufgabe, »Sprachrohr« von Auftraggeberinnen und Auftraggebern sein zu müssen, kann im Rahmen von Gestaltungsarbeit nach Sprachen und Modellen gesucht werden, die herkömmliche Anschauungsmuster sprengen, um so neue Sichtweisen zu ermöglichen. Für eine solche Tätigkeit hat sich »Kunst« als Bezeichnung durchgesetzt. Die Bereitschaft der Menschen, ihre vorhandenen Orientierungsmuster in Frage zu stellen, hält sich selbstverständlich in Grenzen. Sobald wir uns selbst der Argumente für unser bisheriges Verhalten entledigen, müssten wir Eingeständnisse machen, die nicht leicht zu verkraften sind. Wie die Geschichte zeigt, sind Menschen eher bereit, gewaltige Belastungen auf sich zu nehmen, als sich einzugestehen, dass sie einem massiven Irrtum erlegen sind und sich in die Irre haben führen lassen.
Da sich Gestalterinnen und Gestalter früher oder später dann doch wieder verkaufen müssen, um zu überleben, hat sich ein weiteres Lösungsmodell entwickelt. Diese neue Form wird als »kreative Gestaltung« bezeichnet. Es handelt sich dabei in den meisten Fällen um harmlose Darstellungsformen, die den Eindruck erwecken, sich jeder Instrumentalisierung zu erwehren, ohne dabei konventionelle Weltbilder zu dekonstruieren. Diese Arbeiten zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie sich nicht als Orientierungshilfen benutzen lassen. Aus einem Fundus von Klischees können immer wieder neue Formcollagen entwickelt werden, die vorgeben, sich einer unmittelbaren Lesbarkeit zu entziehen. Beliebt sind diese Formspiele vor allem in jenen gesellschaftlichen Kreisen, die ihre Privilegien anderen gegenüber zu legitimieren versuchen. So wie einst einmal der »gepflegte grüne Rasen« dem Adel als sichtbares Zeichen diente, auf landwirtschaftliche Nutzflächen verzichten zu können, so verweist eine Aneignung von »kreativen Gestaltungsformen« darauf, auf »nützliche Denk- und Handlungsweisen« nicht angewiesen zu sein, um ein erfülltes und erlebnisreiches Dasein zu genießen. So fällt es der »Kreativszene« leicht, große Menschengruppen als »kulturlose« Masse zu identifizieren, um sie in der einen oder anderen Form auszugrenzen. Immer schon haben sich Menschen nur jenen gegenüber solidarisch verhalten, die sie dem eigenen »Kulturkreis« zugerechnet haben.
Der aktuelle Wunsch, sich jeder »Käuflichkeit« zu entziehen und sich bewusst nicht in den Dienst einer Sache zu stellen, hat zu einem sich ständig verhärtenden Wettkampf aller gegen alle geführt. So sinkt gerade in einer Phase der Geschichte, in der die kognitiven als auch körperlichen Fähigkeiten einer wachsenden Zahl von Menschen gegenüber technologischen Entwicklungen an Wert verlieren, auch das Vermögen, sich als Teil einer Solidargemeinschaft zu erleben. Wäre es nicht gerade heute notwendig, nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, wie Menschen nach wie vor für andere Menschen von »Wert« sein können? Welche Art der Formgebung könnte so lebensunterstützend sein, dass viele bereit wären, dafür freiwillig zu bezahlen? Die Antwort ist so einfach wie unpopulär. Was heute so dringend wie noch nie gebraucht wird, sind wahrnehmbare Modelle, die uns Handlungsoptionen aufzeigen, wie wir in globaler Kooperation jene Probleme bewältigen können, die gelöst werden müssen, um als Menschheit zu überleben. Es gäbe unendlich viel zu tun. Nachdem aber in unserer von ökonomischem Denken bestimmten Welt nur das geschieht, wofür jemand bezahlt, ist für Weltbilder abseits partikularer Interessen kein Raum vorhanden. Die ökonomischen Systeme der Gegenwart versorgen uns zu günstigen Konditionen mit allen nur denkbaren, jedoch verzichtbaren Angeboten, können aber jene Lösungen nicht finanzieren, die von grundlegendem und allgemeinem Interesse sind.