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Lektüre für Nichtleser 4

Willkommen bei der Lektüre für Nichtleser: »Sie haben kaum Zeit, große Romane zu lesen. Ich habe keine Zeit, welche zu schreiben. Daher hier die Lektüre für zwischendurch, nebenbei und unterwegs.« (Michael Bukowski)

Anwendungsgebiete

zum Lesen in Meetings, in Bahnen, Bussen, Flugzeugen, auf dem Klo, im Bett, in der Warteschlange, bei langweiligem Sex, auf der Tanzfläche, anstelle von Smalltalks ...

Die Hauptdarsteller in der Übersicht

Grabowski:
Der Mann, der länger am Tresen sitzt, als dieser lang ist. Leidet unter der manischen Einbildung, daß er für diese Publikation hier verantwortlich wäre.

Long Dong Copy:
Werbetexter, um dessen Slogan-Länge sich Gerüchte ranken.

Pistolen-Pete:
Der Typ mit den zwei Handys am Gürtel, zukünftiger ehemaliger Inhaber des Restaurants Pistolen-Pete’s, in dem es nur Eintopf gibt, bzw. gegeben haben wird.

Charming Heinz:
Fachwirt für schlechte Laune, Mitglied im Verband der deutschen Fachwirte für schlechte Laune e.V. und seit Band 5 Grimm-Preisträger.

Eisi Verspeisi:
Werbetext-Auszubildende bei Long Dong Copy, gesegnet mit einem gesunden Appetit auf Speiseeis

Whale Watching

Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren gründete Charming Heinz ein Whale-Watching-Unternehmen am Berliner Wannsee. Der Slogan, mit dem er für seine Firma warb, lautete: »Nur ein gewatchter Wal ist ein guter Wal.« Moment! Gibt es denn im Wannsee Wale, fragen Sie? Aber selbstverständlich nicht. Und in dieser Tatsache lag letztlich der entscheidende Schwachpunkt in Charming Heinzens Business-Modell. Das einzig walartige Wesen im Wannsee war nämlich ein Ausflugsdampfer namens »Moby Dick«, der aber nicht weiß, sondern silberfarben lackiert und eher wie ein Hai dekoriert war. Und diesen Wal wollten die Leute nicht watchen, sondern im Gegenteil, sie wollten aus diesem Wal herauswatchen. Wenn Charming Heinz dann mit seinem Gummi-Boot voller Wal-Touristen um Moby Dick herumfuhr, mußte er leider eine reverse Watching-Mechanik konstatieren. Die Leute im Dampfer fanden die Whale-Watching-Gruppe im Gummi-Boot viel interessanter als umgekehrt, weswegen nicht wenige Kunden von Charming Heinz unzufrieden waren. (Manche wollten sogar ihr Geld zurück.)
Und so kam es, daß das mit viel Elan gestartete Unternehmen in die Knie ging, noch bevor Käpt'n Heinz es an die Börse bringen konnte. Der alte Seebär zog daraus die durchaus verblüffende Konsequenz, einfach etwas anderes zu machen.

Fusions-Poker

November 2009. Nach den Arabischen Emiraten, Fiat, Magna und dem Mutterkonzern General Motors zeigt sich jetzt auch der Lektüre für Nichtleser-Konzern an einer Übernahme des angeschlagenen Automobil-Herstellers Opel interessiert. Die PKW-Herstellung gehört zwar nicht zu den Kernkompetenzen des Humorzulieferers Lektüre für Nichtleser, aber, wie Unternehmensgruppen-Vorstand Grabowski verlautbaren ließ, könnten sich hier interessante Synergie-Effekte auftun. Und ob man nun Humor oder Autos produziert, letztlich zählt doch die industrielle Kompetenz.

Wiedergeburt

Aus Long Dong Copys spirituellem Tagebuch: Falls jemand an Wiedergeburt glauben sollte, hier mein Vorschlag für eine Grabinschrift: »Ablage Wiedervorlage«

Harvard

Endlich ist die Mobiltelefonie so weit, daß man sie wirklich sinnvoll nutzen kann. Schauen Sie mal, so geht das zum Beispiel:
Charming Heinz hat sich nämlich in sein Smartphone Sitcom-Lacher geladen, die man auch als Klingelton installieren kann. Oder man nutzt sie nicht als Klingelton, sondern zum Beispiel während einer Bahnfahrt.
Charming Heinz sitzt gerade im Zug von Berlin nach Hamburg, wo er keinen Termin hat, und verfolgt notgedrungen das Gespräch an einem anderen Tisch im Speisewagen.
Dort redet jemand so laut, daß es niemand im Bordrestaurant überhören könnte – und leider nicht nur laut, sondern auch noch inhaltlich höchst inadäquat, wie sich gleich herausstellen wird. Charming Heinz zückt schon einmal sein Handy, wählt seine Sitcom-Lacher an und wartet auf die passenden Gelegenheiten. Ah, da kommt auch schon die erste: Laut und betont fällt der Satz:
»Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert.«
Super! Charming Heinz läßt seine Sitcom-Lacher von der Leine. Ein paar Leute schmunzeln, der Lautsprecher ist für einen Moment irritiert, fährt dann aber in seinem Vortrag fort. Allerdings quittiert Charming Heinz jetzt jede seiner peinlichen Wortmeldungen mit einer Sitcom-Lach-Salve, so daß die Type es langsam doch mitschneidet.
Und daraufhin beschwert er sich auch noch bei Charming Heinz! Ein starkes Stück.
Aber, wie sich gleich herausstellen sollte, nur ein kleines Mißverständnis. Nach einigen läuternden, von Charming Heinz verabreichten Ohrfeigen ist die Sachlage geklärt und die beiden kommen miteinander ins Gespräch. Nur an seinen neuen Spitznamen »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« muß sich Charming Heinzens neue Bekanntschaft erst noch gewöhnen. Aber auch dafür sind Ohrfeigen, in der richtigen Dosierung appliziert, hilfreich. Jedenfalls: Charming Heinz und »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« stellen fest, daß sie beide in Berlin-Schöneberg wohnen. Tolle Sache! Heinzinger lädt den Kollegen gleich mal ins heimische Restaurant ein. Vielleicht könnte er dort mal auftreten mit seiner Performance.

Tage später zurück in Berlin sind alle höchst interessiert an Charming Heinz’ Begegnung mit »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert«. Vor allem den Spitznamen finden sie toll. Long Dong Copy ist gar nicht mehr zu halten wegen der Länge, ärgert sich aber auch ein wenig, daß dieser Name, der ja fast so lang ist wie manch einer seiner Slogans, nicht aus seiner Feder stammt. Aber egal. Alle freuen sich, daß »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« mal auf ein Bier und vielleicht sogar einen kleinen Auftritt vorbeischauen will.

Jetzt zeitlich gesehen noch ein paar Tage später ist Charming Heinz mit »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« im Restaurant zum Business-Meeting verabredet. Da kommt er auch schon:
Charming Heinz: Hey, »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert«, schön Dich zu sehen, setz Dich.
Grabowski: Leute, schaut mal, »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« ist da!
Jedenfalls, in ihrem Business-Meeting regt Charming Heinz an, daß er als Manager von »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« tätig werden und diesen ganz groß rausbringen könnte. »Viele meiner Verwandten haben ja in Harvard studiert« ist anfangs zögerlich, läßt sich ein paar Ohrfeigen später aber doch überzeugen. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

Autor

Michael Bukowski kommt aus und lebt in Berlin. Die Wahrscheinlichkeit, ihn in einem Café anzutreffen, darf als hoch bezeichnet werden.
Davon abgesehen verdient er seine Brötchen als freier Texter in Werbung, Unternehmens- und politischer Kommunikation, wo er sich einen Namen als »Der mit Buchstaben rummacht« gemacht hat. So so.

http://www.lektuere-fuer-nichtleser.de