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Das »andere« Leitsystem – documenta12

Wer gedacht hat, Leitsysteme müssen klar verständlich und leicht lesbar sein, sollte sich das Leitsystem zur documenta12 von VIER5 anschauen. Als das Büro beauftragt wurde, ein Leitsystem für die documenta zu entwickeln, lösten sie sich bewusst von den gängigen Vorgaben und arbeiteten experimentell mit Typografie. Wir haben mit VIER5 über den Entstehungs- und Entwicklungsprozess gesprochen.



Wer seid Ihr und seit wann gibt es Euch?

VIER5. In der bestehenden Form gibt es unser Büro seit 2002 mit Hauptsitz in Paris.

Warum habt ihr einen deutschen Namen, obwohl ihr in Paris beheimatet seid?

Das Büro wurde ursprünglich im Jahr 2000 in Frankfurt gegründet, hatte aber damals noch andere Schwerpunkte. Daher ist es ursprünglich ein deutsches Büro. Im Februar 2002 sind wir nach Paris umgezogen. Es war damals einespontane Entscheidung, die praktisch über Nacht kam. Wir haben mittlerweile aber auch noch ein Büro, in Süddeutschland auf dem Lande.

Wie wurden die documenta-Verantwortlichen auf Euch aufmerksam?

Das ist eine Frage, die ich leider nicht beantworten kann. Ich konnte bis heute die Zusammenhänge nicht wirklich ergründen. Auch Kollegen konnten mir da nicht richtig weiterhelfen. Im Nachhinein gab es etliche, die meinten, sie hätten uns empfohlen, aber wer genau das war, kann ich nicht zuordnen.

Habt Ihr, bevor Ihr Euch mit dem Thema documenta auseinander gesetzt habt, bereits andere Ausstellungen betreut?

Wir arbeiten von Beginn an im kulturellen Bereich. Seit Ende 2004 arbeiten wir mit dem Museum für Angewandte Kunst Frankfurt zusammen. Das ist über die Jahre betrachtet mit all den Dingen, die zu tun sind, ein ähnlich großes Projekt. Ein temporäres Projekt in diesem Ausmaß wie die documenta ist selten. Vorher hatten wir nicht die Möglichkeit in dieser Größenordnung zu arbeiten. Daher war es in gewisser Weise eine Herausforderung.

Wie fiel das Feedback auf Eure Umsetzung aus? Gab es auch kritische Anmerkungen oder Probleme, auf die Ihr während der eigentlichen documenta reagieren musstet?

Es gab immer mal Probleme, die geklärt werden mussten. Das schließt sich bei einem Projekt in dem Umfang nicht aus. Es gibt viele technische Dinge, die vorher nicht klar sind und wo kurzfristig gehandelt werden muss.
Als zum Beispiel der Turm des Künstlers Ai Weiwei zusammenfiel, musste sehr schnell gehandelt werden, denn es bestand die Gefahr, dass jemand zu Schaden kam. Danach mussten alle Schilder, die wir in der Stadt aufgestellt hatten, noch einmal statisch geprüft werden. Die Gewichte, die die Schilder hielten, wurden daraufhin verdoppelt. Sie mussten so fest sein, dass sie den Weltuntergang überdauern würden.
Probleme wie diese gab es häufiger. Wöchentlich hatten wir mit Behörden und Ämtern zu tun und hier und da mussten Dinge abgeklärt und genehmigt werden. Bei solch einem Projekt gibt es natürlich immer viel Feedback, weil sich jeder berufen fühlt, eine Anmerkung zu machen. Am schönsten sind aber Reaktionen von »außen«, die man nicht erwartet.
Zum Beispiel ein Junge, der die Schrift, die wir für die documenta entworfen hatten, haben wollte, weil er die Zimmertür seiner Freundin damit gestalten wollte. Oder eine Uni im Ruhrgebiet, die sich aus den Einzelbuchstaben, die sie fotografiert hatten, die Schrift selbst nachbauten und um Erlaubnis fragten, diese nutzen zu dürfen. Das sind Momente, die einem zeigen, dass die Arbeit, wie man sie sich vorstellt, funktioniert hat.

Gibt es in Euren Augen typische Merkmale, die ein Ordnungssystem ausmachen? Und wie lief der Entstehungsprozess? Konntet Ihr Euch im Vorfeld vor Ort ein Bild machen oder entstand die Arbeit fernab in Frankreich?

Wir arbeiten bei größeren Projekten immer vor Ort. Es ist uns wichtig, bei allen Prozessen eines Projektes dabei zu sein. Wir sind Ende 2006 nach Kassel gezogen, wo wir ein Apartment gemietet hatten. Wir kannten die Stadt schon vorher und haben die documenta auch schon in den Jahren zuvor besucht.
Die erste war 1992, die wichtigste für uns 1997. Daher waren wir mit der Situation, wie die Stadt zu der Zeit der documenta aussieht, vertraut. Neu war, wie sich die Stadt verhielt, wenn keine documenta ist. Das war eine sehr interessante Phase zu sehen, wie eine Stadt praktisch über Nacht eine komplett andere Stadt mit anderen Strukturen gibt. Ich denke, das war für unsere Arbeit ziemlich ausschlaggebend.
Generell denke ich, dass man bei Projekten vor Ort sein muss. Man sollte wohnen, wo man arbeitet. Es geht nicht nur um Gestaltung, es geht in erster Linie um soziale Strukturen, die man selbst miterleben sollte.
Wir blieben fast noch ein Jahr, als die Ausstellung vorbei war, um zu beobachten, wie sich die Stadt »zurückentwickelt«. Stellenweise kann man noch heute Elemente unseres Leitsystems entdecken. Das war ein Aspekt, der uns fasziniert hat und wichtig für uns war, dass ein Leitsystem ein »Selbstläufer« wird und es sich über die Jahre hinweg eigenständig weiterentwickelt und die Ausstellung somit auch nach Jahren am Leben und im Gedächtnis hält.
Ausgangspunkt war dafür ein documenta-Film, den wir 1993 gedreht hatten und der »Ein Jahr nach der documenta« heißt.

Gibt es Unterschiede bei einem französischen oder deutschen Ordnungssystem? Oder müssen alle international funktionieren?

Es gibt Unterschiede, sicher auch Gemeinsamkeiten, vielleicht weniger in der Gestaltung, als vielmehr in der Auffassung und Bewertung. Ob Systeme international funktionieren müssen, weiß ich nicht. Es sollte erst geklärt werden, was man im konkreten Fall unter »international« versteht. Wenn man damit nur eine englische Version meint, dann ist das zu kurz gedacht.

Was muss jemand mitbringen der bei Euch mitarbeiten will?

Belastbarkeit und Ausdauer.

Habt ihr eine Empfehlung für Paris? Was muss man unbedingt gesehen haben?

Alles. Es gibt ein riesiges Angebot für alle Interessen und es passieren viele Dinge, die man sich nicht vorstellen kann. Das Leben unterscheidet sich extrem vom Alltag, wie ich ihn aus Deutschland kenne und die Liste der Dinge, die man gesehen haben sollte, ist endlos und ändert sich täglich. Am besten ist, man kommt (und geht nie mehr weg).

Interview von Kai Scholz

Links

http://www.vier5.de
http://www.vier5.de/10/documenta1.html
http://www.fairytale-magazine.com
http://www.documenta.de/start123.html
http://www.aiweiwei.com