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Paint Horse aus Pleasure Line? – 140 elementare Fragen des Lebens

Laura Breiling ist Illustratorin und lebt und arbeitet in Mainz. Vor Kurzem hat sie »Paint Horse aus Pleasure Line? – 140 elementare Fragen des Lebens« – ihre Abschlussarbeit an der Fachhochschule Mainz – vollendet.

Ihre Bachelorarbeit ist ein 336 Seiten dickes Lesebuch – basierend auf der allumfassenden Frage: »Was bewegt die Menschen von heute (und gestern)?«.

Darin entführen uns Zeitzeugen von heute in die unerwartet tiefen Abgründe ihrer Gedankenwelt und präsentieren arglos und vollkommen unzensiert Fragen, die sie und andere beschäftigen. Im Klartext heißt das: Hier findet sich eine Sammlung von Foreneinträgen, Gedichten, Geschichten, Kontaktanzeigen, Fragen von Kindern, Erwachsenen, Utopien und Dystopien, bebildert mit Collagen aus allerlei Webfunden oder auch eher klassischen Illustrationen, mit Gouache oder Tusche gemalt – perfekt für den modernen, digitalen Voyeur.

Was war die Intention/Motivation hinter deiner Bachelorarbeit?

Die Web»kultur« und ihre mehr oder weniger ausufernden Auswüchse interessieren mich schon seit längerem, genau wie diverse -für Außenstehende- absurde Randgruppenthemen wie Tierzucht, Rollenspiel, durch Musik geprägte Subkulturen sowie »Fandoms« verschiedenster Arten. Gerne beobachte ich soziologische Entwicklungen in Internetforen und auf ähnlichen Plattformen. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen zu diesem Thema gibt es zwar, aber locker unterhaltende ohne Zeigefinger und Kritik kaum. Ich wollte ein bebildertes Zeitzeugnis schaffen, ein unterhaltendes, lockeres Lese- und Schaubuch, eine Sammlung in Buchform, welche im Falle der schnelllebigen Web»kultur« ein konträres, da authentisches und unveränderbares Medium darstellt.

Wie hast du deine elementaren Fragen gefunden und ausgewählt? Was war dir wichtig?

Die »elementaren Fragen« sind ein ironischer Titel für eine vielseitige Fragesammlung, die mal ernst, mal absolut absurd daherkommt. Ich habe besonders viel Wert auf einen leidenschaftlichen Diskussionsverlauf gelegt. Denn mit der Frage wird meist die Diskussion eröffnet. Die Frage selber ist hierbei nur der Aufhänger; es sind auch »Nichtfragen« enthalten, denn in erster Linie ging es mir um interessante Geschichten. Es überrascht den Außenstehenden schon, wie viel Herzblut in der Anfertigung eines echten Zauberstabes steckt und wie passioniert über Ferkelkastration berichtet wird. Neben den vielfältigen Webinhalten habe ich auch meine persönlichen Fragen mit eingebracht, zudem noch ein Kapitel mit Kinderfragen, Gedichten und Kontaktanzeigen und als Gegenpol Fragen aus Magazinen der fünfziger Jahre. Eine durchwachsene Mischung aus verschiedensten Inhalten war auf jeden Fall das Ziel meiner Recherche.

Was fasziniert dich so an dem nicht selten fragwürdigen bis absurden Gedankenaustausch anderer?

Diese Eigendynamik, unter anderem verursacht durch Missverständnisse, die der schriftliche Gedankenaustausch im Web mit sich bringt, fasziniert mich. Oft wurde auch aus einer scheinbar harmlosen Frage ein seitenlanges entartetes Gefecht mit Beschimpfungen und allem, was dazugehört. Oft entgleiste das Thema auch gänzlich und mutierte zu einer völlig themenfremden Diskussion. Die Fachwörter, welche die eingeschworene Randgruppe benutzt, sind durchaus auch ein interessantes Thema für sich; denn zu beinahe jedem erdenklichen Interessenfeld gibt es selbsternannte Fachkreise, welche sich passioniert über ihr Steckenpferd unterhalten. Ob das nun Kaffeemaschinen, Bärte, Pudel, World of Warcraft, Black Metal, Reinkarnation oder Bodybuilding ist, macht wenn es um die Unterhaltung geht, kaum einen Unterschied. Auch ein interessantes Thema sind zum Beispiel so genannte »Fan Fictions«. Hier wird eine eigene Geschichte zu einer Romanvorlage oder einem Film erzählt oder die bestehende Geschichte »weitererzählt«. Diese häufig von eher jüngeren, weiblichen Fans geschriebenen »Fan Fictions« arten oft sexuell aus, mit mitunter sehr detailverliebter Beschreibung. Das fand ich verwunderlich und zugleich interessant. Auszüge einiger dieser Geschichten, wie zum Beispiel “Bastian und Regine fighting for the great love” finden sich auch in meinem Buch. Mit etwas Abstand betrachtet eröffnet sich dem Leser eine unerwartet skurrile Welt aus virtueller Selbstverwirklichung und -darstellung und auf die Spitze getriebener Liebhaberei, die ihm unter normalen Umständen vorenthalten bleiben würde.

Kannst du uns die interessanteste Geschichte erzählen, auf die du gestoßen bist?

Jede Geschichte hat ihren eigenen Reiz und ist auf ihre Weise interessant.
Aber man hat natürlich auch seine Favoriten. Sehr gut gefallen hat mir ein Beitrag in einem großen Esoterikforum: »Mein Sohn ein Regenbogenkind?«. Hier fragt eine besorgte Mutter, ob ihr Sohn Kevin Justin ein Regenbogenkind sein könnte, da sie glaubt, dass ihr Sohn Materie manipulieren kann; was unter anderem typisch für »Regenbogenkinder« sein soll. In seiner Hosentasche befanden sich regelmäßig Steine in Herzform und er konnte sich selbstständig aus einem verschlossenen Zimmer befreien. Zusätzlich waren seine Augen »rundum mit Energie aufgefüllt«. Für alle Unbeteiligten hier noch eine Erklärung, um was es sich bei Regenbogenkindern handelt:
»(…)Regenbogenkinder sind lichte Wesen. Sie kommen als leuchtendes Licht zur Erde. In ihren Herzen brennt dieses Licht als unauslöschliche, unumstößliche und bedingungslose Wahrheit. Diese Wahrheit ist so präsent und stark, dass sie das Wesen des Kindes durchdringt und von innen nach außen strahlt. Auf diese Weise bringen Regenbogenkinder ihr Licht in diese Welt: Sie leuchten von innen heraus. Sie sind in der Lage, über alle Farbschwingungen des Regenbogens mit anderen Menschen zu kommunizieren. Andere Menschen kommunizieren häufig nur über einen farbigen Regenbogenstrahl. Ihr inneres Licht dringt nicht nach außen, sondern von außen kommendes Licht spiegelt sich auf ihrem Herz-Kristall. Deswegen werden Regenbogenkinder mit dem Gefühl groß, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Denn die Art des Austausches mit anderen Menschen ist bei ihnen grundlegend anders. Viel von dem, was Regenbogenkinder erleben steht im Gegensatz zu dem, was sie erfühlen. Trotzdem tragen Regenbogenkinder ihre Wahrheit im Herzen und suchen nach deren Abbild in der Welt.(…)«
(Quelle: Lichtkinder)

Was war dir wichtig bei der Umsetzung deiner recherchierten Inhalte und wie kam es zur Anwendung so vieler verschiedener Illustrationstechniken?

Vielfältige Inhalte brauchen vielfältige visuelle Umsetzung. Somit waren schrill-bunte Collagen aus gegoogeltem Bildmaterial die erste Wahl als illustrative Unterstreichung der Foreneinträge und Gedichte. Die philosophischeren Themen wurden mit Gouache-Zeichnungen kombiniert. Handgemacht, roh und teils unfertig wie die Fan fictions sind auch die ergänzenden Illustrationen aus Plastilin. Zusätzlich gibt es noch schnell gezeichnete Tusche-Zeichnungen, die utopische/dystopische Überlegungen der Gesellschaft wiedergeben sollen. Eine ironische Interpretation der schriftlichen Inhalte findet sich in nahezu allen Illustrationen.

Wie kommst du zu diesem Titel?

»Paint Horse aus Pleasure Line?« ist eine Frage, welche ich in einem Forum für Pferdezucht gefunden habe.
Dort wurde nach dem perfekt passenden Hengst für eine Stute gesucht; sein Sperma sollte per Post zu dem zukünftigen Muttertier geschickt werden. »Paint« beschreibt hierbei die Rasse des Pferdes, »Pleasure« die Zuchtlinie. Die Pferdebesitzerin mühte sich durch einen Katalog von Hengsten mit klangvollen Namen wie »Wall Street Wizard«, »Gambler’s Invitation«, »He’s got the assets« und »Hints Surpreme Mickey«. Letztendlich sollte Kühlsamen aus den USA geliefert werden. Somit repräsentiert diese kryptisch-verwirrende Frage ganz gut die restlichen Inhalte des Buches.

Was hast du durch deine Bachelorarbeit gelernt?

Es gibt nichts, was es nicht gibt…dieser Satz passt wohl ganz gut. Abgesehen davon liegen voyeuristische Ambitionen uns wohl allen zu Grunde. Diese werden mit »Paint Horse aus Pleasure Line?« ausreichend befriedigt. Ich für meinen Teil werde wohl weiter Webinhalte verschiedenster Art sammeln, da es nicht nur unterhält, sondern auch eine Inspirationshilfe zum Anfertigen von Illustrationen ist.

Laura Breiling
http://www.laurabreiling.de

Das Interview führte Saskia Friedrich

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