Bunte Unordnung – Interview mit Mario Lombardo
Mag sein, dass besonders Kreative mit Ordnung zu kämpfen haben. Aber es gibt durchaus Wege, damit umzugehen und sie kreativ auszubauen. Das zumindest haben wir aus dem Interview mit dem – (Mario, entschuldige bitte) bezaubernden – Mario Lombardo entnommen, den wir in seinem Büro besucht haben. Sein Herz gehört der Gestaltung von Magazinen, die er seit 1985 sammelt und die sich in seinem Büro stapeln. Wie er es mit Ordnung und Unordnung hält, erzählt er ausführlich für Dmig.
Wie wichtig ist dir Ordnung im Arbeitsalltag? Und ab wann ist Ordnung eher hinderlich, weil sie vielleicht zu sehr aufhält und die Freiheiten einschränkt?
Um ehrlich zu sein, liebe ich eine gewisse Unordnung in meinem Leben, es erscheint mir so irgendwie bunter. Im Arbeitsalltag dagegen ist mir Ordnung sehr wichtig! Ich arbeite ja schon sehr lange nicht mehr alleine. Als das noch so war, war die Ordnung eher etwas flüchtiges, ein von mir selbst definiertes System. Ich weiß immer, wo meine Sachen ungefähr liegen, zumindest habe ich mir die Möglichkeit der Ablage beschränkt. Ich frage mich gerade, ob ich ein Gewohnheitstier bin, weil ich gewisse Sachen immer an bestimmte Orte lege? Ich denke aber nicht. Es ist wohl eher so, dass mich das Suchen nach dem Schlüssel schon zu oft eine Bahn hat verpassen lassen oder ähnliches. Das erspare ich mir inzwischen lieber. Die Zeit ist ein zu knappes und wertvolles Gut. Aber ich schweife ab...
Jedenfalls ist es in einem Büroalltag nicht ratsam unordentlich zu sein. Da es immer wieder zu viel Kraft kostet zu suchen, die Ordnung wieder herzustellen, oder immer wieder zu erklären, wohin Sachen gehören, weil man es bis zum nächsten Aufräumen vergessen hat. Das gilt natürlich nicht für lange und anstrengende Produktionen. Wir haben sehr große Kunden, die sich auf uns verlassen. Da können Verzögerungen oder Unaufmerksamkeiten sehr riskant sein. In meinem Büro passen wir alle gemeinsam auf, und Sarah – unsere Projektmanagerin – hat darauf wiederum ein Auge.
Gestaltungsraster, Styleguides, Design-Vorgaben ... man kann Design sehr bürokratisieren, wenn man will (oder muss). Wie hälst du es mit solchen Richtlinien? Notwendiges Übel oder wichtiges Gestaltungsmerkmal? Wie wichtig ist dir kreative Freiheit in deinen Projekten?
Gestaltungsraster, Styleguides, Design-Vorgaben … ich halte diese Sachen für sehr wichtig. Vor allem in der Zusammenarbeit mit großen Kunden sind sie sehr hilfreich, damit das Design nicht verwässert. Die Frage bleibt immer, ob das Design gut ist. Wenn es gut ist, machen mir solche Richtlinien überhaupt nichts aus. Im gegenteiligen Fall finde ich immer Interpretationsmöglichkeiten. Die Kunst beim Design ist nicht, sich an Regularien zu halten oder sie gar aufzustellen, sondern alle Komponenten in einen Einklang, eine Harmonie, - je nach Thematik auch Disharmonie –, zu bringen. Da ist der Umgang mit einem Reglement nur ein Teil, der sich unter Umständen dem gesamten Kommunikationsziel unterwerfen muss. Was die kreative Freiheit angeht, habe ich schon sehr früh angefangen mich spielerisch innerhalb von vorgegeben Outlines auszudrücken. Das macht mir sogar viel mehr Spaß. Es ist faszinierend an Grenzen zu stoßen, sie etwas auszudehnen oder sie gar etwas zu öffnen. Das alles geht mit einem guten Design.
Es ist ein viel größerer Erfolg für mich, einen nächsten Evolutionsschritt zu machen als alles neu und ganz frei und uneingeschränkt zu gestalten. Diese Jobs dauern dann auch meist länger, weil auch meine Entscheidungsmöglichkeit uneingeschränkt ist, und das, obwohl ich keine Probleme habe, Entscheidungen schnell und präzise zu treffen. Verrückt, oder?
Macht es an manchen Stellen Sinn fest definierte Gestaltungsraster aufzubrechen? Und falls ja, wo?
Oh, ja! Für mich macht es an vielen Stellen Sinn. Vor allem in meinem und für mein Leben. Ich bin manchmal recht festgefahren, aber wer ist das nicht? Da macht es für mich und meinen Kopf, Bauch und Herz immer wieder Sinn, mich aus den definierten Mustern heraus zu bewegen. Sozusagen sich dem Ungewissen zu öffnen. Die Ordnung zu verlassen. Ich mache das sehr oft und überrasche nicht nur mich selbst damit. Es macht Spaß das zu beobachten.
Im Design gilt das Gleiche. Das Erste, was ich mache, ist das Raster, abgeleitet von allen Outlines und Befindlichkeiten, zu definieren. Und da es das Erste ist, muss es sich dann auch bewähren und muss auch einiges aushalten – gegebenenfalls muss es innerhalb der Entwicklung auch verändert oder modifiziert werden. Aber das Wichtige ist: Ein Raster muss bespielbar sein, es darf das Design nicht bestimmen, denn dann lebt es nicht. Ein Magazin, Buch, Booklet oder eine Zeitung muss ich auch dem Thema entsprechend gestalten. Das ist für einen abwechslungsreichen Inhalt, aber auch für ein spannungs- und abwechslungsreiches Design sehr wichtig.
Der Fokus deiner Arbeit liegt im Editorial-Printbereich. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Medien, mit denen wir Informationen konsumieren, rasant verändern. Während Bücher und Zeitungen über Jahrhunderte Bestand hatten, kommen heute in schnellen Abschnitten neue »Informations-Konsum-Instrumente« auf den Markt, die den Rahmen von Print sprengen. Welche Bedeutung hat das für Gestalter im Allgemeinen aber auch für dich und deine Arbeit im Speziellen?
Entschuldige bitte, ich müsste hier kurz korrigieren, der Fokus meiner Arbeit liegt nicht im Editorial-Bereich, obgleich es mein Herz immer höher schlagen lässt, und es sicherlich meine Lieblingsdisziplin ist.
Die Aufgaben, die sich mir beruflich stellen, überspannen alle Designbereiche, gehen von Identity, Buch/Katalog, Musik über Fernsehen oder Web zu Raum und Objekt und vieles, vieles mehr. Es gibt keinen Nenner, der mir da einfallen würde. Ich meine, jedes Mal Konzentration auf die gegebene Aufgabenstellung. Oft müssen wir in einen Aufgabenbereich verschiedene Medien zusammenführen, im einfachsten Fall gedruckt und digital. Aber das habe ich schon immer versucht, auch schon in meiner Diplomarbeit, die jetzt schon eine ganz schöne Weile her ist, als ich neben einer Modekollektion einen gesamten Auftritt für ein Modelabel entworfen habe. Es ging von CI/CD über Katalog, Fotografie, POS, Werbung, Web bis zum Ausstellungskonzept und natürlich der Bekleidung selbst.
Selbst bei allen Magazinen, die ich gemacht habe, waren verschiedene Informationsinstrumente zusammen zu bringen. Im Beispiel Spex musste ich neben dem Magazin und dem Webauftritt auch noch CDs, DVDs mit Menüs zusammenstellen, oder mich mit Merchandise, Festival und Ausstellungsgestaltung auseinandersetzen.
Du bist Vater, Geschäftsführer und Designer, das hört sich nach viel Organisationsaufwand an. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?
Das ist ziemlich unterschiedlich. Ich versuche einmal die verschieden Seiten aufzuzählen. Es gibt schlimme Zeiten, oft über Monate, da stehe ich in Allerherrgottsfrühe um 5 Uhr morgens auf – das ist das Schrecklichste, es gibt wirklich nichts Schlimmeres für mich. Dabei gibt es kaum Schöneres als morgens halbwach/halbschlafend im Bett zu liegen. – und fange um 6 Uhr an zu arbeiten, damit ich bis zum allgemeinen Arbeitsbeginn um 10:00 einiges weggeschafft habe. Das sind kostbare vier Stunden, von denen fast niemand weiß oder sie je honorieren wird, aber es ist die einzige Möglichkeit für mich den Tag vorzubereiten, mich meinen Aufgaben zu stellen, mich zu sensibilisieren, was mir sehr wichtig ist. Inzwischen schaffe ich es auch diesen friedlichen Stunden etwas abzugewinnen, sie sind so rein und unbeachtet. Hm, werde ich alt?
Um 10:00 Uhr geht es dann los. Schlimm ist es, wenn ich meine Aufgaben bis dahin nicht geschafft habe, denn ab 10:00 beginnt der normale Wahnsinn. Ich probiere dann ab 16:00 mich um meine anderen Pflichten zu kümmern. Das klappt aber oft genug nicht. Als wir Büro und Wohnung auf zwei Etagen hatten, war das kein Problem. Jetzt nach dem Umzug – wir haben jetzt alles wieder getrennt – muss ich etwas mehr planen.
Die normalen Tage beginnen wenn Mila im Kindergarten ist, der um 9 Uhr beginnt. Um Viertel nach bin ich dann im Büro. Schluss ist zwischen 16 Uhr und irgendwann, kommt darauf an, ob es viel zu tun gibt, oder ob ich Mila abhole. Da ich aber Geschäftsführer und auch Vater bin, genieße ich es ebenso, alles einfach sein zu lassen und einen Spieltag einzulegen. Psssst...
Deine Tochter hat einen eigenen Platz in eurem Büro: sie hat Kreidetafeln, an denen sie sich austoben kann, und ist damit die wahrscheinlich schönste Inspirationsquelle, die man haben kann. Wie wichtig ist der Zufall im Design?
Oh ja! Mila ist wundervoll, der Zauber in meinem Leben. Momentan richtet sie das Büro für eine große Party her. Ich weiß nicht was für eine Party – das weiß nur sie – aber sie schmückt Ordner, beklebt Regale, Tische, Lampen und Wände mit Geschenkbändern, Post-its, Tüchern, Holz, Farben oder anderem bunten Glitzernden, das sie in den Material-Schränken findet. Es sieht sehr schön aus! Auch etwas verrückt. Aber das ist, was ich am Büro liebe! Wir machen sehr gute Arbeit und wir sind immer noch Menschen! Ich beobachte Mila gerne, wenn sie so was macht. Sie ist so konzentriert, Detail versessen, und ihr fällt immer wieder etwas Neues ein.
Wenn sie merkt, dass ich sie beobachte, ist es sogar fast noch schöner, weil sie dann anfängt zu kokettieren, und jeder kleine Akt zelebriert wird. Ich habe ihre Spuren gern im Büro. Da ich auch viel arbeite, schenken sie mir oft schöne Erinnerungen und ein Lächeln, wenn ich müde oder gestresst bin. Wir haben übrigens jetzt was Neues, neben den Tafeln – Mülleimerrennen!
Wir haben weiße Kisten mit Rollen drunter, die werden superschnell und man kann sie super lenken. Mila passt genau rein. Das macht Spaß!
Im Fall von »Zufall« fällt mir eine Antwort schwer. Mit ihm kann ich nicht rechnen oder auf ihn bauen, obwohl er mir hin und wieder geholfen hat. Man muss wissen, ich arbeite sehr konzeptionell und themenbezogen, versuche mich nicht auf Unberechenbares zu verlassen. Versuche eher zwischen den Zeilen zu lesen. Da ist das mit dem Zufall immer so eine Sache.
Stell dir vor, du kommst morgens ins Büro und die Putzfrau (oder der Putzmann, wir wollen ja politisch korrekt sein) hat ohne Rücksprache deinen Schreibtisch aufgeräumt. Wie reagierst du?
Haha, ich bin froh, wenn ich die Sachen weg sind. Rechnungen, Quittungen, Ablage iiihhh.
Aber im Ernst, das würde nicht passieren. Sanela, so heißt unsere gute Dame, weiß das und ist sehr gewissenhaft. Ich mag sie und vertraue ihr. Sie ist schon eine Weile bei uns. Wir haben auch da eine wichtige Regel: Alles aufräumen bevor sie kommt. Da wird drauf geachtet. Alles Unaufgeräumte wird nicht geputzt. Aber die Vorstellung, dass das ganze Übel einfach von meinem Tisch geputzt ist, gefällt mir.
Gibt es für dich oder euch als Büro so etwas wie einen Wunsch-kunden, für den ihr bisher noch nicht gearbeitet habt?
Ne, sowas haben wir nicht. Jeder ist willkommen, der mit einer guten Aufgabe, harten Nuss oder Geschenken kommt. Es ist tatsächlich so, dass ich mich geändert habe. Was ich einst prinzipiell abgelehnt habe, schaue ich mir heute erst einmal genau an. Mich können viele verschiedene Sachen an einem Job reizen, und zusätzlich kommt dazu, dass ich Sachen und Umstände unbedingt verändern will. Und ich habe realisiert, dass es nicht immer um Kleinklein oder den Untergrund geht. Meine Arbeit für Gleichgesinnte wird aber immer bleiben.
Das Interview führten Nadine Roßa, Patrick Marc Sommer, Nicole Zimmermann und Daniela Kleint.
Die Fotos machte Daniela Kleint