Branded Interactions ist bereits beim ersten In-die-Hand-nehmen ohne Blick auf das Verlagslogo als Hermann-Schmidt-Buch zu erkennen. Nicht nur wegen der liebevollen Produktion mit verschiedenen Papiersorten, aufwendiger Bindung und zahlreichen Ausklappseiten. Nicht nur wegen der für den Verlag irgendwie typischen Gestaltung, weniger «hip» als etwa beim Gestalten-Verlag, mehr mit Tendenz zur klassischen, aufgeräumten Typographie. Sondern vor allem durch den Spagat zwischen einem als Design-Objekt konzipiertem Buch, das man lesemotiviert in die Hand nimmt, und einem im Kern doch überraschend klassischen Lehrbuch-Ansatz, bei dem Nutzwert und umfassende Wissensvermittlung (immerhin hat das Buch rund 360 Seiten) im Mittelpunkt stehen. Diese Art von Infotainment im besten Sinne ist nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal und manchmal denke ich, Schmidt sollten anfangen, echte Schulbücher in diesem Stil zu produzieren, die Schüler würden sich freuen.

Nicht selten zeichnet die Bücher auch ein weiteres Merkmal aus – die Doppelfunktion als einerseits Marketingwerkzeug für den Autor, der sich durch die Publikation als Experte positionieren kann (wie etwa Strichpunkt vor einigen Jahren mit «finest facts and figures») und andererseits den Einblick hinter die Kulissen bzw. in das Denken des jeweiligen Verfassers, den diese Bücher stets haben. Es fällt beim Lesen oft leicht, in Spies’ Buch eine Kommunikation zwischen zwischen Agentur und potentiellen Auftraggeber zu lesen, etwa wenn das Buch hier und dort zu manchen Marketing-Buzzwords und Infografiken mit Eyecandy-Aspekten neigt, die wahrscheinlich eher für Marketing-Entscheider konzipiert sind. Kein Buch dieser Art kann das allerdings wirklich ganz vermeiden und Markenkommunikation ist dabei sicher nicht ein ganz so neutrales Terrain wie vielleicht das Thema Schriftauswahl. Über das Für und Wider von Zielgruppenanalysen kann man eben doch etwas intensiver streiten als über die Frage, wie weit Satzende und Ausrufezeichen voneinander abzutrennen sind.

Dabei gelingt es Spies aber, eben keinen Portfolioklotz zu veröffentlichen, der auf viel Papier primär die eigene Großartigkeit abbildet. Im Gegenteil: «Branded Interactions» geht sehr dosiert mit Praxisbeispielen um, die auch nur recht moderat von think moto stammen – und manchmal kann man einen eigenen Standpunkt einfach am besten an der eigenen Praixs erläutern. Spies tendiert überraschend anti-digital für ein Buch dieses Themas zum guten alten und gut geschriebenen Text (und reichlich davon), der eigentlich auch exzellent ohne die auflockernden Infocharts zu genießen ist. Immer wieder von lesenswerten Praxis-Interviews unterbrochen, liefert er einen kompakten Intensivkurs für strategische Kommunikation auf digitalen Plattformen, der an einer Hochschule gut ein bis zwei Semester füllen könnte, ohne sonderlich gestreckt zu wirken. Sauber gegliedert und durch das freundliche Layout und die klare Sprache auch ohne Vorwissen sofort gut lesbar, ist das Buch für CI/CD-Profis sicherlich nicht immer neu (digitale Kanäle haben ja die Regeln guter Kommunikationsgestaltung nicht neu erfunden, lediglich die Kampfzone ausgeweitet), aber unbedingt eine lesenswerte Erweiterung und Auffrischung. Eine nicht zu unterschätzende Leistung des Buches ist, dass es viele im Alltag eher intuitiv richtige Prozesse noch einmal schriftlich und analytisch fixiert – und somit auch die eigene Praxis hinterfragbar macht. Es gibt auch nach Jahren der Markenberatung noch Kopfnick-Momente und Lerneffekte bei diesem Buch, sei es durch Zustimmung oder durch die Frage, warum man selbst bei diesem oder jenem Punkt selbst eher anderer Meinung ist. Richtig gelesen ist «Branded Interactions» auch eine Art TÜV dafür, ob die eigene Art, über Markennarration zu denken, für die digitale Zeit geeignet ist. Es lehrt auch, Geduld mit Markt und Auftraggebern zu haben, die den eigenen Kommunikationsphantasien immer hinterherhinken. Die eigene Langeweile mit Facebook oder QR-Codes (die immerhin fast acht Jahre gebraucht haben, um in Europa anzukommen, dafür jetzt aber umso mehr nerven) darf ja in der Beratung nicht dazu führen, diese Tools für den Auftraggeber nicht trotzdem in Betracht zu ziehen. Ein Lerneffekt von Spies Buch bei mir persönlich ist, dass es sinnvoll sein kann, das eigene Science-Fiction-Denken strategischer zu erfassen und formulieren. Ähnliche Anregungen wird angesichts der Fülle des Buches wahrscheinlich jeder Berater oder Designer für seinen ganz persönlichen Arbeitsstil finden.

Das Buch ist nämlich inhaltlich sehr umfassend. Ausgehend von den handlichen 5 D-Begriffen «Discover», «Define», «Design», «Deliver» und «Distribute» macht es die Reise von Markenkern, einfachen Team- und Zielgruppenfragestellungen bis hin zur Evaluierung und langfristigen Weiteroptimierung nach Fertigstellung. In jedem Bereich stellt Spies mögliche Routinen, Strategien und Techniken vor, die aus seiner Sicht einen guten Workflow gewährleisten, ist aber auch in der Lage, diese selbst etwas kritisch zu hinterfragen. Er macht etwa deutlich, dass rein trackingbasierte Webanalysen die Designer nicht versklaven dürfen, widmet der Kritik am Wireframing einige Sätze und steckt im Nebensatz auch eine Nadel in den Ballon des «Mit 3-Klicks-ans-Ziel»-Klischees. Diese Ausgewogenheit wider Hype, Einheitstrends und Vereinfachungen erdet das Buch und macht es zu einer angenehmen Lektüre, die am besten gelingt, wenn sie fast plaudernd-beiläufig aus den eigenen Alltagserfahrungen des Autors schöpft. Das hinter all dem das klare Ideal einer strategischen, unternehmensberaterischen Denkarbeit steht, liegt mir natürlich sehr… es stellt aber keineswegs den in einem Interview im Buch postulierten Paradigmenwechsel dar. Es ist eher eine im Netz digitaler Allzeitkommunikation wichtige Rückbesinnung auf das Zusammenspiel von beraterischen, zuhörend-verstehenden Aspekten unserer Arbeit mit der dann Besseres gestaltenden, also Mut gebenden und Veränderung auslösenden Komponente. Ein Zusammenspiel, das dem Nutzer heute nicht mehr als Print-Einbahnstraße entgegenkommt, sondern immersiver und dialogischer. Und insofern auch mit immer weniger Rückzugsmöglichkeiten.

Entsprechend der am Marketing orientierten Zielsetzung des Buches gibt es keinen Bereich, der sich mit der Inflation von Markenauftritten im Alltag und der ständigen Konsumpräsenz im digitalen Raum kritisch auseinandersetzt, vielleicht ebenso wenig wie sich eine Reparaturanleitung für ein Auto nicht mit Alternativen für öffentlichen Nahverkehr befassen wird. Was schade ist – eine fundierte Betrachtung über die Ausdehnung von Werbemaßnahmen in immer privatere Bereiche hätte gerade vor dem Wissensbackground des Autors mitreißend und spannend sein können. Was nicht heißt, dass das Buch eine blase Aufzählung von Wegen zur digitalen Kommunikationsproduktion ist. Spies plädiert fundiert und mit vielen methodischen Beispielen für Gründlichkeit und methodische Arbeit, fordert aber leidenschaftlich zugleich aber auch immer wieder Kreativität und Mut ein. Und bedauert umgekehrt die häufige Angst oder Ratlosigkeit/Beratungsresistenz der Auftraggeber. Alle drei Aspekte wird jeder Leser unterschreiben können, der längere Zeit für größere Marken gearbeitet hat. Ohne Ordnungswerkzeuge und Organisation, aber auch immer wieder einer quasi-revolutionären Angriffslust auf das Bollwerk des guten alten «Aber das haben wir doch immer schon so gemacht…» geht es nicht. Diese Balance zu wahren, zwischen dem Erschaffen einer stabilen Struktur und der Lust, eben genau diese Strukturen dann immer wieder auch selbst zu verformen und neu zu erfinden (und somit langfristig evolutionär überlebensfähig zu machen) ist eine der größten Herausforderungen als Designer.

Insofern ist «Branded Interactions» natürlich im besten Sinne eine Mogelpackung. Streicht man nämlich das Wort «digitale» aus der «Markenkommunikation» des Buchuntertitels, wird man viel wiederfinden, das aus Corporate Design, Produktdesign und so fort seit Dekaden vertraut und richtig ist – auch Jahresbericht, Messestand oder Produktpackage sind schließlich Interaktionen. Und die harten Fakten zu Screen/Web/Ambient-Design bezieht man heute wahrscheinlich inzwischen ohnehin schneller und direkter aus dem Web, sie sind zu kurzlebig für Print (ehrlich gesagt inzwischen fast auch für das Web selbst, die technologische Entwicklung überrollt ja die Fähigkeit größerer Marken, sie rechtzeitig umzusetzen, tatsächlich gilt heute oft die Logik, dass gerade die größeren Unternehmen technologisch spürbar hinterher hängen, während Zwei-Mann-Startups auf der digitalen Höhe der Zeit spielen, weil sie agiler sind). Die Sache mit der «Mogelpackung» sei absolut insofern als Kompliment verstanden, denn nimmt man Spies’ «BIxD«-Kürzel heraus und verallgemeinert hier und da Inhalte, erhält man in einer kompakten Form einen exzellenten Knigge, der ganz klassisches Know-How von der ersten Markenidentität bis zur Implementierung und langfristigen Pflege einer Idee zusammenfasst. Ob man mit diesem Wissen dann am Ende digitale Inhalte, Architektur, Print, klassische Werbung oder revolutionäre Interaktionsideen umsetzt, ist wahrscheinlich sogar eher egal, die Prinzipien von Forschen, Finden, Formen, Fertigmachen und Vorwärts sind ja die gleichen – und die richtigen.

Die gute Nachricht ist also, das hinter den modischen Begriffen des Digital Branding ein durchaus rundes, traditionell fundiertes Denken über Anbieter und Nutzer, Marken und Kunden und die Inszenierung der Kommunikation dazwischen steht, wie sollte es auch anders sein. Insofern eignet sich Spies’ Buch nicht nur für digitale Designer, ich würde es allen strategisch denkenden Gestaltern ans Herz legen. Gerade, weil es kein Look- sondern ein Think-Book ist, das ganz konkret in die eigene Arbeit hineinstrahlen kann, ganz egal, ob man gerade erst anfängt oder seit Dekaden tätig ist. «Branded Interactions» ist trotz seines Formates kein Buch fürs Regal, sondern eins für den Nachttisch.

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Marco Spies – Branded Interactions

Branded Interactions ist bereits beim ersten In-die-Hand-nehmen ohne Blick auf das Verlagslogo als Hermann-Schmidt-Buch zu erkennen. Nicht nur wegen der liebevollen Produktion mit verschiedenen Papiersorten, aufwendiger Bindung und zahlreichen Ausklappseiten. Nicht nur wegen der für den Verlag irgendwie typischen Gestaltung, weniger «hip» als etwa beim Gestalten-Verlag, mehr mit Tendenz zur klassischen, aufgeräumten Typographie. Sondern vor allem durch den Spagat zwischen einem als Design-Objekt konzipiertem Buch, das man lesemotiviert in die Hand nimmt, und einem im Kern doch überraschend klassischen Lehrbuch-Ansatz, bei dem Nutzwert und umfassende Wissensvermittlung (immerhin hat das Buch rund 360 Seiten) im Mittelpunkt stehen. Diese Art von Infotainment im besten Sinne ist nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal und manchmal denke ich, Schmidt sollten anfangen, echte Schulbücher in diesem Stil zu produzieren, die Schüler würden sich freuen.

Nicht selten zeichnet die Bücher auch ein weiteres Merkmal aus – die Doppelfunktion als einerseits Marketingwerkzeug für den Autor, der sich durch die Publikation als Experte positionieren kann (wie etwa Strichpunkt vor einigen Jahren mit «finest facts and figures») und andererseits den Einblick hinter die Kulissen bzw. in das Denken des jeweiligen Verfassers, den diese Bücher stets haben. Es fällt beim Lesen oft leicht, in Spies’ Buch eine Kommunikation zwischen zwischen Agentur und potentiellen Auftraggeber zu lesen, etwa wenn das Buch hier und dort zu manchen Marketing-Buzzwords und Infografiken mit Eyecandy-Aspekten neigt, die wahrscheinlich eher für Marketing-Entscheider konzipiert sind. Kein Buch dieser Art kann das allerdings wirklich ganz vermeiden und Markenkommunikation ist dabei sicher nicht ein ganz so neutrales Terrain wie vielleicht das Thema Schriftauswahl. Über das Für und Wider von Zielgruppenanalysen kann man eben doch etwas intensiver streiten als über die Frage, wie weit Satzende und Ausrufezeichen voneinander abzutrennen sind.

Dabei gelingt es Spies aber, eben keinen Portfolioklotz zu veröffentlichen, der auf viel Papier primär die eigene Großartigkeit abbildet. Im Gegenteil: «Branded Interactions» geht sehr dosiert mit Praxisbeispielen um, die auch nur recht moderat von think moto stammen – und manchmal kann man einen eigenen Standpunkt einfach am besten an der eigenen Praixs erläutern. Spies tendiert überraschend anti-digital für ein Buch dieses Themas zum guten alten und gut geschriebenen Text (und reichlich davon), der eigentlich auch exzellent ohne die auflockernden Infocharts zu genießen ist. Immer wieder von lesenswerten Praxis-Interviews unterbrochen, liefert er einen kompakten Intensivkurs für strategische Kommunikation auf digitalen Plattformen, der an einer Hochschule gut ein bis zwei Semester füllen könnte, ohne sonderlich gestreckt zu wirken. Sauber gegliedert und durch das freundliche Layout und die klare Sprache auch ohne Vorwissen sofort gut lesbar, ist das Buch für CI/CD-Profis sicherlich nicht immer neu (digitale Kanäle haben ja die Regeln guter Kommunikationsgestaltung nicht neu erfunden, lediglich die Kampfzone ausgeweitet), aber unbedingt eine lesenswerte Erweiterung und Auffrischung. Eine nicht zu unterschätzende Leistung des Buches ist, dass es viele im Alltag eher intuitiv richtige Prozesse noch einmal schriftlich und analytisch fixiert – und somit auch die eigene Praxis hinterfragbar macht. Es gibt auch nach Jahren der Markenberatung noch Kopfnick-Momente und Lerneffekte bei diesem Buch, sei es durch Zustimmung oder durch die Frage, warum man selbst bei diesem oder jenem Punkt selbst eher anderer Meinung ist. Richtig gelesen ist «Branded Interactions» auch eine Art TÜV dafür, ob die eigene Art, über Markennarration zu denken, für die digitale Zeit geeignet ist. Es lehrt auch, Geduld mit Markt und Auftraggebern zu haben, die den eigenen Kommunikationsphantasien immer hinterherhinken. Die eigene Langeweile mit Facebook oder QR-Codes (die immerhin fast acht Jahre gebraucht haben, um in Europa anzukommen, dafür jetzt aber umso mehr nerven) darf ja in der Beratung nicht dazu führen, diese Tools für den Auftraggeber nicht trotzdem in Betracht zu ziehen. Ein Lerneffekt von Spies Buch bei mir persönlich ist, dass es sinnvoll sein kann, das eigene Science-Fiction-Denken strategischer zu erfassen und formulieren. Ähnliche Anregungen wird angesichts der Fülle des Buches wahrscheinlich jeder Berater oder Designer für seinen ganz persönlichen Arbeitsstil finden.

Das Buch ist nämlich inhaltlich sehr umfassend. Ausgehend von den handlichen 5 D-Begriffen «Discover», «Define», «Design», «Deliver» und «Distribute» macht es die Reise von Markenkern, einfachen Team- und Zielgruppenfragestellungen bis hin zur Evaluierung und langfristigen Weiteroptimierung nach Fertigstellung. In jedem Bereich stellt Spies mögliche Routinen, Strategien und Techniken vor, die aus seiner Sicht einen guten Workflow gewährleisten, ist aber auch in der Lage, diese selbst etwas kritisch zu hinterfragen. Er macht etwa deutlich, dass rein trackingbasierte Webanalysen die Designer nicht versklaven dürfen, widmet der Kritik am Wireframing einige Sätze und steckt im Nebensatz auch eine Nadel in den Ballon des «Mit 3-Klicks-ans-Ziel»-Klischees. Diese Ausgewogenheit wider Hype, Einheitstrends und Vereinfachungen erdet das Buch und macht es zu einer angenehmen Lektüre, die am besten gelingt, wenn sie fast plaudernd-beiläufig aus den eigenen Alltagserfahrungen des Autors schöpft. Das hinter all dem das klare Ideal einer strategischen, unternehmensberaterischen Denkarbeit steht, liegt mir natürlich sehr… es stellt aber keineswegs den in einem Interview im Buch postulierten Paradigmenwechsel dar. Es ist eher eine im Netz digitaler Allzeitkommunikation wichtige Rückbesinnung auf das Zusammenspiel von beraterischen, zuhörend-verstehenden Aspekten unserer Arbeit mit der dann Besseres gestaltenden, also Mut gebenden und Veränderung auslösenden Komponente. Ein Zusammenspiel, das dem Nutzer heute nicht mehr als Print-Einbahnstraße entgegenkommt, sondern immersiver und dialogischer. Und insofern auch mit immer weniger Rückzugsmöglichkeiten.

Entsprechend der am Marketing orientierten Zielsetzung des Buches gibt es keinen Bereich, der sich mit der Inflation von Markenauftritten im Alltag und der ständigen Konsumpräsenz im digitalen Raum kritisch auseinandersetzt, vielleicht ebenso wenig wie sich eine Reparaturanleitung für ein Auto nicht mit Alternativen für öffentlichen Nahverkehr befassen wird. Was schade ist – eine fundierte Betrachtung über die Ausdehnung von Werbemaßnahmen in immer privatere Bereiche hätte gerade vor dem Wissensbackground des Autors mitreißend und spannend sein können. Was nicht heißt, dass das Buch eine blase Aufzählung von Wegen zur digitalen Kommunikationsproduktion ist. Spies plädiert fundiert und mit vielen methodischen Beispielen für Gründlichkeit und methodische Arbeit, fordert aber leidenschaftlich zugleich aber auch immer wieder Kreativität und Mut ein. Und bedauert umgekehrt die häufige Angst oder Ratlosigkeit/Beratungsresistenz der Auftraggeber. Alle drei Aspekte wird jeder Leser unterschreiben können, der längere Zeit für größere Marken gearbeitet hat. Ohne Ordnungswerkzeuge und Organisation, aber auch immer wieder einer quasi-revolutionären Angriffslust auf das Bollwerk des guten alten «Aber das haben wir doch immer schon so gemacht…» geht es nicht. Diese Balance zu wahren, zwischen dem Erschaffen einer stabilen Struktur und der Lust, eben genau diese Strukturen dann immer wieder auch selbst zu verformen und neu zu erfinden (und somit langfristig evolutionär überlebensfähig zu machen) ist eine der größten Herausforderungen als Designer.

Insofern ist «Branded Interactions» natürlich im besten Sinne eine Mogelpackung. Streicht man nämlich das Wort «digitale» aus der «Markenkommunikation» des Buchuntertitels, wird man viel wiederfinden, das aus Corporate Design, Produktdesign und so fort seit Dekaden vertraut und richtig ist – auch Jahresbericht, Messestand oder Produktpackage sind schließlich Interaktionen. Und die harten Fakten zu Screen/Web/Ambient-Design bezieht man heute wahrscheinlich inzwischen ohnehin schneller und direkter aus dem Web, sie sind zu kurzlebig für Print (ehrlich gesagt inzwischen fast auch für das Web selbst, die technologische Entwicklung überrollt ja die Fähigkeit größerer Marken, sie rechtzeitig umzusetzen, tatsächlich gilt heute oft die Logik, dass gerade die größeren Unternehmen technologisch spürbar hinterher hängen, während Zwei-Mann-Startups auf der digitalen Höhe der Zeit spielen, weil sie agiler sind). Die Sache mit der «Mogelpackung» sei absolut insofern als Kompliment verstanden, denn nimmt man Spies’ «BIxD«-Kürzel heraus und verallgemeinert hier und da Inhalte, erhält man in einer kompakten Form einen exzellenten Knigge, der ganz klassisches Know-How von der ersten Markenidentität bis zur Implementierung und langfristigen Pflege einer Idee zusammenfasst. Ob man mit diesem Wissen dann am Ende digitale Inhalte, Architektur, Print, klassische Werbung oder revolutionäre Interaktionsideen umsetzt, ist wahrscheinlich sogar eher egal, die Prinzipien von Forschen, Finden, Formen, Fertigmachen und Vorwärts sind ja die gleichen – und die richtigen.

Die gute Nachricht ist also, das hinter den modischen Begriffen des Digital Branding ein durchaus rundes, traditionell fundiertes Denken über Anbieter und Nutzer, Marken und Kunden und die Inszenierung der Kommunikation dazwischen steht, wie sollte es auch anders sein. Insofern eignet sich Spies’ Buch nicht nur für digitale Designer, ich würde es allen strategisch denkenden Gestaltern ans Herz legen. Gerade, weil es kein Look- sondern ein Think-Book ist, das ganz konkret in die eigene Arbeit hineinstrahlen kann, ganz egal, ob man gerade erst anfängt oder seit Dekaden tätig ist. «Branded Interactions» ist trotz seines Formates kein Buch fürs Regal, sondern eins für den Nachttisch.

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