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Fragen an Illustratoren: Finna Leibenguth

Wie war dein Einstieg in die Branche und was war dein erster Job?

Mein Einstieg war eher zufällig – wobei ich ja nicht an Zufälle glaube. Ich hatte Visuelle Kommunikation an der Akademie für Bildende Künste Maastricht studiert und danach ein Jahr lang Praktika bzw. freie Mitarbeit im Grafikdesignbereich gemacht. Das Studium an der Akademie war eher künstlerisch und die Niederländer sind ja auch im Designbereich sehr progressiv und experimentierfreudig. Die tägliche Agenturroutine in Deutschland war im Vergleich dazu wie eine kalte Dusche. Trotzdem habe ich in dieser kurzen Zeit extrem viel dazugelernt und möchte deswegen auch im Nachhinein nicht alles schlechtreden. Aber ich war schon etwas unzufrieden und wusste nicht, wohin die Reise eigentlich gehen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war meine Akademie-Kommilitonin und Freundin Anne Lück (annelueck.com) gerade dabei, als freie Illustratorin durchzustarten. Ich war von ihrer Arbeit schwer beeindruckt und wollte immer alles ganz genau wissen, bis mir irgendwann dämmerte, dass Illustration auch für mich genau das Richtige sein könnte. Anne hat mich damals sehr motiviert und konnte alle möglichen und unmöglichen Fragen bestens beantworten, weil sie zuvor an einem Coaching für angehende Freiberufler teilgenommen hatte.

Letztendlich ging dann alles relativ schnell: die obligatorische Anmeldung beim Finanzamt, die erste Website, das erste Akquise-PDF. Ich habe tagelang herumtelefoniert und Portfolios an Bildredakteure und Artbuyer verschickt. Mein erster Job warem kleine Illus für einen Artikel im Magazin Stern Gesund Leben. Der Moment, als ich im Kiosk die neueste Ausgabe aufschlug, war natürlich grandios.

Arbeitest du hauptsächlich als Illustrator oder hast du noch andere Schwerpunkte und falls ja, welche?

In meinem Studium lag der Schwerpunkt definitiv im Bereich Grafikdesign. Illustration und Fotografie waren eher Nebenschauplätze. An der ABK Maastricht wird man dazu angehalten Projekte fächerübergreifend zu bearbeiten und nicht den einfachsten Weg zu wählen. Illustration fand ich schon damals toll und habe versucht sie, so oft wie möglich, einzusetzen.

Generell interessiert mich immer das große Ganze, deswegen entwickle ich gerne gestalterische Gesamtkonzepte, wie z.B. kürzlich das Konzept für das neue Soloalbum mit Special Edition von Max Würden. Aber auch Miniprojekte – wie z.B. der Klassiker Visitenkarte – machen mir immer wieder Spaß. Es ist einfach spannend, in Leute hineinzukriechen und zu verstehen, wer sie sind, was sie tun und wie sie wahrgenommen werden wollen.

Auf welchen Themenbereich hast du dich spezialisiert? Wie würdest du deinen Stil beschreiben? Mit welchen Techniken arbeitest du?

Interessanterweise illustriere ich meistens Themen, die mich sowieso gerade selber beschäftigen. Sie kommen mir quasi zugelaufen. Größtenteils geht es um Zwischenmenschliches, Bildung, Gesundheit und Literatur.

Mein Stil ist auf jeden Fall materiallastig, bunt, surreal, manchmal ironisch und immer ein bisschen retro. Ich mag Metaphern und Symbole und versuche auf diese Weise immer, noch eine weitere Ebene ins Spiel zu bringen, anstatt nur den konkreten Textinhalt im Bild wiederzugeben.

Digital oder Analog?

Beides. Die Basis für meine Illustrationen ist eine ständig wachsende Sammlung von Papiersorten, Stoffen, Büroartikeln und Baumarktmaterialien. Wenn mir unterwegs eine interessante Oberfläche auffällt, wird sie sofort abfotografiert und mit in den Fundus aufgenommen. Alle anderen Materialien werden eingescannt, so dass ich sie immer wieder verwenden kann. Typo und bestimmt Elemente zeichne ich von Hand vor und bearbeite sie danach digital. Die eigentliche Illustration entsteht dann als Collage in Photoshop. Der Mac ist quasi meine rechte Hand. Würde ich jede Illu analog zusammenbasteln, wäre das ein immenser Material-und Zeitaufwand, den nur die allerwenigsten Kunden bezahlen würden.  

Mir ist besonders wichtig, dass meine Arbeiten eine organische, warme Ausstrahlung haben, obwohl sie digital angefertigt werden. Ich versuche, die Eigenheiten und Fehler der Materialien bewusst zu nutzen, anstatt sie dem digitalen Perfektionismus zu unterwerfen. Mit aalglatter Vektorgrafik werde ich nicht warm, egal wie gut sie handwerklich gemacht ist. Alles hat seine Berechtigung, aber Angekratztes und Beschädigtes gefällt mir persönlich wesentlich besser.

Gibt es ein Objekt, ein Thema, das für dich besonders schwer zu zeichnen ist?

Hände und Füße.

Wie ist dein Arbeitsprozess für eine Illustration?

Zunächst bekommt man einen Artikel, eine Kolumne, ein Dossier oder was für eine Art von Text auch immer, sowie ein erstes Briefing zu Art und Größe der Illus. Dann folgen ein paar kritische Minuten, in denen das Honorar verhandelt wird, was am Anfang schwer fällt, aber mit der Zeit immer leichter wird. Wenn diese Eckdaten geklärt sind, findet manchmal noch ein längeres Gespräch mit dem Art Director/Bildredakteur über dessen eigene Bildideen statt. Oft wird man aber auch einfach von der Leine gelassen und darf selbst ein Konzept entwickeln, was mir persönlich am liebsten ist, denn auch das Bildkonzept gehört ja zum eigenen Stil. Wenn das Konzept abgesegnet ist, geht es endlich los mit der eigentlichen Illustration. Auf halber Strecke kann man einen Zwischenstand schicken, um sicherzustellen, dass es in die richtige Richtung geht. Wenn man den Kunden aber schon gut kennt und bereits ein paar Jobs erfolgreich abgeschlossen hat, darf man meistens die Illu im Alleingang fertigstellen und nur die Endversion  einreichen. Je selbständiger man entscheidet und arbeitet, desto besser. Man wird schließlich unter anderem auch als visueller Problemlöser gebucht und sollte dem Kunden das Gefühl vermitteln, dass man zuverlässig seinen Job macht und nicht durch zu viele Rückfragen und Unsicherheiten den Ablauf verlangsamt.

Was passiert, wenn einem Kunden deine Illustration überhaupt nicht gefällt?

Das passiert so gut wie nie, denn man wird ja für den eigenen, speziellen Stil gebucht und auch das Bildkonzept kann vorher sehr detailliert festgelegt werden. Der Kunde weiß also im Prinzip schon vorher, was er bekommt. Eigentlich wollen ja auch beide Seiten das Gleiche: eine schöne Illu und eine angenehme Zusammenarbeit. Illustration ist eine Dienstleistung auf hohem Niveau aber dennoch eine Dienstleistung. In der Schmoll-Ecke zu hocken bringt gar nichts, nur weil man eine negative Kritik kassiert hat. Als Dienstleister muss man Kunden- und lösungsorientiert denken und handeln, gerade dann, wenn es mal nicht so glatt läuft.

Um Missverständnissen vorzubeugen, kann man alle mündlichen Absprachen noch einmal schriftlich festhalten, z.B. in einer Mail, in der die wichtigsten Punkte zusammengefasst sind.

Wenn der Kunde trotz mehrerer Korrekturen mit dem Endergebnis unzufrieden ist und man partout auf keinen grünen Zweig mehr kommt, gibt es immer noch das Ausfallhonorar, dessen Höhe man am Besten schon im Vorhinein in den eigenen AGBs prozentual festgelegt hat. Schließlich wurde auch dann eine Leistung erbracht, wenn sie am Ende trotz aller Bemühungen nicht gefällt. Oder anders formuliert: Würde man sich beim Frisör weigern, den neuen Haarschnitt zu bezahlen, den man sich ausdrücklich gewünscht hat und der handwerklich tadellos gemacht ist, nur weil man plötzlich zu der Erkenntnis kommt, dass einem die Frisur doch irgendwie nicht steht? Wohl eher nicht.

Welche Tipps kannst du jemandem geben der Illustrator werden möchte?

Wer in Deutschland im künstlerischen Bereich ein Star werden will, sollte sich lieber als Fotograf oder freier Künstler versuchen. Die Stars unter den Illustratoren sind nur unter Illustratoren bekannt. Wer aber zum Eremiten-Dasein neigt, in seiner eigenen (Bilder-)Welt lebt und keine großen Prestige-Ansprüche hat, ist als Illustrator gut aufgehoben.

Illustration existiert als eigener Studiengang, es schadet aber nie, auch etwas über Grafikdesign, Typo und Layout zu lernen, um sich später besser in die praktischen Arbeitsprozesse einfügen zu können. Es ist eine großartige Gabe, wenn man besonders gut zeichnen kann, aber um ein paar Mac-Kenntnisse kommt man trotzdem nicht herum. Das wichtigste ist meiner Erfahrung nach, möglichst früh eine eigene Bildsprache zu entwickeln und sie dann immer weiter zu verfeinern. Das Rad kann niemand neu erfinden. Eine Zeichnung bleibt eine Zeichnung und eine Collage eine Collage aber der eigene Stil sollte wiedererkennbar sein, damit man nicht zu leicht ausgetauscht werden kann. Es gibt wahnsinnig viele tolle Illustratoren, von denen man sich inspirieren lassen kann, aber einen bestimmten angesagten Stil zu kopieren ist tabu (trotzdem sieht man es von Zeit zu Zeit).

Wichtig ist auch, sich für eine Richtung zu entscheiden (z.B. Editorial, Comic, Kinderbuch), die man am Besten beherrscht, und das Geschehen in diesem Bereich zu verfolgen. Das macht den späteren Einstieg leichter und man bekommt eine Ahnung vom bestehenden Niveau.

Neben Talent und eigenem Stil braucht es aber auch sehr viel Geduld, Hartnäckigkeit, Zuverlässigkeit, Selbstdisziplin und hier und da eine Finanzspritze. Man muss es wirklich wollen, denn die nächste Durststrecke kommt bestimmt, egal wie talentiert und gefragt man ist. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass man nicht nur für seinen Kunden ein sehr guter Illustrator sein muss, sondern parallel dazu auch noch Sekretärin, Steuerberater, Versicherungsfritze, Psychologe und Mac-Notdienst. Im Alltag geht es oft weniger um schöne bunte Bilder als um schnödes Business mit Kalkulationen, Honorarverhandlungen und Deadlines. Einiges lässt sich entschärfen, wenn man z.B. ein Gemeinschaftsatelier bezieht, einen Steuerberater engagiert und sich von einem Agenten vertreten lässt. Aber all das muss auch bezahlt werden und auf manches muss man von Zeit zu Zeit einfach verzichten.
Für mich bleibt Illustratorin aber trotz allem ein Traumjob, der alles beinhaltet, was ich am liebsten mache: lesen, analysieren, grübeln, suchen, finden und verknüpfen. In meinem Kopf existiert eine kleine Parallelwelt aus Papier, die mir niemand wegnehmen kann. Es gibt nichts Großartigeres, als von seiner Phantasie zu leben.

Wie gewinnt man als Illustrator Kunden?

Akquise, Akquise, Akquise. Klinken putzen, bis der Arzt kommt.

Magazine, Agenturen und Verlage haben bestimmte Ansprechpartner (Bildredakteur, Art Director, Art Buyer, Creative Director, Human Resources Manager usw.) für Illustratoren, deren Kontaktdaten man telefonisch erfragen kann. Ohne eine gut sortierte Liste mit allen Kontakten, die man ständig aktualisiert, hegt & pflegt, verliert man schnell den Überblick. Diese Liste ist quasi der Dreh-und Angelpunkt der eigenen Existenz.

Alle 3–6 Monate ist ein aktuelles Portfolio-PDF fällig, das an alle Kontakte verschickt wird, gepaart mit einer netten Mail, die nicht langweilig, aber auch nicht zu gewagt sein sollte. Wenn man gelegentlich ein paar Taler übrig hat, lohnt es sich, in  Printmedien wie Postkarten, Plakate, Kalender o.ä. mit den eigenen Illus zu investieren und sie zusätzlich zum PDF zu verschicken. Je nachdem, wie lang die Kontaktliste ist, kann eine Portfolio-Runde schonmal eine ganze Arbeitswoche in Anspruch nehmen. Eventuelles Feedback sollte immer sofort beantwortet werden; so kann man schon vor dem ersten Job zeigen, dass man wirklich interessiert und außerdem zuverlässig ist. Es ist extrem hilfreich, wenn man sich zu jedem Kontakt notiert, was wann wie und in welchem Zusammenhang geschrieben oder besprochen wurde.

Das alles ist sehr mühselig, zahlt sich aber letztendlich aus.

Wie siehst du den Stand der Illustration in Deutschland?

Schwierig. Als Illustrator ist man nicht Fisch und nicht Fleisch; nicht Künstler, aber auch nicht Fotograf oder Grafikdesigner. Illustration kann sehr viel, sie fängt da an, wo ein Foto aufhört, was für meinen Geschmack in Deutschland noch nicht richtig ausgeschöpft wird – aus mangelnder Experimentierfreude oder was für Gründen auch immer.

Beim Begriff Illustration denken Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher an Kinderbücher oder allenfalls noch an Comics, definitiv aber an etwas völlig brotloses. Vielleicht haftet der Illustration deshalb auch immer etwas Kindliches an. Was man den ganzen Tag so treibt, ist den meisten Leuten jedenfalls ziemlich schleierhaft. Wenn ich erzähle, dass ich schon für Magazine gearbeitet habe, die es an jedem Kiosk gibt, ist das Erstaunen groß. Es ist frustrierend, wenn man feststellt, dass all die tollen Illus scheinbar oft übersehen werden. Wie gesagt: wer ein Star sein will, wird als Illustrator wahrscheinlich unter dem fehlenden Prestige leiden.

Man wird immer wieder und in den unmöglichsten Situationen gefragt, ob BWLer oder Jurist nicht die bessere Berufswahl gewesen wäre (womit man im Illustratorenalltag ironischerweise mehr zu tun hat, als man es jemals für möglich gehalten hätte). Ich sage dann, dass es auch Leute geben muss, die all die Magazine, Bücher, Filme und Games mit Leben füllen, mit denen sich BWLer und Juristen am wohlverdienten Feierabend entspannen. Wir sind viel wichtiger, als wir glauben.

Wo ist für dich der Unterschied zwischen Kunst und Illustration?

Illustration ist immer zweckgebunden, also genau auf ein bestimmtes Thema zugeschnitten – eine Dienstleistung eben. Freie Kunst dagegen sollte im Idealfall als reiner Selbstzweck geschaffen werden. Praktisch ist das eigentlich gar nicht möglich, auch Künstler müssen ihre Brötchen verdienen und scheitern regelmäßig daran, dass ihre Kunst nicht gefällig genug ist. Gemälde sollen zu Farbe des Sofas passen, Skulpturen in den Vorgarten und eine Performance kann man selten mit nach Hause nehmen…

Fazit: Illustration und Kunst sind sich gar nicht so unähnlich. Illustration ist theoretisch eine Dienstleistung, praktisch aber ein künstlerischer Schaffensprozess. Kunst ist theoretisch frei, praktisch aber auch wirtschaftlichen Zwängen unterworfen.

Finna Leibenguth
http://www.eaudecollage.de

Interviewserie mit Fragen von Nadine Roßa und Patrick Marc Sommer

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