Schluss mit Schnörkel

Andreas Laeufer, Executive Creative Director der Berliner Design- und Lifestyleagentur Leo Burnett – Laeufer, erläutert die Rolle und den Einfluss von Design auf Politik und Gesellschaft in einem von Rebellion geprägten Zeitalter.

Gute Grafik für schlechte Tage

Kairo, Dezember 2011: Videoaufnahmen zeigen ägyptische Sicherheitskräfte, wie sie auf eine Frau einschlagen. Ein einzelnes Standbild aus diesem Video, bei dem die Robe über das Gesicht der Frau gezogen, ihr blauer BH und Bauch freigelegt wurden und ein Mann in Uniform und Turnschuhen, der sich darauf vorbereitet, mit seinem Fuß auf sie einzutreten, füllte am folgenden Tag die Titelseiten mehrerer ägyptischer Zeitungen. Erschüttert – aber auch beflügelt – von diesem Moment, bemalte die Designerin und Künstlerin Bahia Shehab in den Tagen darauf die Straßen und Häuserwände Kairos mit der Grafik eines blauen BHs. Diese Protest-Bilder verbreiteten sich online, fanden weltweite Beachtung in den Medien und veranlassten Tausende von Ägyptern, auf den TahrirPlatz zu marschieren. Es war der Beginn der größten Protestbewegung in der Geschichte Ägyptens, einer Revolution und der Anfang vom Ende Muhammad Husni Mubaraks.

Quelle: Stringer/Reuters/Landov, Graffiti: Bahia Shehab

London, August 2017: Donald Trump, Vladimir Putin und eine riesige aufblasbare Gummiente – die Ausstellung ‚Hope to Nope: Graphics and Politics 2008-18′ im Londoner Design Museum ist schockierend, überraschend und manchmal überwältigend. Sie erlaubt einen tiefen Einblick in das Grafikdesign der letzten zehn Jahre – ein Jahrzehnt, in dem sich katastrophale Veränderungen in der Weltpolitik, der Wirtschaft und der Umwelt vollzogen haben. Die Ausstellung zeigt alles – von Bierdeckeln und Badges über Fahnen, Poster und Plakate, bis hin zu einem Foto des blauen BHs, mit einer Schablone auf eine Häuserwand gesprayt.

Museen reißen sich immer häufiger um die visuellen Produkte des Protestes und versuchen verzweifelt, Schritt zu halten, indem sie die physischen Artefakte der aktuellen Ereignisse erwerben. Im Jahr 2014 startete das V&A Museum London die Initiative “rapid response collection”. Die rosa gestrickte Pussy Cat-Mütze, die bei den Frauenmärschen 2017 getragen wurde, das Jeremy Corbyn Nike T-Shirt sowie eine leuchtend orangefarbene Flüchtlingsflagge mit einem dünnen schwarzen Streifen, inspiriert von den Rettungswesten, die von vielen Flüchtlingen getragen wurden, waren Teil einer Dauerausstellung.

Quelle: The Design Museum London

Quelle: It’s Nice That

Die Ausstellung zeigt, dass Grafikdesign einen nachweisbaren Unterschied machen kann in seiner Rolle bei der Information, Bildung, Unterhaltung und Provokation von Menschen. Sie zeigt aber auch, dass sich Designer politisch verantwortlich fühlen und eine neue kraftvolle Protestbewegung unterstützen.

Gott sei Punk

Ähnlich wie im Dadaismus, dem ersten großen Kulturprotest, angeheizt von Ernüchterung und moralischer Empörung über das beispiellose Blutbad des Ersten Weltkriegs, erinnert die aktuelle Bewegung an den Antrieb und die Denkweise des Punks in den 70er Jahren.

Raul Hausmann, The Art Critic 1920, 2017

Poster: Interscope Records 1987

Punk ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern eine korrigierende Dosis harter Wahrheit, eine Rebellion gegen Autorität und Institutionen. Punk als politische Haltung, als soziale Bewegung, als Modetrend, als persönliche Lifestyle-Marke und als Linse der kritischen Bewertung. Punks verknüpften schwere Gitarrenriffs und rauen Gesang mit politischer Kritik: In Großbritannien peitschten die Sex Pistols gegen das ‚faschistische Regime‘, Elvis Costello verurteilte den Falkland-Krieg und Clash bot eine apokalyptische Vision der Welt. Die Punks waren gegen die Regierung und das System, und sie forderten, gehört zu werden. Diese beinahe bedrohliche Urkraft fand ihren stärksten Ausdruck im Visuellen und im Design. Eine anarchisch kreative Revolte. Heute, genau wie in den 70er Jahren, frustriert vom politischen Rechtsruck und Populismus, schlagen liberale Designer zurück. Ihre Waffen der Wahl: fette Sans Serif-Schriften, die wie von Klappmessern zerschnitten wirken. Kontrastreiche Hintergründe führen einen harten optischen Schlagabtausch. Gestaltung mit Sinn, Haltung und Mut. InDesign und Illustrator, oft kombiniert mit Handschriften werden zu Molotow-Cocktails einer aufgewühlten Generation. Ohne Pastellfarben, ohne Schnörkel, ohne Kompromisse.

Poster: Oddly Head

Design, gegen das System

Wir erleben eine Generation, die nicht nur wählt, sondern marschiert, protestiert und gegen die politischen Maschinen wütet. Geschätzte 1,2 Millionen zumeist jugendliche Menschen nahmen im März 2018 an der Aktion “March For Our Lives” teil, einem von Jugendlichen in den USA organisierten Protest gegen die Waffenkontrolle. Absolut interessant dabei ist der Professionalismus im Erscheinungsbild dieser Schülerbewegung. Die visuelle Kraft liegt im Kontrast des Authentischen gegen das System. Also Menschen gegen Partei-Interessen. Schüler gegen Politiker. Handschrift gegen Sans Serif-Schrift und Blau (Liberal) gegen Rot (Republikaner).

Quelle: Boston Globe

Emma Gonzales überlebte mitten in ihren Abschlussarbeiten das Schulmassaker von Parkland am 14. Februar 2018 und wurde zum Gesicht dieser Bewegung. Mit ihrem Schmerz, ihrer Emotionalität und ihrem Mut gegen Lobbyisten und Parteien spiegelt sie die Attitude einer neuen Generation wider. Ihr Äußeres bezieht sich dabei auf eine anarchistische schnörkellose Kraft. Punk is back! Trump sei Dank.

Emma Gonzales

Design in Zeiten des Aufruhrs

Schluss mit Schnörkel

Andreas Laeufer, Executive Creative Director der Berliner Design- und Lifestyleagentur Leo Burnett – Laeufer, erläutert die Rolle und den Einfluss von Design auf Politik und Gesellschaft in einem von Rebellion geprägten Zeitalter.

Gute Grafik für schlechte Tage

Kairo, Dezember 2011: Videoaufnahmen zeigen ägyptische Sicherheitskräfte, wie sie auf eine Frau einschlagen. Ein einzelnes Standbild aus diesem Video, bei dem die Robe über das Gesicht der Frau gezogen, ihr blauer BH und Bauch freigelegt wurden und ein Mann in Uniform und Turnschuhen, der sich darauf vorbereitet, mit seinem Fuß auf sie einzutreten, füllte am folgenden Tag die Titelseiten mehrerer ägyptischer Zeitungen. Erschüttert – aber auch beflügelt – von diesem Moment, bemalte die Designerin und Künstlerin Bahia Shehab in den Tagen darauf die Straßen und Häuserwände Kairos mit der Grafik eines blauen BHs. Diese Protest-Bilder verbreiteten sich online, fanden weltweite Beachtung in den Medien und veranlassten Tausende von Ägyptern, auf den TahrirPlatz zu marschieren. Es war der Beginn der größten Protestbewegung in der Geschichte Ägyptens, einer Revolution und der Anfang vom Ende Muhammad Husni Mubaraks.

Quelle: Stringer/Reuters/Landov, Graffiti: Bahia Shehab

London, August 2017: Donald Trump, Vladimir Putin und eine riesige aufblasbare Gummiente – die Ausstellung ‚Hope to Nope: Graphics and Politics 2008-18′ im Londoner Design Museum ist schockierend, überraschend und manchmal überwältigend. Sie erlaubt einen tiefen Einblick in das Grafikdesign der letzten zehn Jahre – ein Jahrzehnt, in dem sich katastrophale Veränderungen in der Weltpolitik, der Wirtschaft und der Umwelt vollzogen haben. Die Ausstellung zeigt alles – von Bierdeckeln und Badges über Fahnen, Poster und Plakate, bis hin zu einem Foto des blauen BHs, mit einer Schablone auf eine Häuserwand gesprayt.

Museen reißen sich immer häufiger um die visuellen Produkte des Protestes und versuchen verzweifelt, Schritt zu halten, indem sie die physischen Artefakte der aktuellen Ereignisse erwerben. Im Jahr 2014 startete das V&A Museum London die Initiative “rapid response collection”. Die rosa gestrickte Pussy Cat-Mütze, die bei den Frauenmärschen 2017 getragen wurde, das Jeremy Corbyn Nike T-Shirt sowie eine leuchtend orangefarbene Flüchtlingsflagge mit einem dünnen schwarzen Streifen, inspiriert von den Rettungswesten, die von vielen Flüchtlingen getragen wurden, waren Teil einer Dauerausstellung.

Quelle: The Design Museum London

Quelle: It’s Nice That

Die Ausstellung zeigt, dass Grafikdesign einen nachweisbaren Unterschied machen kann in seiner Rolle bei der Information, Bildung, Unterhaltung und Provokation von Menschen. Sie zeigt aber auch, dass sich Designer politisch verantwortlich fühlen und eine neue kraftvolle Protestbewegung unterstützen.

Gott sei Punk

Ähnlich wie im Dadaismus, dem ersten großen Kulturprotest, angeheizt von Ernüchterung und moralischer Empörung über das beispiellose Blutbad des Ersten Weltkriegs, erinnert die aktuelle Bewegung an den Antrieb und die Denkweise des Punks in den 70er Jahren.

Raul Hausmann, The Art Critic 1920, 2017

Poster: Interscope Records 1987

Punk ist keine Persönlichkeitsstörung, sondern eine korrigierende Dosis harter Wahrheit, eine Rebellion gegen Autorität und Institutionen. Punk als politische Haltung, als soziale Bewegung, als Modetrend, als persönliche Lifestyle-Marke und als Linse der kritischen Bewertung. Punks verknüpften schwere Gitarrenriffs und rauen Gesang mit politischer Kritik: In Großbritannien peitschten die Sex Pistols gegen das ‚faschistische Regime‘, Elvis Costello verurteilte den Falkland-Krieg und Clash bot eine apokalyptische Vision der Welt. Die Punks waren gegen die Regierung und das System, und sie forderten, gehört zu werden. Diese beinahe bedrohliche Urkraft fand ihren stärksten Ausdruck im Visuellen und im Design. Eine anarchisch kreative Revolte. Heute, genau wie in den 70er Jahren, frustriert vom politischen Rechtsruck und Populismus, schlagen liberale Designer zurück. Ihre Waffen der Wahl: fette Sans Serif-Schriften, die wie von Klappmessern zerschnitten wirken. Kontrastreiche Hintergründe führen einen harten optischen Schlagabtausch. Gestaltung mit Sinn, Haltung und Mut. InDesign und Illustrator, oft kombiniert mit Handschriften werden zu Molotow-Cocktails einer aufgewühlten Generation. Ohne Pastellfarben, ohne Schnörkel, ohne Kompromisse.

Poster: Oddly Head

Design, gegen das System

Wir erleben eine Generation, die nicht nur wählt, sondern marschiert, protestiert und gegen die politischen Maschinen wütet. Geschätzte 1,2 Millionen zumeist jugendliche Menschen nahmen im März 2018 an der Aktion “March For Our Lives” teil, einem von Jugendlichen in den USA organisierten Protest gegen die Waffenkontrolle. Absolut interessant dabei ist der Professionalismus im Erscheinungsbild dieser Schülerbewegung. Die visuelle Kraft liegt im Kontrast des Authentischen gegen das System. Also Menschen gegen Partei-Interessen. Schüler gegen Politiker. Handschrift gegen Sans Serif-Schrift und Blau (Liberal) gegen Rot (Republikaner).

Quelle: Boston Globe

Emma Gonzales überlebte mitten in ihren Abschlussarbeiten das Schulmassaker von Parkland am 14. Februar 2018 und wurde zum Gesicht dieser Bewegung. Mit ihrem Schmerz, ihrer Emotionalität und ihrem Mut gegen Lobbyisten und Parteien spiegelt sie die Attitude einer neuen Generation wider. Ihr Äußeres bezieht sich dabei auf eine anarchistische schnörkellose Kraft. Punk is back! Trump sei Dank.

Emma Gonzales

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